Das Bild, das sich bot, hatte etwas Farcenhaftes, Absurdes. Ein mittelgroßes Aufgebot behelmter Polizisten mit Schlagstöcken hatte die Ringstraße gesperrt und riegelte zwei Gruppen voneinander ab: Eine “rechte” Schar vor dem Haupteingang der Uni und die Antifanten, auf der Straße davor.
“Geben Sie Gedankenfreiheit” stand auf einem Banner der “Aktion 451″, dem Anmelder der rechten Kundgebung. “Wenn Rassist_innen zuschlagen, sorge dafür, dass sie es nie wieder tun” parolierte die Antifa (sekundiert von dem besonders witzigen und passenden Spruch “Männerbünde sind sowas von 1815”).
Hier redeten offenbar zwei Gruppen zielgerade aneinander vorbei. Aber zum “miteinander Reden” waren beide nicht hier.
Als Kubitschek seine etwa zehnminütige Rede begann, donnerte ein von schrillen Mädchenstimmen dominierter Chor los: “Halt die Fresse! Halt die Fresse!”, gefolgt von “Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!” und ähnlichen Evergreens aus dem allseits bekannten Repertoire.
Der Redner auf der Rampe war kaum zu verstehen, aber sein Auftritt war ohnehin eher symbolischer Natur. Der Kontrast zwischen dem Geist des Banners, das “Gedankenfreiheit” forderte, und dem Mob, der blindwütig versuchte, sie mit primitivstmöglichen Mitteln zu unterdrücken, hätte kaum schärfer ausfallen können.
Die Szene verdeutlicht gut, daß sich hier keine “komplementären” Gegner gegenüberstanden, der Antifaschist dem Faschisten, der linke “Extremist” dem rechten “Extremisten”, der eine das seitenverkehrte Spiegelbild des anderen, wie es sich manche Hufeisentheoretiker in der braven sogenannten “Mitte” so gerne zurechtbiegen.
Vielmehr spielte einer ein Spiel, mit dem der andere nichts zu tun hatte, das er aber aus einer ironischen Distanz heraus kommentierte, während er niedergebrüllt, beschimpft und bedroht wurde. Es ist nicht bloß das Spiel der Antifa, sondern letztendlich des “Systems” selbst, das sich einmal mehr mit der Hilfe seiner Wadenbeißer vom Dienst demaskiert hat.
Die Antifa bedarf Kubitscheks und der Rechten (und aller, die sie dafür hält) als Projektionsfläche für einen inneren Film, der ihre Existenz und “causa sui” legitimiert, mit der Realität aber wenig zu tun hat, sie zum Teil auf den Kopf stellt. Darum muß sie auch so verbissen lügen, die Tatsachen auf den Kopf stellen, sich selbst als “Opfer” präsentieren, auch wenn sie eindeutig der Aggressor ist.
“Blutige Szenen beim Auftritt des Rechtsextremisten Kubitschek”, so liest man im linksliberalen Standard, der für seine Berichterstattung über “rechte” Aktivitäten mit Vorliebe linke, antifa-affine Denunzianten heranzieht.
Zu diesen gehört auch das einschlägig umtriebige Fräulein Colette M. Schmidt, das folgende Szene kolportiert:
Ein rechtsextremer Kampfsportler wirft einen Polizeibeamten über die Schulter und drischt ihm danach sein Knie ins Gesicht. Er wird schließlich von Beamten überwältigt und zu Boden gedrückt. Ein junger Mann zieht dem Kampfsportler eine Flasche über das Gesicht, der Kampfsportler beginnt stark zu bluten. Ein anderer Mann mit einer braunen Kappe schlägt einer Polizistin mit der Faust ins Gesicht. Das sind keine Szenen aus einem Actionfilm, sondern Passagen aus einem Video, das die Recherche-NGO Demo am vergangenen Freitag in Wien gedreht hat.
Diese Schilderung ist reine Erfindung, offenbar mit dem Zweck zu vertuschen, was sich tatsächlich ereignet hat: Als Kubitschek und sein Sohn die Straße überquerten, wurden sie von rund einem Dutzend vermummter Antifanten unprovoziert physisch attackiert. Die Angegriffenen setzten sich beherzt und erfolgreich zur Wehr, bis die Polizei eintraf. Ende der Geschichte.
Fräulein Schmidt aber besitzt die Dreistigkeit, zu kommentieren: “Trotz der recht blutigen Vorfälle wurde die Kundgebung danach nicht sofort aufgelöst.” Kunststück, wenn diese “Vorfälle” ausschließlich und nachweislich auf das Konto der antifaschistischen Gegendemonstranten gingen.
Ich wußte von alledem noch nichts, als ich am Schauplatz eintraf. Ich begann, ein paar Fotos zu machen, was prompt die Aufmerksamkeit einiger Antifas weckte.
Eine lauernde Gestalt mit “Corona-Maske” im Gesicht erspähte mich von der anderen Straßenseite, und fing an, mir nervös nachzuschleichen und mich wiederholt aus der Ferne zu fotografieren.
Irgendwann standen wir uns gegenseitig fotografierend wie in einem Western-Duell gegenüber, wechselten gleichzeitig die Straßenseite, und als wir in der Mitte der Straße auf gleicher Höhe waren, rief ich ihm zu, Daumen hoch: “Mutig!”
Vor der Absperrung, hinter der “unsere” Gruppe stand, erkannte ich einen Bekannten, der ebenfalls die Zaungastrolle vorzog, und begrüßte ihn mit einem Handschlag. Kurz darauf baute sich eine pummelige junge Frau mit kurzen Stirnfransen (sogenannten “antifa bangs”, das Frisurenäquivalent zu “problem glasses”) und rosa Plüschjacke vor mir auf und fotografierte mich, worauf ich sie zurückfotografierte (ein eher kindisches Ritual).
Ich ging wieder zur Absperrung bei der Uni-Rampe und wartete das Ende der Kundgebung ab. “Martin!”, rief eine männliche Stimme. Ich drehte mich zur Seite und sah eine Gruppe von fünf, sechs Antifanten, die laut auflachten, weil ich reagiert und damit meine Identität bestätigt hatte. Sie schienen jedoch nicht auf Krawall oder Handgreiflichkeiten aus zu sein.
Der Rädelsführer, ein unappetitlicher Dicker mit schwarzen Bartstoppeln, Monobraue, Brille und Mütze auf dem Kopf, grinste mich an, ich grinste zurück, hob meine Kamera: “Soll ich ein Gruppenfoto machen von euch?” Simultan bedeckten sie ihre Gesichter mit der Handfläche. Ich drückte nicht ab.
Insbesondere der Dicke, Typ “Midwit” mit Dunning-Kruger-Syndrom, neben ihm eine auffallend schöne, großgewachsene Frau, die pflichtbewußt, aber etwas gezwungen über seine sarkastischen Bemerkungen lachte, schien geradezu vor Freude zu platzen, endlich die Gelegenheit zu haben, mir gehörig seine Meinung zu sagen. Ich verstand akustisch kaum die Hälfte von dem, was er sagte. Etwa so: “Na, du großer Intellektueller? Soooo dünn ist eure Zeitschrift!”
Dabei führte er Daumen und Zeigefinger zusammen, um mir optisch zu demonstrieren, wie dünn unsere Zeitschrift (er meinte wohl die Sezession) in Zentimetern ist. Das erschien ihm als derart brillantes Argument, daß er diesen Satz und diese Geste etwa dreimal wiederholte, vergeblich nach einer Reaktion meinerseits heischend. Er hatte aber noch mehr auf Lager: “Du solltest mal lesen, was Wolfgang Pohrt über euch geschrieben hat… das Schlimmste an euch ist, daß ihr nicht einmal zugebt, Faschisten zu sein!”
Nach dieser eindrucksvollen Demonstration geistiger Überlegenheit traten noch zwei weitere junge Männer an mich heran, die sich beide als “Fans” ausgaben. Der erste schien authentisch zu sein, der zweite, ein sich herandrucksender schmaler Blonder, wollte offenbar auf subtile Weise Informationen aus mir hervorlocken: “Ich gehöre nicht dazu, bin aber Sympathisant! Wissen Sie, wo sich diese Organisation nachher trifft?” Niedlicher Versuch, aber jedes einzelne Wort verriet ihn.
Nun zog die kleine rechte Schar ab, und ich bat die Polizisten, mich ihr anschließen zu lassen. “Er gehört zu uns!”, rief Kositza, packte mich am Ärmel und zog mich in die Gruppe hinein. Wir wurden zu einer Straßenbahn eskortiert, von der ich erst viel später erfuhr, daß sie tatsächlich extra zu unserem Schutz reserviert wurde. Das war völlig gerechtfertigt, da von den Gegendemonstranten eine akute physische Bedrohung ausging.
Nun geschah etwas völlig Bizarres: Polizisten und Antifanten liefen in Scharen neben dem langsamer als üblich fahrenden Wagen her, die letzteren Haßparolen brüllend, den Mittelfinger ausgestreckt, die Gesichter, die sie doch nach eigener Auskunft “gegen rechts zeigen” wollen, mutig hinter “Corona-Masken” versteckt (inzwischen passenderweise ein Symbol für staatlich verordneten Konformismus).
Die surreale Absurdität dieser Situation hatte etwas ziemlich Belustigendes, und entsprechend heiter war die Stimmung in unserer Gruppe. Einige Passagiere, die sich in diesen Sonderzug verirrt hatten, der an sämtlichen vorgesehenen Haltestellen vorbeifuhr, waren freilich ziemlich irritiert.
Eine junge Frau fragte Kubitschek, was denn hier los sei. Er erklärte es ihr höflich. In dem Moment, wo ihr klar wurde, daß “gute” Linke hinter uns her waren, wir daher “böse” Rechte sein mußten, weiteten sich ihre Augen vor Schreck und ihr Gesicht versank in ihren Schal. “Ich gehöre nicht zu denen, ich habe nichts mit ihnen zu tun”, hörte ich sie mit zitternder Stimme beteuern, als wir ausstiegen.
Die Polizei eskortierte uns bis zu unserem “safe space”, dem Veranstaltungsort, an dem Kubitschek jenen Vortrag über Bradburys Fahrenheit 451 hielt, den er eigentlich an der Universität hätte halten sollen. Da ich Veteran der Anti-Corona-Demonstrationen in Wien bin, weckte die sehr korrekt und effizient ausgeführte Polizeieskorte in mir etwas “gemischte” Gefühle. 2021 hatte ich die Polizei überwiegend als “Feind” erlebt, offenbar vom Innenministerium beauftragt, die Demonstranten zu schikanieren, einzuschüchtern und teilweise sogar zu provozieren.
Es versteht sich von selbst, daß die linke Blase, den Schutz, den wir vor den Linksextremisten bekamen, als überaus skandalös hinstellt, denn in ihren Augen sollten wir am besten überhaupt keine Bürgerrechte genießen und bloß aufgrund unserer politischen Positionierung kriminalisiert werden.
Ihnen scheint nicht klar zu sein, daß sie es mit einem rechtsstaatlichen Prinzip zu tun haben, mit dem auch ihre Demos vor gegnerischer Gewalt (die es bezeichnenderweise nicht oder kaum gibt) geschützt werden müssen. Ihr Ideal wäre ein Polizeistaat als Bürgerkriegspartei, der ihren Willen vollstreckt.
Kubitschek betonte zu Beginn seines Vortrags, daß die Antifanten, die uns eben belagert hatten, nicht der eigentliche Gegner seien, sondern bloß lästig. Unser Denken, Schreiben und Handeln könnten sie nicht beeinflußen. Wer der größere, der eigentliche “unsichtbare Gegner” sei, habe Ray Bradbury schon vor siebzig Jahren erahnt; zumindest helfe sein radikal kulturkritisches Buch dabei, die Umrisse dieses “Big Other” zu erkennen.
Unmittelbar nach seiner Rede mußte Kubitschek zum Termin im Parlamentsklub der FPÖ weitereilen, wo er an einer Podiumsdiskussion über linksextremistische Gewalt teilnehmen sollte. Ich übernahm die Moderation des anschließenden Publikumsgesprächs, und eröffnete es mit einer provokanten Frage: “Wer von euch hat schon einmal ein Buch verbrannt?”
Drei Hände gingen in die Höhe: Eine ältere Dame hatte einmal zur persönlichen Genugtuung einen Koran in ihrem Garten verbrannt, einer aus ähnlichen Motiven Das Kapital von Karl Marx und ein dritter ein verhaßtes Schulbuch. Dies alles verlief also im Bereich persönlicher Affekte.
Ich selbst bekannte mich schuldig, vor elf Jahren einen Stapel unschuldiger Bücher vernichtet zu haben. Aber ich brachte eine künstlerische Rechtfertigung dafür auf: Für meinen kurzen Werbefilm “50x Sezession” brauchte ich eine dramatische Einstellung, um Feuerwehrmann Montag, Angehöriger der “Division Antaios”, in Szene zu setzen (Zeitstempel 2:17). Dabei mußte ich allerdings die Erfahrung machen, daß Bücher sehr schlecht brennen, weshalb es nötig war, ein paar Zeitungen und trockene Hölzer nachlegen.
Ich schwöre, daß ich mit einer Ausnahme, die ich geopfert habe, keine Qualitätsbücher verbrannt habe, sondern nur Konsumschund, von dem die Buchhandlungen heute übervoll sind. Ich bin zwar ein leidenschaftlicher Leser, Sammler und “book hoarder”, aber ich respektiere kein Buch einfach nur deswegen, weil es ein Buch ist.
Ein Buch kann man ohnehin nicht durch Verbrennen zerstören: Es ist nicht bedrucktes Papier, zwischen zwei Deckel gepreßt, sondern ein lebendiger Geist, weshalb man sich auch so etwas wie die “Büchermenschen” von Ray Bradbury vorstellen kann.
Der Abend endete schließlich mit einer ausgelassenen Party in einem unterirdischen Keller mit einer vom “Filmkunstkollektiv” erstellten Bilderschau von den Höhepunkten des Tages.
Kubitschek wünschte “L’homme armé” von Camerata Mediolanense zu hören; der Wunsch wurde ihm erfüllt, und die Trommeln der legendären Neofolk-Band aus Mailand erfüllten den Raum, während auf der Leinwand eine beleibte Polizistin in einer Zeitlupen-Dauerschleife der belagerten Straßenbahn hinterherlief.
Le Chasseur
Hier gibt es ein paar Bewegtbilder: https://www.youtube.com/watch?v=2P9ZWZ6ZmNg