Die Tageszeitung Die Welt (v. 31.3.2022) meldet:
Bund, Länder, Gemeinden sowie Sozialversicherung einschließlich aller Extrahaushalte hatten Ende des vergangenen Jahres Miese in Höhe von 2319,8 Milliarden Euro, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Das sind 6,8 Prozent oder 146,9 Milliarden Euro mehr als ein Jahr zuvor,
was aber, angesichts solch gigantischer Summen, für den Ottonormalleser kaum plastisch sein dürfte. Karsten Seibel rechnet es daher auf die kleinste Ebene, den einzelnen Bürger, herunter, und zwar entlang von föderalen Strukturen. Das klassische deutsche Beispiel – Negativfall Bremen, Vorbild Sachsen – zieht einmal mehr:
Während auf jedem Bremer im Durchschnitt 71.854 Euro an öffentlichen Verbindlichkeiten lasten, summieren sie sich für jeden Sachsen lediglich auf 20.729 Euro,
wobei die durchschnittliche Pro-Kopf-Verschuldung bundesweit 27.906 Euro beträgt. Seibel nennt aber auch ein andere Beispielrechnung:
Schaut man sich die Verbindlichkeiten von Bund, Ländern und Kommunen getrennt an, zeigen sich große Unterschiede. Beim Bund allein erhöhten sich die Verbindlichkeiten um 10,3 Prozent oder 145 Milliarden Euro auf 1548,5 Milliarden Euro an.
»Der Staat«, so viele Steuereinnahmen er heute auch eintreiben mag, als Verlierer der Corona-Krise – das entspricht einem widersprüchlichen Krisentrend, den ich bereits in der (vergriffenen, aber hier kostenfrei verfügbaren) Studie Corona und Profit untersucht habe, zu deren konstruktiver Ergänzung man zwei Sezession-im-Netz-Beiträge von Florian Sander lesen sollte (1 und 2).
Wo man es aber mit Verlierern eines Prozesses zu tun hat, ist es naheliegend, daß es auch Gewinner gibt. In der Süddeutschen Zeitung (v. 31.3.2022) wird bereits anhand einer Überschrift klar, in welcher Richtung man diese Gewinner suchen muß:
Goldgrube Biontech,
heißt es da, und pathetisch wird untertitelt:
Der deutsche Impfstoff-Hersteller hat nicht nur Leben gerettet. Neue Zahlen zeigen jetzt, wie außergewöhnlich gut Biontech sich auch finanziell geschlagen hat,
und in diesem Sound ist auch der Beitrag gehalten, den man als Eloge interpretieren könnte. Elisabeth Dostert schwärmt jedenfalls ohne viel Umschweife:
Für das, was die Firma aus Mainz geleistet hat, wirkt das Wort „außergewöhnlich” fast bescheiden.
Und tatsächlich sprudeln die Einnahmen seit Beginn der globalen Impf-Offensive:
Bis Anfang März 2022 haben Biontech und Pfizer nach eigenen Angaben weltweit mehr als 3,1 Milliarden Dosen des Covid-19-Impfstoffs ausgeliefert,
was Dostert auf die Gewinnbilanz des Pharmakonzerns umrechnet:
2021 setzte Biontech fast 19 Milliarden Euro um, sie stammen fast komplett aus Impfstoff-Erlösen. 2020 setzte Biontech gut 480 Millionen Euro um. Den Gewinn vor Steuern beziffert Biontech für das Jahr 2021 auf rund 15 Milliarden Euro. Im Vorjahr stand da noch ein Verlust von 146 Millionen Euro. Der Nettogewinn lag 2021 bei 10,3 Milliarden Euro nach gut 15 Millionen 2020,
was aber alles nicht so sehr den viel gepriesenen freien Marktmechanismen geschuldet ist, sondern staatlich garantierten Massenabnahmen der Impfstoffe, die insbesondere der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am liebsten auch für die kommenden Jahre gewährleisten würde.
Steuergeld für einen Privatkonzern im besonderen bei Vergemeinschaftung von Schulden und Privatisierung von Gewinnen im allgemeinen – man kennt das Schema aus der jüngsten globalistischen Phase des Kapitalismus bereits all zu gut. Lauterbach will dieses Prinzip gewissermaßen europäisieren. So kann man jedenfalls die Berichterstattung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (v. 31.3.2022) deuten.
EU plant einheitliche Impfempfehlung,
lautet die Überschrift, und wer hier bundesdeutsches Engagement wittert, liegt goldrichtig. Der unvermeidliche und im tiefen Westdeutschland überaus populäre Lauterbach
sagte nach einem Ministertreffen in Brüssel, die EU-Kommission solle dazu möglichst binnen einer Woche einen Vorschlag vorlegen. Er verlieh der Erwartung Ausdruck, dass die Brüsseler Behörde dem von ihm und mehreren Amtskollegen vorgetragenen Empfehlung folge, eine vierte Corona-Impfung für alle Personen über 60 Jahren vorzuschlagen.
Ein deutscher Alleingang? Mitnichten. Aus dem an Einwohnern zweitstärksten EU-Mitgliedsstaat Frankreich springt man der Bundesrepublik bei:
Nach den Worten des amtierenden Ratsvorsitzenden, des französischen Ressortchefs Olivier Véran, sei in den kommenden Tagen mit einer „koordinierten Position” in dieser Frage zu rechnen.
Apropos Frankreich: Dort ist Biontech-Partner Pfizer derzeit in aller Munde. Das liegt am Präsidentschaftswahlkampf, dessen erste Runde am 10. April eingeleitet wird.
Ein Skandal erschüttert das wahlkämpfende Frankreich, in den der Amtsinhaber Emmanuel Macron verwickelt ist. Es ist bezeichnend, daß man, wenn man des Französischen mächtig ist, überall online fündig wird und Informationen durch Leitmedien präsentiert bekommt, daß aber der deutsche Blätterwald, so EU-verliebt wie Macron-vernarrt, einstweilen schweigt.
Es entspricht daher bundesdeutscher Selbstironie, daß der einzige bisherige Artikel über einen Skandal, der eine richtungsweisende Präsidentenwahl im Nachbarland beeinflussen könnte, just im »Online-Lifestyle-Magazin für Männer« Gentside zu finden ist (das freilich – aber immerhin – selbst nur einen französischen Beitrag übersetzt hat).
Macron kommt also in Bedrängnis. Warum? Pia Karim leitet ein:
Bei seiner Vermögenserklärung gegenüber der Hohen Behörde für die Transparenz des öffentlichen Lebens (Haute Autorité pour la transparence de la vie publique, kurz HATVP) schätzt der französische Präsident und erneute Kandidat für seine anstehende Wahl sein Vermögen im Jahr 2022 auf 500 000 Euro,
was weder auf den deutschen noch auf den französischen Leser als besonders hohe Summe für einen Präsidenten einer der reichsten Nationen der Welt wirken dürfte.
Und in der Tat sind Zweifel laut geworden, ob diese Summe dem Realitätscheck standhalten könne. Nicht zuletzt deshalb, weil »Macron zwischen 2009 und 2013 einen Gewinn von 3 Millionen angegeben« hatte:
Eine Summe, die sich offenbar in Luft aufgelöst hat. Bei ihren Nachforschungen auf der Suche nach den verschwundenen Millionen sollen zwei Journalisten eine betrügerische Masche der Rothschild-Bank, des ehemaligen Arbeitgebers des Präsidenten, aufgedeckt haben,
weshalb die Investigativreporter Jean-Baptiste Rivoire und Gauthier Mesnier »Steuerbetrug« wittern:
Auch wenn die Spur dieses Geldes nicht gefunden wurde, gehen die beiden Männer davon aus, dass Emmanuel Macron weit mehr als 3 Millionen Euro bei Rothschild erhalten haben soll. Sie glauben, dass der Ehemann von Brigitte Macron im Rahmen des Nestlé-Pfizer-Deals 2012 eine Summe zwischen “5 und 10 Millionen” erhalten habe, sagte Jean-Baptiste Rivoire der französischen Zeitung L’Humanité,
einem linkssozialistischen Traditionsorgan, was ich nur deshalb ergänze, weil bloß die namentliche Erwähnung der Rothschild-Bank durch eine Zeitung bereits bestimmte Reflexe im Mainstream triggert, wonach man, übt man hier Kritik, von »antisemitischen« Codes ausgehen müsse, die somit reproduziert würden.
Bei dem 2012er »Deal« geht es aber nicht um Codes, Geraune und Verschwörungen, sondern ganz konkret materiell um die Übernahme der Säugling-Nahrungssparte von Pfizer durch den vielerorts umstrittenen Nestlé-Konzern:
Es geht um einen Deal im Wert von 9 Milliarden Euro: Eine Transaktion, bei der Rothschild zwischen 45 und 135 Millionen Euro verdient haben soll und die Macron viel Geld eingebracht haben mag. “Er war es, der Nestlé zu einem Kunden von Rothschild machte und sie dann an einem Wochenende davon überzeugte, den entscheidenden Vorschlag zu unterbreiten, als die Verhandlungen zwischen Pfizer und Danone stockten. Unsere Quellen gehen davon aus, dass er höchstwahrscheinlich zwischen 5 und 10 Millionen Euro an ‘Industrie- und Handelsgewinnen’ erhalten hat”, so der Journalist.
Doch das ist nicht das einzige Problem für Macron: Nach wie vor schwelt die McKinsey-Affäre, benannt nach der Unternehmensberatungsagentur,
die im vergangenen Jahr unter anderem für die Impfkampagne in Frankreich verantwortlich war.
Ebenjene Firma
hatte die Aufgabe, alle Akteure aus dem medizinischen Bereich, die Werbeclips und das “Wording” zu koordinieren, mit dem die zukünftigen Geimpften beruhigt werden sollten,
und zahlte ein Jahrzehnt angeblich keine Steuern in Frankreich, was man, erneut frappiert über diesen Umstand, hierzulande nur bei Gentside präzise nachlesen kann. Auch über diese Affäre, die Macron in Frankreich in Bedrängnis bringt, herrscht in Deutschlands Leitmedien überwiegend Stillschweigen.
Dabei holen die Macron-Herausforderer auf. Die aktuellste Umfrage deutet an, daß das Medienphänomen Éric Zemmour jedenfalls elektoral weitgehend erledigt scheint; wenn überhaupt, dann kann nur der französische Oskar Lafontaine (d. i. Jean-Luc Mélenchon) Le Pen noch abfangen:
France, Ipsos-Sopra Steria poll:
Macron (EC-RE): 27%
Le Pen (RN-ID): 20.5% (+1)
Mélenchon (LFI-LEFT): 15.5% (+0.5)
Zemmour (REC-NI): 11.5% (-0.5)
Pécresse (LR-EPP): 9%
…+/- vs. 25–29 March 2022
Fieldwork: 27–30 March 2022
Sample size: 1,728
➤ https://t.co/Q3N85NE2nu pic.twitter.com/Drwwz3EImn— Europe Elects (@EuropeElects) March 30, 2022
Fast 10 Prozentpunkte befindet sich Zemmour, dessen Wahlkampfauftritte echte »Events« sind, bei denen insbesondere die identitär orientierte Jugend begeistert auftritt, bereits hinter Marine Le Pen, die seit Wochen in den Umfragen zulegen kann.
Besonders brisant wird es für Macron daher im möglichen Zweikampf mit Le Pen. So stark stand die Chefin des Rassemblement National noch nie da – der Abstand zu Macron in der Stichwahl wäre denkbar knapp, und wenn die beiden bisherigen Macron-Skandale noch um einen dritten erweitert würden, wäre Le Pen plötzlich drauf und dran, entgegen aller realistischer Vorhersagen Präsidentin Frankreichs zu werden:
France, Elabe poll:
Presidential run-off election
Macron (EC-RE): 52.5% (-3.5)
Le Pen (RN-ID): 47.5% (+3.5)+/- vs. 19–21 March 2022
Fieldwork: 28–30 March 2022
Sample size: 1,531
➤ https://t.co/WMryRTVwlN pic.twitter.com/LdwcPzLelu— Europe Elects (@EuropeElects) March 30, 2022
Daß indes Marine Le Pen verliert, dürfte nach wie vor die wahrscheinlichste Variante sein. Macron als Kandidat einer Allparteienfront wird dann der strahlende Sieger sein – und die deutsche Presselandschaft wieder motivierter aus Frankreich berichten.
Was heißt das dann aber für die französische (parlamentarische) Rechte? Sie müßte die Scherben aufsammeln und überlegen, wie es angesichts einer – erwartbaren – stabilen Mehrheit »gegen rechts« in Schlüsselfragen des Landes weitergeht.
Das wird schwierig. Denn auch wenn Zemmour und Le Pen sich nicht allzu stark offen bekämpfen: Zahlreiche Vertrauensverhältnisse im rechten Lager sind zu Bruch gegangen und den jeweiligen Überläufern zum anderen Kandidaten verzeiht man beiderseits nicht – erst recht nicht, wenn es sich dabei um Familienangehörige wie die eigene Nicht Marion Maréchal handelt …
Es bleibt also spannend in Frankreich, so oder so.
(Wer sich für die Entwicklung des Rassemblement National unter Marine Le Pen seit der letzten Präsidentschaftswahl 2017 interessiert, wird in der April-Ausgabe des Eckart fündig. Dort schreibe ich über Kurskorrekturen und Kontinuitäten, Erfolge und Mißerfolge der jetzt wieder Fahrt aufnehmenden Kandidatin.)
Niekisch
"Miese in Höhe von 2319,8 Milliarden Euro".
macht nichts, die bei uns versammelte Welt wird die Schulden solidarisch tilgen, w i r sind dann ja auch getilgt.