Es geht ihr darum, die verschiedenen sozialen Systeme auszuleuchten, auf deren Grenzen diese “Bewegung” operiert: Politik, Kunst und Religion. Der erste Teil stellt die Frage, ob “Extinction Rebellion” (XR) und die Identitäre Bewegung einander strukturell ähneln. Im zweiten Teil geht es um die okkulte Symbolik von XR und im letzten Teil um die Versuchung rechter und linker Apokalyptik. Kommentare sind stets nur möglich bis zum Erscheinen des nächsten Teils. Wir moderieren außerdem hart und gestatten kein Ausfransen! (Kubitschek)
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Der Wikipedia-Artikel zum Begriff „Astroturfing“ gibt erstaunlich viel zu. Astroturfing sei ein englisches
Wortspiel mit dem Ausdruck Graswurzelbewegung (grassroots movement), der eine wirklich spontane, in erster Linie von Privatpersonen getragene Initiative bezeichnet. AstroTurf ist hingegen ein Markenname für Kunstrasen, wie er in manchen Sportstadien Verwendung findet. (…) Astroturfing kann als Übernahme der Methoden des grassroots campaigning beschrieben werden. Seine Akteure verfolgen keinen demokratischen bottom-up-Ansatz, sondern haben durch zentrale Koordination und Finanzierung eine top-down‑Prägung, die sie jedoch zu verheimlichen versuchen.
Der Artikel ist deshalb so frank und frei, da unter den Beispielen ausschließlich solche aufgeführt sind, die diese Methoden bei Arbeitgeber‑, Pharma- und Atomlobby, in Kampagnen gegen Obama oder gar der „organisierten Klimaleugnerbewegung“ aufdecken. Subtext durch Umkehrprobe: grüne, linke, klimarettende, demokratische Bewegungen sind immer echte Graswurzelbewegungen.
Relativ bald nach der konzertierten Aktionswoche der allem Anschein nach aus dem Nichts aufgetauchten Bewegung „Extinction Rebellion“ (auf Deutsch:„Rebellion gegen das Aussterben“) vom 7.–12. Oktober 2019 sickerte durch, daß diese people-power-Bewegung ihre Aktivisten im Vergleich zu deren sonst durchaus prekären Einkünften ganz gut bezahlt.
Das ist möglich und programmatisch auch so vorgesehen, insofern „Extinction Rebellion“ Teil eines umfassenden Netzwerks ist, das auf der Seite sciencefiles.org fein säuberlich auseinandergezupft und in seine Spendenanteile zerlegt wird. Rising Up, der Mutterkonzern von XR, werde via Guerilla Foundation mitfinanziert von Greenpeace und Attac, sowie über Zwischenorganisationen von der Open Society Foundation des George Soros.
Sciencefiles.org kommt zu dem Schluß:
Das Netzwerk, das wir oben zusammengestellt haben, ist also ein Revoluzzer-Netzwerk, eine Art Neuauflage der Kommunistischen Internationalen, deren erklärtes Ziel darin besteht, die vorhandene Gesellschaft nach ihren Vorstellungen zu verändern und die den Klimaschutz als Vorwand nutzen, um dieses Ziel zu erreichen.
William Engdahl zieht in einem aufschlußreichen und noch tiefer gehenden Artikel die historischen Linien der
Finanzialisierung der gesamten Weltwirtschaft unter Einsatz der Furcht vor einem Weltuntergangs-Szenario, um willkürliche Ziele wie ‘klimaneutrale Treibhausgas-Emissionen’ zu erreichen.
Im als Gratisdownload erhältlichen XR-Manual steht, der „Klimanotstand ist also ein Notstand von unten: von oben ausgerufen, aber von unten eingefordert“. Es dürfte sich genau andersherum verhalten. „Astroturfing“ gibt vor, von unten einzufordern, was längst beschlossene Sache auf sehr viel höherer und ökonomisch durchsetzungsstärkerer Ebene ist, als es die Ortsgruppe Hannover erkennen läßt.
Um die Forderungen „von unten“ breitenwirksam von oben unters Volk zu bringen, bedarf es allerdings wirkungsvoller Kampagnen. XR ist der „non violent action“ verpflichtet. Der amerikanische Collegeprofessor Gene Sharp (zweimal für den Friedensnobelpreis nominiert) hat diese in seiner „Bibel“ des regime change entworfen. Seitdem wurden die Handlungsanweisungen für den gewaltlosen Widerstand von zahllosen „Befreiungsbewegungen“ angewandt: vom Kiewer Maidan, auf dem Tahrir-Platz in Kairo oder in Jugoslawien gegen Miloševićs unter dem Schlagwort „Otpor!“ (Widerstand). Die politische Macht zu unterminieren, bis sie in sich zusammenbricht ist das erklärte Ziel.
Martin Sellner schrieb auf Twitter:
“Thread unter uns: Ich sehe den ganzen Klimaaktivismus eher gelassen, finde @ExtinctionR_DE sogar interessant. Haben dieselben Bücher gelesen wie wir. Popovic, Sharp, Boyd, Smucker uva. Sogar die berühmten “3,5% people power” kommen bei ihnen vor.”
Im Kontrakultur-Handbuch der Identitären Bewegung gibt es ein Lemma „Regime Change“, das sich genau diesen Bezügen widmet: auch die IB will einen regime change.
Auf den ersten Blick liegt es ausgesprochen nahe, XR und die IB in Hinblick auf die Aktionsmittel zu vergleichen. Lichtmesz überlegte auf Twitter anläßlich einer Kunstblutaktion von XR in London, wie es wohl wäre, hätte
eine identitäre Gruppe mit dem Namen ‘Replacement Rebellion’ das gemacht, um an die ‘Rivers of Blood’-Rede von Enoch Powell zu erinnern.
Ein anderer Kommentator zog denselben Vergleich in etwas hölzern satirischer Weise: die einen werden für ihre provokanten Happenings von allen außer den lahmgelegten Pendlern gefeiert, die anderen werden für dasselbe Vorgehen systematisch kriminalisiert.
Was den einen also ihre Klimakatastrophe, ist den anderen ihr großer Austausch? Sind beide Bewegungen nicht strukturgleich und mithin von Hufeisentheoretikern elegant gegeneinander auszuspielen? Der entscheidende Unterschied ist, daß der große Austausch real stattfindet, während XR eine Fiktion („das große Aussterben“) für die Realität hält.
Der große Austausch findet statt, es wird aber behauptet, daß er nicht stattfindet. Das große Aussterben findet nicht statt, es wird aber behauptet, daß es stattfindet. Zwischen XR und der IB ist Strukturgleichheit nur auf der Ebene der politischen Instrumentalisierung zu erkennen, die damit betrieben wird oder werden kann.
Denn nicht nur der Oberflächenvergleich der Aktionsmittel ist naheliegend, sondern auch der der ideologischen Herkunft, bis hin zu der Befürchtung, die IB könne ebenfalls durch Astroturfing instrumentalisiert werden oder worden sein. Der von Martin Sellner so geschätzte Gene Sharp und dessen Einstein Institution hängen, wie die französische Wikipedia ausführt, mit George Soros, der CIA und dem US-amerikanischen neoliberalen National Endowment for Democracy zusammen, welches alles andere als national agiert.
Die Einstein Institution habe, so liest man dort, die Massenerhebungen für „Demokratie“ in Birma, Thailand, Ägypten, Hong Kong, Tibet, Serbien, Äquatorialguinea, Palästina und Venezuela dirigiert. Mit Hilfe von Soros habe sie sie ferner die Orange Revolution in der Ukraine getragen, die Aufständischen gegen Hugo Chavez in Venezuela organisiert, und Srda Popovics „Otpor!“ in Serbien erhielt Anweisungen vom Ex-CIA-Agenten James Woolsey.
Die IB will einfach nur die Schriften studieren, ähnlich wie sie in ihren Anfängen 2012 Lenins Was tun? las, ohne gleich eine kommunistische revolutionäre Zelle zu sein, oder Saul Alinskys Rules for Radicals, ohne linkem Anarchismus zu verfallen. Problematisch ist nicht, von Linken zu lernen, und schon gar nicht, den politischen Gegner gut zu kennen. Problematisch ist der unterstellte „Demokratie“-Begriff der Regime-Change-Ideologie, der sich auch auf die IB auswirkt.
Martin Sellner kommt nach erster Faszination rasch darauf, daß XR doch alles andere als sauber ist:
Sie gehen hier vor nach dem klassischen Schema der CIA-gesteuerten Farbrevolutionen (…) wenn sie es nicht schaffen, dann wollen sie die Regierungen stürzen und Demokratien einrichten, die ‘zweckdienlicher’ sind (‘more fit to the purpose’).
Sellner zitiert in seinem Video auch den XR-Gründer Roger Hallam mit den inzwischen schon in den Sozialen Medien „viral“ gewordenen Worten: „And yes, some may die in the process.“ Ob sich dies auf Umweltaktivisten oder ihre Gegner bezieht, blieb bei Hallam allerdings undeutlich.
Wenn Sellner die Kunstrasenbewegung XR als “antidemokratisch” kritisiert, hat er sowohl recht als auch unrecht. Selbstverständlich ist sie das, gemessen am formalen Begriff der Demokratie. Denn wenn er die Forderungen der IB im wesentlichen mit gleicher Teilhabe, Meinungs‑, Versammlungs‑, Redefreiheit und Mehrheitsprinzip umreißt, legt er eine Formaldemokratie zugrunde. Diese soll nun bei XR in geradezu grotesk selbstoffenbarender Art und Weise in eine ganz bestimmte Programmdemokratie umgewandelt werden. XR spricht in ihren ebenfalls seltsamerweise geleakten internen Dokumenten von der “preparation for the coming structural collapse of the regimes of western ‘democracies’ ”.
Martin Sellners formaler Demokratiebegriff, den er normativ im Sinne des aktivistischen Eintretens für rechtsstaatliche Prinzipien füllt, rechnet nicht mit der „Zuschauerdemokratie“ (Walter Lippmann) oder „Postdemokratie“ (Colin Crouch, Karlheinz Weißmann). Die schweigende Mehrheit, die hinter der IB stünde, und ihr zu demokratischer Mehrheit verhülfe, „wenn wir nicht solchen brutalen Repressionen ausgesetzt wären”, ist aber ihrerseits gelenkt und als Masse dazu prinzipiell außerstande. Die Lämmer schweigen, weil sie eine Herde sind, wie Rainer Mausfeld konstatierte, doch auch Mausfeld hält trotzig einen „aufklärerisch“-liberalen Demokratiebegriff gegen die den Lämmern weisgemachte Demokratieillusion hoch.
Demokratischer Widerstand befindet sich letztlich in einer unentrinnbaren Zwickmühle: nur im normativen Beharren auf der Demokratie ist Totalitarismuskritik möglich. Demokratischer Widerstand muß dabei allerdings bestimmte Annahmen teilen, die nur liberal gedacht werden können. Beginnt man, diese in Zweifel zu ziehen, beraubt man sich als „Antidemokrat“ der eigenen Argumentationsgrundlage.
An exakt dieser Stelle ist demokratischer Widerstand instrumentalisierbar, weil er im Grunde schutzlos gegen Regime-Change-Ideologeme der Machart „Make the world safe for democracy“(Woodrow Wilson) ist.
Es gibt noch eine dritte Ebene, auf der XR und IB prima facie Ähnlichkeiten aufweisen, nämlich die Letzte-Generation-Rhetorik.
Apokalyptik ist die Versuchung, die eigene historische Rolle libidinös zu besetzen: Wir sind die Letzten, die noch handeln können. Diese Versuchung zu hinterfragen heißt nun keineswegs, den Sachverhalt abzustreiten, daß es demographisch tatsächlich nur noch in dieser jungen Generation eine autochthone Mehrheitsbevölkerung Europas gibt. Wir müssen nur um unsere Verführbarkeit und unsere mögliche Autosuggestibilität wissen.
Auf der politischen Rechten ist der apokalyptische Ton eine genauso gewohnte Stimmlage wie auf der Linken. Die Generation X kennt ihn schon seit früher Kindheit allzu gut (Atomtod! Super-GAU! Waldsterben! AIDS! Ozonloch!), um noch empfänglich zu sein. Und doch reproduzieren wir ihn selber, besonders dann, wenn die liberale Dekadenz wieder einmal besonders grausige Sumpfblüten treibt, die Islamisierung ihren Lauf nimmt und der Große Austausch unaufhaltsam fortschreitet.
Auch das macht uns instrumentalisierbar für fremde Programme zur Rettung des Abendlandes, Steve Bannons „Movement“ oder die Aktivitäten des Middle East Forum in Europa sind nur bereits offenkundige Beispiele. In der Apokalyptik verschmilzt die Untergangsdrohung mit der versprochenen letzten kollektiven Handlungsoption.
„Wir sind die letzte Generation, die noch etwas ändern kann“ (IB Deutschland). Das Wir, das Menschenkollektiv, ist Ansprechperson im Plural. Zugleich besteht es aus Zuschauern, deren individueller revolutionärer Trieb sogleich konsumiert wird, da mögen wir uns noch so im dazu passenden Generations-Kapuzenpulli davon freistrampeln.
„Wir sind die letzte Generation, die die Krise nach abwenden kann“. Möglich sei das aber nicht durch individuelle Veränderungen. „Die Menschen müssen sich kollektiv organisieren, um das System zu verändern.“ (Carola Rackete, XR Deutschland)
Wenn Sellner in seinem Identitär!-Buch (2017) die letzte Chance für eine echte rechte Jugendbewegung als Massenbewegung für vermutlich in den 1990er Jahren verpaßt hält, so ruft er doch die letzten Versprengten seiner Generation auf, eine „metapolitische Spezialeinheit“ zu bilden. „Aber wir dürfen uns keine Fehler erlauben. Wenn wir es vergeigen, gibt es keine zweite Chance“.
Es kommt auf Versuchungswiderstand an. Dieser besteht hier erstens darin, besser zu erkennen, was tatsächlich abläuft und wer und vor allem: welche Kräfte und Prinzipien hinter der Oberfläche die Fäden ziehen, und zweitens darin, der Versuchung zu widerstehen, in einem von übergeordneter Stelle inszenierten Verblendungszusammenhang mitzuspielen.
Dazu gehört, jeglicher Verführung der Masse zu widerstehen, also sowohl der Apokalyptik samt letzter kollektiver Erhebung, als auch der Verführung, eine Masse dazu aufzurufen, auf der Straße „Gesicht zu zeigen“.
„Zu wollen, daß eine Meinung sich durchsetzt (recht haben wollen), heißt immer, ihr andere Stärken zu wünschen als die, welche sie hat, und an diesen zu zweifeln. Den nahen Sieg einer Doktrin voraussagen heißt zugeben, daß ihr Wert in dieser künftigen Macht liegt, und daß diese künftige Macht in dieselbe Kategorie gehört wie die jetzigen Widerstände, gegen die sie sich durchsetzen wird. Ihr werdet anbeten, was ihr jetzt verbrennt; was heißt, daß eure Verehrung nicht mehr bedeutet als eure Gluthaufen.“ (Paul Valéry)
MARCEL
Eine treffende, gut lesbare "Feindaufklärung", wie sie notwendig ist. Danke für diese Analyse.
Würde man sich auf das Niveau des Gegners hinabbegeben, so fehlten jetzt nur noch Fotos und Adressen der Köpfe. Wir lernen zwar vom Gegner, kopieren ihn aber nicht!
Im übrigen stuft der russische Generalstab nicht ohne Grund diverse NGOs als Kombattanten eines neuartigen irregulären Kriegs ein. A propos Russland: Man braucht eben auch mächtige Freunde (auch wenn es bei Großmächten nicht um Freundschaft geht, dennoch)