Nun hat der von Meuthen dominierte Vorstand auch ihn entsorgt. Die Ergänzung »auch« ist deshalb nötig, weil so unterstrichen wird, daß die Causa Hartwig wiederum keinen Einzelfall darstellt.
Schien die Lösung der Affäre Kalbitz, die von linken Medien, Verfassungsschutzakteuren und Meuthen in frappierender Übereinstimmung inszeniert wurde, noch vielen Alternativen als unvermeidlich, weil man »ein Zeichen« setzen müßte, sorgte Dana Guths Fraktionssprengung in Niedersachsen schon für Stirnrunzeln bei jener großen Mehrheit an der Parteibasis, die sich keiner kategorischen Strömung zugehörig fühlt, sondern Alexander Gaulands Plädoyer für eine vielfältige, einige Partei ernst nimmt.
Neben einigen weiteren kleineren Ereignissen zeigte schließlich der Bundesparteitag Ende November in Kalkar endgültig auf, daß es der Mehrheit im Bundesvorstand (BuVo) nicht um ein Moderieren einer Bandbreite an Fraktionen innerhalb der Partei geht, sondern um ein Durchregieren, koste es auch die Einheit (und Wahlerfolge) der Partei.
Der aus dem Bundesvorstand entfernte ehemalige »Flügler« Kalbitz wurde etwa nicht ersetzt durch einen dezidiert patriotischen Akteur, sondern durch die Meuthen und Storch – vorsichtig ausgedrückt – nahestehende Joana Cotar.
Cotars Sieg über Maximilian Krah lag an verschiedenen Faktoren, zeigt aber gleichwohl auf, daß man seitens der BuVo-Mehrheit bereit ist, 40 bis 45 Prozent der Partei konstant zu überstimmen, anstatt einen Modus zu finden, der einer vielschichtigen Sammlungspartei wider das vorgeblich Alternativlose der Union-SPD-Grüne-FDP-Linke-Altparteienwelt besser zu Gesicht stünde.
Auch die Schlüsselstellen im Bereich des Schiedsgerichtes (das u. a. über Parteiausschlußverfahren entscheidet) wurden ganz in diesem Sinne des Durchmarschs-um-jeden-Preis ausnahmslos mit »Meuthenianern« besetzt. So baut man keine Brücken, so gleicht man nicht aus, so schafft man keine Versöhnung (und sei sie nur strategisch) vor dem Superwahl- und Krisenjahr 2021, das eine ernstzunehmende Alternative für Deutschland als Wahlpartei dringend nötig hätte.
Götz Kubitschek bilanziert deshalb so hart wie korrekt:
Der Parteitag hat gezeigt, daß es unter dem Parteivorsitzenden Meuthen keine Überwindung der Spaltung geben wird, sondern daß hier einer den festen Vorsatz hat, die Partei in seinem Sinne zu reinigen. »In seinem Sinne« meint zur Stunde: im Sinne des Establishments. Wenn das geschafft ist, muß er sie vielleicht auch von sich selbst reinigen, vermutlich aber gar nicht mehr: Sie wird dann keine Alternative mehr sein.
Diesen Kurs setzt Meuthen über das gesamte Jahr 2020 durch. Es war demnach ein Jahr, in dem sich die Mehrheit des Bundesvorstandes – von Meuthen und Storch an der Spitze bis zu den Geduldeten Wolf und Paul mit eigener »umstrittener« Vita – der Strategie einer Überanpassung an hegemoniale Normen des Establishments verschrieb: Man übernahm gegnerische Vorstellungen und Deutungen. Nicht nur Umfragen legen nahe: Diese Strategie führt in die Einstelligkeit, danach ins Nichts.
Ins parteipolitische Nichts abschieben wollen Meuthen, Storch et al. nun also Roland Hartwig. Denn der AfD-Bundesvorstand hat in einer Telefonkonferenz am Montagmorgen (21. Dezember 2020) den Leiter der »Arbeitsgruppe Verfassungsschutz« abgesetzt. Als Grund gibt man »unüberbrückbare Meinungsdifferenzen über den Kurs von Parteichef Jörg Meuthen« an. Nachfolger Hartwigs ist ausgerechnet der Meuthen-loyale Parteienspringer (Ex-REP, Ex-SPD, nun AfD) Knuth Meyer-Soltau.
Nun sollte man sich nicht allein an dem Umstand aufhalten, daß Meuthen nicht alleiniger »Parteichef« ist, sondern gleichberechtigter Parteisprecher neben Tino Chrupalla, den er hiermit erneut vor entzückter bundesdeutscher Medienwelt desavouierte. (Chrupalla stimmte im übrigen als einziger Akteur dagegen, ferner gab es drei Enthaltungen.)
Ebenso gewichtig scheint die Tatsache, daß Interna aus dem Parteivorstand erneut umgehend an GEZ-Presse und Linksjournalisten »geleakt« wurden, bevor die eigene Basis in Kenntnis gesetzt wurde, was man hier wieder getrieben hat.
Frage an @StBrandner und @Jochen_Haug: Ist dieses Dokument authentisch und falls ja, wie kommt der Staatsfunk nahezu in Echtzeit an solche Unterlagen und an Ergebnisse aus Sitzungen des #AfD #BuVo? https://t.co/8RYFZRm0eA
— Markus Mohr (@markus_mohr) December 21, 2020
Denkt angesichts dieser Kollaboration mit dem politischen Gegner in Politik und Medienwelt ernstlich noch jemand, es ginge just Meuthen um Einheit, Professionalisierung oder gar Wahlerfolge?
Meuthen wirkt vielmehr als die Abrißbirne des Establishments. Was diesem von außen gar nicht gelingen kann und in den letzten Jahren nicht gelingen konnte – die Aufspaltung der AfD – betreibt Meuthens Gefolgschaft mit aller Vehemenz. Und das vor dem Superwahljahr 2021. Ein Grund zur Sorge, mindestens.
Ich bedaure das und bin gespannt auf Lebenslauf und Tätigkeitsnachweis des Nachfolgers (m/w/d). Die Latte liegt ziemlich hoch. Sollte allerdings das Motto Gefolgschaft vor Kompetenz gelten, ist laute Sorge angebracht. https://t.co/gIDAByuZtk
— Roger Beckamp, MdL (@RogerBeckamp) December 21, 2020
Immer mehr Parteimitglieder und Basis-nahe Funktionäre denken nun, anders noch als im Fall Kalbitz/Meuthen, um:
Ich habe Prof. Dr. #Meuthen lange Zeit sehr geschätzt, aber sein Verhalten der letzten Monate ist untragbar geworden. Sein spaltender Kurs sorgt immer mehr für die Zerrüttung der #AfD. Als Parteimitglied erwarte ich mehr für eine ECHTE #Alternative!
Nicht mein #Bundessprecher! https://t.co/BzOdJpC6Xl— Marie-Thérèse Kaiser (@kaiser_mt) December 21, 2020
Roland Hartwig selbst, ehemaliger Bayer-Chefsyndikus, argumentiert im – lesenswerten – Gespräch mit dem Grazer Freilich-Magazin wie gewohnt diplomatisch:
Ich hoffe sehr, dass die Gruppe im Bundesvorstand um Herrn Meuthen doch noch erkennt, dass sein Ansatz die Partei stark belastet und polarisiert und im Ergebnis nichts weiter bewirken wird.
Bei den Kollegen von PI-News wird Hartwig aber deutlicher:
Ich werde den Eindruck nicht los, dass Prof. Meuthen und seine Unterstützer die Sorge vor einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz dazu nutzen wollen, die Partei nach ihren Vorstellungen umzugestalten.
Nach ihren Vorstellungen heißt übersetzt: habituell angepaßt, weltanschaulich entkernt, argumentativ harmlos – was sich als erstaunlich kongruent mit jenen Erwartungen deckt, die Angela Merkel bis Thomas Haldenwang an eine verkraftbare (weil wirkungslose und ungefährliche) »Opposition« stellen würden.
Als vorgeschoben erscheint die Kritik an Hartwig, nicht wirkungsvoll genug der nahenden VS-Beobachtung entgegengewirkt zu haben oder gar die Thematik zu unterschätzen.
Das Gegenteil ist korrekt: Hartwig hat die Verfassungsschutzrolle über zwei Jahre hinweg beleuchtet und eingeordnet, während Meuthens Lager immer noch – apolitisch, naiv, etwas Drittes ? – davon auszugehen scheint, daß man ein politisches Instrument wie den Inlandsgeheimdienst durch 80er Jahre-Argumente und fortwährenden innerparteilichen Kampf gegen Rechts von der Loyalität seiner selbst überzeugen wird können. (Die eminent kostenintensive Grundgesetzkampagne mit wenigen Hundert Klicks auf YouTube spricht Bände.)
Vor dem Verfassungsschutz schützt uns also kein Meuthen, kein Kotau, keine Entkernung des eigenen Programms und auch keine ewige Distanzeritis. Wer schützt uns dann?
Roland Hartwig hat diese Frage beim IV. Staatspolitischen Kongreß im Jahr 2019 behandelt, man darf auf die fundierte »Gegenrede« und einen entsprechenden Leistungsnachweis von Meyer-Soltau gespannt sein.
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+ Sofort lieferbar bei Antaios (portofrei bis 31.12.2020 innerhalb der BRD) ist die grundlegende Studie des VS-Kenners Josef Schüßlburner: Scheitert die AfD?
+ Ausführlich Stellung bezieht Dr. Roland Hartwig bei der aktuellen »Lagebesprechung«. Hier geht es lang!
Uwe Lay
Erfolge des Meuthenflügels
Es ist zu offensichtlich als daß es noch übersehen werden kann: Der Meuthenflügel instrumentalisiert die Drohung, durch den Verfassungsschutz observiert zu werden dazu, das ihm nicht genehme national-conservative Lager aus der Partei herauszudrängen. Was ist das Ziel dieser Reinigungsaktion? Ein Aspekt, der oft unterschätzt wird: der Sündenfall des Jas zum Mindestlohn und daß Meuthen sein Rentenreformprojekt nicht durchsetzen konnte. Sozialpolitisch soll also die AfD antisozial ausgerichtet werden. So wie die Partei gespalten werden soll, so auch die Gesellschaft, wobei die AfD dann zur Klientelpartei der Besserverdiener mutieren soll. Als solche könnte sie dann mit der FDP zusammen ein attraktiver Partner für die C-Parteien werden, wenn sie alles "Rechte" abstreift. Denn eine antisoziale Politik können die C-Parteien nicht mit den Grünen und der SPD realisieren. Das Projekt kann scheitern, aber der Wille zum Mitregieren beflügelt, dem die "Rechten" in der Partei nichts als die Parole der Einheit der Partei entgegensetzen.