Was bis dato zu sagen wäre, hat Erik Lehnert präzise zusammengefaßt.
Aber noch ist es – jedenfalls im Rahmen dieser Kolumne – zu früh, berichtend-deskriptiv über einen heißgelaufenen Konflikt, über eine russische »Sonderoperation« gegen die NATO-Umklammerung ihrer Interessensphäre zu schreiben; ein Konflikt, den das ukrainische Volk ausbaden muß, weil sich ihre derzeitige Führung auf westlerische Moralpolitik verließ; ein Konflikt zudem, dessen Verlauf man besser, effektiver und schneller, das heißt: live, je nach Gusto über CNN, RT und Co. verfolgen kann (wohingegen der deutsche Staatsfunk wie auch der Axel-Springer-Propagandaapparat wie immer durch fehlende Präzision und apodiktische Einseitigkeit der Konfliktbegleitung glänzt).
Daher also: eine »Sammelstelle« as usual, mit dem Blick gen Westen, nicht gen Osten.
Denn auch dort ist einiges im Fluß, vor allem bei unseren französischen Nachbarn.
Am 22.2.2022 vermeldet die Presse, daß die Kandidatin des Rassemblement National (ehemals: Front National), Marine Le Pen, ihre Wahlkampagne für die französische Präsidentschaft aussetzte,
da sie Schwierigkeiten hat, genügend Unterstützerunterschriften von lokalen Amtsträgern zu erhalten (…). Sie sagte am Dienstagmorgen gegenüber RTL, dass ihr “etwas mehr als 40” Unterstützungsunterschriften von lokalen Mandatsträgern fehlten.
Der Hintergrund dieser Rechenspiele:
Präsidentschaftskandidaten benötigen in Frankreich die Unterstützung von 500 lokalen Amtsträgern, wie zum Beispiel Bürgermeistern, um für das höchste Amt zu kandidieren.
Der Grund, man ahnt es, ist die – bereits bei Sezession im Netz formidabel skizzierte – Konkurrenzsituation im Anti-Macron-Lager:
Le Pen musste feststellen, dass ihre Unterstützung durch lokale Beamte angesichts der Konkurrenz durch andere rechtsgerichtete Kandidaten wie den Rechtsaußen-Politiker Eric Zemmour schwindet.
Immerhin ist es dieser neue, quasi-interne Wettbewerb, ohne in ihm Partei zu ergreifen, zweifellos belebend für das französische Rechtslager. Das zeigen, im negativen, Übertritte aus dem RN ins Team Zemmour, das deutet aber auch die Nervosität der Establishmentfraktionen an, die fortan nicht nur einen Präsidentschaftskandidaten diabolisieren müssen, sondern bei gleich zweien daran arbeiten.
Was zudem wächst, ist die Neugierde ob dieser französischen Sondersituation. In der NZZ (v. 21.2.2022) wird der Politikwissenschaftler Jean-Yves Camus befragt, wie der Rechtsdrift, den viele wahrnehmen zu meinen müssen, verstehbar werden kann.
Camus verkündet zunächst die Schmach der Linken:
Wenn man in Umfragen alle Stimmen für linke Kandidaten zusammenzählt, kommt man auf etwa ein Viertel, was nicht zu vernachlässigen ist. Aber ihre Zersplitterung nimmt der Linken jede Chance, in der Stichwahl präsent zu sein. Sie befindet sich auf einem Tiefpunkt seit dem Beginn der Fünften Republik 1958,
womit wir tief im Zeitalter Charles de Gaulles und seiner Präsidentschaft angekommen wären.
Tatsächlich bezeichnet sich heute nur mehr jeder fünfte Franzose als links,
verkündet Camus, um direkt danach Wasser in den Wein zu tröpfeln:
Aber die Mehrheit der rechten Wähler will nicht die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs rückgängig machen oder die Heirat für Homosexuelle. Sie sind in gesellschaftlichen Fragen relativ tolerant,
was zeigt, wie stark metapolitische Verschiebungen der Gesamtgesellschaft auch auf das rechte Lager einwirken. Was 1980 bekämpft wurde, wird zwanzig Jahre später von »Konservativen« verteidigt, und was 2000 noch unvorstellbar gewesen sein mag, gehört 2022 dann zum selbstverständlichen konservativen Kanon.
Camus fährt fort, daß die vereinigte Rechte indes federführend bei Fragen der inneren Sicherheit und der Durchsetzung von Recht und Gesetz bleibe. Der »Rechtsruck«, der allerorten diagnostiziert werde,
kommt daher, dass es in Frankreich ein starkes und wachsendes identitäres Unbehagen gibt,
das mit einem Gefühl der verlorenen Grandeur gekoppelt ist:
Es gibt eine Nostalgie nach einem idealisierten Frankreich der 1960er und 1970er Jahre: ein Land, das noch nicht so urbanisiert war, das ethnisch homogener war, und von dem die Franzosen denken, dass es mehr Einfluss in der Welt hatte.
Verstärkt werden diese Emotionen durch die weiter realexistierende
Einwanderung nach Frankreich, die vor allem aus dem Maghreb kommt und vor allem muslimisch ist. Für Unbehagen sorgen der politische Islam und die häufigen Terroranschläge,
und zudem haben
die Franzosen haben auch den Eindruck, ihr Land sei nicht mehr, was es war, weil sie ihre sozialen Aufstiegschancen blockiert sehen.
Eine Gemengelage also, die in einem Rechtsschwenk vieler Wähler mündet (rund 30 Prozent beabsichtigen, im ersten Wahlgang Le Pen bzw. Zemmour zu wählen).
Zemmour ist dabei der eigentliche Shootingstar, mit Le Pen hat man ja gerechnet. Der französische Schriftsteller
vertritt die Theorie des «grand remplacement», wonach die «echten» Franzosen zur Minderheit in Frankreich geworden seien, was absurd ist,
wobei Camus diese Schelte leider nicht mit objektiven Zahlen und Beispielen untermauert. Korrekt ist gleichwohl seine Feststellung, daß diese
Theorie früher marginal (war), heute steht sie im Zentrum der politischen Debatte. Wenn Le Pen die gleichen Aussagen gemacht hätte wie Zemmour, wären die Leute scharenweise auf die Strasse gegangen. Zemmour wird anders behandelt. Man toleriert ihn eher. Le Pen wird in Bezug auf ihren Vater und die Geschichte ihrer Partei gesehen. Zemmour schöpft seinen Erfolg auch daraus, dass er neu in der französischen Politik ist.
Wer trägt die Politik des »Neuen« im wesentlichen?
Camus:
Es gibt eine Generation von rechten Aktivisten, die nach den grossen Demonstrationen von 2013 gegen die Ehe für Homosexuelle zur Politik gekommen sind,
und die sich über Phänomene wie
Islamisierung, Terrorismus, Orientierungsverlust der französischen Kultur, multikulturelle Gesellschaft
Sorgen machen:
Für sie kann die Antwort darauf nicht von der bürgerlichen Rechten kommen. Diese ist ihrer Meinung nach im Wahlkampf rechts, macht dann aber eine Mitte-links-Politik. Diese Leute sind für Zemmour, weil er alle Codes bricht und Ausdrücke verwendet wie niemand sonst. Sie sehen in Zemmour die echte Rechte.
Und was sagt diese dazu?
Sie ist, naturgemäß, gespalten; einige Funktionäre des Rassemblement National sind bereits ins Lager Zemmours übergetreten, darunter Europaabgeordnete der ersten Reihe. Sie zu befragen, wäre wenig zielführend; sie haben ihre Entscheidung getroffen und sie sind naturgemäß parteiisch. Auch RN-Getreue, die nun auf die »Überläufer« einprügeln, wären für den Erkenntnisgewinn wenig dienlich.
Philip Stein, Leiter der Bürgerinitiative EinProzent und Verleger bei Jungeuropa, hat es daher vorgezogen, Alain de Benoist zu befragen, den Grandseigneur der »Nouvelle Droite« und Herausgeber bzw. Chefredakteur diverser Zeitschriften. In einem – bis dato – unveröffentlichten Interview ordnet Benoist die Verhältnisse um zwei rechte Kandidaturen ein.
Da hätten wir zunächst Zemmour, den er als »Freund« bezeichnet:
Ich bewundere seinen Mut, seine umfangreiche historische und politische Bildung, seinen kämpferischen Geist, aber er ist grundsätzlich ein Schriftsteller und Journalist.
Ein Programm habe Zemmour noch nicht hervorgebracht, seine Kampagne drehe sich
ausschließlich um das sensible Problem der Immigration, des Islam (…). Er wittert bei den Leuten eine große, mehrheitliche Ablehnung der heutigen Massenimmigration. Aber das ist noch kein Regierungsprogramm. Man muss als Staatschef auch in einer Menge anderer Bereiche intervenieren, in denen er uns aber kaum etwas über seine Ansichten verrät.
Wer ist Zemmours Zielgruppe?
Er wendet sich hauptsächlich an das, was er selbst als die »kleine, patriotische Bourgeoisie« bezeichnet; das sind in etwa »Nationalliberale« oder »konservative Liberale«. Die Wählerschaft von Marine Le Pen ist dagegen eine ganz andere. Es ist eine Wählerschaft, in der die Volksklassen (Classes populaires; d.h. Arbeiter, untere Mittelschicht, kleine Selbständige) die Mehrheit der Wähler stellt. Zemmour greift nicht auf diese Schichten zu, die er sehr schlecht kennt.
Unterschiedliche Strategieansätze also?
Zemmour nutzt das alte Thema der Vereinigung der Rechten, also: »Wir werden alle klassischen Rechten vereinen«. Marine Le Pen dagegen setzt sich als Vermittlerin für eine Vereinigung der Volksklassen ein, das heißt, sie will diese Spaltung zwischen rechts und links überwinden und versucht, all jene Menschen zu einen, die Franzosen bleiben möchten, die Europäer bleiben möchten, die in der alten Gemeinschaftlichkeit verwurzelt sind, die ihr Recht auf eine historische Kontinuität behaupten möchten, und die ihre soziale Reproduktion selbst in der Hand behalten wollen, ohne besondere Berücksichtigung linker oder rechter Belange.
In einer parlamentarischen Demokratie mit Verhältniswahlrecht, wie in der Bundesrepublik, wäre das eine sinnige programmatische und klassenpolitische Arbeitsteilung; man käme sich nicht ins Gehege und jede Partei würde in den Parlamenten über eigene Fraktionen verfügen; situative Kooperationen explizit jederzeit möglich.
Aber in Frankreich, wo das restriktive Mehrheitswahlrecht Gültigkeit besitzt – salopp gesagt: The winner takes it all –, schadet der getrennte Wahlantritt dem rechten Lager ohne Zweifel (Le Pen steht im Schnitt bei 16 %, Zemmour bei 13 %, einzelne Umfragen weisen Le Pen mit 18 und Zemmour mit 14 % aus), weil nur einer in die Stichwahl mit Macron kommen kann.
Vielleicht gelingt dies aber auch keinem der beiden, wenn plötzlich ein weiterer Kandidat des Establishments bei 17 oder 18 % stünde – dann gäbe es womöglich eine Stichwahl Macron (liberale Mitte) gegen Republikaner (liberalkonservative Mitte) und nicht Macron gegen Le Pen respektive Zemmour.
Alain de Benoist denkt in eine ähnliche Richtung:
Natürlich ist es sehr hinderlich, daß die Kandidatur von Eric Zemmour spaltet, denn er zieht sowohl Wähler der Rechten von den Republikanern an als auch von Marine Le Pen. Das Risiko ist natürlich, daß Marine Le Pen, die sicherlich im zweiten Wahlgang mit dabei gewesen wäre, dann womöglich nicht dabei sein könnte. Und vielleicht wird auch Zemmour selbst nicht dabei sein, und das einzige Resultat seiner Kandidatur wäre, das Macron wiedergewählt würde,
wobei man Alain de Benoist hier entgegenhalten kann, daß Macron auch dann in jedem Fall wiedergewählt würde, wenn nur Le Pen oder nur Zemmour im ersten und zweiten Wahlgang anträte; 51 Prozent sind wohl beiden einstweilen nicht zuzutrauen.
Und der Sieger-in-spe, Macron, was denkt er wohl über die Situation?
Macron hat primär ein Interesse daran, daß die Opposition gespalten ist. Man darf nicht vergessen, daß die mehr oder weniger »der Rechten« zuzuordnende Opposition in Frankreich durchaus 35 bis 40 Prozent der potentiellen Wählerschaft ausmacht. Das ist, im Vergleich zu Deutschland zum Beispiel, beachtlich. Nun ist es gewiß möglich, daß Zemmour weiter aufsteigt; er könnte aber auch plötzlich abstürzen.
Und dann? Dann fände die französische (parlamentarische) Rechte einen Trümmerhaufen vor sich. Zahlreiche Vertrauensverhältnisse sind bereits zu Bruch gegangen, Überläufern verzeiht man beiderseits nicht, zerschlagenes Porzellan bleibt zerschlagen.
Zemmour könnte, im Falle seines Scheiterns, erhobenen Hauptes zurück in seine Rolle als PR-Motor und vielbeachteter Autor treten, als ein französischer Sarrazin mit Feuer, Charisma und Ausstrahlung – und Le Pen wäre am Ende.
Die Frage, die ein Le Pen-Kritiker freilich ergänzen könnte, ist die: Scheint Marine Le Pen nicht ohnehin dort, am Ende ihrer politischen Karriere, angelangt zu sein, wenn selbst ihre Nichte jedwede Unterstützung verweigert und führende RN-Kader das so lange gemeinsam gelenkte Schiff aus Überzeugung verlassen?
Es gibt wohl gute Gründe, diese Frage für sie als Person – nicht für den RN als Partei – zu bejahen.
Waldgaenger aus Schwaben
anderer Thread während des Schreibens geschlossen. Antwort hier
@Der_Juergen und andere
Wissen Sie, ich erkenne gerade, dass ich in einer rechter Blase gelebt habe und befreie mich daraus. Heute ist es das erste Mal, dass ich meine Wahlentscheidung für die Freien Wähler statt der AfD NICHT bereue. Ich kann gar nicht sagen wie sehr mich die Putin-Versteher in der AfD ankotzen.
Die Russen und Putin sind nicht die netten Nachbarn, die uns beistehen wollen im Kampf gegen unsere "links-grün-versiffte Elite". Würden die Russen uns überrennen bekämen die Rechten, die von einer DDR plus national träumen (ja, ich polemisiere!) nicht was sie wollen, sondern brutalste Unterdrückung, wahrscheinlich wäre D das russische Endlager für moslemischen Bevölkerungsüberschuss, LGBTQ*@#! -Akitivisten etc. und jeder Biodeutsche, der das Maul dagegen aufmachte, ein Nazi, der zur Umerziehung nach Sibirien in eine rein biodeutsche Umgebung geschickt würde.
Unsere Bunte Wehr könnte die Russen nicht aufhalten. Einzig unsere amerikanischen Verbündeten bewahren uns hoffentlich vor diesem Schicksal..So schaut es aaus.