Kritik der Woche (44): Peters, Zeh, Urban

Können wir zwei neue Romane – von Christoph Peters und von Juli Zeh/Simon Urban – guten Gewissens empfehlen?

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Und wes­halb die­se bei­den? Weil sie sich – bei­de unter der Hand und “wie üblich”, also mit  all­fäl­li­gen Distan­zie­run­gen – mit der (zumal in der neue­ren Lite­ra­tur) ver­nach­läs­sig­ten, rech­ten Kli­en­tel beschäf­ti­gen, und zwar nicht durch­weg despektierlich.

Daß sich Rechte/“Rechte“ – wer wüß­te es bes­ser als wir, die wir neben einem ein­schlä­gi­gen Ver­lag einen Buch­han­del betrei­ben! – nur sehr fokus­siert mit Schö­ner Lite­ra­tur beschäf­ti­gen, hat arg ver­kürzt fol­gen­den Grund: Die wich­ti­gen Klas­si­ker hat man ohne­hin im Regal ste­hen. Was zeit­ge­nös­sisch nach­kommt, wenn es nicht Ras­pail oder Hou­el­le­becq heißt, lohnt die Lese­zeit nicht.

Das stimmt natür­lich: Ein Gut­teil der aktu­el­len Roma­ne quirlt Zeit­geist. Für mich bleibt jedoch fas­zi­nie­rend, daß selbst komi­sche lin­ke Vögel wie Sibyl­le Berg, T.C. Boyle, Micha­el Köhl­mei­er oder jüngst Bez­had Karim Kha­ni (etc.pp.) enorm lesens­wer­te Pro­sa produzieren.

Ich will das alles nicht mis­sen. Ich mag hier erneut Oscar Wil­de zitie­ren: „Ob jemand Wech­sel fälscht, sagt nichts über sein Gei­gen­spiel.“  So ist es doch!

Nun haben wir zum einen den viel­fach preis­ge­krön­ten Schrift­stel­ler Chris­toph Peters, 1966 in Kal­kar gebo­ren. Ich selbst bin vor Jah­ren über sei­ne Ehe­frau Vero­ni­ka, gleich­falls Schrift­stel­le­rin, auf Peters gesto­ßen. Vero­ni­ka Peters hat­te zwölf Jah­re als bene­dik­t­i­ni­sche Non­ne gelebt, was mei­ne Neu­gier weckte.

Ihren lite­ra­ri­schen Aus­stoß fand ich (lei­der) dürf­tig; sei­ner ( Chris­toph Peters arbei­te­te vie­le Jah­re haupt­be­ruf­lich als Flug­gast­kon­trol­leur in Frank­furt, sei­ne Lei­den­schaft zu Japan durch­zieht etli­che sei­ner Bücher) war ergie­bi­ger, wenn auch nie wirk­lich „künst­le­risch wert­voll“. Man liest das so und ist eini­ger­ma­ßen unter­hal­ten, mehr ist nicht. Hier spru­delt einer Ideen – wie lustig.

Mit sei­nem neu­en Roman ver­läßt Peters aller­dings die Kom­fort­zo­ne, und das ist ein biß­chen mehr als unterhaltsam.

Gibt es jeman­den außer mir, der sich all­mor­gend­lich den zwangs­ge­büh­ren­fi­nan­zier­ten „Deutsch­land­funk“ hört? Der über die Inter­views der Mode­ra­to­ren staunt, die der­ma­ßen ätzend sind? Die in alle Rich­tun­gen aus­tei­len – in die einen (rechts) mehr, in die ande­ren (links) nur etwas weniger?

Muß ich Namen nen­nen? Bei Chris­toph Peters heißt der Mode­ra­tor, unser Prot­ago­nist, Kurt Sie­ben­städ­ter. Die Ver­hör­si­tua­tio­nen mit Polit­kern und ande­ren Mei­nungs­ma­chern, die Peters hier schil­dert, sind abso­lut rea­lis­tisch – nur, nicht unwich­tig, ist der Radio­mann kein Lin­ker. (Und bereits hier befin­den wir uns in der Fiktion.)

Sie­ben­städ­ter, der Mann vom Bezahl­funk, ist der gebo­re­ne Skeptiker:

Die ein­zi­ge Chan­ce, nicht hirn­ge­wa­schen, weich­ge­spült, rund­ge­schleu­dert zu wer­den, als nas­ser Lap­pen zu enden, war umfas­sen­de Skep­sis gegen­über allem und jeden. Nur solan­ge er sämt­li­chen guten wie bösen Absich­ten, allen heh­ren und schmut­zi­gen Zie­len miss­trau­te, auf kei­ner Sei­te stand, außen vor blieb, konn­te er tun, wofür er trotz allem immer noch bezahlt wur­de: Bloß­stel­len, Ent­lar­ven, Aufklären.

Sie­ben­städ­ter fragt nicht nur nach, er fragt dring­lich nach, er bohrt in der Wun­de. Er bringt sei­ne Gesprächs­ra­dio im Mor­gen­ra­dio immer wie­der zur Weiß­glut, ob sie nun Impf­skep­ti­ker, Impf­freun­de, ob sie Islam­funk­tio­nä­re sind oder die ideo­lo­gi­schen Köp­fe der „Neu­en Rech­ten“ (haha, net­te Idee von Peters, daß die Neue Rech­te zum Radio­in­ter­view gela­den wird).

Doch mitt­ler­wei­le, so schil­dert es Peters,

„galt Skep­sis nicht län­ger als Aus­weis kri­ti­schen Den­kens, son­dern als staats­ge­fähr­dend, beschränkt, faschistioid.“

Hier wird der Roman frei­lich phan­tas­tisch (weil es in Wirk­lich­keit & im Staats­funk so nie statt­fand): Sie­ben­städ­ter hört auf, coro­na­gläu­big zu sein. Er hakt nach. Er wird erst kri­tisch. Und dann wirk­lich kritisch.

Eini­ge von Sie­ben­städ­ters Inter­view­part­nern hat Autor Peters nied­lich ver­schlüs­selt: „Frau Sta­chel“ soll sicher Thea Dorn mei­nen; „Herr Buch­ner“: Chris­ti­an Lind­ner; „von Dom­mel“ von Storch; „Rad­unz­ki“ Kubicki;  Jens Spahn ist –  das gerät wirk­lich sehr wit­zig  und gewagt – “Scheidt­chen”, und mit dem ner­vös-hys­te­ri­schen “Prof. Bern­bur­ger” dürf­te Herr Lau­ter­bach (auch sei­ne Ex-Frau erhält einen Auf­tritt!) gemeint sein.

Es muß gro­ßen Spaß berei­tet haben, das zu kom­po­nie­ren und bei­spiel­wei­se die pani­schen Gedan­ken Bern­bur­gers  beim Gang durch „Ber­lin unter Coro­na“ auf­zu­schrei­ben: Da stan­den schon wie­der Leu­te beieinander,

dis­ku­tier­ten, schleu­der­ten Zehn­tau­sen­de von Viren in die Luft, schau­fel­ten sie mir wil­den Ges­ten in Rachen, Bron­chi­en, Lungen.

Bern­bur­ger selbst rasiert sich zwang­haft, damit die FFP2-Mas­ke per­fekt sit­zen kann,

über­leg­te, den Fah­rer dre­hen zu las­sen, in die Woh­nung zurück­zu­keh­ren, sich noch ein­mal zu rasie­ren, bis Mit­ter­nacht wären die Stop­peln so lang, dass sie sei­nen Schutz vor Viren in Aero­so­len deut­lich beeinträchtigten.

Doch wäh­rend die Leu­te sich hygie­nisch ord­nen, läuft Sie­ben­städ­ters Zeit ab. Denn nach­dem sich nun

Ange­hö­ri­ge aller Geschlech­ter und Sexu­al­prak­ti­ken, Schwarz­afri­ka­ner und Indi­ge­ne, hoch­be­gab­te und Min­der­be­mit­tel­te zu einem end­lo­sen Zug der Opfer rund um den Glo­bus zusammenfunden

haben,

beglei­tet vom trom­meln­den, joh­len­den Tross aus Medi­en- und Mei­nungs­ma­chern, Muse­ums- und Fern­seh­leu­ten, Dich­tern und Denkern,

die sich alle­samt als

Speer­spit­ze des mora­li­schen Fort­schritts auf dem Weg in die tota­le Gleichberechtigung

sahen, wird eine neue Spra­che gefordert:

zart­be­sai­tet, sen­si­bel, emp­find­sam sub­jek­tiv und vor­aus­ei­lend rücksichtsvoll.

Dafür ist Sie­ben­städ­ter nicht der Typ. Er merkt es schon, wenn er in Ber­lin unter­wegs ist:

Sie­ben­städ­ter schoss das unschö­ne Wort Aus­län­der durch den Kopf, es ver­band sich mit dem Wort Kri­mi­na­li­tät, ohne dass er es ver­hin­dern konnte.

Unver­se­hens ist Sie­ben­städ­ter, knapp zwei­und­fünf­zig, zum alten wei­ßen Mann gewor­den. Sei­ne Tage als Macher der bun­des­weit wich­tigs­ten (und zwangs­ge­büh­ren­fi­nan­zier­ten) Infor­ma­ti­ons­sen­dung am Mor­gen sind gezählt.

Viel­leicht, denkt Sie­ben­städ­ter, ist es sogar bes­ser so. Denn

was bleibt noch, wenn die Sche­re im Kopf sämt­li­che Ver­glei­che und Sprü­che in gute und böse ein­teilt, alles Unge­hö­ri­ge vor­aus­ei­lend weg­schnei­det(…) wenn ich mehr und mehr zum unsicht­ba­ren Achor­man ohne Stimm­bil­dung mutiere?

Über­ra­schend wol­len ihn die Libe­ra­len als Pres­se­spre­cher ein­kau­fen – bei dop­pel­tem Gehalt und mit edlem Dienst­wa­gen! War­um will ihn aus­ge­rech­net die „Par­tei der Bes­ser­ver­die­nen­den“? Sie­ben­städ­ter schwant es:

Weil er kei­ne Über­zeu­gun­gen hat­te, ohne Moral und Anstand war, sich auf nichts fest­le­gen ließ, gefühl­los, ach­sel­zu­ckend, ohne Scham.

Man liest dies gern, man liest es rasch, man freut sich über die­se und jene Ent­tar­nung und über etli­che Wag­nis­se (die sogleich inso­fern zurück­ge­nom­men wer­den, da sich der Prot­ago­nist logisch auch scharf gegen „rechts“ posi­tio­niert.) Es gibt ein paar sozia­lis­ti­sche Sexphan­ta­sien, eine lin­ke Poli­ti­ke­rin betref­fend. Sie­ben­städ­ter war mal ein Hengst – mit der Beto­nung auf „war“. Ein toll­küh­ner Roman.

– – –

Süf­fig zu lesen ist der 444 Sei­ten star­ke „Email-Roman“ Zwi­schen Wel­ten, den Juli Zeh (auf dem Titel sehr groß­ge­schrie­ben) gemein­sam mit Simon Urban (klei­ner geschrie­ben) Anfang 2023 vor­ge­legt hat. Mit Chris­toph Peters Roman hat er gemein, daß auch hier das viel zu oft Unge­sag­te zur Spra­che kommt.

Für den klas­sisch kon­ser­va­ti­ven Bel­le­tris­tik-Kon­su­men­ten mögen bei­de Bücher daher eine Art Hoch­licht sein: End­lich sagt’s mal eine/r! Wie dumpf und erpres­se­risch die­ser Zeit­geist ist!

Wie bei Peters wird auch bei Zeh/Urban ordent­lich abge­le­dert gegen poli­ti­sche Kor­rekt­heit und Can­cel Cul­tu­re. Natür­lich in über­schau­ba­ren Maßen: Wie sich Peters/Siebenstädter pro for­ma abgrenzt gegen „die Rech­ten“, tun es auch Zeh/Urban: Es gibt hier im Roman einen AfD-Wäh­ler, den man mag – obwohl er lei­der AfD-Wäh­ler ist.

Juli Zeh, Jahr­gang 1974 und pro­mo­vier­te Juris­tin, hat bereits mehr­fach öffent­li­che Dre­sche bezo­gen. Zuletzt, weil sie sich gegen Waf­fen­lie­fe­run­gen für die Ukrai­ne ein­setz­te. Sie ist ganz offen­kun­dig eine streit­ba­re Per­son. Das ist kei­ne unin­ter­es­san­te Kate­go­rie: streit­bar im Mainstream!

Zehs Roma­ne (stets inter­es­sant pro­fi­liert: Über­wa­chungs­staat; mafiö­se Struk­tu­ren; Deutsch­land als Ost und West – sie, Zeh, ist als gebür­ti­ge Bon­ne­rin Wahl-Ossi) ver­kauf­ten sich stets wie geschnit­ten Brot. „Ihre Roma­ne sind in 35 Spra­chen über­setzt“, heißt es in der Buchklappe.

Co-Autor Simon Urban hin­ge­gen tut sich damit her­vor, daß er den Wer­be­film #heim­kom­men schrieb. Man kann das bei Bedarf goog­len, um es geradezurücken.

Ver­mut­lich sind in dem hier vor­lie­gen­den „Roman“ (nein, es ist kei­ner, es ist ein abzieh­bild­haf­ter Schlag­ab­tausch) Juli Zeh für die Figur „The­re­sa Kal­lis“ (Milch­bäue­rin im Bran­de­bur­gi­schen) und Simon Urban für die Figur „Ste­fan Jor­dan“ (Kul­tur­chef bei einem wich­ti­gem Ham­bur­ger Blatt) zuständig.

Die “Roman­fi­gu­ren” Jor­dan und Kal­lis haben gemein­sam in Müns­ter Ger­ma­nis­tik stu­diert und leb­ten damals in einer WG. Nach zwan­zig Jah­ren tref­fen sie sich wie­der und tau­schen sich anschlie­ßend elek­tro­nisch aus. Die Rol­len sind glas­klar ver­teilt und im fol­gen­den völ­lig über­ra­schungs­los: The­re­sa Kal­lis ist die Boden­stän­di­ge, Ste­fan Jor­dan der mul­ti­pel Sen­si­ble in sei­ner Ber­li­ner Blase.

The­re­sa fin­det die Gen­de­rei von Ste­fan zum Kot­zen. Ste­fan schwärmt von der Kli­ma­ju­gend, ist gegen „White Supre­ma­cy“ und rügt The­re­sa, weil sie das Wort „umer­zie­hen“ gebraucht. The­re­sa muß den Staats­funk aus­schal­ten – sonst „wäre ich explodiert“:

Ihr braucht euch nicht zu wun­dern, daß so viel AfD gewählt wird.

So befrot­zeln und beschimp­fen sich die bei­den Ant­ago­nis­ten über unend­li­che Sei­ten per Mail, über Whats­app und schließ­lich über ver­schlüs­sel­te Ser­ver. Natür­lich wird auch geflir­tet, sonst wär´s kein Verkaufsschlager.

Zwi­schen Wel­ten ist eines die­ser Bücher, das bereits am Erschei­nungs­tag von sämt­li­chen Leit­me­di­en bespro­chen wur­de. Juli Zeh ist eben wirk­lich pro­mi­nent. Bei fast allen Rezen­sen­ten ging der Dau­men run­ter. Nun auch bei mir.

Der (nicht­lin­ke) Kri­ti­ker Jörg Mage­nau, neben­bei Ernst-Jün­ger-Ken­ner, lob­te hin­ge­gen das Buch. Und das ist schon wie­der komisch. Denn: Mage­nau lob­te bis­lang jedes Juli-Zeh-Buch. Juli Zeh wie­der­um hat ein älte­res Buch von Simon Urban geprie­sen. Stoff genug für einen wei­te­ren Roman: Wie die über die reden, die über die reden. Und so fort.

Am Ende ist Bel­le­tris­tik doch nur ein Hob­by. Immer­hin prä­sen­tiert es Welt­sich­ten. Gefil­tert: und wenn schon! Wir haben doch sonst nichts.

– – –

Chris­toph Peters: Der Sand­kas­ten, Mün­chen: Luch­ter­hand 2022, 251 Sei­ten, 22 Euro.

Juli Zeh/ Simon Urban: Zwi­schen Wel­ten. Auch Mün­chen: Luch­ter­hand 2023, 444 Seiten,24 Euro.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (2)

anatol broder

20. Februar 2023 14:18

«enorm lesenswerte prosa […] wirklich sehr witzig und gewagt […] endlich sagt’s mal eine/r! […] wir haben doch sonst nichts.»
ein kulinarisch anspruchsvoller freund von mir führt eine schwarze liste der örtlichen restaurants. er macht jedesmal einen eintrag, wenn seine frau ihm erzählt, wie total lecker es beim mädelsabend im neuen lokal geschmeckt hat.

ede

21. Februar 2023 21:09

Nun, das Leben des Siebenschläfers als solches, das gäbe schon Stoff für zeitgenössische Romane. Die Romanfigur und ihre Vorbilder haben ja noch etliche Jahre bis zur Rente. Von was sollen er und seine Holde denn bis dahin leben? Die können doch nichts sonst. Auf dem Bau vielleicht, aber da muss man vor 6 aufstehen. 
So siehts aus, das ist die Realität.