Lieber Herr Lichtmesz,
In der letzten Woche habe ich das Buch verschlungen, das Sie zusammen mit Caroline Sommerfeld geschrieben haben. Ihnen beiden ist ein echt großer Wurf gelungen, zu dem man nur gratulieren kann! Das fängt schon beim schicken Layout an: Schön, daß das Buch auch in seiner äußeren Farbgestaltung jener Pille ähnelt, die es inhaltlich zu sein beansprucht!
Die triadische Gliederung des Inhaltes ist sachlich zwingend: das Buch muß mit der Diagnose, nämlich mit dem Befund der Spaltung zwischen Rechts und Links beginnen, um dann in den folgenden beiden Teilen die Frage des Umgangs mit dieser Diagnose zu erörtern. Daß dann zunächst die (Un-) Möglichkeiten eines Dialogs zwischen den Lagern erörtert werden, bevor es um die Frage nach dem rechten Lebensentwurf geht, leuchtet ebenfalls ein. Denn am Ende müssen wir Rechten auch dann mit den Linken leben, wenn ein Gespräch nicht möglich ist, und selbst wenn es vereinzelt möglich sein sollte, so kommt es in allerletzter Instanz eben nicht nur darauf an, die eigene Haltung im Gespräch theoretisch zur Geltung zu bringen, sondern vor allem darauf, sie im Leben auch praktisch einzunehmen.
Bewundernswert sind Ihre genauen Beobachtungen, durch die sich der Leser zum großen Teil bestätigt sehen darf: Zum Beispiel deckt sich die Auflistung jener Ansichten, mit denen „man Linke triggern kann“, exakt mit meinen eigenen Erfahrungen (ich selbst streite besonders gerne über die Objektivität ästhetischer Rangkriterien und die Objektivität des Schönen, Wahren und Guten.) Sehr aufschluß- und hilfreich sind zudem die scharfsinnigen Zergliederungen linker Gesprächsstrategien; diese Passagen sind wahre Augenöffner! Um es kurz zu machen: Ihnen beiden ist ein ungemein kluges und tiefsinniges Buch gelungen, das trotz des beeindruckenden existenziellen Ernstes (vor allem in den individualethischen Passagen im vierten Teil, wo es um das “rechte Leben” geht) eine heitere Gelassenheit ausstrahlt. Denn nicht zuletzt ist es sehr flott und witzig geschrieben, sodaß es nicht nur lehrreich, sondern auch wahnsinnig unterhaltsam und kurzweilig geraten ist.
Ich will noch auf zwei Punkte eingehen, die mich bei der Lektüre des Buches (aber auch desjenigen von Martin Sellner über die IB) wieder beschäftigt haben. Sie betreffen jene Fragen, die mir früher Schwierigkeiten bereiteten, manche meiner rechten Einstellungen mit manchen meiner philosophischen Grundüberzeugungen zu vereinen. Es ist ja so, wie Sie schreiben: Man ist nie nur ein Rechter oder nur ein Linker, sondern trägt Aspekte beider Weltanschauungsfamilien in sich, was zuweilen zu inneren Widersprüchen führen kann, an denen man sich dann aber abarbeiten muß.
Die beiden Punkte, um die es mir geht, betreffen die rechte Kritik an einem platten Rationalismus und an einem abstrakten Universalismus.
In Ihrer Auseinandersetzung mit Daniel-Pascals Zorns “Logik der Demokratie” (die ich nicht kenne) verweisen Sie zurecht darauf, daß man eine bestimmte Meinung bereits wegen vorrationaler Ursachen vertrete, bevor man sich um rationale Gründe für diese Meinung bemühe, daß also die eigene Meinung letztlich nicht von rationalen Argumenten, sondern von zum Teil irrationalen Affekten etc. abhänge. Sie ziehen daraus den Schluß, daß logische Argumente häufig lediglich der Durchsetzung jener Meinungen dienten, denen man ohnedies schon emotional bzw. affektiv zugeneigt sei, das heißt ganz unabhängig von möglichen Argumenten für sie. Aus der von Ihnen eingenommenen (hier vor allem an Nietzsche erinnernden) Perspektive erweisen sich rationale Argumente als bloß strategische Instrumente zur Durchsetzung prä- oder irrationaler (Macht-) Interessen.
Ein Vertrauen in die Kraft rationaler Argumente, das diesen prä- oder irrationalen Subtext jedes Streitgespräches ausblendet, erweist sich in der Tat als hoffnungslos naiv. Aber um die relativistischen und machtpositivistischen Konsequenzen zu vermeiden, die sich meines Erachtens aus Ihrer Sichtweise ergeben, wenn man sie verabsolutiert (Platons “Gorgias” lässt hier grüßen), würde ich noch folgendes bedenken: Die Tatsache, daß ich zu einer bestimmten Meinung tendiere, hängt ganz sicher von vorrationalen Ursachen ab (etwa von meiner psychischen Disposition); allerdings hängt die mögliche Wahrheit meiner Meinung von Gründen ab, um die ich mich argumentierend bzw. rational bemühen muss. Und insofern sich nun alle Seiten innerhalb einer Diskussion bzw. eines Streitgespräches jenes Mittels rationaler Argumentation bedienen, erkennen sie alle die – Sorry! 😉 – argumentierende Vernunft als übergeordnete Richterin an, vor der sich alle Interessen zu rechtfertigen haben, vor der also auch die eigene Meinung bestehen können muß.
Und es ist ja tatsächlich so: So sehr unser subjektives Fürwahr‑, Fürgut- und Fürschönhalten von Affekten und Emotionen geleitet wird, so sehr können uns unsere Affekte und Emotionen auch täuschen und dahingehend in die Irre leiten, daß wir objektiv Falsches subjektiv für wahr, objektiv Böses subjektiv für gut und objektiv Häßliches subjektiv für schön halten. Insofern sollten wir unsere argumentierende Vernunft auch gebrauchen, um die eigenen Affekte kritisch zu hinterfragen.
Damit komme ich zu dem zweiten Punkt. Die rechten Affekte gegen bestimmte Begriffe kann ich nicht nur sehr gut verstehen, sondern zum großen Teil sogar aufrichtig nachempfinden. Begriffe wie „Demokratie“ oder „Menschenrechte“ sind von der Linken so sehr banalisiert und bagatellisiert, so sehr mißbraucht und diskreditiert worden, dass jeder anständige Mensch völlig zurecht eine unmittelbare Abscheu empfindet, diese Begriffe ohne Sarkasmus oder Ironie zu gebrauchen. Aber ist diese Abscheu – so verständlich sie sein mag – in jeder Hinsicht ein guter Ratgeber? Ich halte die vor allem identitäre Polemik gegen einen ethischen Universalismus aus mindestens drei Gründen für kontraproduktiv – einem historischen (1), einem logischen (2) und einem strategischen (3).
1. Die vor allem in der klassischen deutschen Philosophie ausgearbeitete Tradition eines ethischen Universalismus reicht bis in die Philosophie der griechischen Antike zurück, die ja (woran der von uns beiden verehrte Benedikt XVI. in seiner Rede vor dem Bundestag erinnert hat) neben dem römischen Rechtswesen und der jüdisch-christlichen Religion einer der drei ideengeschichtlichen Grundpfeiler der europäischen Identität ausmacht. Wenn die Identitären gegen den ethischen Universalismus polemisieren, wenden sie sich also selbst gegen einen wichtigen Aspekt der europäischen Identität.
2. Zudem ist der identitäre Ethnopluralismus auch aus systematischer Perspektive selbst eine universalistische Position. Die Identitären schreiben ja jedem Volk gleichermaßen ein unveräußerliches Recht auf seine ethnokulturelle Identität zu; ein solches universales und egalitäres Völkerrecht lässt sich aber nur im Rahmen einer universalen Ethik begründen. Daher würden sich die Identitären hoffnungslos in einen dialektischen Selbstwiderspruch verwickeln, wenn sie die Möglichkeit eines ethischen Universalismus bestritten. Sie würden an dem berühmten Aste sägen, auf dem sie selber sitzen.
3. Daher sollten sich Identitäre meines Erachtens noch expliziter darum bemühen, die Position eines ethischen Universalismus offensiv für sich zu beanspruchen, und deutlich machen, daß sie diese Position viel ernster als der linke Mainstream nehmen, indem sie etwa das Recht auf ethnokulturelle Identität nicht nur fremden Völkern, sondern auch dem eigenen Volk zusprechen (in der Reihenfolge). Diese Argumentation (die sie ja zum Teil schon anwenden) hat den strategischen Vorteil, daß Linke, die dagegen polemisieren, zeigen, daß es ihnen letztlich nicht um die Verwirklichung universaler Rechte geht, sondern sich hier von ihrem irrationalen Affekt eines deutschen Selbsthasses leiten lassen. Indem man den Begriff des ethischen Universalismus explizit für sich beansprucht, macht man es dem Gegner schwerer, einen als Feind der Menschheit etc. zu verunglimpfen.
In den Zusammenhang dieses Reframings gehört auch, daß ich die rechte Kritik am ethischen Universalismus dahingehend modifizieren würde, daß sie nicht pauschal gegen die Annahme universal geltender Rechte oder Werte gerichtet ist, sondern allein gegen jenen abstrakten Moralismus der Linken, der die Verwirklichung solcher universaler Werte anstrebt, ohne die konkreten empirisch-sozialen Bedingungen zu berücksichtigen, unter denen allein wir solche abstrakten Rechte und Werte verwirklichen können. Denn gerade wem es um die konkrete Verwirklichung solcher moralischer Normen geht, der muß zunächst nüchtern die Wirklichkeit in ihrer konkreten Beschaffenheit zur Kenntnis nehmen – und der darf nicht um abstrakter Ideale willen das gefährden, was bereits an moralisch Werthaftem in bereits bestehenden Traditionen, Institutionen etc. konkret realisiert ist. Oder wie Vittorio Hösle sagt: die Ethik muß sich aus ethischen Gründen selbst beschränken.
Es ist gut möglich, daß ich mit diesen Punkten an Pforten zu klopfen versuche, die bereits geöffnet sind [In der Tat! – M.L.] . Nicht nur in dem Falle hoffe ich, daß Sie meine Ausführungen nicht als ein Belehrenwollen mißverstehen. Daher möchte ich Caroline Sommerfeld und Ihnen abschließend noch einmal aufrichtig für eine lehrreiche und unterhaltsame Lektüre danken.
Mit herzlichen Grüßen und besten Wünschen,
Ein “Realo” aus Deutschland
Caroline Sommerfeld
Das ist in der Tat eine wesentliche Kritik, haben Sie vielen Dank, auch für das große Lob unseres Buches.
Der bekannte Spruch "What is universalism to the west is imperialism to the rest" (Samuel Huntington) ist der Ansatzpunkt "kommunitaristischer" und in gewisser Hinsicht auch identitärer Universalismuskritik. Die Gebrüder Hartmut und Gernot Böhme haben schon in den 90er Jahren in ihrem Kantkritikbuch "Das Andere der Vernunft" nicht bloß die irrationalen Grundlagen der Vernunftphilosophie (ausgehend von dem, was Nietze und Freud über vermeintlich rein rationale Motive sagen), sondern auch die historisch kontingente Entstehungsgeschichte der spezifisch abendländischen Rationalität und damit auch ihre begrenzte Geltung thematisiert.
Das Problem liegt meines Erachtens im Unterschied zwischen Genese und Geltung. Die Entstehung der (kantischen, abendländischen, Aufklärungs-, "weißen" Vernunft) ist in der Tat kontingent, und reicht daher trotz aller universellen Ansprüche nicht über ebendiesen Entstehungszusammenhang hinaus. Das meint auch der Slogan von Huntington, den viele Identitäre unterschreiben würden. Mit dem ideologiekritischen Blick sieht man die Vermessenheit, Verlogenheit und Gefährlichkeit des Universalismus. Mit diesem Blick ist der Universalismus selber ein später westlicher höchst voraussetzungsreicher Partikularismus.
Nun aber die Geltungsbedingungen (Hallo, Herr Zorn!). Das Besondere der kantischen Entdeckung der Vernunft ist ja, daß sie nicht bloß anthropologisch als menschliche Eigenschaft gefunden wird (also so, wie Aristoteles den Menschen als zoon logon echon beschrieb, das Tier, das Vernunft hat), sondern daß Rationalität ihre eigene Bedingung der Möglichkeit ist. Wenn man sich das als Ebenenmodell vorstellt, steht oberhalb der anthropologischen Vernunft (= der Mensch ist ein kluges, planendes, selbstreflexives Lebewesen) auf der, Kant würde sagen "transzendentalen", übergeordneten Ebene noch einmal die Vernunft. Sie ist dort angesiedelt die Voraussetzung, unter der freies rationales Denken überhaupt möglich ist, unter der man völlig unabhängig von den vielen kleinen empirischen Zusammenhängen, universelle Gesetzmäßigkeiten sieht, die jederzeit für jedermann prinzipiell gelten. Denen kann man sich nicht entziehen (auch wenn man gern irrational sein will, Kant nicht glaubt, oder sehr dumm ist oder einer archaischen Stammeskultur angehört oder sonst etwas).
Das heißt, alles in allem: Identitäre müßten Kantianer sein. Dann könnten sie auf der anthropologischen, historischen, ideologiekritischen Ebene berechtigterweise den falschen, linken, globalistischen Universalismus angreifen, wären aber transzendentalphilosophisch abgesichert, damit sie nicht das Kind der Rationalität mit dem Bade der Rationalitätskritik ausschütten. Ich wäre als Kantianerin dabei.