Diese These wurde hier angedeutet und wird in der kommenden, der 103. Sezession (August) präziser ausgewalzt. Aber man kann es auch anders sehen.
Marc Felix Serrao bewertet Maaßens Direktkandidatur in Thüringen zur Bundestagswahl am 26. September 2021 schlicht als »Ein Geschenk an die linken Parteien«. In der NZZ (v. 7.7.2021) führt er diese These wie folgt aus:
Nachdem der Versuch gescheitert ist, die vielstimmige Kritik an Annalena Baerbocks Buch als rechte Kampagne darzustellen und kleinzureden, bietet sich Herr Maassen als echter rechter Unhold an. Und damit zu den Geschenken Nummer zwei und drei: Maassen polemisiert für sein Leben gerne. Und er bleibt da, wo er präzise sein müsste, schwammig. So hat er sein erstes Amt verloren, und so gefährdet er nun seinen Traum von einem zweiten Leben in der Politik.
Meines Erachtens irrt Serrao hier gleich mehrfach.
Erstens bietet sich niemand als »rechter Unhold« an, sondern wird dazu gemacht. Gäbe es Maaßen nicht, würde der Fokus stärker auf seinen WerteUnion-Konkurrenten Max Otte verschoben werden, und als es den noch nicht gab, stilisierte man allen Ernstes Establishment-Loyalisten wie Wolfgang Bosbach zu »Hardlinern« der Union oder tobte sich an Friedrich Merz aus, dem man unterstellte, »reaktionäre« Politik im Schilde zu führen.
Das heißt: Wer zum rechtsoffenen Paria erklärt wird, ergibt sich aus machtpolitischen Konstellationen des politmedialen Mainstreams; daß jemand zum rechtsoffenen Paria erklärt wird, ergibt sich aus der Natur der Sache: Ebenjener politmedialer Mainstream benötigt den Abweichler als Prinzip.
Zweitens ist das Problem an Maaßen aus Sicht des Establishments ja gerade nicht sein Hang zur wahlweise boomeresken respektive infantilen Polemik und der Warnung vor grünen, braunen und roten Sozialisten – das kennt man aus libertären Auswürfen und den Echokammern apolitischer Politikerklärer, die sich in diffusen Krisenzeiten profitabler Hochkonjunktur erfreuen.
Das Problem an Maaßen ist vielmehr, daß er aus dem Establishment kommt, seine Mechanismen und Abläufe selbst über Jahrzehnte mittrug und daher ein »Wissender« ist, der sich – durch »Chemnitz« und die hysterischen Reaktionen auf seine nüchterne Feststellung, wonach es keine Hetzjagden durch Einheimische auf Ausländer gegeben habe, der Illoyalität schuldig gemacht hat.
Das heißt: Niemand mag »seine« Verräter, noch nicht einmal das bundesdeutsche Juste Milieu.
Drittens blieb Maaßen eben nicht »schwammig«, wie Serrao unterstellt, sondern hatte im September 2018 die Fakten auf seiner Seite, wohingegen Serraos alte Kollegen der deutschen Journalistenzunft ernstlich Quellen wie den Twitter-Account »Antifa Zeckenbiss« über die Expertise eines langjährigen Verfassungsschutzfunktionärs stellten (– der übrigens mehr für den Kampf gegen rechts leistete als andere, wie Maaßen noch heute stolz betont; also auch zu einer Zeit, wo mittlerweile selbst er wissen müßte, daß die vereinigte Rechte ein willkommenes Ablenkziel darstellt, das der Mobilisierung der negativen Bevölkerungsgemeinschaft dient, die ansonsten atomisiert und vereinzelt zerbröselt.)
Das heißt: Maaßen hat »sein erstes Amt verloren«, nicht weil er »schwammig« blieb, sondern weil er es wagte, verifizierbare Fakten über ideologische Projektionen zu stellen. Das kann man respektieren, ohne ihn freilich zu einer Hoffnungsfigur politischer Wendeabsichten zu erheben, wie es weite Teile des zahnlosen BRD-Konservatismus favorisieren, dessen Vertreter hartnäckige Konsequenz nur im stetigen Verlieren unter Beweis stellen.
Serrao fährt fort, Maaßens Auftritte zu beschreiben:
Maassen forderte einen Untersuchungsausschuss für den Norddeutschen Rundfunk, der unter anderem die «Tagesschau» produziert. Da gebe es Verbindungen zwischen Mitarbeitern und der linken und linksextremen Szene, und da müsse man einmal die Biografie und die charakterlichen Eigenschaften einiger Redaktoren auf den Prüfstand stellen,
was eigentlich für einen staatsnahen Sender eine Selbstverständlichkeit sein müßte, was es unter heutigen Verhältnissen naturgemäß ganz und gar nicht ist – außer es ließe sich irgendwie gegen rechts instrumentalisieren.
Maaßen forderte hernach eine Art TÜV für Systemloyalität; das sorgte für ein Rauschen im Blätterwald.
Der Kandidat für den Wahlkreis 196 (Suhl, Schmalkalden-Meiningen, Hildburghausen, Sonneberg) ist zwar zurückgerudert; eine Gesinnungskontrolle journalistischer Arbeit durch die Politik dürfe es nicht geben, twitterte er am Sonntagabend. Aber da war es schon zu spät. Als der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak tags darauf bei einer Pressekonferenz über die wirtschaftliche Lage im Land, den Stand der Pandemie und die verbleibenden Monate bis zur Wahl sprechen wollte, war das mediale Interesse an Maassens mutmasslichem Angriff auf die Medienfreiheit am grössten.
In der Tat hat Maaßen ungeschickt agiert und nimmt seriösen Kritikern des Medienmainstreams den Raum. Denn daß linke Journalisten in diesem den Ton angeben, weiß man rechts von Maaßen seit langem: Nur fehlt dort die mediale Reichweite zur Gegenaufklärung, die Maaßen theoretisch hätte, aber nur dilettantisch zu nutzen versteht.
Serrao weiß derweil:
Maassen hat nicht mehr viel Spielraum. Zumal die konservativen Parteifreunde, die Einfluss haben und sich theoretisch vor ihn stellen könnten, inzwischen mit deutlichen Worten von ihm abgerückt sind. Tilman Kuban etwa, der Chef der Jungen Union, oder Christoph Ploss, der Chef des Landesverbandes Hamburg, haben kein Interesse daran, mit dem Polterer in Verbindung gebracht zu werden.
Mitleid mit Maaßen für eine Verengung des Korridors? Nun: Der lamentiert wiederum über die »neue« WerteUnion unter Max Otte, läßt seine Mitgliedschaft aufgrund eines vermeintlichen Rechtsrucks ruhen und sorgt damit dafür, daß sich jene Verhaltensweisen im kleinen reproduzieren, die er im großen zu beanstanden vorgibt.
Wer als Volksvertreter in spe öffentlich über linksextreme Verbindungen von Journalisten spekuliert, der muss Ross und Reiter nennen,
und fände in der IfS-Studie Der Weg in den Mainstream ein erstes gutes Dutzend Beispiele aus linken Journalistennetzwerken.
Maaßens Agieren, schließt Serrao,
könnte im Wiederholungsfall die Wahlaussichten der CDU auch jenseits von Südthüringen gefährden. Und da verstehen sie im Konrad-Adenauer-Haus keinen Spass.
Dann hätte Maaßens Antritt ja doch noch was gutes.
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Aus der Tristesse des systemstabilisierenden CDU-»Konservatismus« in die letzten Refugien des originär konservativen Geistes – genauer gesagt: in die Etappe. Von dieser zugleich skurrilen, intellektuellen, fordernden und originellen Buchzeitschrift ist soeben die 25. Ausgabe erschienen (Bezugsmöglichkeiten: hier, eine ältere Heftvorstellung aus der Sezession hier).
Seit 1988 erscheint das »Organ für waghalsiges Denken« unter der Herausgeberschaft des Bonner Publizisten Heinz-Theo Homann in loser Folge, einige Jahre nannte er Günter Maschke als Co-Verantwortlichen der »Zeitschrift für Politik, Kultur und Wissenschaft«.
In eine inhaltliche Schublade ist das traditionell schwarz-weiß gehaltene Medium nicht zu stecken; viele der mitunter ausufernden Texte weisen jedoch einen katholisch-romantischen, im produktiven Sinne »reaktionären« und schmittianischen Zugang auf; Tagespolitik wird nur gestreift und von einer höher stehenden Perspektive aus abgekanzelt.
Hervorzuheben in diesem Sinne ist in der aktuellen Etappe der Beitrag Werner Mäders über das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe. Über »Täter in roter Robe« schreibt der Jurist auf 17 erhellenden Seiten, und seine Ausgangsthese leuchtet ein:
Die Politische Klasse hat in ihrem System aus Machenschaften und Ämterpatronage das BVerfG fest im Griff; der Postenschacher um rote Roben wird forciert um folgende verfassungswidrige Praxis: die eine Hälfte der Kandidaten wird von der CDU/CSU bestimmt, die andere Hälfte von der SPD, wobei in der Zeit von Koalitionen mit kleineren Parteien die größere Regierungspartei ihren Koalitionspartnern gelegentlich einen Posten überlässt. Kandidaten, die einer Partei besonders nahestehen, werden, unabhängig von Qualifikation massiv bevorzugt, ob mit oder ohne Parteibuch.
Da dies unter Ausschluß der Öffentlichkeit geschehe und nicht im Plenum, wie es das Grundgesetz vorschreibe (Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG), sei die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts notorisch verfassungswidrig, zumal die dortigen Richter ihre Position Politikern der Parteien und Regierungen verdanken.
Mäders Aufsatz über die Verfassungsrichter, ihre Rolle und die Bedeutung »opportuner Entscheidungen« sei hiermit jedem Leser der »Sammelstelle« empfohlen, wenngleich die Schlußsentenz, wonach die BRD von einem »unübersehbar gewordenen Niedergang« geprägt sei, ebenso Fragezeichen aufwirft, wie die These, daß ihre »Institutionen an stabilisierender Wirkung verlieren« würden.
Ist in anhaltenden Coronazeiten nicht das Gegenteil der Fall, gewissermaßen zum expliziten Nachteil der grundsätzlichen Opposition?
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Auf Mäders ätzende BVerfG-Schelte folgt das, wofür man die Etappe kennt und schätzt: ein Dossier mit geistreichen und eher entlegenen Themen. Diesmal widmet die Redaktion ihren Schwerpunkt dem Verhältnis zwischen Carl Schmitt und dem französischen Historiker und Ökonomen Jean-Baptiste Lucien Romier, der 1885 geboren wurde und 1944 in Gestapohaft verstarb.
Nach einem Porträt durch Selma de Carcasse folgt ein Quellentext Schmitts über Romiers »Französische Kritik der Zeit« aus dem Medium Wirtschaftsdienst. Weltwirtschaftliche Nachrichten (Heft 18, Mai 1926), in dem Schmitt das Verhältnis »Liberalismus« und »Autorität« anhand einer Schrift Romiers begutachtet. Schmitt schließt seinen kurzen Essay:
Autorität ist ein gefährliches Wort. Von Freiheit, Menschheit, Frieden und dergleichen kann man im allgemeinen reden: wer Autorität sagt, muß immer bestimmte Menschen nennen, denen die Autorität zukommt, oder er hat überhaupt nichts gesagt. Das ist das Konkrete und Anspruchsvolle eines solchen Begriffs. Als das europäische Bürgertum einige Jahrzehnte nach Freiheit gerufen hatte, erschien 1848 das Proletariat und alle Liberalen riefen erschreckt nach Ordnung. Wer weiß, was erscheint, wenn man noch einige Jahrzehnte nach Autorität gerufen hat.
Weitere Dossierbeiträge stammen von Sophie Cossäus (»Anmerkungen zu Carl Schmitts Romier-Rezension«) sowie von Waldemar Gurian und Werner Becker, deren Interview mit Romier unter anderem die damals virulente elsässische Frage berührte.
Dieser Nachdruck aus der katholischen Zeitschrift Abendland (März 1927) ist einer von mehreren Texten, die auch in dieser Ausgabe durch die Etappe aus dem Vergessen gerufen werden; ein weiterer bemerkenswerter geborgener Schatz sind Valeriu Marcus Gedanken über »Die Geburt der Nationen«, in denen der jüdisch-rumänische Preuße und Freund Arnolt Bronnens über die »Demokratie des Geldes« sinniert.
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Apropos Abendland: Seit 2020 erscheint die traditionsreiche Grazer Quartalszeitschrift Neue Ordnung unter diesem Titel. In diesem Kontext sei ein Hinweis in eigener Sache erlaubt.
In loser Abfolge schreibe ich dort nämlich über kleine europäische Nationen, denen – zu Unrecht – nur wenig (bzw. selektive) Aufmerksamkeit geschenkt wird.
In Heft I/2014 analysierte ich beispielsweise das »Leben im Mythos« der Montenegriner, in Heft II/2017 die »Geschichte einer schwierigen Beziehung« anhand der albanischen Nation. Nun, einige Jahre später, darf ich mich auf die »Suche nach einer erfundenen Nation« namens Mazedonien oder, politisch korrekt, Nord-Mazedonien machen.
Nicht zuletzt die allmählich ihr wohlverdientes Ende findende Fußball-Europameisterschaft, bei der – neben Ungarns Mannschaftsgeist – die Würdigung des seine Karriere beendenden mazedonischen Alt-Stars Goran Pandev einen kleinen Höhepunkt bedeutete, macht deutlich, daß in großen wie kleinen Medien Unkenntnis über die »mazedonische Frage« vorherrscht: Wie heißt das Land denn nun korrekt? Sind das so etwas wie Bulgaren oder Serben? Oder gar Griechen?
Diesbezüglich soll im Abendland (Heft II/2021) ein wenig Abhilfe geschaffen werden, denn das kleine Land im Herzen des Balkans stellt einen Verdichtungsraum nationaler, kultureller, sprachlicher und religiöser Widersprüche dar, der in unserer gemeinsamen Heimat Europa eine reizvolle Sonderrolle einnimmt.
Der Beitrag versucht, nicht nur den weiter schwelenden Namenskonflikt für den Leser aufzubereiten, sondern auch Geschichte und Gegenwart der Mazedonier anhand nationalhistorischer Ereignisse, literarischer Schlüsselwerke und politischer Zäsuren zu erhellen. Auch der Grund für Alexander Dugins jüngsten Besuch in der Hauptstadt Skopje wird »kontextualisiert« …
Weitere Artikel des Juni-Heftes stammen von Werner Reichel, Andreas Tögel, Fabio Witzeling, Marc Jongen (Interview), Siegfried Waschnig, Werner Olles, Feroz Khan, Christoph Bathelt, Mario Kandil und Wolfgang Akunow.
Das Abendland kann, wie gewohnt, exklusiv über die – ein wenig überholungsbedürftige – Netzseite der alten Neuen Ordnung bezogen werden.
Aussenseiter
Maaßen hat die Aufgabe, die letzten verbliebenen 3 oder 4 Prozent an tatsächlich noch konservativen Unionswählern an die Partei zu binden. Davon abgesehen spielt er in gewissem Ausmaß das "Krokodil" für den Medienzirkus. Maaßen ist das Idol der "liberalkonservativen" Marke Tichy. Auf "Tichys Einblick" wird er nachgerade wie der Messias abgefeiert.