Trotz meiner langjährigen Faszination für Yukio Mishima war mein Interesse an dem Comicband Der letzte Samurai von Federico Goglio (Text) und Massimiliano Longo, erschienen im Hydra-Verlag, bis dato nicht allzu groß. Die Auszüge, die in Sezession 99 vorabgedruckt waren, gefielen mir zwar recht gut, reizten mich jedoch nicht zum Kauf.
Nach der Lektüre ahne ich, was mich abhielt: Es war wohl ein inneres Verhaftetsein an das Mishima-Bild, das Paul Schrader (Regie) und sein Bruder Leonard (Drehbuch) in dem Film Mishima – A Life in Four Chapters aus dem Jahr 1985 gezeichnet haben, und das sich mir unerschütterlich eingeprägt hat, seit ich den Film als Sechzehnjähriger zum ersten Mal im Fernsehen gesehen habe.
Der Film ist so gut, daß es vielleicht etwas unfair ist, ihn als Vergleich heranzuziehen. Freilich hat auch er seine Schwächen: Der Hauptdarsteller Ken Ogata hat physisch und physiognomisch kaum Ähnlichkeit mit Mishima, und das fällt besonders dann ins Gewicht, wenn er mit nacktem Oberkörper gezeigt wird, der im Gegensatz zu jenem des Vorbilds nur mäßig trainiert ist.
Vorteil des Comics ist wiederum, daß er Mishima optisch auf eine Weise zum Leben erweckt, die im Film so nicht möglich ist. Der wohl unvermeidliche Einfluß von A Life in Four Chapters macht sich indes an etlichen Stellen bemerkbar: So haben Goglio und Longo seine Rückblendenstruktur übernommen, die den schicksalshaften 25. November 1970, den Tag von Mishimas theatralisch inszeniertem Selbstmord durch Seppuku, an den Beginn, ans Ende und in die Mitte der Erzählung stellt, als eben jenen dramatischen Fluchtpunkt, auf den das Leben des Dichters mit unheimlicher Konsequenz zusteuert.
Ebenso augenfällig sind allerdings auch die Unterschiede. Der Mishima des Comics ist deutlich anders akzentuiert als der Mishima des Films. Er erscheint ganz und gar als idealisierte rechte Ikone. Das Schwergewicht liegt auf seiner politischen Botschaft und seinem Trachten, die Ideale des Bushidō auch in der modernen Welt zu erfüllen.
In Schraders Film ist Mishima in erster Linie der obsessive Künstler und schillernde Selbstdarsteller, getrieben von einer tiefen Sehnsucht nach Schönheit, Vollkommenheit und dem Tod. Seine politische Ideologie, eine Art romantischer, ultra-nationalistischer Neo-Imperialismus und Kaiserkult, erscheint als Maske tiefer sitzender Leidenschaften, als Kostümierung für ein kompliziertes Stück, in dem Kunst und Leben, “Feder und Schwert” durch einen gewaltsamen, freiwilligen Tod verschmelzen sollen.
Die Stärke des Films besteht allerdings darin, daß er sich trotzdem jeglichem Reduktionismus verweigert. Die Doppelbödigkeiten und Widersprüche Mishimas vermehren nur das Geheimnis um seine Person. Die Schraders nahmen ihn als Menschen und Künstler ernst und setzten ihm gerade dadurch ein Denkmal – anders als etwa Kōji Wakamatsu in seinem Film 11:25 The Day He Chose His Own Fate (2012), der ihn eher zu entzaubern, wenn nicht gar lächerlich zu machen versuchte (die Besetzung der Hauptrolle mit einem gänzlich unmuskulösen, charmelosen Schauspieler, der Schwäche, Verbissenheit und Unsicherheit ausstrahlt, scheint mit Absicht geschehen zu sein.)
Der letzte Samurai ist beispielhaft für ein Comic-Subgenre, das bei den italienischen Rechten sehr beliebt ist: Ähnliche Bände wie den vorliegenden gibt es über D’Annunzio und sein Fiume-Abenteuer, die Verteidigung des Alkazar oder Benito Mussolini im Schützengraben (ebenfalls von Federico Goglio). Natürlich dürfen auch die Foibe-Massaker und die Untaten der Roten Brigaden in den “anni di piombo” nicht fehlen.
Hier geht es vorrangig um Heroisierung und Mythenpflege, um “romantischen Dünger” für das Gedeihen einer spezifischen Subkultur. Der letzte Samurai bildet diesbezüglich keine Ausnahme, und das ist auch der Grund, warum ich mit dem Ergebnis letztlich nicht ganz zufrieden bin. Goglios und Longos Mishima erscheint mir allzu gerade gebogen, von Unebenheiten und Schlacken befreit, und dadurch “flacher”, weitaus weniger interessant als das “Original”. Dies wird besonders durch den Vergleich mit Schraders Film deutlich (der gewiß seinerseits ein Bild zeichnet, das auf andere Weise idealisierend wirkt).
Mishimas beklemmende Kindheit als schwächlicher, sozial isolierter Junge in der effeminisierenden Geiselhaft seiner kränklichen Großmutter wird ebenso ausgespart wie seine Scham über seine physische Unzulänglichkeit als junger Mann, die ihn um die Chance brachte, während des Krieges einen echten “Heldentod” für den Kaiser zu sterben (wäre dies geschehen, würde heute niemand seinen Namen kennen).
Insbesondere in Mishimas früher Kindheit mag man den Schlüssel zu seiner stark ausgeprägten Misogynie und “kopflastigen” Entfremdung von seinem Körper wie der materiellen Welt überhaupt finden, die er später mit Bodybuilding, Karate und Kendō zu überwinden suchte.
Ausgespart wird auch sein schon früh entwickeltes Verlangen nach “Tod und Nacht und Blut” und seine teils sadomasochistische, teils platonisch verklärte Homosexualität, die er in Fotobänden wie Ordeal by Roses oder Death of a Man auf ziemlich unzweideutige und mitunter schockierende Weise in Szene setzte.
Dieses zentrale Antriebsmoment in Mishimas Leben hat auch Schrader nur andeutungsweise und implizit dargestellt, was nichtsdestotrotz zu einer Intervention der Witwe des Autors und zu einem Aufführungsverbot seines Films in Japan führte.
Als Kontrastprogramm zu dem gesäuberten Mishima-Bild empfehle ich diesen polemischen Artikel von Andrew Joyce, der Mishimas politische Aktivität gänzlich auf seine deviante Sexualität zu reduzieren und somit zu diskreditieren versucht (Gegenpositionen von anglophonen Rechten gibt es hier).
Ich teile Joyces Schlußfolgerungen nicht, halte etliche seiner Einwände jedoch für bedenkenswert, um den einseitigen Mythos zu korrigieren, der sich auf der Rechten um Mishima gebildet hat. (Keine Sexualität ist nur Sexualität, sondern zielt auch immer, mal in geringerem, mal in größerem Maße, auf etwas Metaphysisches. Insbesondere bei Künstlern spielt das Pathologische, nicht nur im sexuellen Bereich, eine bedeutende Rolle als Quelle oder Antriebsfeder der Schöpferkraft.)
Die Unsicherheit über die tatsächliche Substanz des politischen Ideologen Mishima mag auch damit zusammenhängen, daß die meisten seiner diesbezüglichen Essays bislang nicht übersetzt vorlagen. Eine Lücke, die inzwischen von dieser Substack-Seite gefüllt wird, die kontinuierlich englische Übersetzungen von Texten bringt, die außerhalb Japans so gut wie unbekannt sind. Sie scheinen mir den im Grunde apolitischen Charakter von Mishima eher zu bestätigen; Politische Ideen, Mythen und japanische Traditionen haben ihn offenbar nur insofern interessiert, als sie ihm die Möglichkeit boten, eine sehr persönliche, extremistisch-ästhetische Vision zu verfolgen.
Deshalb halte ich Goglios Urteil für etwas fragwürdig:
Mit seiner letzten Tat lehrte uns Mishima, dass all das, was er an materiellen Dingen besaß – und wonach die Menschen so verzweifelt streben – keinerlei Bedeutung hat, wenn man es mit nur einem einzigen, einzigartigen und plötzlichen Akt voller Heldentum konfrontiert, der im Namen eines wahrhaften, freien und souveränen Japans begangen wird.
Die Darstellung von Mishimas Seppuku im Buch selbst scheint mir diese Auffassung (unbewußt?) zu konterkarieren. Wie auch Schrader parallelisieren Goglio und Longo den realen Tod des Dichters mit dem Tod seines Helden Isao aus dem Roman Unter dem Sturmgott. Film und Comic schließen mit dem Zitat:
Genau in dem Augenblick, in dem die Klinge sich in sein Fleisch bohrte, stieg der rote Feuerball der aufgehenden Sonne hinter seinen Augenlidern empor.
A Life in Four Chapters endet mit einem Bild dieser aufgehenden Sonne, Der letzte Samurai hingegen zeigt in frontaler Großaufnahme das ikonenartige Antlitz Mishimas, umgeben von einer sonnenartigen Aura. Sein Gesichtsausdruck ist entspannt und entschlossen zugleich (während er in Wahrheit seine letzten Atemzüge in unvorstellbarer Agonie getan hat), aus seinem Mund tritt Blut. Ging es also tatsächlich nur um ihn selbst und den Aufgang seiner eigenen Sonne der Selbsttranszendenz, nicht etwa der Sonne Nippons oder des Tenno?
Dieses Ausbügeln der Falten führt bei Goglio und Longo dazu, dem Charakter Mishima wie auch seiner finalen, schier unglaublichen Tat wesentliches an innerer und äußerer Spannung zu rauben. Im Kontrast hierzu ist die Anspannung in Schraders Film am Tage des “Putsches” nahezu unerträglich: In etlichen riskanten Momenten läuft der Plan Mishimas und seiner Getreuen in Gefahr zu scheitern, wodurch er einer ewigen Lächerlichkeit preisgegeben und seinem Lebenswerk der so lange erträumte Höhepunkt schmählich versagt geblieben wäre.
Diese Spannung zieht sich im Film bis zum entscheidenden Moment, in dem ein schweißglänzender Morita mit zittrigen Händen das antike Schwert hält, das in wenigen Sekunden den Kopf seines Sensei abtrennen soll. (Und tatsächlich hat er, was der Film nicht zeigt, dieses Ziel zweimal verfehlt, sodaß ein anderer Schildwächter einspringen mußte.)
Besonders bezeichnend für Goglios und Longos Absichten scheint mir ihre Darstellung von Mishimas letzter Rede auf einer Balustrade der Ichigaya-Kaserne zu sein. In der Realität wurde sie von Hubschrauberlärm und dem Sirenenheulen von Blaulichtfahrzeugen übertönt, ging unter im Gejohle der Soldaten, die zwangsweise versammelt wurden, um sich Mishimas quichotte’schen Aufruf zu einer militärischen Erhebung für das Japan “der Geschichte und der Traditionen” anzuhören.
Schrader zeigt dies als einen demütigenden Strich durch Mishimas Rechnung. Während ihm die Kontrolle über seine Inszenierung entgleitet, ringt er um Fassung, schreit sich wild gestikulierend vergeblich die Seele aus dem Leib. Wie die damals Anwesenden, bekommen wir nur Bruchstücke der Rede zu hören, während sich die Kamera gleichsam von der häßlichen, peinlichen Realität entfernt und in den Himmel flüchtet, wo sie in einer Rückblende einen ekstatischen Mishima zeigt, der in einem Flugzeug ein Wolkenmeer überquert (die gesamte Schlußsequenz des Films kann man hier sehen).
Goglio und Longo hingegen lassen ihren Mishima seine Rede, die ausführlich zitiert wird, in aller Ruhe halten, bevor nach drei Seiten die Soldaten endlich zu schimpfen und zu rebellieren beginnen. So haben die Autoren ihrem Helden im Comic gegeben, was ihm in Wirklichkeit mißlang oder zumindest eine weitaus heiklere Gratwanderung war.
Ich halte das für einen kolossalen Irrtum. Der Inhalt der Rede, den man in zwei Sätzen zusammenfassen könnte, ist völlig uninteressant, wenn nicht irrelevant. Sie hatte wohl vor allem eine dramaturgische Funktion. Die ablehnende Reaktion der Soldaten war mit Sicherheit von Mishima einkalkuliert. Wären sie wundersamerweise seinem Aufruf gefolgt, hätte er keinen Anlaß mehr gehabt, Seppuku zu begehen.
Im Comic versteinert sein Gesicht angesichts der Buh-Rufe, gefriert in einen Ausdruck der Enttäuschung und kalten Verachtung. Er wendet sich ab, spricht nun mehr zu sich selbst als zu der Menge:
Nein… ihr werdet euch nicht mit mir erheben. Ich habe fest daran geglaubt, dass in den Jietai Japans letzte Hoffnung liegt, die letzte Festung des nipponschen Geistes.
Das läßt sich schwerlich anders deuten als Theaterspiel. Ähnlich auch der Satz, mit dem der fünfte Teil des Buches abschließt. “Was haben Sie vor? Es reicht? Aufhören, aufhören!”, beschwört ihn der gefangengenommene General Mashita. Mishima antwortet mit ruhigem, hochmütigem Gesichtsausdruck: “Ich muß es tun. Es ist meine Pflicht.”
Hier lassen die Autoren ihre Geschichte “offiziell” enden, indem sie den eigentlichen Akt des Seppuku in einen vierseitigen “Epilog” packen (eine unnötig prätentiöse Entscheidung). Dadurch wird der Akt der Selbsttötung beinahe zu einer Nebensache gemacht.
Auch das halte ich für einen schweren Irrtum, nicht zuletzt angesichts der überaus detaillierten Darstellungen des Harakiri sowohl in der Novelle “Patriotismus” (Yukoku) als auch in ihrer Filmversion aus dem Jahr 1965, in der Mishima selbst die Hauptrolle unter eigener Regie spielte. Die grausige Realität des Seppuku scheint mir nicht unerheblich zu sein, um zu begreifen, was sich Mishima unter einer “heroischen Schönheit” tatsächlich konkret vorstellte.
Diese Entscheidung der Autoren fügt sich folgerichtig in das Muster einer “bereinigten”, wenn nicht gar entkeimten Ikonisierung Mishimas, die einerseits seiner Eigenstilisierung allzu sehr auf den Leim geht, andererseits aber doch um einiges “glatter” ist, als das wesentlich komplexere und abgründigere Bild, das er selbst der Öffentlichkeit auf oft exhibitionistische Weise darbot, in seinen Werken ebenso wie in seinem exzentrisch schillernden Leben.
Trotz all dieser Kritikpunkte empfehle ich diesen Band allen, die an Mishima interessiert sind, allein wegen der überaus schönen und elegant-schwungvollen schwarzweißen Zeichnungen. Lesenswert sind auch die schwärmerischen, aber materialreichen Bonus-Essays von Federico Goglio, die ein vielschichtigeres Bild Mishimas zeichnen als sein eigenes Comic-Drehbuch.
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Federico Goglio/ Massimiliano Longo: Yukio Mishima – Der letzte Samurai, Hydra Comics 2021, gebunden, 212 Seiten, 30 Euro, hier bestellen.
ede
Nur eine kleine Anmerkung zum apollinischen idealen Körperbild des Protagonisten, hier wohl nur leicht überzogen dargestellt:
https://m.imdb.com/name/nm0592758/
Breite Schultern, schmale Hüften ist aber Hollywood und gerade nicht Samurai. Die asiatischen Kampfsportarten ziehen ihre Wirkung alle aus tiefen Schwerpunkt und Rumpfmuskulatur (und Technik natürlich). Sieht etwas bauchig aus.