Das Angstszenario der Eliten ist bislang nicht eingetreten, das Versprechen des Widerstands muß auf den Straßen noch eingelöst werden. Die ersten Kundgebungen lassen bereits jetzt drei Schlußfolgerungen zu.
Zuallererst muß man klarstellen: die ersten Großkundgebungen im September waren immer schon Testläufe. Sie zeigen, ob dem Widerstand das „Übersommern“ gelungen ist. Allzuoft schlafen über die warmen Monate Kommunikation und Routine außerparlamentarischer Organisationen ein, was zur Auflösung der Widerstandsstrukturen führt.
Davon war nichts zu bemerken. Die Dezentralisierung und Regionalisierung des Coronawiderstands in den Montagsdemos führte offenbar zur Bildung dauerhafter lokaler Mobilisierungspotentiale.
Die zweite Erkenntnis aus den ersten größeren Demos ist das erste Scheitern der Linken. Wie viele andere rechte Analysten vermutete ich, daß es der deutschen Linken aufgrund ihres traditionellen Nationalmasochismus nicht gelingen würde, den populistischen Straßenprotest zu prägen.
Ausgerechnet in Leipzig, wo wenige Jahre zuvor linke Straßenbanden LEGIDA vertrieben hatten, dominierte ein Zug der „Freien Sachsen“ die Stadt. Die Demo der „Linken“ wirkte dagegen bieder und langweilig. Deutschlandfahnen fehlten völlig.
Der Versuch, in Österreich durch die Systemgewerkschaft „ÖGB“ unter dem platten Motto „Preise runter“ einen linkspopulistischen Protest zu starten, fand am 17.9. statt. Wie in Leipzig fehlt eine vorbehaltlose geopolitische Analyse und damit jede tiefergehende Kritik an der Ursache der Preissteigerungen. Klare Forderungen, wie „Nordstream 2“ zu öffnen oder den Sozialmißbrauch Fremder zu beenden, sind völlig tabu.
Doch nur wer den Mut zu klarer Analyse und klaren Forderungen hat, wird die Masse für sich gewinnen. Und nur wer den Schneid hat, seine eigene Nationalfahne zu zeigen, kann auch das eigene Volk auf der Straße anführen.
Die dritte Lektion aus der ersten Demowelle lautet in meinen Augen, dass die „4. Welle“ einen Nachbrenneffekt hat. Götz Kubitschek listete in seiner Artikelserie Euro-Rettung, Migrationskrise, Coronapolitik und Ukrainekrieg als vier prägende Krisen auf, die in Deutschland ein neurechtes Protestpotential auf den Plan riefen.
Sowohl die Migrationswelle 2015 als auch die Coronapolitik waren unmittelbar auf Entscheidungen einer bestimmten Personengruppe zurückzuführen und zeichneten sich durch ihr plötzliches Eintreten, die klare politische Verantwortung und ihre ikonische Eindeutigkeit aus.
Die arabischen Kolonnen, die sich durch europäische Felder wälzen, die Grenzposten, die überrannt werden, die Turnhallen, die über Nacht zu Asylheimen werden, und Merkels „Wir schaffen das“, sind eindeutige klare Signale. Sie traten ebenso plötzlich und unübersehbar auf wie Maskenzwänge, Ausgangssperren und die Ankündigung eines Impfzwangs.
Die massive Verarmung, die Preissteigerung und die Zerstörung der deutschen Industrie im Zuge des Ukrainekrieges haben nicht den Charakter eines Dekrets. Ihnen fehlt die Plötzlichkeit und das eindeutige Symbol. Dementsprechend fällt es dem Protest auch schwerer, Verantwortliche zu nennen und klare Forderungen zu stellen.
Selbstverständlich ist die Regierung – vertreten durch Habeck und Baerbock mit ihrer Sanktions‑, Kriegs- und Energiepolitik – verantwortlich. Die Überfremdung und der Freiheitsentzug „per Dekret“ wie bei den letzten beiden Krisen fehlen allerdings in dieser Form.
Vor allem setzt die Verarmung allmählich und in unterschiedlicher Geschwindigkeit ein. Während ein neues Asylheim ein ganzes Dorf, ein Maskenzwang eine ganze Nation auf einen Schlag politisiert, ist dies bei einer Preissteigerung nicht der Fall. Der eine hat noch ein geerbtes Haus, das er belasten kann, der andere bekommt eine Abfindung von seiner Firma bezahlt. Am Ende wird ein großer Teil des Mittelstands ins Prekariat, und das Prekariat dank dieser Politik wohl unweigerlich ins Elend stürzen. Doch die direkten Protesteffekte könnten noch einige Zeit auf sich warten lassen.
Die dritte Lektion aus dem Beginn des heißen Herbstes soll also Erwartungen dämpfen. Tatsächlich überraschte mich die Masse an Protestierenden gerade aufgrund des lauen Spätsommers positiv. In meinem letzten strategischen Beitrag schlug ich eine grobe Formel für die Erfolgschancen des gewaltfreien Widerstands vor:
(People Power (Masse x Organisation x Botschaft x Strategie) + materielle Lageverschärfung – (Repression + Resilienz).
Die Lageverschärfung führt automatisch zu einer Steigerung des Mobilisierungspotentials. Auch eine schlechte Kommunikation und eine mangelhafte Organisation können eine durchschlagende Wirkung erzielen. Ohne die richtige Strategie verpufft aber das gesamte Potential folgenlos. Im schlimmsten Fall – Götz Kubitschek hat darauf hingewiesen – führt der Fokus auf falschen oder unerreichbaren Zielen sogar zu einem Enttäuschungs- und Überspannungseffekt, der die eigenen Kräfte der Repression aussetzt.
Er schlägt deshalb einen Fokus auf den Osten und insbesondere auf Thüringen vor. Dem ist zuzustimmen. Dort kann am ehesten aus metapolitischer Dominanz auf der Straße sowie in den Medien parlamentarische Gestaltungsmacht werden. In der Flut, die uns nach vorne tragen kann, müssen rechtzeitig Pflöcke in die politische Landschaft geschlagen werden, bevor Ebbe und Repression uns wieder zurückdrängen.
Doch über diesen lokalen Fokus der Proteste müssen wir uns fragen, wie wir das gesteigerte Protestpotential konkret in politische Macht transformieren können. Strategische Irrwege wie eine militante Machtübernahme oder quasireligiöse Hoffnungen von Q‑Anon bis Putin können wir ausschließen. Der Parlamentspatriotismus hilft uns im „heißen Herbst“ wenig, da (bis auf die Landtagswahl in Niedersachsen) weder bundesweit noch lokal Wahlen anstehen.
So bleibt nur die Leitstrategie der Reconquista, in der politische Gestaltungsmacht durch metapolitische Dominanz erlangt wird. Hier bieten sich wiederum zwei Modi: der „social change“ und der „regime change“.
Ersterer setzt auf eine Verschiebung des Overtonfensters und eine indirekte Beeinflussung der machthabenden Politiker. Letzterer wird als „Königsdisziplin“ der „Nonviolent Action“ dann schlagend, wenn eine Demokratie de facto zu einer Diktatur mutiert ist, oder die Dringlichkeit kein Abwarten bis zu regulären Wahlen zulässt. Das konnten wir von westlich-liberaler Seite beim ukrainischen Euromaidan beobachten, der Janukowitsch vor Ende seiner Amtszeit aus dem Amt „putschte“, um ein Abkommen mit Rußland zu verhindern.
Ein „Deutscher Maidan“ in Berlin – auch hier stimme ich Götz Kubitschek zu – ist nicht sehr wahrscheinlich (wenn auch nicht völlig ausgeschlossen). Doch eine „Regionalreconquista“ und ein „Ostmaidan“ wären denkbar. Konzentrieren sich die Proteste auf bestimmte Regionen, und werden Bürgermeisterwahlen, wie etwa in Cottbus, zu Stellvertreterkämpfen für eine bundesweite Wende, kann eine kritische Masse erreicht werden. Das grobe Konzept der Reconquista besteht im Aufbau von „people power“ durch Demonstrationen, Aktionen, Elitenbildung, Kultur und Öffentlichkeitsarbeit. Theoriebildung, Gegenöffentlichkeit, Gegenkultur und Bewegung wirken hier im Idealfall mit der Partei zusammen.
Reicht diese metapolititische Macht auf der Straße und in der Gesellschaft nicht für einen Politikwechsel aus, und wird seine natürliche, evolutionäre Kraft durch Repression und Zensur unterdrückt, so verlangt die Revolutionstheorie den „regime change“. Massenhafte Gehorsamsverweigerung, die sich in Blockaden wie in Kanada und den Niederlanden oder Platzbesetzungen wie am Maidan und am Tahirplatz manifestieren kann, übt gewaltlosen Zwang aus. Dieser führt zu einer Verhaltensänderung der Politik oder zu Neuwahlen.
Ist das in Thüringen und anderen östlichen Bundesländern oder gar der ganzen Bundesrepublik in den kommenden Monaten realistisch? Das hängt einerseits von der Lage ab.
Andererseits kommt es aber auch auf Organisationskraft, Strategie und Botschaft des rechten Lagers an. Hier müssen rasch Entscheidungen fallen. Welche Forderungen und Begriffe werden in den Mittelpunkt gestellt? Wo läßt sich ein symbolischer Sieg erzielen?
Wenn eine mögliche Migrationskrise die Energiekrise nicht überlagert, so werden die Themen letzterer die Ziele des Widerstandes vorgeben. Die rechte Theoriebildung ist gefordert, Partei und Bewegung sobald als möglich die entscheidenden Theorien, Narrative, Forderungen und Parolen zum „heißen Herbst“ zu liefern.
Die Identitäre Bewegung liefert mit der „Aktion Solidarität“ einen Ansatz und präsentiert die Leitbegriffe „Autarkie, Souveränität, Remigration“. Die Forderung „Nordstream 2“ öffnen, wurde bereits mit einer spektakulären Aktion untermauert. Der Schraubenschlüssel, mit dem einer der Aktivisten das Gelände der Empfangsstation in Lubmin betrat, hat das Zeug zu einem Protestsymbol.
Selbst wenn hochgesteckte Ziele in den kommenden Monaten nicht erreicht werden können, so ist es in jedem Fall möglich, das patriotische Protestmilieu stärker auszubauen und die AfD aus ihrer Talsohle zu führen. (Daniel Fiß lieferte hier den politikwissenschaftlichen Beleg dafür). Es lohnt sich, den „heißen Herbst“ als Feldzug zu betrachten. Selbst wenn die gegnerische Hauptstadt nicht erreicht wird, ist es möglich, einen Raumgewinn zu erzielen. Dazu müssen alle „Waffengattungen“ unseres Lagers – sprich Partei, Bewegung, Gegenöffentlichkeit, Gegenkultur und Theoriebildung – harmonisch zusammenarbeiten.
Jede Kundgebung und Wahl ist eine kleine Schlacht. Am 8. Oktober steht die nächste außerparlamentarische Bewährungsprobe bei der Demo in Berlin an. Einen Tag später findet die Stichwahl zwischen dem SPD-Funktionär Tobias Schick und Lars Schieske von der AfD in Cottbus statt. Jeder kann seinen kleinen oder größeren Beitrag leisten, daß wir gewinnen.
– – –
Bleiben Sie auf dem neuesten Stand:
Abonnieren Sie hier unseren Telegramm-Kanal.
Abonnieren Sie uns hier bei twitter.
Tragen Sie sich hier in unseren Rundbrief ein.
MARCEL
"Ostmaidan" klingt gut und eine Regionalisierung des Widerstands bietet sich natürlich an (was verloren ist, bleibt erstmal verloren und lohnt keinen Einsatz)
Wer hat den längeren Atem, wer die größere Substanz?
Wo ist eine punktuelle Eskalation möglich/geboten, damit es nicht zum berechenbaren Ritual erstarrt? (Maidan eskalierte letztlich - und genoss vermutlich ausländische "Schützenhilfe")
Jede Regionalisierung birgt in letzter Konsequenz (und letzten Konsequenzen nähern wird uns) einen Separatismus in sich.
Um im Bild zu bleiben: Donbass und/oder Maidan...