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Zunächst zu den harten Fakten: Die CDU gewann die Wahl mit 32,1 Prozent der Zweitstimmen (Vergleichszahl 2014: 38,4), die AfD folgt mit 27,5 (9,7) vor der Linkspartei mit 10,4 Prozent (18,9). Die auf den Boden der Tatsachen zurückgeholten Grünen (mehr dazu hier) landen dem vorläufigen Endergebnis zufolge bei 8,6 Prozentpunkten (5,7), während die SPD auf 7,7 abstürzt (12,4). FDP und Freie Wähler (FW) scheitern beide an der Fünfprozenthürde. Die FDP erreicht 4,5 (3,8), die FW 3,4 (1,6).
In Mandaten ausgedrückt verteilen sich die – theoretischen – 120 Plätze im Dresdner Landtag auf 45 Christdemokraten (2014: 59), 39 Alternative (14), 14 Linke (27), 12 Grüne (8) und 10 Sozialdemokraten (18).
Praktisch werden indes 119 Sitze vergeben. Die AfD-Liste wurde – je nach Lesart – aufgrund eigener Unzulänglichkeiten respektive ob willkürlicher Setzung durch den Landeswahlausschuß samt Korrektur durch den Verfassungsgerichtshof auf die ersten 30 Kandidaten beschränkt. Das Ergebnis vom 1. September ergab aber 39 Mandate. Neun blaue Stühle wären also leergeblieben, zählten alleine die Listenstimmen. Die AfD gewann jedoch 15 Direktmandate (CDU 41, Grüne 3, Linkspartei 1), wovon acht Direktkandidaten nicht zugleich über die Landesliste eingezogen wären, so daß acht Direktmandate zu den 30 Listenmandaten hinzugerechnet werden müssen. Das heißt, es bleibt lediglich ein AfD-Stuhl unbesetzt, wogegen die Landesspitze der Partei im Nachgang des Wahltages noch Klage einreichen will. Daß der Verfassungsgerichtshof seine eigene Entscheidung der 30er Begrenzung am Ende revidieren wird, darf jedoch bezweifelt werden. Die Zahl der sächsischen Landtagsabgeordneten für die kommende Legislaturperiode reduziert sich unterm Strich auf 119, wovon 38 Akteure mit blauem Parteibuch ausgestattet sind.
Die Wahlbeteiligung stieg auf 66,6 Prozent. Das entspricht einem Plus von über 17 Prozentpunkten im Vergleich zur Wahl von 2014. Erneut erwies sich die AfD als Demokratiemotor. Ihr gelang es, über 200.000 bisherige Nichtwähler an die Urne zu mobilisieren (und 235.000 weitere Stimmen von Linkspartei, CDU und Co. abzuziehen). Ob das für eine »wiedergefundene Dialogfähigkeit« spricht, wie Thorsten Kleditzsch in seinem Leitartikel für die Chemnitzer Freie Presse formulierte, oder vielmehr für die sukzessive Schließung einer bis dato klaffenden Repräsentationslücke für das in Sachsen landesweit starke und vielfältige rechte Lager, sei dahingestellt.
Fest steht: Die hohe Wahlbeteiligung in der – überwiegend – linksgeprägten Dresdner Neustadt und im – außerordentlich – linksgeprägten Leipziger Südraum mit dem Epizentrum Connewitz konnte der AfD nicht übermäßig schaden; zu stark ist die Partei jenseits dieser linksgrünen Wohlfühlzonen, und das heißt konkret: überall sonst in Sachsen.
Fest steht zwo: 33,4 Prozent der Wahlberechtigten, und das sind über eine Million Menschen, gingen auch diesmal nicht zur Wahl. Dies ist das entscheidende Reservoir von mannigfaltig Unzufriedenen, fundamental Enttäuschten und politisch Abgewandten für die AfD, das es ab sofort Tag für Tag, bis zum nächsten Wahlgang und darüber hinaus, zu erreichen gilt. Der Fokus der Bemühungen ist folglich nicht auf den Kern hartgesottener CDU-Überzeugungs-Wähler zu richten.
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Zu konstatieren ist, daß der Wahlkampf trotz aller Polarisierung grosso modo fair, ruhig und erstaunlich sachlich verlief – zahllose Angriffe linker »Aktivisten« auf Angehörige von Rechtsparteien bleiben ausgenommen. Sie zählen mittlerweile zum unvermeidlichen Standardrepertoire antifaschistischer Politikausübung und sorgen kaum mehr für Aufregung jenseits der eigenen Lebenswelt.
In der bundesweiten, aber auch sächsischen Presselandschaft wurde die Gewalt gegen Sachen und Menschen durch Antifa-Täter, wenn überhaupt, achselzuckend vermerkt. Einmal mehr gilt also, daß »rechte« Slogans anstößiger empfunden werden als linke Militanz. Daran änderte die vorgeblich »konservative« Union während ihrer bis dato 30jährigen Regierungszeit wenig bis nichts. Dies gilt es seitens AfD und Co. zu konstatieren, ohne sich empört in die permanente Opferrolle zu begeben, die irgendwann wirkungslos werden muß.
Wenn Medien und Behörden linke Kriminelle schonen und dies sattsam bekannt ist, muß der eigene Wahlkampf in den speziellen Gefährdungsregionen eben effektiver geschützt werden anstatt auf ihn zu verzichten, wie es in Teilen der Leipziger Südbezirke gehandhabt wurde. Dort gewann die Linkspartei in Gestalt von Juliane Nagel im übrigen das einzige Direktmandat des Freistaats. 27,4 Prozent im Wahlkreis 28 (Connewitz, Südvorstadt usw.) dürften sie indes nicht zufriedenstellen. Womöglich sorgte auch dies für die Verschlechterung ihrer Grundlaune.
Ohnehin war die Linke der große Wahlverlierer in Sachsen. Sie ist längst keine »Volkspartei« des Ostens mehr, woran auch ein auf den Ostnimbus zugeschnittener Großplakate-Einsatz (»Das Gute am Osten – Die Linke«) nichts ändern konnte. Zu sehr hat sich die in Sachsen kosmopolitisch-urban durchsetzte Lifestyle-Linke von der Lebensrealität strukturkonservativer Alt-PDS-Sympathisanten wie auch potentieller Protestwähler aus der Arbeiter- und Mittelschicht entfernt. Konkret hat die Linke unter dem blassen und konzeptlosen Landeschef Rico Gebhardt die Zahl der Mandate halbiert. Die meisten Stimmen (29.000) verlor man übrigens an die AfD, fast dreimal so viele wie an die Grünen (11.000).
Die Linkenspitze geht mit der Schmach vom Wahlsonntag ganz unterschiedlich um. Spitzenkandidat Gebhardt bemängelte, daß Kinder, etwa sein Sohn (7), ja nicht wählen dürften. Seine Dresdner Parteifreundin Katja Kipping schritt derweil zur Wählerbeleidigung: Wer für die AfD optierte, wählte damit »Protest voller Verachtung«. Einmal mehr ist allein Sahra Wagenknecht in der Lage zur differenzierten Wahlauswertung. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte sie, daß die wachsende Distanz zur Lebenswelt der Normalbürger sich nicht zuletzt im linken Umgang mit AfD-Wählern zeige, »die gern pauschal als Rassisten beschimpft werden, obwohl viele von ihnen früher links gewählt haben«.
Weshalb es eine durchaus unverzichtbare Notwehr der unteren und mittleren Schichten ist, sich von der vereinigten Linken ab- und der (Neuen) Rechten zuzuwenden, habe ich im übrigen ebenso im 2019er kaplaken-Band Blick nach links untersucht wie die Bedeutung von Kippings lagerinternem Sieg über Wagenknecht – samt derzeit und künftig zu bestaunender Folgen.
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Deutlich wird im Zuge dieser Entwicklungen: Die Nerven links der Mitte liegen längst vor dem gesellschaftlichen Rechtsruck, auf den weiterhin zu hoffen ist, blank; bereits 27,5 Prozent AfD-Stimmen in Sachsen reichen dazu aus. Ein sprechendes Beispiel ist der Leipziger Michael Lühmann. Der wissenschaftliche »Demokratieforscher« (Universität Göttingen) kommentierte das Wahlergebnis so:
Jeder dritte männliche Wähler in Sachsen hat mutmaßlich Scheiße im Kopf (weil er entweder ein Drecksnazi ist oder weil er glaubt, eine Drecksnazipartei wählen zu müssen, ohne Nazi sein zu wollen).
Lühmann ruderte nicht zurück, entschuldigte sich nicht, und auch sein Arbeitgeber äußerte sich nicht. Dieser Ausfall blieb, wiedermal, ohne Folgen. In der Medienwelt der BRD ist nach links längst jede Schranke gefallen. Dafür spricht, daß Michael Lühmann nur ein Tag nach dem Skandal-Tweet trotzdem als Experte durch den ZDF befragt wurde. Seine eigene linke Positionierung samt Beleidigungen hunderttausender Wähler blieb unerwähnt.
Ebenso unerwähnt bleibt bei einem derzeit gefragten Gesprächspartner der Öffentlich-Rechtlichen dessen radikal linke Sozialisation: Matthias Quent. Bei der Bürgerinitiative Ein Prozent heißt es über den umtriebigen Aktivisten:
Quent ist kein Unbekannter: Als ehemaliger Mitarbeiter und Zögling der „antifaschistischen“ Landtagsabgeordneten Katharina König-Preuss (Die Linke) ist er ein ideologisch-gefestigter Akteur der Antifa-Szene Thüringens.
Erschwerend kommt hinzu: König-Preuss gilt Beobachtern als antifaschistische Hardlinerin der Linksfraktion in Erfurt, und Quent hat sich bis heute nicht von seinem Engagement in der linken Szene distanziert. All dies wird von RBB, MDR und Co. verschwiegen.
Stattdessen reüssiert Matthias Quent als Chef des »Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft« in Jena. Über dieses Institut führt EP aus:
Das sogenannte „Institut“ ist eine Tarnorganisation der Amadeu Antonio Stiftung und wurde ursprünglich als politisch-linientreuer Ersatz für das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) konzipiert. Nach erfolgreicher Intervention der Landtagsfraktion der Alternative für Deutschland (AfD) (ein gelungener Beitrag des AfD-Abgeordneten Brandner kann hier genossen werden) wurde der Fall öffentlich, das IDZ dient nun primär zur Veröffentlichung fragwürdiger Publikationen mit vermeintlich wissenschaftlichem Anspruch. Besonders umstritten ist die völlig intransparente Finanzierung des IDZ.
Anliegen dieses und vieler weiterer linker Lobbyvereine ist die Verengung des Korridors des Sagbaren. Antifaschistische Maximen werden absolut gesetzt, »verdächtige« Begriffe stigmatisiert, »Rechte« aller Couleur in der Folge diffamiert. Einerlei, ob in Thüringen oder Sachsen – man soll als Patriot, als Regierungskritiker, als Gegner der antifaschistischen Doktrin nicht mehr öffentlich dazu Stellung beziehen (können). Erfolgreich. Dazu paßt eine aktuelle Erhebung:
Rund 70 Prozent der Sachsen fühlen sich in ihrer Meinungsäußerung eingeschränkt – und zwar nicht nur praktisch alle AfD-Wähler, sondern auch die Hälfte der Grünen-Wähler. Das geht aus einer Umfrage hervor, die das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap im Zuge der Landtagswahlen für die ARD durchgeführt hat.
Der Verlierer des derzeitigen antifaschistischen Aufmarschs in der Medien- und Expertenwelt ist einmal mehr die freie Demokratie, zu der das Recht auf freie Meinungsäußerung samt Schutz vor Repressalien gesellschaftlicher wie staatlicher Natur zählen sollte.
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Wo es wahltechnisch markante Verlierer – Die Linke – gibt, muß es auch Sieger geben. In Sachsen gibt es zwei. Da ist zum einen die CDU, zum anderen die AfD. Erklärungsbedürftig ist vor allem die Deklaration der Union als »Sieger«, wo sie doch 7,3 Prozent ihrer Stimmen bzw. 14 ihrer Mandate verlor. Hier muß Beachtung finden, daß Michael Kretschmers Landesverband unter denkbar schlechten Voraussetzungen startete und bei der Bundestagswahl 2017 bzw. bei der Europwahl im Mai mit 26,9 bzw. 23 Prozent jeweils hinter der AfD (27,0 bzw. 25,3 Prozent) ins Ziel einlief. 32,1 Prozent bei der nunmehrigen Landtagswahl sind das Ergebnis eines kraftvollen und klugen Wahlkampfs.
Besonders auffällig ist der Aufwand, der betrieben wurde. Damit ist nicht das Blendwerk rund um die in konservativen Kreisen oftmals glorifizierte und damit in ihrer Altparteien-stabilisierenden Rolle wesentlich verkannte WerteUnion gemeint, nicht das Hin und Her um den Einsatz von Hans-Georg Maaßen als Wahlkampfhelfer (oder eben nicht), sondern der klassische bürgernahe Wahlkampf, der mit großem Engagement bis zum Wahltag, bis ins letzte Dorf, bis an die letzte Tür geführt wurde.
Während die AfD zudem eher allgemein gehaltene Einwurfzettel samt »Regierungserklärung« verbreitete, war der CDU-geführte Wahlkampf milieuspezifisch ausdifferenziert und zusätzlich stark auf die jeweiligen Direktkandidaten zugeschnitten. 41 erzielte Siege in den Wahlkreisen (AfD: 15) sprechen Bände und beweisen, daß es auch in Zeiten von Social Media und Online-Kampagnen unverzichtbar ist, das direkte Gespräch mit dem Bürger zu suchen. Das mag besonders für Angehörige der ersten Funktionärsriege nicht so bequem sein wie das auf Facebook festgehaltene Händeschütteln mit Parteigranden oder das Selfie vor den eigenen Plakaten, aber bewirkte, daß die Union im Rennen um die Direktmandate Woche um Woche aufholte, um schließlich mehr Wahlkreise zu gewinnen als verschiedentlich prognostiziert wurde; immerhin ging man in den Wochen vor der Wahl vielerorts von einem engen Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Schwarz und Blau aus.
Den leidenschaftlichen und professionell geführten Wahlkampf der Union zu würdigen, heißt freilich nicht, daß man ihren Parolen auf den Leim gegangen ist. Mancherorts plakatierten schlagfertige AfD-Aktive mit Recht unter CDU-Plakate, daß die vermeintlich ewige Regierungspartei doch 30 Jahre Zeit hatte für mehr Polizisten, mehr Sicherheit, mehr ÖPNV, mehr Ärzte auf dem Land usw. – all dies nun im Stile einer Oppositionspartei einzufordern, war von der Union dreist, aber vor allem die AfD-Spitze versäumte es, diese Diskrepanz aggressiver ins Zentrum des eigenen Wahlkampfs zu stellen.
Es ist nicht zuletzt aufgrund dieser überwiegenden Schonung, die die CDU durch die AfD-Landesführung erfuhr, zu befürchten, daß man sich mit den Hintergedanken bereits bei möglichen Koalitionsgesprächen, ob als Senior- oder Juniorpartner, befand. Dabei verkennt man aber, daß der Sinn eines jeden Wahlkampfs gerade auch darin besteht, für die potentiellen Wähler eindeutige Unterschiede zu akzentuieren. Gemeinsamkeiten für eine eventuelle Partnerschaft könnten, wenn die Union dies überhaupt ermöglichen würde, später noch gesucht und gefunden werden.
Ebenso versäumte es die AfD-Führung, den »Selbstläufer« Sachsen – gewählt worden wären wohl auch Petry, Lucke oder Poggenburg, wären sie auf dem sächsischen AfD-Landesticket gereist – zu einem Fanal für die bundesdeutsche Politik werden zu lassen. Gewiß, 27,5 Prozent sind ein respektables und erfreuliches Ergebnis, das die letzten Prognosen (23,5–25,5 Prozent) übertraf, aber kritisch-solidarisch darf angemerkt werden, daß dies im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 keine relevante Steigerung darstellt, obwohl seitdem zwei weitere Jahre eklatanten CDU-SPD-Versagens auf Bundes- wie Landesebene verstrichen sind, von unzähligen »Einzelfällen« und linker Gewalteskalation auch in sächsischen Städten ganz zu schweigen.
Man verzichtete bei der AfD in den letzten Jahren bedauerlicherweise auf die Forcierung einer landesweiten alternativen Nachbarschaftspolitik, auf Personalisierung, auf Professionalisierung und überdies auch auf einen rastlosen Tür-zu-Tür-Wahlkampf bis zur letzten Minute, wie ihn die CDU siegbringend kultivierte.
Das alles sind, wohlgemerkt, keine Fragen à la »Flügel« vs. »Alternative Mitte«, keine Resultate einer Spaltung in »grundsätzlich« vs. »gemäßigt« oder auch von »Solidarischem Patriotismus« vs. »FDP 2.0 plus Islamablehnung«. Es sind zunächst ausschließlich Fragen der Qualität. Hinzu tritt dann erst das bisweilen fehlende Verständnis für den »populistischen Augenblick« (Alain de Benoist), in dem wir leben, wie man beispielsweise anhand der Wahlparty am Abend des 1. September veranschaulichen kann.
Vor der Wahl twitterte ich:
Wenn die sächsische Führung der AfD authentisch politisch denkt & handelt, wird sie nach #sltw19 keine mainstreamige Wahlparty in vermeintlich gehobener Atmosphäre veranstalten, sondern einen Biergarten mieten, mit Wählern feiern & zeigen: Wir sind das Volk, ganz normal, wie ihr.
Die klammheimliche Befürchtung, die ich in mir trug, daß das – aus populistischem Blickwinkel – Falsche geschehen würde, bewahrheitete sich. Man wählte ein edles Ambiente auf einem Dampfer, um bei Sekt und Häppchen die Elbflorenz-Kulisse zu bewundern. Das mag wundervolle Ausblicke ermöglichen, aber die Frage bleibt, ob derartige Verhaltensweisen, treten sie fürderhin gehäuft auf, eines Tages beim Wähler den Verdacht nähren könnte, hier würden einige Verantwortliche zu gerne zu schnell »oben ankommen«. Ein großer Biergarten, ein paar Hundert gut gelaunte Sympathisanten und Wahlhelfer, große Fässer Bier und Politiker zum »Anfassen«: Vielleicht hätte es das auch getan, und zwar volksnäher, kostengünstiger, weniger FDP-like.
Erschwerend kam im Vorfeld dieser Party hinzu, daß der Wahlkampf im Sommer bisweilen ideenarm und fantasielos vor sich hin plätscherte und geographisch auf die Hochburgen Dresden, Meißen, Bautzen/Görlitz und Sächsische Schweiz fixiert war. In den sogenannten »strukturschwachen Regionen« Vogtland, Zwickau und dem Erzgebirge waren die lokalen fleißigen Gliederungen eher auf sich allein gestellt. Kein Spitzenpolitiker der AfD wurde von der Landesspitze dorthin gebeten, keine aufmerksamkeitsheischende Aktion wurde gestützt oder gar selbst angestoßen. Als durchaus wohlwollender Beobachter bekam man das Gefühl, daß Sachsen für einige Funktionäre nur aus dem Landesteil ab Dresden ostwärts existiert. West- und Nordsachsen wurden – aus Wohnortgründen des Spitzenpersonals der Landes-AfD und/oder aus strategischen Erwägungen heraus? – vernachlässigt.
Daß aber auch dort Erfolge ohne größere Dresdner Rückendeckung erkämpft werden können, zeigen nicht zuletzt die Wahlkreise Nordsachsen 3 und Erzgebirge 3. In Nordsachsen besiegte Senkrechtstarterin Gudrun Petzold den ehemaligen Leipziger Polizeipräsidenten Bernd Merbitz (CDU); sie holte ein Drittel der Stimmen in einem traditionell schwarzen Wahlkreis. Und im Erzgebirge konnte Thomas Tumm mit einem engagierten Wahlkampf die eigentlich sattelfesten CDU-Hochburgen zwischen Breitenbrunn und Zwönitz nehmen; er ging mit fast vier Prozent Vorsprung vor dem christdemokratischen Kandidaten ins Ziel.
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Ob Thumm von Frauen oder Männern bevorzugt wurde, oder ob ein relatives Patt herrscht, weiß man nicht. Was man weiß: 33 Prozent der sächsischen Männer wählten landesweit AfD, aber deutlich weniger Frauen, nämlich 22 Prozent. Diese Schieflage kann bundesweit diagnostiziert werden.
Erfreulicher ist die Entwicklung hinsichtlich der Wählergruppen nach dem Alter. Die Forschungsgruppe Wahlen ermittelte, daß die sächsische AfD bei den 18–30jährigen vor den Grünen die stärkste Kraft stellt. Die CDU erzielt in diesem Bereich nur 17 Prozent.
Den schwarzen Wahlsieg gewährte einmal mehr die Generation 60+. Dort kommt die CDU auf 43 Prozent, die AfD lediglich auf 23 Prozent. Nimmt man hingegen alle unter 60jährigen Sachsen, und zwar Männer wie Frauen, zusammen, führt die AfD mit starken 30 Prozent. Die demographische Entwicklung spricht zum einen also für die AfD, zum anderen wird aber auch deutlich, wie wichtig in einer alternden Gesellschaft solide und valide Rentenkonzepte sind, um zumindest die politisch noch Aufgeschlossenen unter den älteren Menschen zu erreichen.
Apropos Alter. Dieter Stein irrt, schon wieder. Es gibt ihn nicht, den Siegerblock, den er »konservativ-rechts« nennt. Die AfD, man erinnere ihn und sich bitte daran, trat zur Wahl gegen die CDU an, nicht als ihr potentieller willfähriger Juniorpartner-im-Wartestand. Was es gibt, wenn man den Wählerwillen so interpretieren möchte, ist ein stabiler Block aus Merkel-AKK-Kretschmer-CDU und AfD, der etwa 60 Prozent der Stimmen zusammenbringt und rechnerisch betrachtet die stabilste Koalitionsoption darstellte. Solange aber die WerteUnion nur findige Pressemitteilungen verschickt und folgenlose Maaßen-Partys feiert, aber noch nicht einmal wagt, auch nur zaghaft und verschämt den Rücktritt des Merkel-loyalen Kretschmers zu fordern, um mit der AfD wenigstens in lockere Sondierungen zu gehen, verbietet es sich für authentisch Konservative und Rechte, beim CDU-AfD-Gedankenspiel von einem zu befürwortenden »konservativ-rechten« Bündnis zu sprechen.
Rot-Rot-Grün (R2G) ist in Sachsen erwartungsgemäß unerwünscht (man kommt gemeinsam auf lediglich 26,7 Prozent!), und auch die Große Koalition ist angesichts der dilettantischen Sachsen-SPD weit entfernt jeder Realisierbarkeit. Parteichef Martin Dulig wird in der Freien Presse, infantilen Jargon adaptierend, wie folgt zitiert: »Wir haben das schlechteste Wahlergebnis – wir sind aber der coolste Landesverband.« Und doch: Auch wenn die ideenlosen Sozialdemokraten um besagten Dulig, Hanka Kliese und Co. sich anschicken, 2024 verdientermaßen unter »Sonstige« verbucht zu werden, dürften sie fürs erste in der Regierung bleiben. Denn die einzige realistische Koalition besteht aus den Parteien CDU, Grüne und SPD; man nennt das »Kenia« oder, polemisch konnotiert, »Afghanistan«.
Für die AfD stellt das kein massives Problem dar. Erstens entlarvt sich die CDU mehr denn je als inhaltlich beliebige und opportunistische Machterhalter-um-jeden-Preis, zweitens werden die grünen Minister und ihre mutmaßlich volksfernen Vorhaben viele Unionswähler nachhaltig verärgern und drittens hätte die AfD derzeit kein ausreichend adäquates Personal an der Spitze für zu besetzende Ministerien. Man gewinnt also, wenn es keine Neuwahlen geben wird, fünf Jahre Zeit, die eigene Führung zu professionalisieren und auf jedem Feld nachzubessern. 2024 könnte man dann stärkste Kraft werden und die Dinge neu ordnen, ja vielleicht sogar die Juniorpartnerrolle an die CDU oder, was unwahrscheinlicher ist, an eine im Geiste Nils Heisterhagens erneuerte Sozialdemokratie und/oder an die bürgerlich-konservativen Freien Wähler herantragen, so sie denn beim nächsten Gang an die Urne die fünf Prozent stemmen.
Ein Problem stellt die nahende schwarz-grün-rote-Regierung freilich dennoch dar: Für Sachsen im allgemeinen, für die Schul- und Agrarpolitik im besonderen. Die Grünen fordern etwa, daß sich Schulen ihre Lehrkräfte selbst auswählen dürfen. Man muß kein Bildungsexperte sein, um zu mutmaßen, daß besonders viele junge Lehrkräfte sich dann in Leipzig-Gohlis, Markkleeberg oder Dresden-Blasewitz bewerben dürften und einige wenige in Morgenröte-Rautenkranz, Deutschneudorf und Oybin. Aber das haben sich die Unionswähler selbst eingebrockt, ebenso wie eine drohende Verschlechterung der Situation in der sächsischen Landwirtschaft.
Die FAZ warf am 2. September zudem die naheliegende Frage in den Raum, ob die in Sachsen nur in Leipzig und Dresden wirklich präsenten Grünen überhaupt angemessenes Personal aufbieten können; Staatssekretäre, Abgeordnete und Minister werden sie jedenfalls stellen dürfen.
Für das heimatorientierte Feld tritt bei »Kenia« das Problem hinzu, daß die Grünen in Sachsen weit linksaußen zu verorten sind. Es ist damit zu rechnen, daß die Stimmungslage samt Repressionsbedrohung gegenüber der gesamten heterogenen politischen Rechten weiter verschärft werden dürfte – und antifaschistische Lobbyvereine weiter fürstlich alimentiert werden.
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Keine Alimentierung erfährt die NPD. Die Nationaldemokraten kommen in ihrem einstigen Stammland Sachsen nur mehr auf 0,6 Prozent der Zweitstimmen (2014: 4,95 Prozent). Der juristische Streit, ob man die Partei endgültig aus der Parteienfinanzierung entfernt, ist damit obsolet geworden. Auch in ihren Hochburgen ging die NPD unter: In Reinhardtsdorf-Schöna (Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) holte man nur noch 4,6 Prozent der Stimmen, in Aue-Bad Schlema (Erzgebirge) 3,5 und in Strehla (Meißen) 3,1.
Allerdings betreffen diese Auflösungserscheinungen rechts der Mitte keineswegs nur die älteste deutsche Rechtspartei. Auch die liberalkonservative AfD-Abspaltung #TeamPetry konnte trotz landesweiter markiger Plakatwerbung (»Grüne in die Produktion, »Sachsen kann es auch alleine«) nur 0,4 Prozent der Zweistimmen gewinnen (Petry als Direktkandidatin im Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 3: ca. 800 Stimmen, macht 2 Prozent).
Noch härter traf es den Aufbruch Deutscher Patrioten Mitteldeutschland (ADPM) mit 0,2 Prozent der Stimmen. Das Gesicht der Partei, André Poggenburg aus dem benachbarten Sachsen-Anhalt, trat während der heißen Wahlkampfphase samt regionaler Gefolgsleute aus der ADPM aus. Es ist zu erwarten, daß die ADPM allenfalls als regional beschränkte Partei in Zwickau und Umland fortbesteht, wo sie im Wahlkampf zumindest über Kandidaten und Plakate präsent war und leicht überdurchschnittliche Ergebnisse erzielte. Daß der Aufbruch darüber hinaus keine Zuwächse erzielen kann, zeigt nicht zuletzt das Beispiel von Chemnitz. Dort trat die seit vielen Jahren im dortigen Stadtrat verankerte Formation Pro Chemnitz – erfolglos – mit eigenen Direktkandidaten an und warb in Sachen Zweitstimme für die AfD, obwohl der Chef der Bürgerbewegung, Martin Kohlmann, anfänglich bei ADPM-Veranstaltungen auftrat.
Fest steht damit: Möglicher Druck »von rechts« auf die AfD wird in der kommenden Legislatur allenfalls außerparlamentarisch erfolgen. In Sachsen gibt es ein respektables Miteinander nichtparlamentarischer patriotischer und rechter Initiativen, unter anderem Ein Prozent und Pegida. Es ist damit zu rechnen, daß dieses Feld, das seit Jahren den sächsischen Boden auch für die nunmehrigen AfD-Erfolge bestellt, etwaige ideelle und habituelle Anpassungstendenzen der AfD-Fraktionsspitze an das selbstreferentielle Parteienkartell mit der notwendigen kritischen Aufmerksamkeit begleiten würde.
Die AfD muß eine revolutionäre Realpolitik entwickeln; weder destruktive Fundamentalopposition noch CDU-Lakaienrolle sollte die Devise heißen. Denn der Wähler, gerade der selbstbewußte aus Sachsen, würde es recht schnell merken, wenn die AfD-Funktionäre keine Alternative für (Ost)Deutschland darstellten, sondern eine »Reserveelite« für das Bestehende.
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Wolfgang Sofsky führte in einem skeptischen Essay (»Das Volk schaut nur zu«, NZZ v. 20.2.2019) aus, daß Ämter ihre Inhaber überdauerten und daß in unseren westlichen Gesellschaften die Opposition, »ob links, mittig oder rechts, nichts anderes als eine Art ‘Reserveelite’ (sei), die gleichfalls Posten und Pensionen zu erobern sucht«. Der Auftrag für die AfD in Sachsen als 27,5‑Prozent-Partei und authentischer Alternative besteht – im gegenteiligen Sinne – darin, dem (Wahl-)Volk zu beweisen, daß Sofskys Lehrsatz nicht immer zutrifft. Für die Bildung einer weiteren Reserveelite des Establishments wäre die Zeit, die Kraft, das Geld und die Gesundheit vieler leidenschaftlicher und aufrichtiger Patrioten zu schade; es geht, ganz ohne Pathos, immerhin ums Ganze.
Bleiben wir diesbezüglich zunächst hoffnungsfroh. Denn wenn man bedenkt, daß keine akute Krise die Debatte überlagert, sind die sächsischen Erfolge der AfD um so bemerkenswerter. 30 Prozent und noch viel mehr sind in Sachsen keine Utopie mehr, wenn man in den kommenden Jahren den eigenen Auftritt, die eigenen Inhalte und das eigene Personal einerseits professionalisiert und wenn andererseits eine Wirtschaftsflaute (ein möglicher Durchbruch auch für Westwahlen!), die Rückkehr der verdrängten Migrationsproblematik oder eine akute Krisensituation anderer Art eintritt, etwa Verschärfungen der Dieselpolitik (Stichwort Pendlerland Sachsen) oder ein mögliches Auseinanderbrechen der Kenia-Koalition.
Sachsen hat gewählt, die Zahlen sprechen Bände, jetzt erst beginnt die eigentliche Arbeit. Sachsen kann zeigen, wie es geht. Konstruktive Kritik ist dabei vonnöten.
Niekisch
"Anliegen dieses und vieler weiterer linker Lobbyvereine ist die Verengung des Korridors des Sagbaren."
Da stehen sie nicht alleine da: Staatliche Institutionen, Kirchen, Gewerkschaften und viele mehr betreiben diese Verengung bis zum Zudrücken der Hälse seit Jahrzehnten. Solange keine wenigstens außerparlamentarische Avantgarde bis an den Rand der Selbstaufopferung gegen diese Schändlichkeit antritt, wird kein wirklicher Durchbruch zu erzielen sein. Mal sehen, welches mediale Sturmgewitter in den nächsten Wochen und Monaten gegen die AfD losbrechen wird.