der inhaltlich nahtlos an den legendären “Anschwellenden Bocksgesang” aus dem Jahr 1993 anknüpft. Dieser hat, obwohl bereits zwei Jahrzehnte alt, nichts von seiner Frische eingebüßt (“Aktualität” könnte man auch sagen, aber das habe ich aus meinem Wortschatz gestrichen).
Michael Klonovsky schrieb anläßlich einer Wiederlektüre:
Erstaunlich, wie frisch und hellsichtig sich der weiland so inkriminierte Text anlässt, während das ganze eigenwertfreie alarmistische Gesinnungsgouvernantengeschwafel wie getrockneter Unflat von ihm abgefallen ist – eine reizende Illustration des Unterschieds zwischen Literatur und Feuilletonismus.
Nicht zu vergessen, daß einige der verbissensten “Gouvernanten” aus den Reihen des Spiegels selbst kamen, mit dem damaligen Kulturressortleiter Hellmuth Karasek an der Spitze. Umso mehr darf man angesichts des Vorspanns zu dem neuen Essay “Der Plurimi-Faktor – Anmerkungen zum Außenseiter” die Ohren spitzen. Strauß sei 1993 “als politscher Reaktionär abgestraft” worden – “dabei war der Autor damals womöglich nur hellsichtiger als andere.” Na, Karasek wird sich hoffentlich mächtig darüber gefreut haben. Weiterhin heißt es:
Diesmal beobachtet er, wie der “intellektuelle Götzendienst vor dem Populären” eine Anpassung nach unten zur Folge hat – und wie das “Breite zur Spitze” wird, wenn es um Quoten, Foren und die Interessen der meisten geht: der “Plurimi-Faktor”. Die wenigen aber, so Strauß, die sich nicht durch das Internet Gesellschaft und Übereinkunft verschaffen wollen, werden sich in der Absonderung einrichten müssen.
Wozu dann auch logischerweise die Aussetzung der Spiegel-Lektüre, insbesondere seiner berüchtigten Online-Version zählen müßte. Denn es geht in Strauß’ Essay nicht nur um das Internet (nebenbei, Gómez Dávila gibt es jetzt auch auf Twitter), sondern um alle Massenmedien, die daran wirken, den breiten Strom des “konsentiv Assemblierten” auszuweiten, bis kein Flecken mehr übrig ist, in dem man anders denkt, schreibt, spricht und, nicht zu vergessen: lebt.
In Deutschland ist es eben vor allem der Spiegel, der zumindest auf der Middlebrow-Ebene so ziemlich alles verkörpert, befördert und nach Kräften einzementiert, was Strauß so verabscheut und vehement kritisiert. Meine bescheidene Meinung: Wer nicht mindestens allergisch gegen das typische Spiegel-Deutsch ist, dessen Gehirn ist bereits in bedenklicher Weise von der condition-salaud befallen, von der Strauß spricht.
Zum Erfolg des Blattes gehört freilich auch eine gewisse Elastizität, und wohldosierte “Kontroversen” halten bekanntlich das bundesdeutsche Federvieh auf Trab und in Lohn und Brot. (Ich bin schon voller Vorfreude auf Georg Diezens Kommentar, der uns hoffentlich nicht vorenthalten wird.)
Die Papierlöwen des Feuilletons haben also wieder Futter bekommen, der Skandal ist diesmal allerdings, was zu erwarten war, ausgeblieben. Zumal Strauß’ Stil sich wenig dazu eignet, um knallige Zitate herauszufischen, die man dann mit wohlfeilen faulen Eiern bewerfen kann.
Man muß leider die Anstrengung aufmerksamen und sinnentnehmenden Lesens auf sich nehmen. Das ist abschreckend genug. Und wenn nun schon der Spiegel selbst einräumt, daß Strauß’ Gegner heute reichlich alt aussehen würden, so wird wohl niemand eine zweite Blamage riskieren wollen (Ausnahmen gibt es immer, aber was wäre der schönste Bocksgesang ohne einen Thersites als Kontrastgezeter).
Dabei strahlt der Essay trotz aller Polemik weder Zorn noch Empörung aus, sondern eher die Kühle der Abkehr und der Verachtung. Das gilt sogar dann, wenn Strauß danteske und durchaus angemessene Höllenstrafen für die “Schänder der Landschaftsseele”, die Erfinder und Profiteure der Windräder, ausmalt. Non ragioniam di lor, ma guarda e passa - “Sprich nicht mit ihnen, sondern schau hin und geh vorüber”, so der Rat Vergils an Dante, als die Unterweltwanderer die massa damnata passieren.
Andreas Rosenfelder (Die Welt) “gefällt das”, er geniert sich aber angeblich aus Ehrfurcht ein wenig, Strauß vorbehaltslos zuzustimmen.
Felicitias von Lovenberg (FAZ) meint, hinter der Maske des Entrückten und Vergeistigten einen “Hilferuf” zu vernehmen:
Konsequent wäre es gewesen, solche Gedanken, statt im „Spiegel“ etwa in den „Scheidewegen“, der „Jahresschrift für skeptisches Denken“, zu veröffentlichen und sich damit sichtbar dorthin zu stellen, wo er sich selbst verortet. Doch noch – und das ist womöglich die eigentliche, positive Botschaft dieses ziellos apokalyptischen Essays – hat Botho Strauß die Hoffnung darauf, gehört, vielleicht sogar verstanden zu werden, nicht aufgegeben.
Die Maske der so vorsichtigen und gesuchten Formulierungen verbirgt allerdings wohl mehr Sprengstoff, als ein oberflächlicher Leser ahnen würde. In einem Absatz stellt sich Strauß der Frage nach der Islamisierung Europas, ohne freilich dieses Schlagwort zu benutzen. Dabei beginnt er seine Betrachtung mit einer Perspektivumkehrung:
Wir drängen den Gläubigen und Andersgläubigen neben uns unentwegt unsere Freiheiten auf, denken aber nicht daran, auch nur das Geringste von ihrer sittlichen Freiheitsbeschränkung nachahmenswert zu finden oder auf uns abfärben zu lassen. Das Abfärben soll nur einseitig geschehen.
Dieses “Abfärben” hat also nichts mit den Phantasien linker “Integrations”- und “Vielfalts”-Romantiker zu tun:
Dabei täte etwas mehr Familie, etwas väterliche Stärke einem Erziehungsverhalten gut, dessen Schwächen allenthalben von staatlich geförderten Hilfen kostspielig kompensiert werden. Autorität zu bezweifeln gehört jedoch zu den Pflichten, die der demokratischen Übereinkunft selbstverständlich erscheinen und die ihr leichtfallen.
Wir befinden uns hier also mitten im Elend der “liberalen Islamkritik” (siehe etwa hier, hier und hier), die den Islam einerseits zum Feind “unserer Werte” erklärt und gleichzeitig blindlings die Voraussetzungen für seine Ausbreitung in westlichen Ländern schafft.
Strauß weiter:
Aber Ihr Freizügigen! Seid ja geschlossener verhangen als jede Muslimin im Ganzkörpertuch. Eure Burka ist eine feste Hülle aus Sprachlumpen, aus Nicht-erscheinen- und Nicht-blicken-Können. Ihr seht einander nicht, und was Ihr sagt, bleibt ungesagt.
Nur wenige ertragen es, diese Dinge “in den schärfsten Kehren der Ambivalenz” zu ertragen. Was das bedeutet, läßt Strauß nur anklingen:
Die meisten wenden sich bereits mit Empörung ab, sobald ihrem gewohnten Lebensstil aus religiösen Gründen mit Distanz begegnet wird. Im Zuge des Bevölkerungswandels könnten sich andere Prioritäten herausbilden, als sie heute gültig sind.
Die es nach dem Strafgericht derEntbilderung verlangt, die ihr Leben unter den Buchstaben ihrer Religion stellen, wenn nicht gar in den Dienst einer Rückverwortung der Welt, werden unter radikalisierten Umständen freilich auch unseren Überfluß an bildlichen Kunstwerken nicht verschonen.
Strauß sagt hier im Grunde nichts anderes als dies – und noch kein mir bekannter Rezensent hat es hervorgehoben: sollte der demographische Druck der islamischen Einwanderergruppen (“Bevölkerungswandel”) weiterhin ansteigen, dann werden sich auch die “Werte” der Gesellschaft grundlegend verändern, um es milde auszudrücken. Wie dergleichen passiert, kann man sich überall dort in Miniatur ansehen, wo Moslems zur Mehrheit werden.
Das heißt, es ist kaum zu erwarten, daß dieser Prozeß gewaltfrei ablaufen wird. Sollte es im Zuge dieser Entwicklung zu dschihadistischen Radikalisierungen kommen, dann darf man nicht erwarten, daß ein ikonoklastischer Angriff auf die europäischen Kulturschätze ausbleiben wird: man erinnere sich an die Buddha-Statuen von Bamiyan.
Ein Wort wie “Strafgericht” impliziert Eifer und Fanatismus; freilich auch die Apokalypse einer Welt, deren Frevel nicht nur aus islamistischer Perspektive offenbar sind. Nicht umsonst finden sich, wie schon im “Bocksgesang”, in vielen Formulierungen des “Plurimi-Faktors” die Spuren von Nicolàs Gómez Dávila, der einmal schrieb:
Die moderne Welt wird nicht bestraft werden. Sie ist die Strafe.
Der nächste Satz von Strauß scheint mir etwas merkwürdig:
Doch hieße, vom westlichen Lebensstil zu lassen, nicht auch: sich abwenden von Kubrick und Mark Rothko? Die meisten könnten das, die wenigen können es nicht.
Es ist anzunehmen, daß Strauß auch hier, wie stets, auf der Seite der “Wenigen” steht. An dieser Stelle täte sich eine böse Pointe auf: die überwiegende Mehrheit der Menschen würde sich wohl recht schnell damit abfinden, wenn einmal die Venus von Botticelli zerschlitzt wird oder die Fresken von Michelangelo übermalt oder Notre-Dame leergeräumt und zur Moschee umgebaut würde wie die Hagia Sophia.
So wichtig wird den Luxusfellachen, die ohnehin schon keinerlei Vorstellung mehr davon haben, was “Kunst und Kultur” oder “Religion” eigentlich bedeuten, das Strandgut des “christlichen Abendlandes” dann auch nicht sein, und die Masse wird sich wie immer der stärkeren Macht fügen und anpassen.
Strauß nennt nun aber Stanley Kubrick und Mark Rothko. Ich muß gestehen, daß mir nicht ganz einleuchtet, warum gerade diese beiden, die natürlich ohne Zweifel “pars pro toto” stehen. Meine Spekulation ist diese: Kubrick und Rothko sind eben nicht “christliches Abendland”, sondern Künstler, die außerhalb eines modernen “westlichen Lebensstils” nicht möglich wären.
Kubrick gehört nun unangefochten zu den großen Meistern der Filmkunst. Filme wie “Dr. Strangelove”, “A Clockwork Orange”, “Full Metal Jacket” oder “Eyes Wide Shut” sind bildmächtige, allerdings auch überaus subversive und zivilisationskritische Werke. Sie wären in islamischen oder auch nur sehr konservativ-autoritären Ländern unmöglich gewesen, auch nicht im zensurbestimmten Hollywood vor den Lockerungen der Sechziger Jahre.
Trotz allem Respekt, den er genoß, hatte Kubrick unter den US-Regisseuren den Ruf eines menschenscheuen “Außenseiters”, dessen Kompromißlosigkeit und Perfektionismus berühmt-berüchtigt waren. Sein Blick auf die westliche Zivilisation in seinen Filmen ist in der Tat eine Außenseiterperspektive: kalt, skeptisch, distanziert, mitleid- und illusionslos.
Rothkos Malerei steht an jener Grenzscheide zur äußersten Abstraktion, an der die Kunst in Gefahr läuft, sich selbst aufzulösen. Sie verliert ihren Gegenstand, wird immer mehr zur “Masche”. Man kann nun zwar nur einmal ein “weißes Kreuz auf weißem Grund” malen, wie es Malewitsch tat, aber beliebig viele Farben in der für Rothko typischen Balance-Anordnung kombinieren. Aber ist nicht auch dies eine Sackgasse?
Rothkos Bilder erzielen ihre stärkste Wirkung, wenn man vor ihnen steht, während sie in Reproduktionen fast völlig verlieren. Man könnte nun theoretisch auch eine progressive Moschee, wenn es so etwas gibt, oder einen Hindutempel mit “Rothkofarben” schmücken. Primär westlich sind allerdings die Denkprozesse, die zu einer solchen Kunst geführt haben. Ich für meinen Teil könnte leicht auf Rothko verzichten.
Ich möchte noch zwei weitere Motive des Essays hervorheben. Jürgen Amendt, ein überraschend sympathisierender Rezensent des linken Neuen Deutschlands kam zu einem beunruhigenden Schluß:
Wenn Strauß 1993 vor der Selbstgefälligkeit warnte, mit der die nationalistischen Strömungen in Osteuropa »in unserer liberal-libertären Selbstbezogenheit für falsch und verwerflich« gehalten werden, so ist es jetzt die geistige Stumpfheit der sich Freie nennenden gegenüber der Welt außerhalb ihres säkularisierten Wertesystems. (…)
»Die meisten«, kritisiert Strauß, »wenden sich bereits mit Empörung ab, sobald ihrem gewohnten Lebensstil aus religiösen Gründen mit Distanz begegnet wird. Im Zuge des Bevölkerungswandels könnten sich andere Prioritäten herausbilden, als sie heute gültig sind.«
In diesem Sinne – und das ist die erschreckende Erkenntnis, die sich aber als konsequent erweisen könnte – ist der islamische Konvertit, der Außenseiter inmitten der säkularisierten Masse, der wahrhaftige Visionär.
Das würde vielleicht auf einen Mann wie René Guénon zutreffen oder auf exzentrische radikale Außenseiter wie David Myatt. Mit eher banalen Erscheinungen wie Pierre Vogel sieht die Sache aber doch etwas anders aus: der Außenseiter, der am Unbehagen an der Gesellschaft leidet, in die er hineingeboren wurde, wird in dem Moment zum “Insider”, in dem er die Konversion vollzieht.
Gerade der Anschluß an den Islam bedeutet die Teilhabe an einem totalen Gemeinschaftsmodell par excellence, an einer alle Lebensbereiche umfassenden Eingemeindung, die jeglichem Außenseitertum einen Riegel vorschiebt, und in dem folgerichtig auch der Bereich des Privaten vergleichsweise stark reduziert wird. Das kann natürlich auf Menschen, die unter der liberalen Atomisierung und Unverbindlichkeit leiden, einen großen Reiz ausüben und als Befreiung erlebt werden.
Zu Beginn seines Essays schreibt sich Strauß dagegen implizit die Rolle des “idiotes im antiken Wortsinn” zu, den er so definiert:
Idiot: der Unverbundene, der anderen Unbegreifliches spricht. Privatperson. Gemeinschaftsstümper. Idios: beiseite, abseits befindlich; den einzelnen betreffend, dem einzelnen zugehörig. Idioteía: Privatleben, Torheit.
Der englische Schriftsteller Colin Wilson beschrieb in seiner 1956 erschienenen Studie “The Outsider” (einst ein “Kultbuch”, heute weitgehend vergessen) einen Außenseitertypus, der mit dem von Botho Strauß entworfenem Bild weitgehend ident ist. Wilsons “Outsider” steht vor einem komplizierten Dilemma: er erlebt sein Außenseitertum als Entfremdung und Abgetrenntheit von den Mehrheitsmenschen und vom “wahren Leben”. Der starke Leidensdruck, der dadurch entsteht, läßt ihn danach trachten, diesen Zustand zu überwinden und zu beenden. Er wünscht sich im Grunde, ein “Insider” zu werden.
Dabei steht für ihn jedoch eine bloße Anpassung an die herrschenden Normen, deren Brüchigkeit er durchschaut hat, außer Frage. Er sucht dritte und vierte Wege. Das “Anderssein”, das ihn von der Mehrheit unterscheidet und absondert, ist vor allem Konsequenz einer tieferen Einsicht in das Chaos und die Misere, die unter der Oberfläche der sozialen Ordnungen und Konventionen brodeln. Es ist das Bewußtsein dieser ständigen Präsenz, das ihm diese Ordnungen als so gefährdet und so fragwürdig erscheinen läßt, oft auch als heuchlerisch, korrupt und verlogen, ja böse.
Genau dieses Bewußtsein für die “Vibrationen eines rumorenden Untergrunds” steht auch am Anfang von Strauß’ “Bocksgesang”:
Jemand, der vor der freien Gesellschaft, vor dem Großen und Ganzen, Scheu empfindet, nicht weil er sie heimlich verabscheute, sondern im Gegenteil, weil er eine zu große Bewunderung für die ungeheuer komplizierten Abläufe und Passungen, für den grandiosen und empfindlichen Organismus des Miteinander hegt, den nicht der universellste Künstler, nicht der begnadetste Herrscher annähernd erfinden oder dirigieren könnte. Jemand, der beinahe fassungslos vor Respekt mitansieht, wie die Menschen bei all ihrer Schlechtigkeit au fond so schwerelos aneinander vorbeikommen, und das ist so gut wie: miteinander umgehen können.
Das Lebens des “Outsiders”, wie ihn Wilson darstellt – unter anderem anhand von so unterschiedlichen Figuren wie T. E. Lawrence, Vincent van Gogh, Vaslav Nijinsky, Albert Camus oder Friedrich Nietzsche – ist gekennzeichnet von einer Suche nach Sinn und Bedeutung, nach der Überwindung von Leiden und Tod, und der Sehnsucht nach, um es mit Lawrence zu sagen, “der Macht des Selbstausdrucks in einer schöpferischen Form.”
Der “Outsider” hat nicht nur die Nichtigkeit seiner eigenen Existenz erkannt, sondern vor allem auch die Vanitas des “Flußstrudels zielstrebiger Menschen”, dieser emsig-beflissenen Lemminge, “Menschen im Konsens”, “Eingemeindete, Zugehörige eines wundersamen Einvernehmens. Zielstrebige Leute, doch über ihr Ziel täuschen sie sich alle” (Strauß).
T. S. Eliot hat dieses Empfinden in seinem Jahrhundertgedicht The Waste Land (1922) mit Dante-Paraphrasen ausgedrückt:
I see crowds of people, walking round in a ring. (…)
Unreal City / Under the brown fog of a winter dawn,
A crowd flowed over London Bridge, so many,
I had not thought death had undone so many.
Von der Grundsitutation dieses “existenziellen” Schocks aus verzweigen sich die Wege mannigfaltig: der Außenseiter kann einen religiösen oder politischen oder philosophischen oder künstlerischen Weg einschlagen; oder aber er kann dem “abenteuerlichen Herzen” in die Todesgefahr, in die Don-Quichotterie, in den Rausch, die Rebellion oder gar in die Selbstzerstörung folgen.
Er kann es auch vorziehen, in der Verneinung, im Skeptizismus oder im stolzen Trotz zu verharren, im Dämmerlicht des Daseins, weil nur dort Minervas Eule ihren Flug beginnt. Er kann es vorziehen, trotz seines Leidens im Zustand des Außenseitertums zu verharren, weil er hinter jeglichem Angebot, es aufzulösen, neue Täuschungen, Kompromisse und Korruptionen wittert.
So schreibt Strauß:
Eine moralische Position, die man mitunter “rechts” nennt, gibt es nicht korporiert. Rechts kann nur der Neugierige abseits stehen. Er hält eigentlich keine Position, sondern ist, wie gesagt, ein Idiosynkrat, den kollektive Selbsttäuschung, routinierter Gesinnungsbetrieb, intellektuelle Liebedienerei erschrecken. Er ist mithin eher eine Alarmanlage für eingeschlafene Füße des Geistes, ein Menetekel, daß “jeder erkletterte Thron zum Fußschemel eines neuen einschrumpft” (Jean Paul).
Ein letztes. Folgende Zeilen des Essays haben mich besonders frappiert:
Der Reaktionär ist Phantast, Erfinder (der Konservative dagegen eher ein Krämer des angeblich bewährten). Gerade weil nichts so ist, wie er’s sieht, noch gar nach seinem Sinn sich entwickelt, steigert er die fiktive Kraft seiner Anschauung und verteilt die nachhaltigsten Güter des Geistes oder des Gemüts. Oder die lange anhaltenden. Oder die im Erhalten sich erneuernden (um der entleerten Vokabel einen wenig variablen Sinn zu unterlegen.)
Alex Kurtagic verfolgt in dem Kaplaken-Band “Warum Konservative immer verlieren” im Grunde ein- und denselben Gedanken; der “Reaktionär” des Botho Strauß entspricht ungefähr dem “Traditionalisten” Kurtagics, wenngleich auch dieser andere Blickrichtungen im Visier haben mag.
ene
Wenn es auch nicht gleich zur "Bilderstürmerei" kommt - ich frage mich allerdings mitunter, wer sich eigentlich in bestimmten Kommunen zukünftig für die kostspielige Restaurierung alter Dorfkirchen mit Spuren mittelalterlicher Wandmalereien und dergleichen zuständig fühlen wird. Wen das in zwei Jahrzehnten noch interessiert, wer sich dafür engagiert, wer bereit ist zu spenden. Wenn Privatpersonen sich in solchen Fällen engagieren, hat das fast immer etwas mit ihrer eigenen Identität zu tun: "Ich möchte, daß der Kirchturm wieder so aussieht wie früher, da bin ich als Schüler täglich vorbeigegangen..." Wer dann überhaupt im "Denkmalschutz" noch eine selbstverständliche kulturelle Aufgabe sieht.
- Nur eine Randbemerkung zum vorliegenden Thema.