1. Lichtmesz an Abramovych
Wien, 15. 10. 2023
Lieber Herr Abramovych,
Seit nunmehr dreieinhalb Jahren stehen wir miteinander im Austausch über das Thema Israel. Anlaß war ein Text von Götz Kubitschek, „Die peinlichen Musterschüler“ vom 24. Januar 2020, den Sie mit der Stellungnahme „Verzögerte neue Allianzen“ beantworteten. Sie interpretierten Kubitscheks Kritik des Zionismus und insbesondere der zionistischen Parteinahme von Teilen der AfD als Zeichen für ein „Desinteresse an jedweder Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden, ganz unabhängig davon, unter welchen Vorzeichen sie sich auch vollziehen mag.“
Kubitschek wünsche sich offenbar „nichts weiter, als dass man moralpolitische Verweise auf die ‚deutsche Schuld‘ künftig unterlassen sowie das ‘Gängelband’ lockern möge, und pfeift zugleich darauf, was die Juden dazu zu sagen haben und unter welchen Bedingungen sie eine solche Modifikation des derzeit zweifelsohne einseitigen ‚Diskurses‘ begrüßen oder gar unterstützen würden.“
Glücklicherweise aber sei sich „der Großteil der AfD inzwischen dessen bewusst, dass hier nicht für Deutschland allein gekämpft wird und wir Teil einer gesamteuropäischen Widerstandsbewegung sind“. Wie könne man, fragten Sie, sich „als neu-rechts“ (also nicht als NS-affin) begreifen und zugleich mit Thor von Waldstein von einem „gewissen Kleinstaat im Nahen Osten, der die Menschenrechte beharrlich mit Füßen tritt“ „schwadronieren“, schließlich seien doch „alle anderen Völker um uns herum schon wesentlich weiter.“
Dies habe ich wiederum mit dem Beitrag „Notizen über Israel und seine Parteigänger“ gekontert, der am 30. Januar 2020 auf Sezession im Netz erschien. Nun, ich bin offen gestanden auch dafür, sich die Chutzpah zu leisten, „darauf zu pfeifen, was die Juden sagen“, egal welcher Fraktion. Vor allem aber wies ich Ihre Behauptung, Israel sei ein „zuverlässiger Partner im Kampf gegen die dekonstruktivistische Erschlaffung“, als „realitätsfern“ zurück. Nicht nur das: Ich halte diese Vorstellung für ein Lockmittel neokonservativer, pro-atlantischer Irrlichter, die sich in den europäischen Rechtsparteien Israel-Lobbies heranzüchten wollen, an genuiner nationaler Souveränität, etwa Deutschlands, jedoch nicht interessiert sind.
Mein damaliges Resümmee:
Es spricht nichts dagegen, wenn die AfD oder eine sonstige nationale Opposition gute Beziehungen zu Israel pflegt. Sie darf aber nicht in die Falle tappen, sich einen außenpolitischen Kurs aufzwingen zu lassen, der nicht in Deutschlands Interesse sein kann, noch darf sie der Illusion verfallen, Israel wäre ein “Königsmacher”, der ihr zu Macht und Geltung verhelfen könne. Sie sollte auch nicht danach trachten, im Rahmen der “Holocaust-Religion” Absolution, Legitimation oder eine moralische Aufwertung anzustreben, da auf diese Weise nur der “Schuldkult”, von dem sich eine nationale Alternative unbedingt lossagen muß, affirmiert und perpetuiert würde.
In den Jahren, in denen ich mit Ihnen korrespondiert habe, mußte ich feststellen, daß zutrifft, was Uri Avnery einmal in einem Interview sagte:
Eine der schlimmsten Folgen dieses Konflikts – vielleicht jedes Konflikts, aber hier noch mehr – ist, dass die beiden Seiten des Konflikts ein vollkommen verschiedenes Bild haben von dem, was passiert ist. Die Narrative der beiden Seiten schließen einander aus. Und wenn man das ausschließt, die andere Seite, die Gefühle, die Hoffnungen, Erwartungen, die Gedankenwelt der anderen Seite, dann versteht man ja auch nicht, was die andere Seite tut.
Wie ich Sie kenne, werden Sie Avnery als „linken Friedensaktivisten“ und „Antizionisten“ abtun, aber ich erinnere daran, dass dieser in Deutschland geborene Jude als Mitglied der Irgun, Soldat im Krieg des Jahres 1948 und leidenschaftlicher Kibbuznik stets ein israelischer Patriot war und bis zu seinem Lebensende geblieben ist. Davon abgesehen, trifft seine Analyse schlicht und einfach zu; es ist das, was ich an anderer Stelle das Spiel des „Ich seh etwas, was du nicht siehst“ nannte.
Auch wenn ich im israelisch-palästinensischen Konflikt keine Partei vertrete, so sehe ich, daß sich auch unsere Debatten im Kreis drehten, weil wir unterschiedliche Ansichten darüber haben, worüber wir hier überhaupt sprechen, etwa über die Geschichte der Entstehung Israels, die Natur der israelischen Besatzungspolitik im Gazastreifen und im Westjordanland oder gar über das Volkstum der Palästinenser und die Legitimität ihrer Ansprüche.
Ich habe Sie jedoch als „advocatus diaboli“ schätzen gelernt, der mir hilft, bestimmte Dinge genauer zu überdenken und das Denken der Rechtszionisten besser zu verstehen. Von der derzeitigen Eskalation des Konflikts, die vermutlich eine kritische Phase einleitet, welche sich zu einem größeren Krieg auswachsen könnte, sehe ich die deutsche (und österreichische und westeuropäische) identitäre Rechte auf dreifache Weise betroffen:
identitätspolitisch, weil der „Schuldkult“, aus dem Israel sein moralisches Kapital bezieht, in unseren Landen herrschende Doktrin ist und eine vernünftige nationale Politik verunmöglicht;
einwanderungspolitisch, weil sich in unserem Land eine erhebliche Anzahl unruhiger israelfeindlicher Migranten befindet, die auch uns nicht besonders mögen und auf ihren Demos ihre demographische Macht zur Schau stellen;
geopolitisch, weil Israel im amerikanischen Imperium, unter dessen Herrschaft wir stehen, eine exponierte Rolle spielt.
In dieser Lage erscheinen Sie mir als Kombattant einer nun auch auf deutschem Boden virulenten Auseinandersetzung zwischen Arabern und Juden, der dafür wirbt, die Deutschen für einen Kampf der Juden bzw. Israelis gegen Araber/Palästinenser bzw. Muslime zu gewinnen. Gleichzeitig sehe ich, daß Sie nur eine bestimmte und hierzulande recht kleine jüdische Fraktion vertreten, während sich der Großteil des politisch organisierten Judentums in Deutschland eher dafür stark gemacht hat, die Zuwanderung aus muslimischen Ländern nach Deutschland zu fördern, gerechtfertigt und begründet mit der „deutschen Schuld“ und der fixen Idee vieler Juden, nur in einer multikulturellen Gesellschaft „sicher“ zu sein.
Diese jüdischen Institutionen und Akteure reagieren meistens eher abwiegelnd, wenn der „importierte Antisemitismus“, der konkret vorrangig eine Israelfeindlichkeit ist, auch für in Deutschland lebende Juden negative Folgen zeitigt. Gegen Gruppen und Parteien, die sich einwanderungskritisch positionieren, haben sie stets die Nazi-Karte ausgespielt und von der moralischen Erhöhung als Einwandererfreunde profitiert.
Ich erinnere an Michael Wolffsohn, der 2015 die Einwandererflut als „Geschenk des Himmels“ pries und drei Jahre später die Anwesenheit von wachsenden, sich radikalisierenden muslimischen Minderheiten in Deutschland beklagte. Ob Deutsche von den negativen Folgen muslimischer Einwanderung betroffen waren, schien ihm egal.
Momentan wird nun auch von den Linksliberalen in Deutschland, Österreich (und anderswo, etwa Frankreich und Großbritannien) ernsthaft die Option diskutiert, „Antisemiten“ und allen, die „das Existenzrecht Israels“ abstreiten oder bezweifeln, die Aufenthaltsgenehmigung zu entziehen und die Einwanderung zu verweigern, da solche Menschen „niemals zu Deutschland gehören können“. Ein solches „Koscher-Zertifikat“ als Remigrationsgrund wäre vielleicht kurzfristig eine verlockende Idee, aber auf lange Sicht problematisch, da es eben vorrangig um Deutschlands und des deutschen Volkes eigenes Existenzrecht und nicht das von Israel gehen sollte. Da hoffe ich, daß Sie mir zustimmen.
An diese Überlegungen anschließend hätte ich einige Fragen an Sie. Sie sehen nun, wie das politisch-mediale Establishment in Deutschland nahezu vorbehaltslos die Partei Israels ergreift. Angesichts der Schwere der Terrortaten der Hamas sind auch die Stimmen leiser geworden, die eine abwägende Sicht anmahnen und das Ausmaß der Vergeltung kritisieren, die bereits jetzt über 1,500 palästinensische Todesopfer gefordert haben soll, unter ihnen bis zu 500 Kinder.
Ich frage Sie: Wie fühlt man sich, wenn man einem Volk angehört, das von allen Seiten das Recht auf Vergeltung zugesprochen bekommt? Haben Sie mit dem derzeitigen Vorgehen Israels gegen Gaza tatsächlich keine Probleme? Hat es Ihrer Meinung nach jenseits der Vergeltung einen Zweck?
Und darüber hinaus würde mich wirklich interessieren, wie Sie es vereinbaren können, sich via AfD in der nationalen Bewegung Deutschlands zu engagieren, während gleichzeitig Ihre primäre Loyalität einem anderen Staat, Israel, zu gelten scheint.
Auf Ihre Antwort bin ich, wie immer, sehr gespannt.
Beste Grüße, Ihr Lichtmesz
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2. Abramovych an Lichtmesz
Berlin, 16.10. 2023
Lieber Herr Lichtmesz!
Ihre recht intime Kenntnis des Judentums, die sich dem Umstand verdankt, dass Sie durch Ihre Beschäftigung mit Hans Blüher (übrigens dem Musterbeispiel eines rechten deutschen Zionisten) bereits früh auf Hans Joachim Schoeps gestoßen sind, macht Sie zu einem interessanten Gesprächspartner in dieser Frage, – wenn wir auch in ethisch-politischen Dingen (anders als in ästhetischen) oftmals nicht einer Meinung sind.
Worin wir allerdings völlig übereinstimmen, ist unsere Einschätzung des säkularisierten oder theologisch „reformierten“, stets zum Ersatzmessianismus neigenden Diasporajudentums, über das Schoeps treffend sagte: „Der Jude, der nicht er selbst sein will, sondern von sich fort und sich verleugnen will, zerstört die eigene und die fremde Art. Weil er keine Art hat, neigt er dazu, alle Arten aufzulösen.“
Als Schoeps diese Zeilen 1934 schrieb, war er selbst noch gegen die Staatsgründung Israels, allerdings weit weniger aus dem, was man heute als Antizionismus kennt, sondern vielmehr weil er den (damals fast ausschließlich antitheistischen) Zionismus für eine Häresie hielt und an eine Zukunft des Judentums in Europa glaubte. Dieser Typus Jude, den Schoeps bis zum Zweiten Weltkrieg darstellte und der sich sowohl gegen Selbstverleugnung (mithin liberales Assimilantentum) als auch gegen areligiösen „Ethnozentrismus“ wandte (wie Sie es nennen würden), existiert allerdings aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr; die Liebe der Judenheit (und längst nicht nur der deutschen) zu Deutschland wurde mitnichten erwidert.
Schoeps gab seinen Widerstand gegen das zionistische Projekt folgerichtig auf und wandte sich in seinen letzten Jahren gar offen gegen den linken und den muslimischen Antizionismus. Inzwischen gibt es nur noch zwei Typen Juden: den antinationalen, globalistischen (ins Jüdische übersetzt: diasporistischen) linken Juden oder den Nationaljuden. Und letzterer ist natürlich weit eher geneigt, eine in Ihrem Sinne „ethnopluralistische“ Einrichtung der Welt zu akzeptieren.
Mich hat seit jeher verwundert, dass Sie, obwohl Sie sich all dessen bewusst sind und in anderen Fragen stets analytisch denken, dennoch derart moralinsaure Äußerungen von sich geben, sobald es um Israel geht. Ich sehe denn auch keineswegs, dass die deutsche Rechte besonders anfällig sei für die Anliegen einer von Ihnen so bezeichneten „Israel-Lobby“, sondern im Gegenteil dass sowohl die Rechtsintellektuellen als auch die rechten Parteipolitiker anderer europäischen Länder eine weit entspanntere und rationalere Haltung zu dieser Frage einnehmen.
Ich denke etwa an Alain de Benoist, der über Israel in der erweiterten Neuausgabe von Wir und die anderen (erscheint in wenigen Wochen im GHV) gänzlich anders urteilt als Sie; oder an Renaud Camus in der von Ihnen übersetzten Revolte gegen den großen Austausch, worin er gar bekräftigt, es seien zwischen der europäischen Rechten und den Juden „sehr herzliche Beziehungen“ möglich.
Auch parteipolitisch sehe ich in den übrigen europäischen Ländern keine derartigen Vorbehalte wie hierzulande. Éric Zemmour, sonst recht zurückhaltend gegenüber israelischen Belangen, forderte eine Streichung sämtlicher Zahlungen an die UNRWA; Marine Le Pen gab gar (im Gegensatz zur französischen Linken) kund, Israel habe nun das Recht, die Hamas vollständig vom Erdboden zu tilgen.
Innerhalb der EU-Kommission haben sich grade drei osteuropäische Länder, an der Spitze Ungarn, für eine völlige Streichung der Hilfsgelder an die UNRWA ausgesprochen, während der Kommissar für Auswärtiges Borrell und alle linksregierten Mitgliedsstaaten für eine Fortsetzung der Zahlungen eintraten und sich mit dieser Position auch durchsetzten, obwohl spätestens jetzt ersichtlich geworden sein dürfte, dass diese Hilfsmittel zweckentfremdet werden für den Kampf gegen Israel. In sämtlichen europäischen Nachbarländern gilt die Faustregel: je rechter, desto stärker proisraelisch, je linker, desto stärker antizionistisch.
Dass aber etwa ein Schmitt-Schüler wie Thor von Waldstein, sobald es um Israel geht, plötzlich beginnt, von Menschenrechten, wie ich seinerzeit schrieb, zu „schwadronieren“, erscheint mir nach wie vor völlig deplatziert. Auch habe ich keinerlei Verständnis dafür, dass sich nun über die israelische Reaktion auf die Massenmorde ausgerechnet jene AfD-Vertreter echauffieren, die den „Menschenrechtsimperialismus“ grundsätzlich ablehnen und denen etwa der Völkermord an den Uiguren in der Volksrepublik China keiner Erwähnung wert ist (sofern sie diesen nicht rundheraus als amerikanische Propaganda abtun).
Um dieses Ungleichgewicht, um nicht zu sagen: dieses zweierlei Maß zu erläutern, wäre es zu kurz gegriffen, schlicht Judenfeindlichkeit zu unterstellen und alle über einen Kamm zu scheren. Zweifelsohne spielt eine gewisse, stets an den politischen Rändern anzutreffende Zivilisationsfeindlichkeit à la Rousseau eine Rolle (an der übrigens auch der von Ihnen erwähnte Uri Avnery krankte, der im Verlauf seines Lebens von der äußersten Rechten zur äußersten Linken gewechselt ist): die Romantisierung des Barbaren als edel und die Kriminalisierung der Zivilisation als inhuman unter einer humanistischen Fassade.
Ein weiteres, damit in Zusammenhang stehendes Moment ist, dass bei manchen Kommentatoren (und das sehe ich bei Ihnen am Werke) die Geopolitik alles übrige überdeckt: Sie werfen Ihre eigenen Kategorien über Bord, weil Sie Israel als Vorposten des amerikanischen Imperiums ablehnen, und lassen alle übrigen Aspekte außer Acht. Denn dass Ihre Konzeption des Ethnopluralismus mit den Arabern nicht zu machen ist (nicht zuletzt weil eine überwältigende Mehrheit der Araber heutzutage Islamisten sind und der Islam, im Gegensatz zum Judentum, nun einmal aggressiv universalistisch ist), dürfte Ihnen durchaus klar sein; Sie deuten diesen Umstand ja selbst an, wenn Sie davon sprechen, dass die hiesigen Moslems dieser Tage „ihre demographische Macht zur Schau stellen“.
Ein äußerst bezeichnendes Beispiel für Ihr zweierlei Maß ist, dass Sie entgegen Ihrer sonstigen Maßstäbe darauf bestehen, die „Palästinenser“ seien ein Volk. In Ihrem Buch über den Ethnopluralismus (S. 111) definieren Sie Volk vornehmlich als fußend auf „Abstammung“ einerseits und „staatlicher Gemeinschaft“ andererseits. Von einer gemeinsamen oder auch nur distinkten Abstammung jener Araber, die sich als Palästinenser bezeichnen, kann allerdings nicht die Rede sein. Sie haben keine eigene Sprache, nicht einmal einen distinkten Dialekt (in Gaza ist die Mundart näher an der ägyptischen, in Jericho näher an der jordanischen). Auch war dieses Territorium über Jahrhunderte hinweg, während seiner Zugehörigkeit zum Osmanischen Reich, Durchzugsgebiet. Der PLO-Gründer Arafat etwa war gar gebürtig aus Kairo.
Die Araber im nachmaligen Mandatsgebiet Palästina haben sich niemals als eigenes, distinktes Volk betrachtet. „Palästinenser“ war bis zur Staatsgründung Israels gar ein Synonym für die im Mandatsgebiet lebenden Juden (mithin das, was man heute als „Israeli“ bezeichnet). Als ich Sie darauf unlängst hinwies und die sogenannten Palästinenser scherzhaft als „Volk ohne Namen“ bezeichnete, reagierten Sie meines Erachtens recht moralinsauer – und mithin ganz anders, als ich Sie – und wohl auch andere – Sie kennen.
Was die Staatlichkeit anbelangt, ist unschwer zu erkennen, dass die sogenannten Palästinenser niemals ein eigenes Staatswesen hatten (es sei denn, man möchte das Königreich Jordanien, wo sich rund 80% der Bevölkerung als Palästinenser identifizieren, als Staat Palästina betrachten). Bezalel Smotrich, Finanzminister und Vorsitzender der nationalreligiösen Partei, fasste diesen Umstand vor wenigen Monaten in eine Reihe rhetorischer Fragen: „Wer war der erste palästinensische König? Was für eine Sprache haben sie? Gab es jemals eine palästinensische Münze?“ Man könnte diese Fragen beliebig fortsetzen: Was ist das (distinkte) palästinensische Nationalgericht? Wie heißt das Nationalepos der Palästinenser?
Nach keinem neurechten Kriterium sind die Palästinenser ein Volk. Wenn Sie Ihre eigenen Maßstäbe, die Sie an zahlreichen Orten dargelegt haben, konsequent anwenden würden, müssten Sie anerkennen, dass die sogenannten Palästinenser ebensowenig ein Volk darstellen wie die Albaner im Kosovo oder die sich als Rohingya bezeichnenden Bengalen in Myanmar. Bei der Erfindung des palästinensischen Volkes handelt es sich um nichts weiter als einen PR-Trick, um unberechtigte Ansprüche zu erheben, und Siegfried Gerlich hat vor einigen Jahren an dieser Stelle auf eine aufschlussreiche Äußerung des PLO-Manns Zuhair Muhsin (hier zitiert) hingewiesen:
»Ein palästinensisches Volk existiert nicht. Die Schaffung eines Palästinenserstaates ist nur ein Mittel, um unseren Kampf gegen den Staat Israel zugunsten unserer arabischen Einheit fortzusetzen. In Wirklichkeit gibt es heute keinen Unterschied zwischen Jordaniern, Palästinensern, Syrern und Libanesen. Nur aus politischen und taktischen Gründen sprechen wir heute von der Existenz eines palästinensischen Volkes, denn die arabischen nationalen Interessen verlangen, dass wir die Existenz eines eigenen palästinensischen Volkes als Gegenpol zum Zionismus postulieren.«.
Dies führt uns unweigerlich zu der Frage, warum es bis heute keinen Palästinenserstaat gibt, obwohl Gelegenheiten genug bestanden hätten, einen solchen zu gründen, etwa 1947 im Angesicht des Teilungsplans der UN, den die Araber allerdings ablehnten, um anschließend einen Krieg gegen die Juden zu führen. Auch nach der Niederlage gegen den jungen Staat Israel behielten die Araber bis 1967 immerhin Gaza sowie Judäa und Samaria einschließlich Ostjerusalems, um auf diesem Gebiet einen Staat zu gründen; doch Gaza wurde Teil Ägyptens und die restlichen Gebiete Teil Jordaniens. (Übrigens begannen die dortigen Araber erst nach dem israelischen Sieg im Sechstagekrieg, sich systematisch als eigenes Volk zu präsentieren, weil sie hatten einsehen müssen, Israel militärisch nicht in die Knie zwingen zu können und als vermeintlich distinktes Volk vor der Weltöffentlichkeit bessere Karten zu haben).
2005 schließlich, unter Ariel Scharon (der in europäischen Medien, wegen seiner Kooperation mit dem weißen Südafrika und seiner Unterstützung der Phalange im libanesischen Bürgerkrieg, stets als Hardliner dargestellt wurde, obwohl er ein Mann der Mitte war), koppelte Israel Gaza von sich ab und erhob seither keinerlei Anspruch mehr auf dieses Gebiet. Die Araber hätten dort einen Staat Palästina gründen und sogar internationale Anerkennung erringen können (Israel hätte ihnen keine Steine in den Weg gelegt); doch stattdessen wählten sie die Hamas und damit den Kriegszustand. Der Krieg gegen Israel war ihnen sogar wichtiger als die Errichtung einer eigenen Infrastruktur, sodass sie die Chuzpe haben, als Schmarotzer gegen ihren eigenen Wirt zu kämpfen. Die Hamas ist wohl weltweit der einzige politische Akteur, der es sich erlaubt, die Kinder derjenigen zu massakrieren, von denen sie mit Wasser und Strom versorgt werden.
Was nun schließlich den von Ihnen so bezeichneten „Schuldkult“ anbelangt, schlägt Israel daraus weit weniger Kapital, als Sie insinuieren; der größte Profiteur sind nämlich zweifelsohne Diasporajuden, die mit Israel nur wenig am Hut haben, sowie jene philosemitischen deutschen Klezmeridioten und Stetl-Nostalgiker, die zu großen Teilen zu Antizionismus neigen (weil ihnen der wehrlose Jude von früher lieber ist als der wehrhafte von heute).
Dieser überzeugte Diasporajude, der Auschwitz universalistisch interpretiert, wird sich, ebenso wie der “Philosemit”, immer gegen die aus seiner Sicht Starken, mithin gegen die Weißen, einsetzen, weil er überall ein neues Auschwitz an den jeweils austauschbaren “neuen Juden” wittert. Der Täter aber ist bei ihm nicht austauschbar.
Der Zionist (der jüdische wie der nichtjüdische) hingegen, der Auschwitz ansieht als Versuch, das jüdische Volk (und eben kein anderes) auszurotten, sieht den jeweiligen Feind an als die Rute, die Gott verwendet, um die vom jüdischen Volk Abgefallenen zu strafen, d.h. als austauschbar. Deshalb ist er auch weit eher geneigt, die Deutschen nicht als ewiges Feindbild zu betrachten.
Das Holocaustmahnmal in Berlin etwa, das Lieblingsobjekt der Philosemiten, liegt aus zionistischer Sicht nicht im Geringsten im jüdischen Interesse; es ist eher das Gegenteil der Fall. Abgesehen davon, dass es schlichtweg degoutant ist, in den sozialen Medien Bilder von Touristen zu sehen, die vor dem Mahnmal posieren oder auf den Stelen ihren Döner verzehren, dürfte der „Sündenstolz“ (Martin Walser) der ethnisch fast vollständig deutschen „Lea“ (eigentlich Edith Renate Ursula) Rosh, welcher das Mahnmal hervorbrachte, mehr Antisemiten produzieren als Deutsche mit dem Judentum versöhnen.
Der sozialdemokratische Historiker Eberhard Jäckel gab zum fünfjährigen Jubiläum dieses Mahnmals (es gab tatsächlich einen Festakt aus diesem Anlass) gar kund, es gebe Völker, die „uns“ (also die Deutschen) „um dieses Mahnmal beneiden“. Es handelt sich dabei mithin um ein Projekt von Deutschen für Deutsche, und der einzige Typus Jude, der davon profitiert, ist der vom deutschen Staat finanzierte Funktionärsjude, der sich bei öffentlichen Anlässen davor ablichten lässt. Henryk Broder hat das Mahnmal entsprechend und kontinuierlich über Jahre hinweg (zum Teil mit großem Humor) kritisiert.
Ein unabänderlicher Fakt bleibt aber der realpolitische Umstand, dass das Wort eines Juden (zumal ein solches, das der gemeine Deutsche mit Tagesschau-Sehgewohnheiten nicht erwarten würde) in der Öffentlichkeit weit mehr Wirkung entfalten kann als das Wort eines jeden anderen. In der Jungen Freiheit schrieb Armin Mohler in den 90ern einmal sinngemäß davon, dass das erlösende Wort nur ein Jude sprechen könne. Der moralpolitische Vorsprung des Juden ist eine Tatsache, die weder Sie noch ich ändern können. Wer sie nicht für sich zu nutzen weiß, beschneidet sich daher realpolitischer Möglichkeiten und einer potentiellen Waffengleichheit gegenüber der politischen Linken.
Das politische Angebot außerhalb Israels lebender Nationaljuden wie mir mag in Deutschland etwas Ungewohntes darstellen, ist aber in den USA und auch etwa in Frankreich längst gang und gäbe. Es ist zudem meines Erachtens nichts Vages oder Klandestines daran, denn unsereiner versucht ja nicht, das Publikum wahrheitswidrig zu täuschen darüber, dass wir – trotz aller kultureller Bindungen an die jeweiligen Länder, in denen wir leben – niemals mehr restlos werden aufgehen wollen in einem anderen Volk.
Die Zeiten der „Deutschen israelitischer Konfession“ – oder wie auch immer sich die liberalen Assimilanten vergangener Tage in völliger Verleugnung sowohl vom Wesen des Judentums als auch der Bedeutung von Ethnie genannt haben mögen – sind endgültig vorbei; denn jene Juden, die nach wie vor den Nationscharakter des Judentums herunterspielen oder gar leugnen, eignen sich keineswegs für Allianzen mit der politischen Rechten anderer Völker. Daher ist es schlichtweg unredlich, sich als deutscher Rechter auf die israelische Linke zu berufen (denn einem israelischen Rechten fiele es im Traum nicht ein, sich auf Habermas oder ähnliche „Denker“ zu berufen).
Und wer sich aus reiner Animosität zu schade dafür ist, sich für eine der beiden Optionen zu entscheiden, muss sich nicht wundern, wenn er von jüdischer Seite als politischer Feind betrachtet wird.
Beste Grüße aus Berlin, Ihr Artur Abramovych
MARCEL
Mein Senf dazu:
Ein Qualitätsmerkmal, daß es diese Korrespondenz auf diesem Niveau gibt, Respekt! Spricht für beide sowie für eine deutsch-jüdische Verschränkung, die weit vor die NS-Zeit zurückreicht (nach dem Willen Herzls sollte in Israel m.W. deutsch gesprochen werden und im Shtetl spricht man heute noch Judendeutsch bzw. Jiddisch)
Keinem Juden kann völlig egal sein, was in Israel passiert, auch wenn er sich ausdrücklich nicht als Zionist versteht- ein nicht lösbares Dilemma (gilt übrigens für jeden Katholiken in Hinblick auf den Papst)
Die muslimischen Araber werden uns eine evtl. Parteinahme für ihre Recht schlecht danken, da sie keinerlei Probleme haben, uns unser Land u. im Extremfall unser Leben ebenso wegzunehmen. Hamas ist Islam und der will grundsätzlich die Welt, nicht nur Israel.