Kritik der Woche (49): Nick Land

Noch vor drei Jahren hielt ich eine umfassende Übersetzung der Schriften von Nick Land für unmöglich. Nun, so kann man sich irren!

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

Dem bri­ti­schen Phi­lo­so­phen Nick Land, dem »Mann mit sanf­ter Stim­me und stäh­ler­nen Ansich­ten«, und sei­nem post­mar­xis­tisch-tech­no­so­phi­schen Welt­ge­schichts­fie­ber­traum des Akze­le­ra­tio­nis­mus haben wir schon in Sezes­si­on 95 detail­liert nachgespürt.

Er war nach dem abrup­ten Ende sei­ner aka­de­mi­schen Kar­rie­re an der War­wick Uni­ver­si­ty Ende der 1990er nach Schang­hai über­sie­delt. Sei­ne einst­wei­li­ge Tätig­keit als eso­te­risch-poli­ti­scher Blog­ger deu­te­te 2020 kei­nes­wegs dar­auf hin, daß von ihm nach sei­nem Früh­werk über Geor­ges Batail­le noch ein­mal bemer­kens­wer­te Print­ver­öf­fent­li­chun­gen kom­men wür­den. Nun sind sie aber eben doch erschie­nen, und das gleich als »Dop­pel­wumms«.

2012 begann Land auf sei­nem dama­li­gen Blog »Urban Futures« mit der Ver­öf­fent­li­chung eines schließ­lich zehn­tei­li­gen Essays über die schwin­den­de Aura des west­li­chen Libe­ra­lis­mus. Aus­gangs­punkt war eine 2009 aus­ge­bro­che­ne Debat­te unter pro­mi­nen­ten Liber­tä­ren dar­über, ob »Frei­heit und Demo­kra­tie unver­ein­bar« sei­en (so damals Peter Thiel). Land nahm den Streit zum Anlaß für eige­ne Über­le­gun­gen zum Wesen der his­to­ri­schen Auf­klä­rung, des Fort­schritts­be­griffs und, wie er sie nann­te, »demo­kra­ti­scher Mythen«.

Von Thiel und Kon­sor­ten kam er zum liber­tä­ren Vor­den­ker Hans-Her­mann Hop­pe, und von Hop­pe war es bei ihm ein argu­men­ta­ti­ver Weg von gera­de ein­mal drei Absät­zen zum »obers­ten Sith-Lord der Neo­re­ak­tio­nä­re«, näm­lich dem unter Libe­ra­lis­mus­skep­ti­kern Mit­te der 2000er bis in die frü­hen 2010er pro­mi­nent gewor­de­nen Infor­ma­ti­ker und auto­di­dak­ti­schen Polit­phi­lo­so­phen der »Neo­re­ak­ti­on«, Cur­tis »Men­ci­us Mold­bug« Yarvin.

An des­sen Kon­zep­ten und Aus­füh­run­gen soll­te sich Land in der Fol­ge aus­führ­lichst abar­bei­ten und im Zuge des­sen qua­si neben­bei den Ober­be­griff der »Dunk­len Auf­klä­rung« (Dark Enligh­ten­ment) eta­blie­ren.

Wie­wohl all die­se alten Web­logs aus ver­schie­de­nen Grün­den heu­te nicht mehr bestehen, sind die dazu­ge­hö­ri­gen Tex­te doch – wie im Inter­net üblich – noch vie­ler­orts kopiert und »gespie­gelt« ver­füg­bar. Das macht sie aller­dings für weni­ger tech­nik­af­fi­ne Inter­es­sier­te sehr müh­sam auf­zu­fin­den. Doch nicht nur in einer Lin­de­rung die­ses Umstands liegt das Ver­dienst einer längst über­fäl­li­gen Prin­tedi­ti­on der zen­tra­len Schrif­ten der neo­re­ak­tio­nä­ren »Bewe­gung«. Auch die ers­te deutsch­spra­chi­ge Über­blicks­dar­stel­lung hier­zu befin­det sich im Abschluß.

Der gera­de fünf Jah­re jun­ge, doch schon sehr renom­mier­te reak­tio­nä­re Ver­lag Impe­ri­um Press aus dem west­aus­tra­li­schen Perth hat sei­ner Gesamt­aus­ga­be der Grund­la­gen­schrift Nick Lands zur »Dunk­len Auf­klä­rung« ein Vor­wort des Autors bei­gege­ben, wel­ches sein Anlie­gen konkretisiert:

Anders als der eigent­li­che, asso­zia­tiv zusam­men­ge­schrie­be­ne Text habe des­sen Aus­le­gung online ein radi­ka­les Eigen­le­ben ent­wi­ckelt und sich so selbst erfüllt – gemäß dem akze­le­ra­tio­nis­ti­schen Modell der »Hypers­ti­ti­on«, wonach ein neu­er Begriff sich aus einem Text in die Rea­li­tät rück­pro­ji­zie­ren kann. Tat­säch­lich sei es nie um eine simp­le reak­tio­nä­re Gegen­auf­klä­rung gegan­gen, son­dern um die »dunk­le«, scho­nungs­los rea­lis­ti­sche Kehr­sei­te der bekann­ten Auf­klä­rung: emi­nent wich­ti­ge Lese­hil­fe für einen schwie­ri­gen Text, um nicht stumpf­sin­ni­ge Nost­al­gie zu sehen, wo kei­ne ist, und zu erken­nen, wo Lands Den­ken anschluß­fä­hig ist an Yar­vins Paro­le: »Der ein­zi­ge Weg hin­aus führt hindurch.«

In deut­scher Über­set­zung bil­det der Lang­es­say zur »Dunk­len Auf­klä­rung« denn auch einen wesent­li­chen Teil der neu­en Land-Blü­ten­le­se Okkul­tes Den­ken. Das übli­che PR-Selbst­be­wußt­sein von Matthes & Seitz Ber­lin wirk­te dabei schon im vor­hin­ein etwas auf­ge­setzt. So protzt die Ver­lags­wer­bung mit dem Cla­im »Erst­mals auf Deutsch«, was schlicht unwahr ist, erschie­nen ein­zel­ne über­setz­te Tex­te Lands doch bereits in Sam­mel­bän­den des Mer­ve Ver­lags, etwa hier.

Die Über­schnei­dung liegt im freu­dia­ni­schen Cyber­punk-Trak­tat »[[]] No Future [[1.343]] [[0]]«; hier gewinnt knapp die Neu­über­set­zung – obschon das Buch trotz der immensen Ver­spä­tung ein gründ­li­che­res Lek­to­rat ver­dient gehabt hätte.

Ursprüng­lich für Ende Juni 2022 ange­kün­digt, wur­de der Band ins­ge­samt fünf­mal ver­scho­ben, hat sei­nen geplan­ten Umfang par­al­lel zum Laden­preis um mehr als ein Drit­tel ver­mehrt und ist nun schlu­ßend­lich Ende April die­ses Jah­res erschie­nen. Der Län­gen­un­ter­schied ent­spricht exakt den her­aus­ge­be­ri­schen Zusät­zen, ver­teilt auf ein Vor­wort, einen 68seitigen (!) Brief­wech­sel über Nick Land aus dem COVID-Früh­jahr 2020 sowie den lobens­wer­ten und offen­bar noch bis unmit­tel­bar vor Druck­le­gung aktua­li­sier­ten Anmerkungsapparat.

Die Text­aus­wahl wirft stel­len­wei­se Fra­gen auf, etwa wes­halb »Hyper­vi­rus« von 1995, wor­in Land ein hal­bes Jahr­zehnt im vor­aus vira­les Mar­ke­ting und Inter­net-Meme selbst­be­wußt vor­her­sag­te (»Ever­yo­ne will be doing it.«), nicht ent­hal­ten ist. Den­noch sind die bei­den Her­aus­ge­ber und »Kor­re­spon­den­z­essay­is­ten« tat­säch­lich in gewis­ser Wei­se beru­fen: Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Phil­ipp Thei­son ist Fach­mann für Sci­ence-fic­tion. Der tech­no­phi­le FAZ-Quo­ten­kom­mu­nist Diet­mar Dath indes hat bereits vor län­ge­rer Zeit Lands Ex-Mit­strei­ter Kod­wo Eshun ins Deut­sche über­setzt – 1999, also lan­ge bevor der War­wick-Zir­kel »Ccru« zum Kult wurde.

Bei­den merkt man ihr Fas­zi­niert­sein von der Mate­rie (»Schrif­ten, die kei­nes­wegs nur den Her­aus­ge­bern die­ses Ban­des über Jahr­zehn­te als Sti­mu­lan­ti­en dien­ten«, so Thei­son im Vor­wort) deut­lich an; bei­de ver­su­chen, des Autors spä­te­re »Apo­sta­sie« – die Abkehr von Uto­pien und Huma­nis­mus – sowie sein Stre­ben nach »einer Auf­la­dung des Den­kens mit dunk­ler Ener­gie« dia­lek­tisch zu ergrün­den, wie das Leser und Weg­ge­fähr­ten Lands (etwa Mark Fisher) nun schon seit einem Jahr­zehnt tun.

Thei­son bevor­zugt an der Lek­tü­re gera­de die nebu­lö­sen Stel­len – je unver­ständ­li­cher, des­to mehr Her­aus­for­de­rung klas­si­scher Denk­scha­blo­nen, des­to bes­ser. Dath schätzt Land als »klu­gen Feind«, der beim Gie­ßen sei­ner Geschos­se aus »genia­len Ver­glei­chen« gegen lin­ken Libe­ra­lis­mus »absurd kon­se­quent« vor­her­ge­he und des­halb beson­ders reiz­voll sei:

Nick Land besorgt die­ses Sicht­bar­ma­chen […] in einem gar nicht tri­via­len Sinn BESSER als Dugin oder Götz Kubit­schek oder sonst irgend­wel­che Nost­al­gi­ker der Gewalt. Denn deren Leh­ren und Behaup­tun­gen fas­sen den Stoff gar nicht an, der die sozia­len Real­ver­hält­nis­se regu­liert: Welt­markt, Pro­fit, Produktivkraftentwicklung.

Als Lands Ziel durch des­sen gesam­tes kom­pli­zier­tes und beson­ders anfangs eso­te­ri­sches Werk hin­durch iden­ti­fi­ziert er mit Recht »Zer­schla­gung des auf­ge­klärt-bür­ger­li­chen Men­schen­rechts­uni­ver­sa­lis­mus«, aus­ge­hend von der Batail­le-Exege­se des Briten.

Dar­auf ange­spro­chen, wie es zu einer deut­schen Aus­ga­be in die­ser Form gekom­men sei, ant­wor­te­te Nick Land mir noch letz­tes Jahr via Twit­ter, ihm sei das alles gleich, er seg­ne pau­schal jede Publi­ka­ti­ons­an­fra­ge ab. Sei­ne heu­ti­ge Distanz zum Früh­werk ent­wer­tet die­ses indes kei­nes­wegs: Das alles ist star­ker Tobak und wort­wört­lich wahn­sin­nig dicht, Lesen wird zur ech­ten Arbeit.

Auch muß eine spät­mo­der­ne Rech­te, die sich in unse­rer ver­kehr­ten Welt aus­ge­rech­net der Ehren­ret­tung des Ratio­na­lis­mus ver­pflich­tet fühlt, zwangs­läu­fig mit Lands fieb­ri­ger »Theo­rie­fik­ti­on« frem­deln. Doch auch das geht vor­bei – alles in allem ein tol­les Buch, im zwei­fa­chen Wortsinn.

– – –

+ Nick Land: Okkul­tes Den­ken. Mit einem Kor­re­spon­den­z­essay von Diet­mar Dath und Phil­ipp Thei­sohn, Ber­lin: Matthes & Seitz Ber­lin 2023. 432 S., 38 € – hier bestel­len!

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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Kommentare (3)

MARCEL

23. Mai 2023 11:17

Wer "Dark Enlightenment" in Romanform lesen möchte, dem sei Thomas M. Disch (1940-2008) Camp Concentration empfohlen.

Nils Wegner

23. Mai 2023 11:56

@ MARCEL:
Ein guter Hinweis; selbstverständlich kann in dem Sinne auch der quasi unvermeidliche William Gibson nicht unerwähnt bleiben, im hiesigen Kontext insbesondere die Bridge Trilogy (in der Übersetzung bei Heyne die "Idoru-Trilogie").
Das ist aber – gerade weil das ganze Konzept so assoziativ ist – ein Kaninchenbau, den man endlos hinunterpurzeln kann, so fallen mir direkt noch Lethems Amnesia Moon und DeLillos Point Omega (Der Omega-Punkt) ein, und sicher gibt es da noch unzählige andere Werke, gerade solche der literarischen "Postmoderne". Das ist ja quasi selbsterklärend.

Heino Bosselmann

24. Mai 2023 17:43

Ich bedanke mich ausdrücklich für diese interessante Empfehlung, wußte rein gar nichts von Nick Land, besorgte also kurzerhand den Band von Matthes & Seitz und las zunächst Theisons Vorwort.Dann gleich vor zu "Die dunkle Aufklärung". Starker Auftakt:"Für eingefleischte Neoreaktionäre ist die Demokratie nicht nur dem Untergang geweiht, sie ist der Untergang selbst. Ihr zu entfliehen kommt einem absoluten Imperativ gleich. Die unterirdische, eine derartige Antipolitik antreibende Strömung ist unverkennbar hobbescher Natur, eine kohärente dunkle Aufklärung, die, was die Äußerungen des Volkswillens betrifft, von Anfang an von allem rousseauschen Enthusiasmus frei war." -Und in dieser apodiktischen Schärfe geht es offenbar weiter. Vielversprechend.