Depardieu, Millet und Jürg Altweggs Darmwindfixierung

Im Feuilleton der FAZ hat man, gerade in politischen Zusammenhängen, schon etwas länger einen seltsamen Hang...

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

zur Fixie­rung auf Kör­per­lich­kei­ten und dar­auf auf­bau­en­de Steg­reif-Psy­cho­ana­ly­se. Ein frü­hes Bei­spiel ist Her­mann Kurz­kes rezen­sio­nis­ti­sche Auf­ge­regt­heit (FAZ vom 11. April 1992) dar­über, daß Hans-Diet­rich San­der in einer Aus­ga­be der Staats­brie­fe das Geor­ge-Zitat (!) brach­te, dem rus­si­schen Men­schen feh­le das “Phal­li­sche”; selbst­ver­ständ­lich eine beson­ders bemer­kens­wer­te Stel­le in einer Zeit­schrift von erheb­li­chem Umfang. Der­lei zieht sich bis zum heu­ti­gen Tage durch, zuletzt in Anto­nia Baums fri­vo­ler Nar­ben­schau.

Am ver­gan­ge­nen Sonn­tag hat­te sich bereits Jürg Alt­wegg, des­sen Kern­kom­pe­tenz mir seit jeher schlei­er­haft ist, im Zuge sei­ner ste­ten Arti­kel­flut für den Plau­der­teil der alten Tan­te aus Frank­furt bereits mensch­li­cher Fla­tu­len­zen ange­nom­men. Kon­kret derer, die West­eu­ro­pas pro­mi­nen­tes­tem Steu­er­flücht­ling Gérard Depar­dieu ent­fleu­chen sol­len. Alt­wegg will so aus sei­nem Schwei­zer Wohl­fühl­ghet­to her­aus in einem Auf­wasch Depar­dieu für des­sen Reni­tenz gegen­über des einst geplan­ten gro­ßen fran­zö­si­schen Staats­pa­ra­si­tis­mus abwat­schen – und den Ver­fas­ser eines des­sen Auto­bio­gra­phie lite­ra­risch tran­szen­die­ren­den Essays dafür, daß er ist, wer er ist (mit Alt­wegg “der Paria der fran­zö­si­schen Intel­lek­tu­el­len”): Es han­delt sich um Richard Millet.

In die­sem Blog war Mil­let zuletzt vor über einem Jahr mit einem Inter­view zu Gast; auch die 52. Print­aus­ga­be der Sezes­si­on läßt sich zum Auf­fri­schen des Gedächt­nis­ses kon­sul­tie­ren. Jürg Alt­wegg indes scheint die sei­ner­zei­ti­gen Umstän­de, die zum Ver­lust von Mil­lets Lek­to­rats­pos­ten beim Gal­li­mard-Ver­lag führ­ten, ange­sichts der man­geln­den Detail­kennt­nis in sei­nem Arti­kel selbst nur vom Hören­sa­gen zu ken­nen oder sehr ober­fläch­lich im Inter­net nach­ge­le­sen zu haben; viel­leicht erbarmt sich ja Lorenz Jäger sei­ner und läßt ihm zu Weih­nach­ten die »Ver­lo­re­nen Pos­ten« Mil­lets zukom­men. Heut­zu­ta­ge, wo alle Ver­la­ge und Redak­tio­nen das Lek­to­rat weg­ra­tio­na­li­sie­ren, müs­sen sich nun ein­mal die Autoren wie­der selbst dar­über infor­mie­ren (not­falls bei Alain de Benoist), wovon sie eigent­lich schrei­ben. Zumin­dest wäre das bei einem Renom­mier­blatt wie der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen wünschenswert.

Man mag von der Per­son Depar­dieus, sei­nem toben­den Abgang nach Ruß­land und sei­nem fort­schrei­ten­den äußer­li­chen Ver­fall hal­ten, was man will: Von einem weit ent­fern­ten Buch­be­spre­cher aus einer Posi­ti­on der Wohl­stands­ver­wahr­lo­sung mit der­ar­ti­ger Her­ab­las­sung über­gos­sen zu wer­den, hat der Mann nicht ver­dient. Was er aller­dings ver­dient hat, ist eine Men­ge Geld – wes­we­gen Alt­weggs Pöbe­lei den mas­si­ven Alt­schau­spie­ler wohl kaum anfech­ten dürf­te, soll­te die­ser unwahr­schein­li­cher­wei­se dar­auf auf­merk­sam wer­den. Gewiß erklärt sich ein guter Teil der Bis­sig­keit des Schwei­zers auch aus dem maß­lo­sen Stau­nen dar­über, daß einer “sowas” ein­fach macht und damit auch noch durch­kommt. Ich möch­te mei­nen, daß nicht weni­ge gro­ße Ver­ris­se aus den Federn irgend­wel­cher zeit­wei­li­ger high-brows eine erheb­li­che Neid­kom­po­nen­te ent­hal­ten. Selbst wenn er sich sei­ne gemie­te­te Mei­nung noch soviel Geld kos­ten läßt, so kann sich ein halb­wegs anstän­di­ger Autor zwi­schen all dem rot­wein­süf­feln­den, iPad-tip­pen­den und wich­tig drein­schau­en­dem Groß­kopf­ge­lich­ter etwa auf der Frank­fur­ter Buch­mes­se ein­fach nicht wohl­füh­len: dann doch lie­ber “intel­lek­tu­el­ler Paria” sein.

Womit wir zurück bei Mil­let wären. Die aus sei­nen Essays spre­chen­de Desin­vol­tu­re und die völ­li­ge Erwar­tungs­lo­sig­keit, mit der er seit sei­ner Stig­ma­ti­sie­rung durch die Tugend­wäch­ter des fran­zö­si­schen Lite­ra­tur­be­triebs auf das intel­lek­tu­el­le Kas­per­le­thea­ter in sei­nem Hei­mat­land blickt, dürf­ten auch ihn vor see­li­schen Schä­den durch Alt­weggs Miß­fal­len bewah­ren. Ganz im Gegen­teil zum Schwei­zer, der die Fran­zo­sen noch immer im “Tau­mel des his­to­ri­schen Erin­nerns und Büßens für Vichy in eine[r] tiefe[n] Depres­si­on” sieht (und damit auf dem Stand sei­ner Mono­gra­phie zum The­ma von 1998 sta­gniert… oder soll­te er, wacke­rer Tromm­ler gegen Bevöl­ke­rungs­po­li­tik, hier etwa pro­ji­ziert haben?), hat sich Richard Mil­let trotz aller Anfein­dun­gen eine Schär­fe in Blick und Stil bewahrt und noch wei­ter aus­ge­prägt, die dan­kens­wer­ter­wei­se den Lite­ra­ten vom jour­na­lis­ti­schen Lohn­schrei­ber scheidet.

Wen die übli­chen Reiz­wor­te kalt­las­sen, mit denen Alt­wegg ziem­lich rou­ti­niert um sich wirft (“uner­träg­li­che[] Lei­ern über den Unter­gang des Abend­lands” etc. ad nau­seam), für den liest sich der bemüh­te Ver­riß eher wie eine Kauf­emp­feh­lung. Mil­lets Hal­tung, der ein Hauch heroi­scher Rea­lis­mus nicht abzu­spre­chen ist, macht zumin­dest deut­lich neu­gie­ri­ger als alles, was die poli­tisch-kul­tu­rel­le Essay­is­tik hier­zu­lan­de seit lan­ger Zeit zu bie­ten hat – eine deutsch­spra­chi­ge Ver­öf­fent­li­chung des betref­fen­den Texts bleibt zu erhof­fen. Daß Mil­lets jüngs­tes Buch wie­der bei Gal­li­mard ver­legt wird (für Alt­wegg gera­de­zu empö­rend), bezeugt jeden­falls, daß es sich bei sei­nen Wer­ken noch nicht um Sami­sd­at­li­te­ra­tur handelt.

Hin­sicht­lich Gérard Depar­dieu ist zu wün­schen, daß er trotz sei­nes Lebens­wan­dels noch recht lan­ge ein öffent­lich­keits­wirk­sa­mes Ärger­nis für die EU-Räte­herr­schaft blei­ben wird. Sein Aus­bre­chen aus der büro­kra­ti­schen Volie­re ist zwar ledig­lich auf­grund sei­ner Bekannt­heit und sei­nes Ver­mö­gens gelun­gen, doch soll­te des­sen Sym­bol­kraft nicht unter­schätzt wer­den. Und Alt­wegg, um den Namen end­lich ein letz­tes Mal zu erwäh­nen, hat durch sein Pam­phlet immer­hin eine bemer­kens­wer­te Begleit­mu­sik zur zeit­gleich ver­öf­fent­lich­ten und unfrei­wil­lig selbst­ent­blö­ßen­den War­nung vor Medi­en­kri­tik gelie­fert, zu der sich aus­ge­rech­net BILD­blog-Her­aus­ge­ber Ste­fan Nig­ge­mei­er bemü­ßigt sah – prä­zi­se ein Jahr zu spät, wie ein Blick ins Novem­ber­heft 2013 der Haus­zeit­schrift des Deut­schen Jour­na­lis­ten-Ver­bands ver­rät. Das Paria-Dasein ist attrak­tiv wie nie, dar­um: mehr Man­gel an Ver­söh­nung und Mut zur expres­si­ven Los­lö­sung.

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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