Und weshalb diese beiden? Weil sie sich – beide unter der Hand und “wie üblich”, also mit allfälligen Distanzierungen – mit der (zumal in der neueren Literatur) vernachlässigten, rechten Klientel beschäftigen, und zwar nicht durchweg despektierlich.
Daß sich Rechte/“Rechte“ – wer wüßte es besser als wir, die wir neben einem einschlägigen Verlag einen Buchhandel betreiben! – nur sehr fokussiert mit Schöner Literatur beschäftigen, hat arg verkürzt folgenden Grund: Die wichtigen Klassiker hat man ohnehin im Regal stehen. Was zeitgenössisch nachkommt, wenn es nicht Raspail oder Houellebecq heißt, lohnt die Lesezeit nicht.
Das stimmt natürlich: Ein Gutteil der aktuellen Romane quirlt Zeitgeist. Für mich bleibt jedoch faszinierend, daß selbst komische linke Vögel wie Sibylle Berg, T.C. Boyle, Michael Köhlmeier oder jüngst Bezhad Karim Khani (etc.pp.) enorm lesenswerte Prosa produzieren.
Ich will das alles nicht missen. Ich mag hier erneut Oscar Wilde zitieren: „Ob jemand Wechsel fälscht, sagt nichts über sein Geigenspiel.“ So ist es doch!
Nun haben wir zum einen den vielfach preisgekrönten Schriftsteller Christoph Peters, 1966 in Kalkar geboren. Ich selbst bin vor Jahren über seine Ehefrau Veronika, gleichfalls Schriftstellerin, auf Peters gestoßen. Veronika Peters hatte zwölf Jahre als benediktinische Nonne gelebt, was meine Neugier weckte.
Ihren literarischen Ausstoß fand ich (leider) dürftig; seiner ( Christoph Peters arbeitete viele Jahre hauptberuflich als Fluggastkontrolleur in Frankfurt, seine Leidenschaft zu Japan durchzieht etliche seiner Bücher) war ergiebiger, wenn auch nie wirklich „künstlerisch wertvoll“. Man liest das so und ist einigermaßen unterhalten, mehr ist nicht. Hier sprudelt einer Ideen – wie lustig.
Mit seinem neuen Roman verläßt Peters allerdings die Komfortzone, und das ist ein bißchen mehr als unterhaltsam.
Gibt es jemanden außer mir, der sich allmorgendlich den zwangsgebührenfinanzierten „Deutschlandfunk“ hört? Der über die Interviews der Moderatoren staunt, die dermaßen ätzend sind? Die in alle Richtungen austeilen – in die einen (rechts) mehr, in die anderen (links) nur etwas weniger?
Muß ich Namen nennen? Bei Christoph Peters heißt der Moderator, unser Protagonist, Kurt Siebenstädter. Die Verhörsituationen mit Politkern und anderen Meinungsmachern, die Peters hier schildert, sind absolut realistisch – nur, nicht unwichtig, ist der Radiomann kein Linker. (Und bereits hier befinden wir uns in der Fiktion.)
Siebenstädter, der Mann vom Bezahlfunk, ist der geborene Skeptiker:
Die einzige Chance, nicht hirngewaschen, weichgespült, rundgeschleudert zu werden, als nasser Lappen zu enden, war umfassende Skepsis gegenüber allem und jeden. Nur solange er sämtlichen guten wie bösen Absichten, allen hehren und schmutzigen Zielen misstraute, auf keiner Seite stand, außen vor blieb, konnte er tun, wofür er trotz allem immer noch bezahlt wurde: Bloßstellen, Entlarven, Aufklären.
Siebenstädter fragt nicht nur nach, er fragt dringlich nach, er bohrt in der Wunde. Er bringt seine Gesprächsradio im Morgenradio immer wieder zur Weißglut, ob sie nun Impfskeptiker, Impffreunde, ob sie Islamfunktionäre sind oder die ideologischen Köpfe der „Neuen Rechten“ (haha, nette Idee von Peters, daß die Neue Rechte zum Radiointerview geladen wird).
Doch mittlerweile, so schildert es Peters,
„galt Skepsis nicht länger als Ausweis kritischen Denkens, sondern als staatsgefährdend, beschränkt, faschistioid.“
Hier wird der Roman freilich phantastisch (weil es in Wirklichkeit & im Staatsfunk so nie stattfand): Siebenstädter hört auf, coronagläubig zu sein. Er hakt nach. Er wird erst kritisch. Und dann wirklich kritisch.
Einige von Siebenstädters Interviewpartnern hat Autor Peters niedlich verschlüsselt: „Frau Stachel“ soll sicher Thea Dorn meinen; „Herr Buchner“: Christian Lindner; „von Dommel“ von Storch; „Radunzki“ Kubicki; Jens Spahn ist – das gerät wirklich sehr witzig und gewagt – “Scheidtchen”, und mit dem nervös-hysterischen “Prof. Bernburger” dürfte Herr Lauterbach (auch seine Ex-Frau erhält einen Auftritt!) gemeint sein.
Es muß großen Spaß bereitet haben, das zu komponieren und beispielweise die panischen Gedanken Bernburgers beim Gang durch „Berlin unter Corona“ aufzuschreiben: Da standen schon wieder Leute beieinander,
diskutierten, schleuderten Zehntausende von Viren in die Luft, schaufelten sie mir wilden Gesten in Rachen, Bronchien, Lungen.
Bernburger selbst rasiert sich zwanghaft, damit die FFP2-Maske perfekt sitzen kann,
überlegte, den Fahrer drehen zu lassen, in die Wohnung zurückzukehren, sich noch einmal zu rasieren, bis Mitternacht wären die Stoppeln so lang, dass sie seinen Schutz vor Viren in Aerosolen deutlich beeinträchtigten.
Doch während die Leute sich hygienisch ordnen, läuft Siebenstädters Zeit ab. Denn nachdem sich nun
Angehörige aller Geschlechter und Sexualpraktiken, Schwarzafrikaner und Indigene, hochbegabte und Minderbemittelte zu einem endlosen Zug der Opfer rund um den Globus zusammenfunden
haben,
begleitet vom trommelnden, johlenden Tross aus Medien- und Meinungsmachern, Museums- und Fernsehleuten, Dichtern und Denkern,
die sich allesamt als
Speerspitze des moralischen Fortschritts auf dem Weg in die totale Gleichberechtigung
sahen, wird eine neue Sprache gefordert:
zartbesaitet, sensibel, empfindsam subjektiv und vorauseilend rücksichtsvoll.
Dafür ist Siebenstädter nicht der Typ. Er merkt es schon, wenn er in Berlin unterwegs ist:
Siebenstädter schoss das unschöne Wort Ausländer durch den Kopf, es verband sich mit dem Wort Kriminalität, ohne dass er es verhindern konnte.
Unversehens ist Siebenstädter, knapp zweiundfünfzig, zum alten weißen Mann geworden. Seine Tage als Macher der bundesweit wichtigsten (und zwangsgebührenfinanzierten) Informationssendung am Morgen sind gezählt.
Vielleicht, denkt Siebenstädter, ist es sogar besser so. Denn
was bleibt noch, wenn die Schere im Kopf sämtliche Vergleiche und Sprüche in gute und böse einteilt, alles Ungehörige vorauseilend wegschneidet(…) wenn ich mehr und mehr zum unsichtbaren Achorman ohne Stimmbildung mutiere?
Überraschend wollen ihn die Liberalen als Pressesprecher einkaufen – bei doppeltem Gehalt und mit edlem Dienstwagen! Warum will ihn ausgerechnet die „Partei der Besserverdienenden“? Siebenstädter schwant es:
Weil er keine Überzeugungen hatte, ohne Moral und Anstand war, sich auf nichts festlegen ließ, gefühllos, achselzuckend, ohne Scham.
Man liest dies gern, man liest es rasch, man freut sich über diese und jene Enttarnung und über etliche Wagnisse (die sogleich insofern zurückgenommen werden, da sich der Protagonist logisch auch scharf gegen „rechts“ positioniert.) Es gibt ein paar sozialistische Sexphantasien, eine linke Politikerin betreffend. Siebenstädter war mal ein Hengst – mit der Betonung auf „war“. Ein tollkühner Roman.
– – –
Süffig zu lesen ist der 444 Seiten starke „Email-Roman“ Zwischen Welten, den Juli Zeh (auf dem Titel sehr großgeschrieben) gemeinsam mit Simon Urban (kleiner geschrieben) Anfang 2023 vorgelegt hat. Mit Christoph Peters Roman hat er gemein, daß auch hier das viel zu oft Ungesagte zur Sprache kommt.
Für den klassisch konservativen Belletristik-Konsumenten mögen beide Bücher daher eine Art Hochlicht sein: Endlich sagt’s mal eine/r! Wie dumpf und erpresserisch dieser Zeitgeist ist!
Wie bei Peters wird auch bei Zeh/Urban ordentlich abgeledert gegen politische Korrektheit und Cancel Culture. Natürlich in überschaubaren Maßen: Wie sich Peters/Siebenstädter pro forma abgrenzt gegen „die Rechten“, tun es auch Zeh/Urban: Es gibt hier im Roman einen AfD-Wähler, den man mag – obwohl er leider AfD-Wähler ist.
Juli Zeh, Jahrgang 1974 und promovierte Juristin, hat bereits mehrfach öffentliche Dresche bezogen. Zuletzt, weil sie sich gegen Waffenlieferungen für die Ukraine einsetzte. Sie ist ganz offenkundig eine streitbare Person. Das ist keine uninteressante Kategorie: streitbar im Mainstream!
Zehs Romane (stets interessant profiliert: Überwachungsstaat; mafiöse Strukturen; Deutschland als Ost und West – sie, Zeh, ist als gebürtige Bonnerin Wahl-Ossi) verkauften sich stets wie geschnitten Brot. „Ihre Romane sind in 35 Sprachen übersetzt“, heißt es in der Buchklappe.
Co-Autor Simon Urban hingegen tut sich damit hervor, daß er den Werbefilm #heimkommen schrieb. Man kann das bei Bedarf googlen, um es geradezurücken.
Vermutlich sind in dem hier vorliegenden „Roman“ (nein, es ist keiner, es ist ein abziehbildhafter Schlagabtausch) Juli Zeh für die Figur „Theresa Kallis“ (Milchbäuerin im Brandeburgischen) und Simon Urban für die Figur „Stefan Jordan“ (Kulturchef bei einem wichtigem Hamburger Blatt) zuständig.
Die “Romanfiguren” Jordan und Kallis haben gemeinsam in Münster Germanistik studiert und lebten damals in einer WG. Nach zwanzig Jahren treffen sie sich wieder und tauschen sich anschließend elektronisch aus. Die Rollen sind glasklar verteilt und im folgenden völlig überraschungslos: Theresa Kallis ist die Bodenständige, Stefan Jordan der multipel Sensible in seiner Berliner Blase.
Theresa findet die Genderei von Stefan zum Kotzen. Stefan schwärmt von der Klimajugend, ist gegen „White Supremacy“ und rügt Theresa, weil sie das Wort „umerziehen“ gebraucht. Theresa muß den Staatsfunk ausschalten – sonst „wäre ich explodiert“:
Ihr braucht euch nicht zu wundern, daß so viel AfD gewählt wird.
So befrotzeln und beschimpfen sich die beiden Antagonisten über unendliche Seiten per Mail, über Whatsapp und schließlich über verschlüsselte Server. Natürlich wird auch geflirtet, sonst wär´s kein Verkaufsschlager.
Zwischen Welten ist eines dieser Bücher, das bereits am Erscheinungstag von sämtlichen Leitmedien besprochen wurde. Juli Zeh ist eben wirklich prominent. Bei fast allen Rezensenten ging der Daumen runter. Nun auch bei mir.
Der (nichtlinke) Kritiker Jörg Magenau, nebenbei Ernst-Jünger-Kenner, lobte hingegen das Buch. Und das ist schon wieder komisch. Denn: Magenau lobte bislang jedes Juli-Zeh-Buch. Juli Zeh wiederum hat ein älteres Buch von Simon Urban gepriesen. Stoff genug für einen weiteren Roman: Wie die über die reden, die über die reden. Und so fort.
Am Ende ist Belletristik doch nur ein Hobby. Immerhin präsentiert es Weltsichten. Gefiltert: und wenn schon! Wir haben doch sonst nichts.
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Christoph Peters: Der Sandkasten, München: Luchterhand 2022, 251 Seiten, 22 Euro.
Juli Zeh/ Simon Urban: Zwischen Welten. Auch München: Luchterhand 2023, 444 Seiten,24 Euro.
anatol broder
«enorm lesenswerte prosa […] wirklich sehr witzig und gewagt […] endlich sagt’s mal eine/r! […] wir haben doch sonst nichts.»
ein kulinarisch anspruchsvoller freund von mir führt eine schwarze liste der örtlichen restaurants. er macht jedesmal einen eintrag, wenn seine frau ihm erzählt, wie total lecker es beim mädelsabend im neuen lokal geschmeckt hat.