An dieser Einsicht führt kein Weg vorbei, wenn man die Analysen und Prognosen der Klima-Apokalyptiker ernstnimmt. Um dies aufzuzeigen, habe ich in den vorangehenden Teilen dieser Serie die Klimarettungspläne von “grünen Kapitalisten” (die Stakeholder von Davos) und “Klimaradikalen” (wie Andreas Malm) einander gegenübergestellt.
Im einen Fall wird ein globales technokratisches “Management” als Lösung angeboten: Verantwortungsbewußte wirtschaftliche, politische und wissenschaftliche Eliten arbeiten fleißig an der Entwicklung von “grünen Technologien” und “Netto Null”, während die Massen durch “Nudging” und andere Arten der sozialen Kontrolle zu klimafreundlichen Verhaltensänderungen, “Lebensstilen” und Konsumeinschränkungen bewegt werden: Weniger konsumieren, weniger Auto fahren, weniger Fleisch essen undsoweiter.
Im anderen Fall soll eine Klima-Weltrevolution nach sowjetkommunistischem Vorbild zur Enteignung und Schließung klimafeindlicher Industrien führen, zur vollständigen Abschaffung von fossilen Brennstoffen, zur radikalen Reduktion des Verkehrswesens zu Land, zu Luft und zu Wasser. Mit im Paket sind typisch linke Ideen: “Klimagerechtigkeit”, “Menschenrechte”, globale Umverteilung von Reichtum und Gütern, Antikolonialismus, Antikapitalismus, Antirassismus usw.
Das Problem für diese Art von Klimaradikalismus ist, daß ihr ein geschlossenes und zahlenmäßig ausreichendes “revolutionäres Subjekt” fehlt, sozusagen eine internationale Klasse der “Klimaproletarier”. Fridays for Future, Extinction Rebellion, Ende Gelände (und wie sie alle heißen) sind rein westliche Phänomene, leben vom Medienhype und sind vor allem für junge Menschen mit “liberal guilt”-Symptomen aus bestimmten urbanen, links-bourgeoisen Milieus attraktiv.
Auch das “klimakommunistische” Rettungs-Szenario hängt wie das “klimakapitalistische” davon ab, ob es gelingt, “effiziente und nachhaltige Technologien für erneuerbare Energien” (Elektrizität durch Wind und Sonneneinstrahlung) bzw. “Technologien zur Kohlendioxidbeseitigung” (Andreas Malm) zu entwickeln. Aber wenn solche Technologien möglich sind, wer sonst außer der in Davos versammelten Aristokratie der “öffentlich-privaten Partnerschaft” soll befähigt sein, sie zu erfinden, zu produzieren und zu verteilen?
Dies führt uns zu dem mutmaßlichen Grund, warum die radikalsten Klima- und Umweltschützer, die Gewalt befürworten, keine organisierte Anhängerschaft haben und im wesentlichen Solitäre geblieben sind: Sie haben keine utopischen oder “humanistischen” Versprechungen anzubieten; sie träumen nicht von “grünen” Ersatztechnologien, sondern wollen die moderne Technologie überhaupt abschaffen; sie versprechen keine Güterumverteilungen und globale “soziale Gerechtigkeit”, sondern ermahnen zur Rückkehr zu einem asketischen, naturnahen, arbeitsamen, riskanten Leben, wie es vor der industriellen Revolution üblich war. Eine solche Aussicht ist einleuchtenderweise nur für sehr wenige Menschen attraktiv.
Dabei denke ich vor allem an zwei Namen: den Amerikaner Ted Kaczynski (*1942) und den Finnen Pentti Linkola (1932–2020).
Der “Unabomber” Kaczynski ist ein “echter” Terrorist, der in seinem Manifest “Die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft” (eine bessere und vollständigere Übersetzung gibt es in dem Buch zum Film Das Netz von Lutz Dammbeck) die komplette Zerstörung des herrschenden industriell-technologischen Systems forderte.
Im Falle von Kaczynski war nicht nur das unmittelbare Leiden an der Naturzerstörung treibende Kraft (wie Jonas Schick hier anmerkte), sondern vor allem ein leidenschaftlicher “anarchisch-libertärer” Freiheitsdrang (worin er unter anderem von Henry David Thoreau und Jacques Ellul beeinflußt war). Die industrielle Revolution war in Kaczynskis Augen “eine Katastrophe”, die zur seelischen und körperlichen Zerrüttung und Versklavung der Menschheit geführt habe.
In Absatz 169 seines Manifests (das 1995 erstmalig publiziert wurde und dessen erste Fassungen bereits in den siebziger Jahren entstanden sind) kommt auch der “Klimawandel” vor, allerdings nur als ein destruktiver Aspekt unter vielen:
Das System ist die Ursache vieler Leiden in Vergangenheit und Gegenwart auf der ganzen Welt. Alte Kulturen, in denen Menschen Jahrhunderte lang im Einklang miteinander und ihrer Umwelt lebten, wurden durch den Kontakt mit der industriellen Gesellschaft zerstört, und das Ergebnis war eine lange Liste von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, psychologischen und Umweltproblemen.
Eine Folge des Eindringens der industriellen Gesellschaft war, daß überall in der Welt die natürliche Kontrolle des Bevölkerungswachstums aus dem Gleichgewicht geraten ist. Daher die Bevölkerungsexplosion mit all ihren Folgen. Eine andere Folge sind die in den vermeintlich glücklichen Ländern der westlichen Welt weit verbreiteten psychologischen Krankheiten. Niemand kann jetzt schon die Folgen des Ozonlochs, des Treibhauseffekts oder anderer Umweltprobleme voraussagen.
Am meisten fürchtete Kaczynski jedoch die technologische “Sklaverei”, wie er explizit formulierte. Individuen und Gruppen werden durch den “Fortschritt” entwurzelt, ihrer Autonomie beraubt und unerbittlich den “Sachzwängen” des Systems unterworfen. Siehe etwa Absatz 130 des Manifests:
Technologie entwickelt sich mit großer Geschwindigkeit und bedroht die Freiheit an vielen Stellen gleichzeitig (Überbevölkerung, Gesetze und Vorschriften, zunehmende Abhängigkeit der Einzelnen von großen Organisationen, Propaganda und andere psychologische Techniken, Genmanipulation, Eingriffe in die Privatsphäre durch ständige Überwachung und Computer).
Auch nur eine EINZIGE dieser Bedrohungen der Freiheit abzuwenden, würde einen langen und schwierigen sozialen Kampf erfordern. Diejenigen, die die Freiheit schützen wollen, werden von der bloßen Anzahl immer neuer Angriffe und der Schnelligkeit der Technologieentwicklung überwältigt, sodass sie apathisch werden und den Widerstand aufgeben. Auf Erfolg kann man nur hoffen, wenn das technologische System als Ganzes bekämpft würde; aber dies wäre Revolution und nicht Reform.
Wie eine post-technologische Gesellschaft aussehen soll, interessiert Kaczynski dabei weniger, als die Dringlichkeit, das jetzige technologische System vollständig zu vernichten, egal, mit welchen Mitteln. Er verspricht kein Utopia, keine maschinenbefreite Natur-Idylle; der Preis der Freiheit bedeutet erneut, den Naturgewalten, und mit ihnen Hunger, Sturm, Dürre, Flut, Kälte, Hitze usw. ohne die Hilfe moderner Technologie gegenüberzustehen. Und er ist sich im Klaren, daß keine Revolution unblutig und gewaltfrei verlaufen kann.
Artverwandt mit Kaczynski war der finnische Naturforscher Pentti Linkola, eine außerordentlich faszinierende Gestalt, der ich 2020 diesen Nachruf und 2021 eine längeres Autorenportrait in der Kehre gewidmet habe. Ich empfehle, diese Beiträge zu lesen, da ich im folgenden nur knapp wiederholen werde, was ich darin ausgeführt habe.
Wie Kaczynski führte auch Linkola ein konsequent asketisches, eigenbrödlerisches Leben: Jahrzehntelang lebte er als einfacher Fischer in einer kleinen Holzhütte im Wald unter weitgehendem Verzicht auf Technologie und modernen Komfort.
Andreas Malm, Greta Thunberg, Luisa Neubauer oder “Chemsex”-Fan Tadzio Müller sehen nicht wirklich so aus, als würden sie viel Lebenszeit in der freien Natur verbringen – Linkolas furchiges, wettergegerbtes, ernstes Gesicht erzählte hingegen eine ganz andere Geschichte. Er lebte sein Leben lang in, mit und von der Natur, und wußte ebenso um ihre erhabene Schönheit wie um ihre Härte und Brutalität.
Sein Ansatz war weniger philosophisch oder “idealistisch” als jener des amerikanischen Waldgängers; für ihn war tatsächlich das nackte Entsetzen über die Vernichtung der Natur, insbesondere in seiner finnischen Heimat, die entscheidende Triebkraft. Wie Greta Thunberg glaubte er, daß die Menschheit auf eine beispiellose “Massenvernichtung”, auf einen gigantischen ökologischen Kollaps zusteuere, und das nicht bloß wegen des “Klimawandels”. Entsprechend radikal müsse gehandelt werden.
Verglichen mit Linkola wirken die gängigen Klima-Extremisten wie ein Haufen veganer Plüschbären. Wenn Kaczynski der “Öko-Anarchist” ist, dann war Linkola so etwas wie der “Öko-Faschist” unter den Umweltschützern.
Da es ihm völlig egal war, was die Öffentlichkeit über ihn dachte, konnte er sich eine brutale, direkte Ehrlichkeit leisten. Er hatte nicht das geringste Interesse an “sozialer Gerechtigkeit”, “Menschenrechten” oder “Gleichheit”, und schon gar nicht an der “Demokratie”, die er als die dümmste und schädlichste aller Regierungsformen verachtete, da sie auf den stetig wechselnden, narzisstischen und maßlosen Begierden der Menschen beruhe. Demokratie sei nichts anderes als ein “Todeskult”, eine “suizidale Regierungsform”, erfunden vom “Tyrannen der Menschheit, der westlichen Welt.”
Stattdessen schwebte ihm eine rigorose “grüne Diktatur” vor, in der das Verhalten des Einzelnen streng kontrolliert wird (einige Punkte ihres Programms habe ich hier beschrieben). Eine solche sei notwendig, da die allermeisten Menschen zum verantwortungsvollen Gebrauch ihrer Freiheit gar nicht befähigt seien.
2011 äußerte er in einem Interview, “die Freiheit des Einzelnen ist schlicht und einfach die Freiheit, die Welt zu zerstören. Das ist die Freiheit des Menschen, und so nutzt er sie auch.” Eine Demokratie, “in der es Konsum- und Produktionsfreiheit gibt”, sei deshalb “das Schlimmste, was es gibt. Je drakonischer die Diktatur, desto besser”, fuhr er fort, “nur so ist der Mensch gefangen und kann nicht so viel Zerstörung anrichten.”
In Linkolas “Ökodiktatur” wären private Kraftfahrzeuge verboten, der Verkehr würde hauptsächlich mit Fahrrädern und Ruderbooten stattfinden. Die Nutzung von Elektrizität würde streng eingeschränkt. Die industrielle Produktion sollte nur “bei bestimmtem, gut begründetem Bedarf gestattet” werden, während das Volk dazu erzogen werden sollte, Gebrauchsgegenstände gut zu pflegen, um sie möglichst lange benutzen zu können. Linkolas Speiseplan fürs Volk sah neben viel Fisch auch Ratten und wirbellose Tiere vor. Der Schulunterricht sollte sich auf praktische Fähigkeiten konzentrieren, jegliches Konkurrenzdenken sollte entmutigt und eliminiert werden.
Linkolas Hauptsorge, für die ebenfalls der Staat und die “grüne Polizei” zuständig sein sollte, war jedoch die Geburtenkontrolle. Sein Denken kreiste um die simple Feststellung, daß Wirtschaftswachstum, Überbevölkerung und Naturschutz nicht miteinander in Einklang zu bringen sind, woran auch die ausgeklügeltste Technik nichts ändern könne.
Je mehr Menschen, umso mehr Ressourcen‑, Energie- und Nahrungsmittelverbrauch – eine Formel, die selbst in vorindustriellen oder industriearmen Gesellschaften Gültigkeit hat. Wieviel mehr in energieintensiven Zivilisationen, die auf ständiges Wachstum hin angelegt sind!
Das ist ein Punkt, der mir unwiderlegbar erscheint.
Daher sah Linkola in der Überbevölkerung die eigentliche Mutter aller ökologischen (und sozialen) Probleme, ob im nationalen (eine Bevölkerung von fünf Millionen Finnen erschien ihm geradezu frevelhaft viel) oder globalen Rahmen. Sie läge auch dem “menschengemachten Klimawandel” zugrunde, der nach gängiger Doktrin weitaus weniger relevant wäre, wenn auf der Erde weniger Menschen leben und ihre “Co2-Fußabdrücke” hinterlassen würden.
Der Mensch galt Linkola als eine Spezies unter vielen innerhalb des Ökosystems, ohne besondere Vorrechte gegenüber anderen Tier- oder auch Pflanzenarten. Das einzige, das den Menschen gegenüber anderen Tierarten auszeichne, sei seine Fähigkeit zur Produktion von Kultur:
Was im menschlichen Leben wertvoll ist, das sind, kurz gesagt, Wissenschaft, Kunst, Wertesysteme und Zivilisation. Aber auch deren Umfang sollte nicht zu groß sein. Egal, wie wertvoll die Juwelen der Musik sind, wir haben immer noch zu viele Orchester und zu viele Komponisten und zu viele Theater und Maler. Deshalb sollte es auch an Kultur nicht mehr geben, als der Planet ertragen kann, obwohl der Wert des Menschen ausschließlich in der Kultur liegt.
Wenn eine Spezies Überhand nimmt, und das ökologische Gleichgewicht eines Lebensraums derart stört, daß das Überleben anderer Arten auf dem Spiel steht, kann und darf sie dezimiert werden (dies forderte er übrigens für die in Finnland ursprünglich raumfremden Katzen und Nerze).
“Angesichts eines erdrückenden Leichentuchs von sechs Milliarden Menschen, das die Oberfläche der Erde bedeckt, mitsamt all ihren Forderungen, ist der Pazifismus tot”, schrieb derselbe Mann, der seine Karriere als Autor mit pazifistischen Texten begonnen hatte. Folgerichtig hat er immer wieder Sympathien für Terroristen aller Art geäußert, unter anderem für den “Unabomber” Kasczynski und die (vermeintlichen) Attentäter vom 9. September 2001.
In der Natur bedeutet der Verlust von Individuen wenig, solange die Spezies nicht gefährdet ist. Nicht anders sah Linkola die Stellung des einzelnen, individuellen Menschen, sich selbst keineswegs ausgenommen. Die moderne Technik hatte die Balance von Leben und Sterben zerstört, indem sie fatalerweise Hunger, Krankheiten, Kindersterblichkeit und andere Arten der natürlichen Bevölkerungsreduktion abgeschafft oder zumindest abgemildert hatte.
Aus diesem Grund lehnte Linkola auch jegliche “humanitäre Hilfe” für Drittweltländer ab:
Man muß bei der Geburtenrate ansetzen. Nichts anderes ist wirklich nötig, um den Klimawandel und diese Aussterbewellen von Tieren und Pflanzen und Pilzen und all dies zu stoppen. Darum soll man auf keinen Fall Gebieten, die unter Hungersnöten leiden, von außen Hilfe leisten. Wenn es nicht genug Nahrung gibt, dann sollen diese Menschen an Hunger sterben, wie es in der Schöpfung eben geschieht.
Wo nun der “Kommunist” Andreas Malm lange um den heißen Brei herumredet (Gewalt ja, aber nicht gegen Menschen, Kommunismus ja, aber bitte kein “Autoritarismus”, staatlich erzwungener Ausstieg aus fossilen Brennstoffen ja, aber bitte nur über demokratische, parlamentarische Prozesse etc.), nahm sich Linkola kein Blatt vor den Mund.
Aus dem Interview von 2011:
Frage: Sie halten es also für legitim, Gewalt anzuwenden, um die Demokratie zu beenden und eine Diktatur zu errichten?
Linkola: Ja. Kurz gesagt, um Leben zu retten. Wegen der Bevölkerungsexplosion. Diese Zahlen sind ein Ding der Unmöglichkeit, es sollten fünf Milliarden Menschen weniger sein und dann gäbe es eine gewisse Hoffnung auf Fortbestand. In jedem Fall sind Disziplin, Verbote, Zwang und Unterdrückung gute Konzepte. Ohne sie ist es nicht möglich, über das menschliche Wesen nachzudenken, ich meine in dem Sinne, dass das Leben auf der Erde langfristig fortbestehen kann.
Die Klima-Kapitalisten, ‑Sozialisten und ‑Globalisten, die heute den Klimanotstand ausrufen, und uns Rettung verheißen, würden niemals die Ehrlichkeit besitzen, so zu sprechen. Aber vermutlich meinen sie es auch mit der Klimarettung nicht ehrlich.
– – –
Weiterführende Links:
Aufsätze von Pentti Linkola (1993–2016) auf Englisch
Ausführliches Portrait und Interview mit dem finnischen Magazin Quadrivium (2014)
t.gygax
Vegane Plüschbären-das ist gut....Überbevölkerung:da sieht ML nicht, daß das bereits bei Gruhl und seinem "geplünderten Planeten" falsch war. Bei Linkola etc . sehe ich hier eher einen grundsätzlichen Menschenhass, vielleicht auch versteckt eine Verneinung des Lebens. "Die Erde hat genug für die Bedürfnisse aller, aber nicht für die Gier weniger", so ein französischer Ökobauer und Vater von 8 Kindern 1987 zu mir.