Kickls Wahlsieg: Gedanken zu schwarz-blauen Koalitionen

Herbert Kickl hat geschafft, was weder Haider noch Strache gelungen ist. Mit 29,21% der Stimmen hat die FPÖ letztes Wochenende nicht nur erstmalig die Nationalratswahlen gewonnen, sondern das beste Wahlergebnis ihrer Parteigeschichte überhaupt erzielt.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Sind nun die Zei­ten vor­bei, in denen die Frei­heit­li­chen zur Rol­le des ewi­gen Zwei­ten oder Drit­ten ver­dammt waren, der gleich dem sprich­wört­li­chen Esel unauf­hör­lich der Karot­te Bun­des­kanz­ler­amt nach­trot­telt, aber letz­ten Endes nie zu Pot­te kommt?

Mit Sicher­heit wer­den die rest­li­chen Par­tei­en, die ihr kar­tell­ar­tig gegen­über­ste­hen, nun alles dar­an set­zen, um den Wahl­sie­ger von einer Regie­rungs­be­tei­li­gung fernzuhalten.

Die öster­rei­chi­sche Brand­mau­er ist aller­dings weit­aus durch­läs­si­ger als die bun­des­deut­sche gegen­über der “ande­ren” blau­en Par­tei. Die  FPÖ unter­schei­det sich von der AfD unter ande­rem dadurch, daß sie seit Jahr­zehn­ten eine fixe Grö­ße im öster­rei­chi­schen Polit­be­trieb ist, die man trotz ihres Dau­er­sta­tus als schwer erzieh­ba­rer Klas­sen­lüm­mel nicht voll­stän­dig aus­gren­zen kann. Man muß mit ihr rech­nen, man muß sie über wei­te Stre­cken respek­tie­ren, man muß mit ihren Poli­ti­kern ver­han­deln und sie gege­be­nen­falls mit­spie­len lassen.

Sie hat auch eine erheb­li­che sys­te­mi­sche Funk­ti­on als sym­bo­li­scher Reprä­sen­tant einer belieb­ten Chi­mä­re: des unge­wa­sche­nen, unge­bil­de­ten, bor­nier­ten, affekt- und res­sen­ti­ment­ge­la­de­nen, ten­den­zi­ell brau­nen und “ewig-gest­ri­gen” Öster­reichs, das Intel­lek­tu­el­le, Gut­bür­ger­li­che und Kul­tur­men­schen so ger­ne beschwö­ren  – um neben die­sem zum nega­ti­ven Kli­schee gewor­de­nen Bild umso hel­ler zu erstrahlen.

Fünf­mal waren die Blau­en bis­lang in der Bun­des­re­gie­rung (einen Über­blick über alle Regie­run­gen seit 1945 gibt es hier), jedes Mal die zwei­te Gei­ge als Juni­or­part­ner spie­lend. Wir erin­nern uns alle noch (mit Grau­sen) an die Kabi­net­te Schüs­sel I (2000–2003), Schüs­sel II (2003–2007) und Kurz (2017–19), auf die ich noch zu spre­chen kom­men werde.

Weni­gen ist noch geläu­fig, daß es 1983–86 und noch ein­mal 1986–87 eine SPÖ-FPÖ-Koali­ti­on mit Nor­bert Ste­ger (falls ihn noch jemand kennt) als Vize­kanz­ler gab.

Schon 1970/71 hat­te die FPÖ die Allein­re­gie­rung (auch das gab es) der SPÖ unter Bru­no Krei­sky unter­stützt. Letz­te­rer, ein jüdisch­stäm­mi­ger Sozi­al­de­mo­krat, bedank­te sich bei Par­tei­ob­mann Fried­rich Peter, einem ehe­ma­li­gen Mit­glied der Waf­fen-SS, spä­ter dafür, indem er ihn gegen Vor­wür­fe von Simon Wie­sen­thal in Schutz nahm.

Daß Sozi­al­de­mo­kra­ten und Frei­heit­li­che mit­ein­an­der “packeln”, klingt heu­te unvor­stell­bar. Aber damals war die FPÖ noch nicht die “rechts­po­pu­lis­ti­sche”, “aus­län­der­feind­li­che” Par­tei, zu der sie unter Jörg Hai­der mutier­te. Sie ver­ein­te klas­sisch Deutsch­na­tio­na­le und “Wirt­schafts­li­be­ra­le” nach dem Mus­ter der FDP, eine Mischung, die noch heu­te stark nach­wirkt. 1979 wur­de sie Mit­glied der “Libe­ra­len Inter­na­tio­na­le”, einem bis heu­te bestehen­den Welt­ver­band der libe­ra­len Par­tei­en” mit Sitz in Lon­don, aus dem sie erst 1993 aus­trat (heu­te wird Öster­reich dort von den NEOS vertreten).

In den neun­zi­ger Jah­ren, als ich noch zur Schu­le ging, war Jörg Hai­der der gro­ße böse Buh­mann der Medi­en, vor des­sen “Auf­stieg” die  Rich­tig­den­ken­den unauf­hör­lich zu war­nen und sich zu fürch­ten hat­ten. Hai­der, ein cha­ris­ma­ti­scher Meis­ter der geziel­ten Pro­vo­ka­ti­on, war haupt­ver­ant­wort­lich dafür, daß sich die FPÖ zu jener “popu­lis­ti­schen” Par­tei mau­ser­te, als die sie heu­te bekannt ist.

Die­ser erfolg­rei­che Kurs kul­mi­nier­te schließ­lich im Ergeb­nis der Natio­nal­rats­wah­len von 1999, in denen zwar die SPÖ stärks­te Kraft wur­de (33,15%), FPÖ und ÖVP mit jeweils 26,91% jedoch zusam­men genug Stim­men beka­men, um eine Regie­rungs­ko­ali­ti­on zu stel­len. Die­se bei­den Par­tei­en schei­nen augen­schein­lich bes­ser zusam­men­zu­pas­sen, da sie bei­de theo­re­tisch nicht-links sind und mehr inhalt­li­che Über­schnei­dun­gen auf­zu­wei­sen haben als etwa Frei­heit­li­che und Sozis.

Es ist also im öster­rei­chi­schen Sys­tem durch­aus mög­lich, daß es nicht unbe­dingt die Par­tei mit den meis­ten Stim­men ist, die den Bun­des­kanz­ler stellt und eine Regie­rung bil­det. Soll­te es erneut dazu kom­men, wer­den sich die Wäh­ler zwar mit Recht “gepflanzt” füh­len, unge­wöhn­lich wäre die­ser Vor­gang jedoch nicht.

Schwarz-Blau 2000 hat­te eine schwe­re Geburt. Bun­des­prä­si­dent Kle­stil (ÖVP) gelob­te das Kabi­nett mit Kanz­ler Wolf­gang Schüs­sel (ÖVP) und Vize­kanz­le­rin Susan­ne Riess-Pas­ser (FPÖ) nur mit schlech­ter Lau­ne und Bauch­weh an, wäh­rend im Zuge von Anti­fa-Ran­da­len 53 Poli­zis­ten ver­letzt wur­den. Zwei F‑Politiker hat­te Kle­stil auf­grund “ver­ba­ler Ent­glei­sun­gen” im Wahl­kampf zu ver­ei­di­gen abgelehnt.

Das gefürch­te­te Zug­pferd der Blau­en, Hai­der, trat über­ra­schen­der­wei­se vom Par­tei­vor­sitz zurück und kon­zen­trier­te sich fort­an auf das Bun­des­land Kärn­ten, wo er bis zu sei­nem Tod im Jahr 2008 als Lan­des­haupt­mann regier­te. Bis zum “Knit­tel­fel­der Putsch” im Jahr 2002, der die Par­tei ent­zwei­te, blieb er ihr Strip­pen­zie­her im Hin­ter­grund. Zuletzt war er Kopf der (inzwi­schen mau­se­to­ten) FPÖ-Abspal­tung BZÖ, an der ver­mut­lich eine “Jahr­hun­dert­flut” avant la “Kli­ma­wan­del” schuld ist.

Der Rück­tritt Hai­der am Zenith sei­nes Erfol­ges war nach all dem alar­mis­ti­schen Gedöns der Vor­jah­re ein über­ra­schen­der Schach­zug. Wahr­schein­lich waren Hai­ders Fein­de damals genau­so ent­täuscht wie sei­ne Anhän­ger. Obwohl er es öffent­lich abstritt, hat­te er ver­mut­lich ver­sucht, dem Druck, der nach der Regie­rungs­bil­dung auf Öster­reich aus­ge­übt wur­de, den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Es hat­ten sich damals näm­lich sämt­li­che EU-Staa­ten zusam­men­ge­schlos­sen, um “Sank­tio­nen” gegen Öster­reich zu ver­hän­gen (die in ers­ter Linie in diplo­ma­ti­schen kal­ten Duschen bestan­den), die zum Aus­druck brin­gen soll­ten, daß man kei­ne Regie­rung dul­den und respek­tie­ren wer­de, in der sich “Frem­den­fein­de”, “Rechts­extre­mis­ten” und ähn­li­ches Gesocks tum­meln (auch Isra­el und die USA zogen vor­über­ge­hend ihre Bot­schaf­ter zurück).

Wie schlim­me Kin­der, die der Maß­re­ge­lun­gen bedür­fen, wur­den die Öster­rei­cher nun von einem so genann­ten “Rat der Wei­sen” unter die Lupe genom­men, der klä­ren soll­te, ob die neue Regie­rung für “euro­päi­schen Wer­te” ein­tre­te und sich nett genug gegen­über “Min­der­hei­ten, Flücht­lin­gen und Ein­wan­de­rern” verhielte.

Die drei Demo­kra­tie-Kon­trol­leu­re waren ein fin­ni­scher Sozi­al­de­mo­krat, ein spa­ni­scher Christ­de­mo­krat und ein deut­scher Völ­ker­recht­ler. Sie lie­ßen die Regie­rung mit einem (schwarz-)blauen Auge davon­kom­men, indem sie ihr beschei­nig­ten, sich artig der “Bekämp­fung von Ras­sis­mus, Dis­kri­mi­nie­rung, Anti­se­mi­tis­mus und Frem­den­feind­lich­keit” zu wid­men, auch wenn eini­ge FPÖ-Poli­ti­ker dafür geschol­ten wur­den, böse und ver­bo­te­ne Din­ge gesagt haben.

Die “Sank­tio­nen” wur­den auf­ge­ho­ben, aber die Lek­ti­on saß. In mir, der ich mich für Poli­tik kaum inter­es­sier­te, lös­te dies einen mei­ner ers­ten poli­ti­schen Rechts­rucks aus. Es hat­te ein äußerst apar­tes Geschmäck­le, wie dreist und pene­trant sich eine inter­na­tio­na­le Gang in die inter­nen Ange­le­gen­hei­ten mei­nes Lan­des ein­zu­mi­schen wag­te, weil ihr ein demo­kra­tisch legi­ti­mes Wahl­er­geb­nis nicht in den Kram paß­te. Ich hat­te nichts für die FPÖ oder für Hai­der übrig, aber die­ses Grup­pen­mob­bing, absur­der­wei­se im Namen der “Demo­kra­tie”, erschien mir äußerst suspekt und übergriffig.

Die Waf­fe, die ein­ge­setzt wur­de, war mora­li­scher Natur. Es wur­de signa­li­siert, daß die inter­na­tio­na­le (und inter­na­tio­na­lis­ti­sche) Moral höher stün­de als das natio­na­le Gesetz, als die natio­na­le Sou­ve­rä­ni­tät und als der Wil­le der Wähler.

Was damals schon ganz offen­sicht­lich vor allen ande­ren Din­gen ver­ei­telt wer­den soll­te, war jeg­li­cher Ver­such, eine restrik­ti­ve und an natio­na­ler Iden­ti­tät ori­en­tier­te (dar­auf zielt der Slo­gan der “Über­frem­dung”) Ein­wan­de­rungs­po­li­tik zu etablieren.

In der Fol­ge ist der Anteil an Migran­ten und Aus­län­dern in Öster­reich, ins­be­son­de­re der “pro­ble­ma­ti­schen” Art, ste­tig ange­stie­gen, mit­samt deut­li­chen demo­gra­phi­schen Ver­än­de­run­gen, die inzwi­schen auch die Wahl­er­geb­nis­se beein­flu­ßen. Die Fol­gen die­ser Poli­tik haben auch bei den dies­jäh­ri­gen Wah­len eine ent­schei­den­de Rol­le gespielt.

Die Schüs­sel-Regie­run­gen von 2000 bis 2007 haben nicht das Gerings­te dazu bei­getra­gen, in die­se Ent­wick­lung einzugreifen.

Mit eini­gem Schmun­zeln muß ich an die Hys­te­rie man­cher links­li­be­ra­ler Freun­de aus dem Medi­en­be­reich zurück­den­ken, die sich ob der damals angeb­lich bevor­ste­hen­den “Macht­er­grei­fung” in eine Welt­un­ter­gangs­stim­mung hin­ein­thea­ter­ten, an die sie wohl selbst kaum glaub­ten. Zumin­dest nahm ich es ihnen nicht so recht ab, daß sie nun ernst­haft den Anbruch des Vier­ten Rei­ches (oder so) befürchteten.

Die schwarz-blaue Koali­ti­on erwies sich jeden­falls als Rohr­kre­pie­rer, an den nie­mand gute Erin­ne­run­gen hat. Vage im Gedächt­nis hän­gen­ge­blie­ben sind allen­falls diver­se Kor­rup­ti­ons­skan­da­le, ins­be­son­de­re das Wir­ken der Minis­ter Stras­ser (ÖVP) & Gras­ser (Ex-FPÖ), deren Kom­pe­tenz vor allem dar­in bestand, auf krum­men Wegen Geld in die eige­ne Tasche zu wirt­schaf­ten (ich fin­de es bis heu­te lus­tig, daß sie zum Ver­wech­seln ähn­li­che Namen haben). Unver­ges­sen ist auch der Sager von Wal­ter Maisch­ber­ger (Ex-FPÖ) “Wos woar mei Leistung?”.

Die bis­lang letz­te Regie­rungs­be­tei­li­gung der FPÖ zwi­schen 2017 und 2019 war eine Fol­ge der “Flücht­lings­kri­se” von 2015, die bereits 2016 dazu geführt hat­te, daß ein Blau­er, Nor­bert Hofer, um Haa­res­brei­te zum Bun­des­prä­si­den­ten gewählt wor­den wäre. Der­glei­chen hat­te es noch nie gege­ben. Der berau­schen­de Geschmack von mög­li­cher Ver­än­de­rung nach Jah­ren der Sta­gna­ti­on lag in der Luft. Statt­des­sen gewann jedoch der Ex-Grü­ne Van der Bel­len, der sich mit ziem­li­cher Sicher­heit mit­tels faden­schei­ni­ger “ad personam”-Gründe dage­gen sper­ren wird, Kickl zum Bun­des­kanz­ler zu vereidigen.

Die ÖVP ver­paß­te sich nun mit Sebas­ti­an Kurz ein fri­sches, flot­tes, jun­ges Gesicht. Das fins­te­re, einst “kle­ri­kal” asso­zi­ier­te Schwarz der “Christ­lich-Sozia­len” wur­de in ein zar­tes Tür­kis umge­wan­delt, eine Far­be, die sich ergibt, wenn man grün und blau mit­ein­an­der mischt.

Sie wur­de, nicht anders als die CDU, eine de fac­to lin­ke Par­tei (gemess­sen an ihrem Tun, nicht an ihren Wor­ten) mit “kon­ser­va­ti­ver” Mimi­kry, um wei­ter­hin die sich “bür­ger­lich” dün­ken­den Wäh­ler­schich­ten abzu­grei­fen. Ihr Bran­ding als “die Volks­par­tei” sug­ge­riert eine unklar defi­nier­te “Mit­te”, die alle wäh­len kön­nen, die weder zu weit nach links noch zu weit nach rechts rücken wollen.

Die “Lis­te Sebas­ti­an Kurz” prä­sen­tier­te sich als salon­fä­hi­ges, schwie­ger­sohn­taug­li­ches Auf­fang­be­cken für iden­ti­tä­re und migra­ti­ons­kri­ti­sche Sen­ti­ments, die damals, in der gol­de­nen Zeit des “Rechts­po­pu­lis­mus” (mit Donald Trump als inter­na­tio­na­ler Gal­li­ons­fi­gur die­ses Trends) in brei­ten Schich­ten der Bevöl­ke­rung en vogue waren, auch unter denen, die es nicht über sich gebracht hät­ten, die Schmud­del­par­tei zu wäh­len. Die Zeit war reif für eine Art “öster­rei­chi­sches Brexit”, und die nun­mehr “tür­ki­sen” Schwar­zen nutz­ten die Gunst der Stunde.

Mit Hil­fe der FPÖ gelang es der ÖVP nach einer lan­ge Rei­he von vier SPÖ-Regie­run­gen seit 2007 end­lich wie­der an die Spit­ze der Macht zu klet­tern. Heinz-Chris­ti­an Stra­che wur­de dafür mit dem Vize­kanz­ler-Pos­ten belohnt. Viel mehr als den etwas dümm­lich wir­ken­den “side­kick” des Kurz zu spie­len hat­te er aller­dings nicht zu tun. Die läs­ti­gen blau­en Moh­ren wur­den nach zwei Jah­ren via “Ibi­za” ent­sorgt, obwohl nur “HC” Anlaß gege­ben hat­te, Zwei­fel an sei­ner Taug­lich­keit für ein der­art wür­di­ges Amt zu erwecken.

Es gab jedoch in der dama­li­gen Regie­rung einen Blau­en, der für das Kar­tell und ins­be­son­de­re die ÖVP weit­aus gefähr­li­cher war als Stra­che, und das war natür­lich der weit­aus intel­li­gen­te­re Her­bert Kickl in sei­ner Funk­ti­on als Innenminister.

Beson­ders emp­find­lich dürf­ten die Tür­ki­sen auf die von Kickl ver­ant­wor­te­te Haus­durch­su­chung des Bun­des­am­tes für Ver­fas­sungs­schutz und Ter­ro­ris­mus­be­kämp­fung (BVT) reagiert haben, das tra­di­tio­nell in ÖVP-Hand ist. Kickl schick­te die Poli­zei qua­si in jene Löwen­höh­le, von der aus die poli­ti­sche Rech­te über­wacht und mit Spit­zeln unter­wan­dert wird.

Ich bin jeden­falls über­zeugt, daß Kickl, und nicht pri­mär Stra­che, die ent­schei­den­de Bil­lard­ku­gel war, die via “Ibi­za” ver­senkt wer­den soll­te. Dar­um wur­de auch rasch sein Kopf gefor­dert, obwohl er mit Stra­ches und Gude­nus’ Eska­pa­den nicht das Gerings­te zu tun hat­te. Lang­fris­tig konn­te der FPÖ gar nichts bes­se­res pas­sie­ren, als in Kick­ls Hän­de zu gera­ten, wie Kol­le­ge Sell­ner her­vor­ge­ho­ben hat.

Etwa hal­bes Jahr nach Auf­lö­sung des zwei­ten ÖVP-FPÖ-Expe­ri­ments auf Bun­des­ebe­ne, im Jän­ner 2020, fei­er­te Kurz sein Come­back als Kanz­ler. Die Blau­en wur­den gegen die image­tech­nisch schi­cke­ren Grü­nen aus­ge­tauscht, was aller­dings Unmut inner­halb der Basis bei­der Par­tei­en auslöste.

Was nun geschah, gehört gewiß zur Vor­ge­schich­te der dies­jäh­ri­gen Natio­nal­rats­wahl. Die regie­ren­de ÖVP wur­de zum ent­schei­den­den Akteur, die Corona-“Maßnahmen” zu beschlie­ßen und zu voll­stre­cken, von der Masken‑, Quarantäne‑, Test- bis hin zur im Novem­ber 2021 beschlos­se­nen Impfpflicht.

Die­se staat­lich-media­le Drang­sa­lie­rung hat auch Öster­reich als Gesell­schaft schwer ver­wun­det, trau­ma­ti­siert und gespal­ten. Die­sel­be Aus­ga­be der Kro­nen-Zei­tung vom 30. Sep­tem­ber 2024, die auf einer Extra-Titel­sei­te den “blau­en Durch­marsch” (mit einem strah­len­den Kickl als Illus­tra­ti­on) ver­kün­de­te, titel­te auf ihrem regu­lä­ren Deckblatt:

Exper­ten zei­gen die Spät­fol­gen der Pan­de­mie auf: Jeder fünf­te Schü­ler psy­chisch am Ende.

Hier wer­den die Lügen der Jah­re 2020–22 unge­bro­chen fort­ge­setzt: Denn ganz offen­sicht­lich han­delt es nicht um Spät­fol­gen der “Pan­de­mie”, son­dern der Regie­rungs­maß­nah­men. Bei­de Din­ge, die “Spät­fol­gen” und der blaue Wahl­sieg, hän­gen mit­ein­an­der zusammen.

Auch wenn es immer noch vie­le gibt, die aus die­sem gan­zen Irr­sinn nichts gelernt haben, und alles, was damals geschah, für gerecht­fer­tigt hal­ten, so ste­hen die Nar­ra­ti­ve von damals längst nicht mehr so unge­bro­chen da, wie sie es einst taten. Der bei­spiel­lo­se Wahl­sieg der Blau­en auf Kos­ten von mas­si­ven Ver­lus­ten der Tür­ki­sen ist gewiß auch eine Quit­tung für den pan­de­mi­schen Ter­ror, für den die ÖVP die Haupt­ver­ant­wor­tung trägt.

Die Kluft zwi­schen bei­den Par­tei­en ist nicht zuletzt wegen “Coro­na” weit­aus tie­fer, als sie es noch 2019 war. Per­so­ni­fi­ziert wird sie in der Intim­feind­schaft zwi­schen Kickl und Neham­mer, die sich gegen­sei­tig für abso­lut untrag­bar hal­ten. Kei­ner der bei­den wird zurück­wei­chen. Das macht eine Koali­ti­on unwahr­schein­li­cher als damals, auch wenn sie den Wil­len der Mehr­heit der öster­rei­chi­schen Wäh­ler wohl am bes­ten zum Aus­druck brin­gen würde.

Ande­rer­seits wird sich die ÖVP an dem The­ma Migra­ti­ons­ein­däm­mung und Migra­ti­ons­kol­la­te­ral­scha­den­be­kämp­fung, das von der FPÖ viel über­zeu­gen­der und kon­se­quen­ter ver­tre­ten wird, nicht vor­bei­mo­geln kön­nen, wenn sie an der Macht blei­ben und nicht noch mehr Wäh­ler ver­grau­len will. Mit einer Dosko­zil-SPÖ lie­ße sich dies­be­züg­lich viel­leicht etwas bewerk­stel­li­gen, mit Babler, der den Par­tei­pos­ten hal­ten will, eher nicht.

Eine Dosko­zil-SPÖ wäre aller­dings auch ein zumin­dest ansatz­wei­se denk­ba­rer Koali­ti­ons­part­ner für Kick­ls FPÖ. Eine sol­che Opti­on hät­te den Vor­teil, daß die ÖVP end­lich wie­der weg vom Fens­ter wäre. Ich fän­de sie prin­zi­pi­ell nicht schlecht, auch wenn ich sie für wenig rea­lis­tisch halte.

Gene­rell hat sich wäh­rend des Pan­de­mie-Spuks eine tie­fe Gehäs­sig­keit und Respekt­lo­sig­keit im Umgang mit poli­tisch Anders­den­ken­den ein­ge­schli­chen, die inzwi­schen fast zur Umgangs­norm gewor­den ist. Davon konn­te sich jeder über­zeu­gen, die die Kan­di­da­ten-Debat­ten im Vor­feld der Wahl ver­folgt hat. Wie wol­len die­se Leu­te mit­ein­an­der koalie­ren, wenn sie ein­an­der der­ar­tig has­sen und ver­ach­ten? Und damit mei­ne ich sie alle: Tür­ki­se, Rote, Blaue und Grüne.

Das sieht auch Bern­hard Heinz­l­mai­er so, der lin­ke Quer­kopf, der sich für eine FPÖ-SPÖ-Alli­anz aus­ge­spro­chen hat:

… nie­mals war der Umgang der Men­schen mit­ein­an­der der­ma­ßen hin­ter­häl­tig, ego­tak­tisch, bös­ar­tig und destruk­tiv wie heu­te. Jedes Mit­tel ist recht, um zu gewin­nen. Und alles ist erlaubt, um einen Kon­kur­ren­ten lust­voll in die tiefs­ten Abgrün­de der öffent­li­chen Mei­nung zu stür­zen, selbst die Ver­leum­dung. Heu­te wird zwar nie­mand mehr auf dem Schei­ter­hau­fen ver­brannt, aber die mehr oder weni­ger sub­ti­le Zer­stö­rung des Anse­hens von Anders­den­ken­den ist zu einem weit ver­brei­te­ten Mit­tel einer inhalt­lich hoh­len Macht­po­li­tik gewor­den. Die polit­me­dia­le Gesin­nungs­wal­ze, gut geschmiert von den Wer­be­mil­lio­nen aus den Bundes‑, Lan­des- und Stadt­bud­gets, macht jeden gewis­sen­los zur Schne­cke, der nicht wie alle ande­ren kon­for­mis­ti­schen Zom­bies im Gleich­schritt läuft.

Bun­des­kanz­ler Neham­mer selbst ist nichts ande­res als ein Über­bleib­sel der Ära, die die­se von Heinz­l­mai­er kri­ti­sier­te Gesin­nung zwar nicht her­vor­ge­bracht, aber in atem­be­rau­bend per­fi­de Höhen getrie­ben hat (Luft nach oben ist frei­lich immer noch). Sein Amt hat er nicht erhal­ten, weil er vom Volk gewählt wur­de, son­dern weil Kurz und nach ihm Schal­len­berg das Hand­tuch gewor­fen hatten.

Zuvor war er als Innen­mi­nis­ter hem­mungs­los gegen regie­rungs­kri­ti­sche Demons­tra­tio­nen vor­ge­gan­gen, ohne Rück­sicht auf das in der Ver­fas­sung ver­brief­te Ver­samm­lungs­recht. Er war einer der Leit­wöl­fe, die mit ihrem Geheul die Demons­tran­ten als “Rechts­extre­me, Staats­ver­wei­ge­rer, Hoo­li­gans, Alt-Neo­na­zis” diffamierten.

Kickl hin­ge­gen erwies sich als einer der unbeug­sams­ten Maß­nah­men­kri­ti­ker und zeig­te sei­ne Soli­da­ri­tät auch dadurch, daß er selbst auf die Stra­ße ging. Dadurch gewann er vie­le Sym­pa­thien über das blaue Lager hin­aus. Umso mehr wur­de er von allen geh­aßt, die hin­ter den Maß­nah­men stan­den oder sie kri­tik­los mit­mach­ten, und das war zu die­sem Zeit­punkt die Mehr­heit der Men­schen im Land. Man mag über ihn den­ken, was man will, ein “kon­for­mis­ti­scher Zom­bie” ist er offen­sicht­lich nicht.

Kickl muß­te damals enorm viel ein­ste­cken. In den Zei­tun­gen publi­zier­te, maß­ge­schnei­der­te Umfra­gen ver­such­ten am lau­fen­den Band, ihn als den “unbe­lieb­tes­ten” Poli­ti­ker Öster­reichs hin­zu­stel­len. Umso mehr wur­de er von den “Wider­ständ­lern” geliebt. Zwei Jah­re nach Ende des Alp­traums gab Dr. Sucha­rit Bhak­di, einer der “Stars” des maß­nah­men­kri­ti­schen Lagers und all­seits respek­tier­ter Vor­zei­ge-Ein­wan­de­rer, eine Wahl­emp­feh­lung zur FPÖ ab.

Die­se Stand­haf­tig­keit Kick­ls, mit­samt der Bereit­schaft, auch die Rol­le des Buh­manns wacker zu ertra­gen, hat sich nun aus­ge­zahlt. Ich stim­me dem Schrift­stel­ler Franz­obel, der im Stan­dard einen hilf- und witz­lo­sen Arti­kel zum blau­en Wun­der publi­ziert hat (in einem Stil, als wür­den wir immer noch in den neun­zi­ger Jah­ren leben) zu, daß Kickl “uncha­ris­ma­tisch”, aber (“man muss es sagen”) “rhe­to­risch bril­lant” ist.

Nur inso­fern frei­lich, als mit “Rhe­to­rik” die Fähig­keit gemeint ist, sich klar und über­zeu­gend aus­zu­drü­cken. Dies macht den Reiz Kick­ls aus, kom­bi­niert mit sei­ner Gerad­li­nig­keit, sei­ner welt­an­schau­li­chen Fun­die­rung sowie sei­ner Wei­ge­rung, durch Distan­zie­rungs­rei­fen zu hüp­fen (Stra­che glich in die­ser Hin­sicht eher einem Regen­wurm). Er blen­det nicht durch Charme oder gutes Aus­se­hen (wie etwa Hai­der und in gerin­ge­rem Maße Strache).

Es ist jedoch äußerst uto­pisch anzu­neh­men, daß er Kanz­ler wird, und selbst wenn ihm dies gelin­gen wür­de, dann wür­de er wahr­schein­lich in den Sümp­fen der sys­tem­im­ma­nen­ten Kom­pro­miß- und Sach­zwän­ge ste­cken­blei­ben. Einen Hebel, von dem aus sich eine “Orba­ni­sie­rung” Öster­reichs bewerk­stel­li­gen lie­ße, kann ich (noch) nicht erken­nen. (Viel­leicht brau­chen wir noch­mal fünf Jah­re, bis wir so weit sind.)

Aus genau die­sen Grün­den wür­de ich es vor­zie­hen, wenn Kickl als uner­schüt­ter­li­che, intel­li­gen­te und rück­grat­star­ke Oppo­si­ti­on der Sta­chel im Fleisch des Sys­tems bleibt, statt sich selbst durch eine wei­te­re miß­lun­ge­ne oder ins Lee­re füh­ren­de FPÖ-Regie­rungs­be­tei­li­gung zu ent­zau­bern, eine Gefahr, die auch dann besteht, wenn die Par­tei dies­mal den Seni­or­part­ner stellt (also “blau-schwarz” bzw. “blau-tür­kis”, statt “tür­kis-blau”).

Er könn­te frei­lich auch, wie einst Hai­der, einem ande­ren Kan­di­da­ten sei­nen Platz über­las­sen, wis­send, daß Van der Bel­len ihn nicht durch­las­sen wird (was den Zorn der Wäh­ler noch stei­gern wird; nie­mand läßt sich ger­ne mit Taschen­spie­ler­tricks über’s Ohr hau­en, und sich nach­her ein­re­den, die “Moral” oder gar “die Demo­kra­tie” hät­ten nun gesiegt).

Ohne Kickl wäre der blaue Sieg aber so gut wie wert­los, und ein wei­te­res Schei­tern der FPÖ als Regie­rungs­par­tei vorprogrammiert.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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Kommentare (3)

brueckenbauer

2. Oktober 2024 15:34

Dankenswert ist hier vor allem die Gegenüberstellung von "Moral" und "Demokratie". Was die Machthaber als Moral hinzufügen, nehmen sie dem Wähler als Entscheidungsfreiheit weg. Sogar Karl Barth, der Ahnherr moderner Theokratie- bzw. Ethokratie-Ideen, blieb ein braver Schweizer und verlangte von den Christen lediglich, dass sie beim Wähler für ihre Wertvorstellungen werben - nicht dass sie diese über die Köpfe der Wähler hinweg (oder an ihnen vorbei) durchsetzen. Für den deutschen Linksprotentatismus und die nach Abschied vom Marxismus linksprotestantisierte "Unsere-Werte-"SPD unvorstellbat. Es handelt sich also hier um eine zentrale Streitfrage.

Diogenes

2. Oktober 2024 17:20

Na? Da hat wohl noch einer https://www.youtube.com/watch?v=XSOzhwgpq3o ("FELLNER! LIVE: Sebastian Bohrn Mena vs. Gerald Grosz") geschaut, schließe ich mal aus den Infos im Artikel (wer kennt denn bitte aus dem Stegreif sämtliche Regierungsbeteiligungen der FPÖ? Mir selbst fallen da nur die Regierungen seit Haider ein).
 
FPÖ kann sich im Prinzip genauso wie die AfD ruhig zurücklehnen und dabei zusehen wie die antideutsche Parteienfront sich selbst die Demokratieschauspielmaske von ihrer hässlichen Gleichmacher- und Ausbeuter-Ideologie zieht, so das auch dem letzten Schauspiel-Betrachter beim Worte Demokratie aus deren speicheltriefender Gosch die gespaltene Zunge auffallen muss.
 
Die Spielregel ist der Beliebigkeit unterworfen sobald die Gefahr des Machtverfalls durch den Wähler daher spaziert, wie wir in Thüringen sehen konnten. Das, was vorgeworfen wird, tun sie selber, weil sie zu tief in den "Becher" (Nietzsche) ihres Feindbildes geguckt haben oder weil sie einfach der Negativauslese in ihrer korrupt-unehrlichen und glitschig-aalglatten Art entsprechen.

Laurenz

2. Oktober 2024 18:54

Hatte Kreisky noch persönlich erlebt, bei seinem Abgang war ich 18. In Österreich herrschte quasi seinerzeit immer die ewige SPÖ, kein großer Unterschied zu den weggebügelten Habsburgern. Mit 21% ist die SPÖ immer noch weitaus akzeptierter, als die Genossen in Deutschland. Diese vielen Regierungsbeteiligungen der Sozialdemokratoren während der letzten Jahrzehnte in Deutschen Landen sorgen für einen gewissen, wie abgehobenen Erbfolge-Hochmut, einen Größenwahn, der nichts an Änderungen in der Programmatik zuläßt. In Dänemark hingegen, mit einer Bevölkerung von knapp 2/3 Österreichs, ist die Sozialdemokratur wesentlich opportunistisch flexibler, bevor man die eigenen Mandatsträger in die Arbeitslosigkeit entläßt. Stimme zu in der Regierungsfrage für die FPÖ. Besser nicht regieren, als schlecht regieren.