Bei mir liegt es nun schon fünf Jahre zurück. Meine Kirchenleitung ist in einer Art und Weise mit mir umgesprungen, die mich fassungslos machte, aber das war nicht der Grund. Aus verletztem Stolz aufzubegehren, würde einen nicht auf den richtigen Weg zurückbringen.
Außerdem hoffte ich, daß die Kirchenleitung doch noch irgendein Interesse an mir hätte und einen Draht zu mir halten würde. Geschenkt! – Der Grund war, daß man den Bischof, der als Konservativer den Linksradikalen ein Dorn im Auge war, aus dem Amt mobbte.
Persönlich war er mir durchaus nicht sympathisch, da er meine Bitte um seelsorgerliche Unterstützung ignoriert hatte, obwohl dies als Seelsorger aller Pfarrer seine Pflicht gewesen wäre; im Gegenteil: Ich weiß, dass er meine Absetzung unterstützte (ich vermute, um von den eigenen „Leichen im Keller“ abzulenken). Dennoch, eine Kirche, die den eigenen Bischof zum Teufel jagt, hat sowohl Anker als auch Richtung verloren.
Mein „Austritt“ war ein ohnmächtiger Akt des Widerstands, zum einen falsch adressiert, da ich zu diesem Zeitpunkt gar nicht Glied der sächsischen Landeskirche war – mir war aber gar kein anderes Mittel mehr geblieben, um meinen Widerspruch überhaupt zu adressieren. Zum anderen war mir völlig klar, daß es so etwas wie einen „Kirchenaustritt“ gar nicht gibt.
Zur Kirche gehört man durch die Taufe, es ist eine sakramentale, und das heißt zumindest von meiner Seite aus prinzipiell unlösbare Verbindung. Wer wäre Gott, der ja selbst im Sakrament handelt, wenn er sich von mir in die Parade fahren ließe (und wer wäre ich?)? Die Kirche ist kein bürgerlicher Verein, auch wenn sie sich so gebärdet, und man kann ihr nicht nach Belieben beitreten und beim nächsten Unbelieben Adieu sagen. Es ist dem Heutigen – auch dem Heutigen in mir selbst – nur schwer zu vermitteln, daß er in dieser Frage kein Mitspracherecht hat.
Wo es selbstverständliche Voraussetzung ist, daß das Individuum ein Recht auf Autonomie in allen Belangen hat, kann eine unlösbare Kirchenbindung nur ärgern, stören, verletzen. Schlimmer noch: Die Möglichkeit des Entfernens besteht nur seitens der kirchlichen Obrigkeit. Es gibt keinen Austritt, wohl aber einen Ausschluß, mit dem kraß antichristliches und unbußfertiges Verhalten geahndet wird bzw. werden sollte. Es gibt deswegen keine rechte Kirche ohne Hierarchie.
Dem Heutigen sind derlei theologische Erwägungen in der Regel freilich schnuppe, er geht zum Standesamt und erklärt lapidar sein Ausscheiden. Eine Sache von fünf Minuten, und damit hat sich’s. Was man getan hat, ist nicht mehr und auch nicht weniger, als sich aus dem kirchlichen Steuerregister streichen zu lassen. Man verliert damit den „Anspruch“ auf „kirchliche Dienstleistungen“ (wie Trauung oder Beerdigung); das gesamte bürgerlich-rechtliche Konstrukt ist theologisch selbstverständlich nicht zu rechtfertigen. Man stelle sich vor, es gäbe keine Kirchensteuer – wie würde man dann einen „Anspruch“ begründen oder einen „Austritt“ erklären?
Ich bin getauft, ich kann die Taufe nicht ungeschehen machen, und durch die Taufe bin und bleibe ich also Glied der Kirche. – Aber ist es denn eigentlich statthaft, die Kirchensteuer zu verweigern? Ist es nicht vielmehr Christenpflicht, den „Zehnt“ abzuführen? Das war mir lange unklar. Was die Kirchenleitung mit meinem Geld anstellt, liegt ja nicht in meiner Verantwortung, dafür wird keine Rechenschaft von mir verlangt werden. Genügt also der schlichte Gehorsam? Alles andere wäre nicht mein Problem? Mit dieser Frage geht es in die Tiefendimension christlichen Selbstverständnisses.
Es gibt keinen Bereich des Lebens, in dem der Christ aus seiner sittlichen Verantwortung entlassen wäre. Zu dieser sittlichen Verantwortung gehört der Gehorsam gegen kirchliche und auch weltliche Obrigkeit (weshalb, nebenbei bemerkt, aus christlicher Sicht die Behauptung Unfug ist, die Regierenden seien „nur unsere Angestellten“) – sie erschöpft sich aber nicht darin. Man wird dem Auftrag Christi nicht gerecht, wenn man sagt, man habe zeitlebens gehorcht. Auch der Umgang mit dem Geld gehört selbstverständlich zu dieser sittlichen Verantwortung.
Zunächst muß ich hier dem Konzept der Kirchensteuer theologisch entschieden widersprechen, in Folge auch dem des Sozialstaats. Die sittliche Verantwortung liegt immer beim einzelnen, für sein selbsteignes Tun und Lassen wird er von Gott geprüft und gerichtet. Man kann das nicht outsourcen an eine Institution, man würde sich damit auf verführerisch einfache, aber dennoch grundfalsche Art und Weise von der eigenen Verantwortung verabschieden.
Dieser Weg ist leider längst beschritten und in den Köpfen alternativlos, sodaß es zur irrigen Vorstellung kommen konnte, der Zuspruch zu bestimmten politischen Positionen, die mehr Sozialstaat fordern, sei „Nächstenliebe“.
Ich vermute, Jesus hätte die Idee des Sozialstaats abgelehnt, eben weil dieser von keinem einen persönlichen Einsatz oder überhaupt eine persönliche Begegnung mit Armen, Schwachen usw. fordert, und das heißt: keine wahre Nächstenliebe.
Der einzelne wird aus der „Vertikalspannung“ (Sloterdijk) entlassen, er muß nicht mehr entscheiden, und damit muß er auch nicht mehr für seine Entscheidungen einstehen. Mit seinem Geld überträgt er auch seine Verantwortung für sein Geld an eine Institution und reduziert sich damit selbst auf den Status eines unmündigen Kindes oder Sklaven. Die „Antwort“ in der Ver-Antwortung kann jedoch nur aus eigener Mündigkeit kommen.
Eine Woche vor seiner Passion weilte Jesus in Betanien. Dort wurde er von einer Frau mit teurem Öl gesalbt. Die Jünger ärgerten sich darüber, sie warfen der Frau vor, daß sie das Öl nicht verkauft und den Gewinn den Armen gespendet hätte, aber Jesus nahm sie mit dem Satz „Arme habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht allezeit bei euch“ in Schutz.
Diese Szene ist deshalb paradigmatisch, weil Jesus hier die selbsteigne Entscheidung der Frau verteidigt. Sie tat, was sie tat, aus Liebe zu Jesus, und deshalb war es richtig. Es lag in ihrer sittlichen Verantwortung, zwischen einer Tat der Liebe zu Jesus und einer Tat der Liebe zu den Armen zu entscheiden.
Die Jünger hätten ihr die Entscheidung gern abgenommen und das Geld der Frau in ihren Armenbeutel (welchen übrigens Judas verwaltete) überführt; sie hätten damit aus einer Frage der eigenen sittlichen Verantwortung eine Frage des Gehorsams gegenüber einer Institution gemacht. Jesus wies dieses Ansinnen zurück.
Die sittliche Entscheidung ist unhintergehbare „Jemeinigkeit“, denn nur für das, was ich selbst getan oder gelassen habe, kann ich auch Buße tun und Vergebung erlangen. Daß diese Logik auch in den Kirchen durch die politische Logik, daß also die Logik des „Ich“ durch eine Logik des „Wir“ – welche einen diametralen Gegensatz dazu darstellt – verdrängt wurde, ist Grund allen Übels.
So wenig, wie sich eine allgemeingültige christliche Regel aus dem sittlich geforderten Umgang mit dem Geld ableiten läßt, läßt sich eine allgemeine Empfehlung zur Löschung aus dem Kirchensteuerregister oder dem Verbleib darin abgeben. Es ist, wie schon erwähnt, durchaus eine Tugend, der Obrigkeit gehorsam zu sein, statt vorschnell wider den Stachel zu löcken. Man mache es sich also nicht zu leicht, aber man quäle sich auch nicht endlos damit herum!
Die Entscheidung sollte nicht aus Gründen politischer Räson erfolgen, sondern nach einer angemessenen Zeit des Bedenkens der eigenen Position und Verantwortung. Ist das politisch gegnerische Umfeld vielleicht gerade der Platz, an dem ich nach Gottes Willen zu stehen, zu bestehen, zu widerstehen habe? Es ist eine besondere Berufung mit einer besonderen Würde, „Stein des Anstoßes“ und Zeuge der Wahrheit zu sein!
Hat man andererseits eine Gemeinde, in der Gottes Wort mit dem gebührenden Ernst gepredigt wird, in der man auch nicht dauernd versteckt oder gar offen geäußerte verbale Arschtritte empfängt, sondern gerecht behandelt wird (letzteres darf man getrost als Prüfstein für ersteres nehmen), so soll man da auch bleiben und seine Kirchensteuer oder wenigstens seinen Kollektenbeitrag entrichten – noch sind die Dinge auf diese Art und Weise geordnet, und diese Ordnung hat einen Wert in sich, auch wenn sie theologisch fragwürdig ist.
Eine Zeit lang mag es allein gehen, in der Abwendung von allem Kirchlichen, und eine Zeit lang mag es auch wirklich notwendig sein – ich weiß, wovon ich rede –, aber auf Dauer führt es zu einem Verharren in fruchtloser und sich zunehmend verhärtender Position. Man bedenke auch das Wort des Apostels, daß man Gott nicht liebt, wenn man den Glaubensbruder nicht liebt (1 Joh 4,20)! Als Christen sind wir durch einen Vater verbunden und einander unauflösbar zugewiesen.
Den Wechsel zwischen den Konfessionen mache man sich dabei nicht schwerer als nötig, es gibt Wichtigeres – hier sei an das Schlagwort von der „Ökumene des Schützengrabens“ erinnert. Was die gottesdienstliche Form betrifft, so springe man beherzt über seinen Schatten: Gottes Wort ist wichtiger als der persönliche Geschmack. Es gibt Grenzen, aber man setze sie nicht zu eng. Suchet, und ihr werdet finden!
Zu einer für Katholiken und den „hochkirchlich“ genannten, also im Ritus katholisch gebliebenen Teil der Lutheraner wesentlichen Frage: Darf man sich in kirchliche Verhältnisse begeben, die keine apostolische Sukzession aufweisen? Auch hier gilt: Die Taufe ist die Basis. Mit ihr wird man nicht nur Glied einer Gemeinde und Glied der Kirche, sondern Glied des Leibes Christi, und das bleibt man auch.
Es gibt ein Christsein außerhalb der Sukzession, man meditiere Apostelgeschichte 19,1–7 und lese auch Tolstois Geschichte von den „drei Greisen“! Der gegebene Zustand ist keine Frage an den einzelnen Gläubigen, dieser halte sich zu einer Gemeinde, die das Wort Gottes verkündigt, auch wenn sie nur aus „zwei oder drei“ (Mt. 18,20) besteht und keinerlei institutionelle Anbindung hat. Das Katakombenchristentum ist nicht weniger Christentum als das institutionell verankerte, und es ist nicht der Job des einzelnen Gläubigen, es unter die Fittiche der Sukzession zu holen, sondern der Job der zum apostolischen Dienst Geweihten.
Die konservativen bzw. reaktionären Christen sind zweifellos in Bedrängnis. Die Kirchenleitungen haben einen verhängnisvollen und anscheinend nicht korrigierbaren Weg eingeschlagen. Meist sind es ja durchaus treue und aufrichtig interessierte Gemeindeglieder, die sie durch ihre politischen Verlautbarungen und Entscheidungen vertreiben. Sie verkaufen das Erstgeburtsrecht, Kirche Christi zu sein, um das Linsengericht eines gesellschaftspolitischen Upgrades.
Aber so sind die Verhältnisse nun einmal, in die wir gestellt und zu denen wir von Gott berufen sind. Nicht der politische Kampf sei unser Instrument, sondern der geistige Kampf: das Bezeugen der Wahrheit, die Treue zum Wort Gottes, die wahrhaftige Nächstenliebe!
Von Kirchengründungsphantasien ist abzuraten, dies hieße, das Pferd falsch herum aufzuzäumen. Wo es „zwei oder drei“ gibt, kann eine Gemeinde entstehen, wesentlich ist nicht die Zahl, die Form oder das institutionelle Etikett, sondern dass „das Wort Christi reichlich unter euch wohne“ (Kol 3,16). Jeder gehe durch die Tür, die sich ihm öffnet, alles Weitere wird sich finden – aber er gehe!
Monika
Spannend, dass die Sezession sich zunehmend der seelischen Nöte konservativer Christen annimmt. Das ist das nächste heiße Thema nach der "Remigration". Ich bin bereits 2010 nach viel zu langem Zögern aus der kath. Kirche ausgetreten. Es ist in Deutschland nicht möglich, nur die Kirche als Körperschaft des öffentl. Rechts zu verlassen und trotzdem in der Kirche als Glaubensgemeinschaft zu verbleiben. Das hat im Jahre 2010 der Kirchenrechtler Hartmut Zapp versucht . (Artikel: Katholisch ohne Kirchensteuer vom 5.10.2010). Er war nicht einverstanden damit, daß sein Glaube an einen Zwangsbeitrag gekoppelt ist. Sein Versuch der Entkoppelung beim Standesamt Staufen scheiterte, da das Erzbistum Freiburg gegen das Standesamt klagte, das Herrn Zapp einen Teilaustritt bescheinigt hatte. Ich bin schon lange ein Befürworter einer "Kirche von Außen", einem Zusammenschluß von Christgläubigen (überkonfessionell) , die sich trotzdem der Kirche verbunden fühlen. Vielleicht wird das endlich was. Vielleicht kann man sich da mal zusammentun und Erfahrungen austauschen.