So beschrieb der liberale Autor Franklin Foer in seinem 2017 veröffentlichten Buch World Without Mind: The Existential Threat of Big Tech das Wirken der großen Tech-Giganten von Google bis Apple in unserer Welt. Insbesondere die sozialen Medien in Kombination mit der Erfindung des Smartphones haben den Tech-Firmen ein Instrument in die Hand gegeben, das Unmengen an Daten über jedes einzelne Individuum anhäuft, die wir Ihnen sogar noch freiwillig zur Verfügung stellen.
Sezession-Autor Nils Wegner traf in seinem Artikel in der Sezession 78, die sich dem Komplex Transhumanismus, Digitalisierung und 4. Industrielle Revolution widmete, dazu den Nagel auf den Kopf:
All diese Formen und Wege der virtuellen (Selbst-)Darstellung lassen das Individuum nicht nur scheinbar über sich hinauswachsen, sondern machen es auch immer vollständiger quantifizierbar und spielen gleichermaßen den Interessen der Wirtschaft wie staatlicher Überwachungsorgane in die Hände.
Die von vielen gefürchteten und kritisierten »Datenkraken« à la Google oder Facebook leben letztlich davon, daß wir sie (noch) freiwillig füttern – und es steht zu vermuten, daß nicht wenigen Zeitgenossen maßgeschneiderte Werbeanzeigen, stark vereinfachte Anmeldeprozeduren (dadurch, daß sich immer mehr eigenständige Benutzerkonten miteinander verknüpfen lassen) und die im Zuge der allmählichen Ausschleichung des Bargeldverkehrs zunehmende Popularität der elektronischen Geldbörse eher nützlich als bedrohlich vorkommen.
Wie groß die Macht der Tech-Konzerne mittlerweile geworden ist, hat die Sperrung des Twitter-Accounts des ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump plastisch vor Augen geführt.
Doch bei der Ansammlung von Daten und der Ausnutzung der eigenen Monopolstellung als digitale Informationsquelle zu Zensurzwecken ist noch lange nicht Schluß. Wegner expliziert in seinem Artikel das eigentliche transformatorische Endziel der Tech-Träumer aus dem Silicon Valley:
Dahinter steht keineswegs ein blinder, wertfreier Fortschritt als eine Art »Primum movens«, sondern eine vollentwickelte Ideologie. Der klassische, faustisch-prometheische Trieb des Menschen, sich selbst zu transzendieren und scheinbare Grenzen bloß deshalb zu überschreiten, weil er es kann, verbindet sich darin mit Szientismus und vergangenen wie erwartbaren technischen Quantensprüngen zu einer neuen säkularen Heilsreligion: dem sogenannten »Transhumanismus« (modisch-kybernetisch auch abgekürzt als »H+«).
Dessen gedankliche Grundlagen sind ein Produkt der industriellen Entfesselung im Ersten Weltkrieg: Nicht mehr Stahlbäder und Knochenmühlen, sondern die Fortentwicklung der Menschheit als Ganzes solle Ziel der totalen Mobilmachung von Industrie und moderner Technologie sein, die direkt in die menschliche Biologie hineinwirken müßten.
Den »Stillen Feldzug der Kybernetiker« hat außerdem Raskolnikow in der dritten Ausgabe der Kehre (hier bestellen) kenntnisreich ausgeleuchtet.
Die Auswüchse der heranrollenden, vergleichsweise stillen Revolution werden zusätzlich zu den privatisierten Zensurmaßnahmen durch die Coronakrise und die damit vorangetriebene Digitalisierung des Alltagslebens zunehmend spürbar.
Dadurch bleibt auch der Rand der Gesellschaft von den jüngsten Tech-Eruptionen nicht unberührt. Folgerichtig dreht sich ein Großteil der Diskussion im ersten Podcast aus Schnellroda im neuen Jahr um die neue Strategie des Establishments zum Unschädlichmachen des politischen Gegners: das Deplatforming.
Welche Auswirkungen die Corona-Krise und damit auch die Zunahme der Digitalisierung der Finanz- und Wirtschaftswelt in einem sich gegenseitig beschleunigenden Prozeß auf die Ökonomie und damit auf die deutsche Gesellschaft haben, darüber haben sich der Ökonom Max Otte – bis Anfang dieses Monates noch im Stiftungsvorsitz der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung tätig – und der liberalkonservative Publizist Roland Tichy in einem interessanten Gespräch ausgetauscht.
Interessant deshalb, weil Otte die Wirkmechanismen digitaler Verflüssigung kundig ausleuchtet und damit den Prozeß nachzeichnet, den der Universalhistoriker Rolf Peter Sieferle in Rückblick auf die Natur wie folgt beschrieb:
In dem alten substanziellen Sinne existiert (…) kein Geld mehr (…). Was für das Geld gilt, gilt für fast alle Elemente der Wirklichkeit innerhalb der Transformationszeit. Es gibt in ihr nichts Festes mehr, sondern alles ist flüchtig, vorläufig, abstrakt und bewegt sich unbekannten Horizonten entgegen. Nichts kann in diesem dynamischen Gefüge mehr Sicherheit verleihen. Es gibt keine Rückzugspositionen, keine stabilen Orte, in denen man sich Zugriffen durch die Systeme entziehen könnte. Jeder ist angeschlossen, gleichgeschaltet, homogenisiert, und eben der Systemcharakter dieser Nivellierung begründet die eigentümliche individuelle Freiheit, welche diese Epoche kennzeichnet.
Sezession-Kollege Benedikt Kaiser berichtete bereits in seiner neuen Kolumne »Sammelstelle in der Sturzflut des Gedruckten« hier über die gedruckte Version dieser Unterhaltung. Jedoch wurde der Austausch zwischen Otte und Tichy auch auf Film festgehalten. Hier einschalten:
Die »Flüchtige Moderne« (Zygmunt Baumann) im Kontext »Big Tech« weiter fokussierend ist der Blick auf das zu konzentrieren, in dem alle hier in Form von Fundstücken dargelegten Stränge zusammenlaufen: die Vierte Industrielle Revolution.
Dieser Terminus wurde speziell vom Wirtschaftswissenschaftler und Gründer des Weltwirtschaftsforums in Davos, Klaus Schwab, durch seine gleichnamige Publikation Die Vierte Industrielle Revolution aus dem Jahr 2016 popularisiert. Schwab klassifiziert darin diese neue Welle industrieller Revolution als eine Transformation ganzer Systeme, die »über Länder, Unternehmen und Branchen hinweg sowie durch die Gesellschaft insgesamt«, erfolgt.
Sie »basiert auf der digitalen Revolution und verknüpft vielfältige Technologien, die zu beispiellosen Paradigmenwechseln in der Wirtschaft, in der Gesellschaft, aber auch in der individuellen Lebensgestaltung führen. Sie ändert nicht nur, was wir tun und wie wir es tun, sondern auch, wer wir sind.« Schwabs Intentionen bei der Beeinflussung dieses Prozesses und die Hoffnungen, die er an ihn knüpft, sind ein ins Positive gewandeltes Abbild dessen, was Sieferle an ihnen problematisierte:
Je eingehender wir uns mit der Frage befassen, wie wir diese technologische Revolution nutzen können, umso gründlicher werden wir uns selbst und die Gesellschaftsmodelle, die diese Technologien verkörpern und ermöglichen, hinterfragen, und desto eher werden wir in der Lage sein, die Revolution in einer Weise zu gestalten, die dem globalen Gemeinwohl dient.
Es ist nicht die Aufgabe eines einzelnen Stakeholders oder Sektors, einer einzelnen Region, Industrie oder Kultur, die Vierte Industrielle Revolution so zu gestalten, dass sie den Einzelnen ermächtigt und den Menschen in den Mittelpunkt stellt, statt spaltend und entmenschlichend zu wirken. Die fundamentale und globale Natur dieser Revolution bedeutet, dass sie sich auf alle Länder, Volkswirtschaften, Sektoren und Menschen auswirken und ihrerseits von diesen beeinflusst werden wird.
Daher kommt es entscheidend darauf an, dass wir Aufmerksamkeit und Energie in die Zusammenarbeit verschiedener Stakeholder investieren, über wissenschaftliche, soziale, politische, nationale und Sektorengrenzen hinweg. Dieses Zusammenwirken und ‑arbeiten ist notwendig, um gemeinsame, positive und hoffnungsvolle Narrative zu kreieren, die Individuen und Gruppen aus allen Teilen der Welt dazu befähigen und anspornen, an den Transformationen mitzuwirken und von ihnen zu profitieren.
Individuelle Emanzipation, Diversität, »Fortschritt«; Schwab zelebriert die Auflösung aller Dinge und die Einbettung des Vereinzelten in ein homogenisiertes System globalen Ausmaßes. Sein besonders aus der »Querdenken«-Bewegung heraus kritisierter, von der Corona-Krise inspirierter Nachschlag The Great Reset, bildet dabei nur die stringente Fortführung dieser Ideen.
Benedikt Kaiser charakterisiert indes den Schwabschen Impuls – der nicht nur ihn, sondern etliche seiner Zunft auszeichnet – in seinem Artikel »Der Geist der Technik und die Macht der Daten« (hier lesen) in der Sezession 78 folgendermaßen:
Dabei verloren die erfolgreichen Unternehmer, die von Start-up-Motoren zu Konzernleitern wurden – ob nun beispielsweise Mark Zuckerberg (Facebook), Steve Jobs (Apple) oder Peter Thiel (PayPal) – nie vermeintlich oder tatsächlich philanthropische Zielsetzungen aus dem Auge. Wohltätigkeitssimulationen spielen bis heute eine große Rolle für die Konzernriesen, und es sind nur vordergründig die Millionen- oder gar Milliardenspenden, die das belegen. Viel stärker als Spendenbereitschaft für soziale Zwecke ist es der grundsätzliche Weltverbessererimpuls, der den digitalen Kapitalismus stützt.
Um diese sozio-technische Großentwicklung unserer Gesellschaften westlicher Provenienz zu veranschaulichen, hilft ein Blick auf die schon jetzt direkt erfahrbaren Aspekte dieser sich ankündigenden bzw. bereits angelaufenen Revolution in unserem Leben. Ranga Yogeshwar hat das für die ARD unternommen:
anatol broder
wenigstens verspricht die datenschutzrechtliche erklärung auf sezession im netz, dass meine daten nie an dritte gehen. wäre ich vom fach, dann könnte ich es nachprüfen. so bleibt mir nur blindes vertrauen.