mit der erklärten Absicht, das Thema möglichst kontrovers und “pluralistisch” zu debattieren. Dabei ist auch Platz für Überraschungen wie ein Interview wie dem Ex-“Neue-Rechte”-Großvater Henning Eichberg und für kabarettreife Nummern wie die amüsante Selbstdemontage einer Antifantengruppe. Ansonsten ist zu erwarten, daß die Konsensgrenzen nicht allzu überstrapaziert werden.
Immerhin aber bringt die Serie bisher ganz gute Einblicke darin, mit welchem Begriff hantiert wird, wenn heute von “Demokratie” gesprochen wird. Diese Frage haben wir in diesem Blog schon mehrfach gestellt. Dazu nun ein paar Anmerkungen:
* Seinen eigenen Ansatz hat Mathias Brodkorb hier dargelegt. Kurz gefaßt, sieht er einen “Mißbrauch” der Extremismustheorie, insofern sie der Linken und Rechten die Kanten und Ecken abschleift, und einem krebsartigen “Wuchern der Mitte” Vorschub leistet, damit aber der “politischen Belanglosigkeit”, “Langeweile” und Stagnation, denn mit Eindämmung des echten Pluralismus werden auch die “Defizitanzeiger und Ideenschmieden” blockiert, die notwendig sind, um Wege aus “unbewältigten Krisen” zu zeigen.
Damit hat er natürlich völlig recht, und nichts anderes hat schon Armin Mohler in seinem klassischen Essay “Gegen die Liberalen” (nun wieder greifbar) aus dem Jahr 1988 gesagt.
Die politische Bühne wird mehr und mehr von einer breiten »Mitte« ausgefüllt, die nur noch Scheinkonflikte in sich unterhält und die Tendenz hat, zum Ganzen zu werden. Das politische Klima dieser Mitte ist ein umstrukturierter Liberalismus, der im Vordergrund das alte Freiheitspathos noch pflegt; unterschwellig aber wird unter der Losung »Sicherheit vor Freiheit« ein ganz anderes Regnum angesteuert. Man könnte es mit einer bösartigen Formel umschreiben, die George Steiner nach einem längeren Aufenthalt in der Schweiz auf dieses Land angewendet hat: »disziplinierte Mediokrität«. Gemeint ist eine Konsumentengesellschaft von erheblich abgesenktem Wohlstandsniveau, die durch das Spiel der Interessenverbände reguliert wird. Die diversen Arten von Mafia übernehmen in ihr die Funktion von Blutegeln, welche den Blutkreislauf der träge gewordenen Gesellschaft beleben sollen.
Mehr täten dieser Gesellschaft allerdings eine kräftige Linke und eine kräftige Rechte not. Aber für sie bleibt in der Gesellschaft der Mammut-Mitte kein Platz übrig. Es gibt nur noch »Extremisten von links und rechts«, die an den Rand der Gesellschaft oder in den Untergrund abgedrängt werden. Verwendung ist allenfalls noch da für kleinere Zirkel von linken oder rechten Intellektuellen; sie genießen eine gewisse Narrenfreiheit, weil man ihrer Produkte zur Aufrechterhaltung jener Scheinkonflikte bedarf.
* Es stellt sich allerdings die Frage, ob von Brodkorbs Ausgangspunkt her (und im Grunde auch dem von Politologen wie Eckhard Jesse) ein solcher produktiver Pluralismus überhaupt möglich ist, oder ob er nicht auch im Netz der Prämissen eines “umstrukturierten Liberalismus” hängenbleibt. Denn hinter dem Kautschukbegriff “freiheitlich-demokratische Grundordnung” verbirgt sich nun einmal eine spezifische Vorstellung von Demokratie. Brodkorb definiert sie als “Möglichkeitsraum für verschiedene politische Ideen, die sich in freien, gleichen und geheimen Wahlen behaupten müssen”, und nennt als eine Bedingung für den Pluralismus die “menschenrechtliche Fundierung”; an anderer Stelle heißt es gar: “Ein Antidemokrat ist jemand, der nicht allen (!sic) Menschen das gleiche grundsätzliche Recht zur politischen Partizipation zubilligt.”
* Hier wird aber im Grunde die Demokratie, durchaus konform mit dem Standpunkt einer “normativen” Politologie à la Jesse & Co, auf ihr liberales Element reduziert. Daß aber die heute amalgamierten Prinzipien der Demokratie und des Liberalismus (bzw. Parlamentarismus) ideengeschichtlich gesehen nicht identisch sind, ja im Grunde im Gegensatz zueinander stehen, hat Carl Schmitt in seinen Schriften “Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus” (1926) und “Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie” (beide 1926) ausgeführt: “Der Glaube an den Parlamentarismus, an ein government by discussion gehört in die Gedankenwelt des Liberalismus. Er gehört nicht zur Demokratie.”
Tatsächlich fällt es auf, daß in der ganzen Debatte um “Extremisten” und “Antidemokraten” wie sie durchaus exemplarisch auf ER geführt wird, das klassische, grundlegende Prinzip der Demokratie bisher keine Rolle spielt (mit bezeichnender Ausnahme des Eichberg-Interviews), welches heißt: Demokratie ist die Volkssouveränität, der volonté generale der Gleichen, die Annahme einer Identität von Herrschern und Beherrschten. Damit läßt sich aber nach Schmitt auch die Diktatur demokratisch begründen. So betonte er, daß auf dieser Grundlage “Bolschewismus und Faschismus” (heute würde man wohl sagen: “Extremisten von Links und Rechts”), zwar “antiliberal” seien, “aber nicht notwendig antidemokratisch.” (Dies behaupten auch die großen Propagandainszenierungen Hitlers und Stalins: der Führer entstammt dem Volk, lebt für das Volk, und wird von der Masse des versammelten Volkes öffentlich legitimiert.)
Die verschiedenen Völker oder sozialen und ökonomischen Gruppen, die sich “demokratisch” organisieren, haben nur abstrakt dasselbe Objekt “Volk”. In concreto sind die Massen soziologisch und psychologisch heterogen. Eine Demokratie kann militaristisch oder pazifistisch sein, absolutistisch oder liberal, zentralistisch oder dezentralisierend, fortschrittlich oder reaktionär, und alles wieder zu verschiedenen Zeiten verschieden, ohne aufzuhören, eine Demokratie zu sein. (…) Was bleibt also von der Demokratie? Für ihre Definition eine Reihe von Identitäten. Es gehört zu ihrem Wesen, daß alle Entscheidungen, die getroffen werden, nur für die Entscheidenden selbst gelten sollen.
(Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus).
Dementsprechend kommen auch die eng mit der Demokratie verknüpften Begriffe “Volk” oder “Nation” in der Debatte gar nicht vor. “Volk” und “Nation” sind aber heute Begriffe, die im politischen Bereich, und das: paradoxerweise, keinerlei Konsens für sich beanspruchen können. Es war ein weiter Weg bis zur völligen Umkehrung von Friedrich Eberts Satz aus dem Jahr der ersten deutschen Republik 1919: “Und wenn wir vor der Frage stehen: Deutschland oder die Verfassung, dann werden wir Deutschland nicht wegen der Verfassung zugrunde gehen lassen.”
So aber wird das liberale, parlamentarische Prinzip von seinem Sinn losgekoppelt, erhebt sich vom Boden wie ein Luftballon, wird zum selbstreferentiellen System. Eine Regierungsmethode (Schmitt), also in diesem Fall: die “FDGO”, wird zum Selbstzweck erhoben. Günter Maschke formulierte das einmal so, daß sich das “deutsche Volk der Verfassung anpassen” solle, “anstatt daß man die Verfassung dem deutschen Volke” anpasse.
* Der demokratischen Grundbedingung der Homogenität wird in diesem pluralistischen Modell insofern Rechnung getragen, als es sich einen Rahmen setzt (Brodkorb spricht vom “Zaun”), der seinen Pluralismus bedingen und begrenzen soll: und der besteht in dem Konsens aller Teilnehmenden zur “freiheitlich-demokratischen Grundordnung” und zu den “Menschenrechten” als oberste, unantastbare Prinzipien. Sie nehmen den Platz dessen ein, was früher der nationale Konsens war. Der “Extremist”, also: der “Antidemokrat”, genauer: der “Antiliberale”, wäre dann derjenige, der aus der Partizipation an der liberalen Demokratie ausgeschlossen bleiben soll, und das mit gutem Recht: denn, wie Schmitt betont, gehört zur Demokratie notwendig “die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen.” Jeder absolute Pluralismus zerstört sich unweigerlich selbst. Wenn die Menschenrechte in der Werthierarchie ganz oben stehen, dann ist die offene Flanke allerdings quasi in das System selbst eingebaut.
* Damit sind jedoch innerhalb dieses Modells die rechten Flügel schon von vorherein gestutzt, ist die Rechte, sofern sie die Dinge tatsächlich zu Ende zu denken gewillt ist, von vornherein im Nachteil: denn die Kritik eines von Volk und Nation losgelösten Liberalismus, die Kritik der Menschenrechte (bis zu ihrer völligen Zurückweisung), und die Behauptung eines Primats der Bürgerrechte und der Rechte der Nation gehören nun einmal zur Grundausstattung der politischen Rechten.
Mit anderen Worten: In dem von “Extremismus”-Zäunen begrenzten Sandkasten wird nicht nur die Langeweile weiterhin gedeihen und die Mitte weiter wüstenartig wuchern, es wird vor allem die Sicht auf die Probleme und Krisen durch die Zaunlatten abgeschirmt. Denn “Probleme” existieren nicht an sich, sondern nur in der Perspektive. Wenn es aber keinen Konsens gibt, welche Perspektive und welchen Standort man einnimmt, was also das Subjekt und was das Objekt der Politik ist, dann kann es auch keinen Konsens geben, was denn nun “das Problem” ist, und wer oder was sich in einer “Krise” befindet und warum. (Hier sollte sich übrigens auch die Linke, etwa via Jürgen Elsässer, fragen, wie effektiv “links” sie heute noch sein kann, wenn sie der nationalen Frage ausweicht, ja beharrlich an ihrer Abschaffung mitarbeitet.)
Was aber, wenn nun meine Analyse der Lage in der Reduktion der Demokratie auf ihr liberalistisches und “menschenrechtliches” Moment genau den Grund für ihr Versagen und ihre Selbstzerstörung erkennt? Was, wenn ich zu dem Ergebnis komme, daß diese gegenwärtige “demokratische” Ordnung in Wahrheit längst nur mehr eine oligarchische, ja eine ochlokratische Herrschaft kaschiert, und daß es sich hierbei womöglich um eine Entgleisung handelt, die in der Sache selbst angelegt ist? Was, wenn es gute Gründe gibt, das Grundgesetz von 1949 mit der historischen Lage der Besiegten von 1945 in Zusammenhang zu sehen? Wenn hier schon der “Extremismus”-Zaun vorsteht (der nichts anderes als ein Modus der Ächtung und Diskreditierung ist), dann ist der “Pluralismus” nicht viel wert, dann kann man sich auch getrost die rechten und linken Krawatten sparen.
* Brodkorb spricht nichtsdestotrotz ständig von “der Demokratie”, als ob es sich hier um eine Entität mit in Stein gemeißelten Prinzipien handle, und als wären “Demokraten” und “Antidemokraten” so eindeutig bestimmbar wie Käferarten (was er wohl besser weiß). Wenn es aber auf die Definition der Demokratie ankommt, dann ist der postulierte Gegensatz zwischen “Demokraten” und “Extremisten” als “Antidemokraten” hinfällig: In der Tat ist es heute eher so, daß sich “Establishmentdemokraten” und “Oppositions-” bzw. “Alternativdemokraten” gegenüberstehen. Denn niemand will und kann heute etwas anderes sein, als ein “Demokrat”. Und der richtige “Demokrat” ist dann immer der, der die Macht hat, zu bestimmen, was die “richtige” Demokratie ist und was nicht.
Wer ist nun aber von der Grundidee der Demokratie weiter entfernt – die NPD mit ihrer Betonung der Vorrechte des Volkes, oder Jesse mit seiner Betonung der Vorrechte einer parlamentarischen Ordnung? Wer ist heute der wahre Verächter des Volkes und seiner Souveränität, derjenige, der es begrifflich wie biologisch auflösen oder derjenige, der es erhalten will? Wer ist nun heute der größere, der gefährlichere Staats- und Demokratiefeind? Die herrschenden Eliten, die tagtäglich das Land demographisch, kulturell, historisch und wirtschaftlich preisgeben, oder die im Grunde machtlose Opposition von Links- und Rechtsaußen, die ihr Unbehagen oft mit unzulänglichen, gewaltsamen Mitteln äußert?
* Die Frage ist nun, ob der Aufwand, mit der die Debatte um den “Extremismus” betrieben wird, gerechtfertigt ist. Sie ist und bleibt ein zwar nicht unwichtiges, aber eben doch nur sekundäres, weil diskursreglementives Schlachtfeld. Wenn man so will, eines, das ziemlich rasch nur mehr, nach Mohler, “Scheinkonflikte” (oder schlimmer noch: Glasperlenspiele) hervorbringt, was die ER-“Extremismus-Wochen” vermutlich auch bestätigen werden.