Oma in Hyperborea, oder: KI ist des Teufels Handwerk

Während ich mich eher auf die Machart und die "Message" des KI-Filmchens "Oma, was war nochmal dieses Deutschland?" konzentriert habe, knöpften sich andere Kommentatoren vor allem den inhaltlichen Murks vor: Etwa Michael Klonovsky und Hadmut Danisch.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Auch ihnen sprang die Iro­nie ins Auge, daß die Bil­der von Schmutz, Ver­fall, Ver­wahr­lo­sung, Cha­os und Zer­stö­rung, die im Zen­trum des Films ste­hen, in unse­rem Spek­trum mit den Fol­gen genau jener Poli­tik der Mas­sen­ein­wan­de­rung asso­zi­iert wer­den, die von den Machern bizar­rer­wei­se als Garant für Wohl­stand und Lebens­qua­li­tät aus­ge­ge­ben wird.

Im Film­chen wird Deutsch­land zum “shit­ho­le coun­try”, sobald (und weil) die Aus­län­der und Migran­ten fort sind; in der Rea­li­tät ist Deutsch­land ins­be­son­de­re seit 2015 deut­lich chao­ti­scher, häß­li­cher, gewalt­tä­ti­ger und kri­mi­nel­ler geworden.

Kann man sich nun einen Gegen­film vor­stel­len, der die Prä­mis­sen des Film­chens auf den Kopf stellt und eine Bot­schaft im ein­wan­de­rungs­kri­ti­schen Sin­ne trans­por­tiert? Sit­zen dann etwa Oma und Enke­lin, bei­de erkenn­bar “unver­mischt” und west­eu­ro­p­id, im Jahr 2060 nach der Flucht aus Tro­ja in Sibi­ri­en, Hyper­bo­rea, einem per Kli­ma­wan­del neu ergrün­ten Grön­land oder Pata­go­ni­en, wo sie ein Nue­va Ger­ma­nia auf­ge­baut haben?

Die Oma, etwa mein Jahr­gang, erzählt dann womög­lich eine Geschich­te, wie schön das Leben in Deutsch­land in ihrer Kind­heit und Jugend in den acht­zi­ger und neun­zi­ger Jah­ren war, bevor es “viel­fäl­tig” und “bunt” wur­de. Die Macher des Ori­gi­nals haben wohl­weis­lich nicht gewagt, zu behaup­ten, Deutsch­land sei vor der fik­ti­ven “Remi­gra­ti­on” ein Para­dies gewe­sen, und kon­zen­trier­ten sich lie­ber auf Hor­ror­vi­sio­nen der Apo­ka­lyp­se nach Abwan­de­rung der Goldstücke.

Unser hypo­the­ti­scher Gegen­film könn­te nun ver­su­chen, zu behaup­ten, daß Deutsch­land vor 2015 eine Idyl­le war, und auf­zei­gen, daß es erst durch die Mas­sen­ein­wan­de­rung zum “shit­ho­le” wur­de. Wir alle wis­sen, daß die Sache nicht ganz so sim­pel ablief, aber wir wol­len ja einen Pro­pa­gan­da­film machen. Was für Bil­der benut­zen wir nun, um unse­re Sto­ry illustrieren?

Beauf­tra­gen wir “Wihelm Kachel”, die pas­sen­den Illus­tra­tio­nen zu gene­rie­ren? KI-Bil­der von sau­be­ren, idyl­li­schen, eth­nisch homo­ge­nen Städ­ten mit Fach­werk­häu­sern, Kathe­dra­len und neo­go­ti­schen Rat­häu­sern, Land­schaf­ten mit grü­nen Wei­den, Bau­ern­hö­fen mit nie­der­säch­si­schen Hal­len­häu­sern, Cas­par-David-Fried­rich-Schluch­ten, schnee­be­deck­ten Berg­gip­feln, wogen­den Korn­fel­dern, rau­chen­den Kern­kraft­wer­ken neben Blu­men­wie­sen und mei­net­we­gen auch Auto­bah­nen, über die in der Son­ne glän­zen­de Mer­ce­des, Volks­wa­gen und Por­sches flitzen.

Vor uns liegt ein wei­tes TalDie Son­ne scheint mit Glitzerstrahl…

Und über­all tum­meln sich schlan­ke, kräf­ti­ge, dun­kel- bis hell­blon­de jun­ge Men­schen, frucht­ba­re Mut­ter und Väter mit min­des­tens einem hal­ben dut­zend glück­li­chen Kin­dern, die Frau­en anmu­tig, schmal, voll­bu­sig und femi­nin, die Män­ner schnei­dig mas­ku­lin, breit­schult­rig, mit dicken, ade­ri­gen Bizep­sen und ent­schlos­se­nen Gesich­tern, per­fek­te Gestal­ten wie aus einem moder­ni­sier­ten Blut & Boden-Bilderbuch.

Anschlie­ßend brau­chen wir Bil­der von der Flücht­lings­kri­se, die die­ses deut­sche Idyl­le zer­stört. Kön­nen wir hier auf die KI ver­zich­ten, ein­fach “ech­te” Fotos aus der Zeit der Flücht­lings­kri­se ver­wen­den? Gibt es “ech­te” Bil­der aus Ber­lin, Frank­furt, Köln, die es mit den KI-Kata­stro­phen aus dem Ori­gi­nal­film auf­neh­men kön­nen? Oder müs­sen wir um des Effek­tes wil­len “auf­mot­zen”, und das KI-Pro­gramm anwei­sen, kras­se­re Dar­stel­lun­gen auszuspucken?

Was machen wir mit den Gescheh­nis­sen, von denen wir kei­ne oder nur wenig aus­sa­ge­kräf­ti­ge Bil­der haben? Beauf­tra­gen wir die KI, mög­lichst dras­ti­sche, detail­lier­te Dar­stel­lun­gen von isla­mis­ti­schen Ter­ror­an­schlä­gen anzu­fer­ti­gen, von Ver­ge­wal­ti­gungs­op­fern, gemes­ser­ten Kin­dern, tot­ge­schla­ge­nen Teen­agern? Zei­gen wir Auf­mär­sche von auf­ge­reg­ten Levan­ti­nern mit haß­ver­zerr­ten Gesich­tern und schwar­zen Zau­sel­bär­ten? Von raben­schwar­zen Afri­ka­nern, einer wie der Klon des ande­ren, die aus über­füll­ten Boo­ten stei­gen und ita­lie­ni­sche Küs­ten inva­die­ren, poin­tiert über­stei­gert, weil uns die “rea­len” Bil­der immer noch nicht schlimm genug sind?

Oder wie wär’s mit einem etwas sub­ti­le­ren Ansatz, der die Welt von Wil­helm Kachel als Uto­pie ver­steht, nach der jedes deut­sche Herz sich hin­zu­stre­ben sehnt? Dann könn­te die Oma der Enke­lin erzäh­len, daß der “Exodus” der letz­ten volks­be­wuß­ten Deut­schen, als Deutsch­land demo­gra­phisch nicht mehr zu hal­ten, sich am Ende als gro­ße Chan­ce erwie­sen hat, ein neu­es ger­ma­ni­sches gol­de­nes Zeit­al­ter zu begrün­den, ana­log zur Poin­te des Ori­gi­nals, in der sich die Kaler­gi-Men­schen eine afro­fu­tu­ris­ti­sche Idyl­le auf­ge­baut haben.

So einem Film könn­te man machen, und er könn­te sogar amü­sant aus­fal­len. Aber wor­in bestün­de nun wirk­lich sein Wert? Wir hät­ten es mit einer Par­odie eines Pro­pa­gan­da­pro­dukts zu tun, das sei­ner­seits schon wie eine unfrei­wil­li­ge Par­odie wirkt (Marc Felix Ser­rao stimmt zu). Gefak­te, über­trie­be­ne Bil­der ant­wor­ten auf ande­re gefak­te, über­trie­be­ne Bil­der, gene­rie­ren ein biß­chen Spaß, den man liken, tei­len und auf den sozia­len Medi­en semi-iro­nisch abfei­ern kann.

Nun soll­te ich ein paar Wor­te dar­über ver­lie­ren, war­um KI-gene­rier­te Bil­der bei mir ganz gene­rell Abscheu und Unbe­ha­gen her­vor­ru­fen. In einem ein­zi­gen Arti­kel kann ich das The­ma gewiß nicht aus­schöp­fen. Mein per­sön­li­cher Geschmack ist dabei wohl ziem­lich irrele­vant und unin­ter­es­sant, und ich ver­ste­he auch, daß die­se Pan­do­ra-Büch­se nun offen ist und wie im anti­ken Mythos nicht mehr zu schlie­ßen ist.

Aber was sich aus ihr über die Welt ergos­sen hat, ins­be­son­de­re die Welt, die uns aus unse­ren Com­pu­ter­bild­schir­men ent­ge­gen­blickt und nach unse­ren Köp­fen greift, erscheint mir gera­de­zu dämo­nisch. Und was wir heu­te davon zu sehen und hören bekom­men, ist erst der tas­ten­de Anfang des­sen, was wohl schon in weni­gen Jah­ren mög­lich sein wird.

“Dämo­nisch” nen­ne ich es nicht nur, weil die zukünf­ti­gen Mög­lich­kei­ten der Mani­pu­la­ti­on und Täu­schung schier unbe­grenzt erschei­nen, und alles über­tref­fen wer­den, was Orwell und Ellul (und Heid­eg­ger) jemals Alp­träu­me berei­tet hat.

Son­dern auch des­halb, weil die Imi­ta­ti­on der Wirk­lich­keit mit ihr bereits jetzt einen äußerst ver­stö­ren­den Grad erreicht hat. Fast könn­te man an ein “Gespenst in der Maschi­ne”, an ein unheim­li­ches Eigen­le­ben der Com­pu­ter­pro­gram­me glau­ben. Es ist ähn­lich wie bei den sprach­ba­sier­ten For­men von KI: Ein Nichts tut so etwas, als ob es Etwas, ein Schat­ten, als ob er ein leben­di­ges Wesen wäre.

Hier ein Zitat aus einem noch unver­öf­fent­lich­ten Essay mei­nes schot­ti­schen Freun­des Mil­len­ni­al Woes, der die­ser Tech­nik posi­ti­ve­re Aspek­te abge­win­nen kann als ich, aber ihr trotz­dem kri­tisch gegen­über steht:

Durch KI erstell­te foto­rea­lis­ti­sche Nah­auf­nah­men [engl. “clo­se-up”, eine “Auf­nah­me” ist es im eigent­li­chen Sin­ne ja nicht. ML] von Men­schen fin­de ich beun­ru­hi­gend und ver­stö­rend. Je rea­lis­ti­scher sie sind, des­to schlim­mer fin­de ich sie. Ich has­se das Gefühl, mir bewußt zu sein, daß die Per­son, die ich sehe, nicht real ist. (…) Ich emp­fand immer eine Art von Bezie­hung zu der Per­son auf dem Bild­schirm. Natür­lich eine völ­lig ein­sei­ti­ge, aber das ist irrele­vant. Mei­ne Gefüh­le wur­den nie erwi­dert, aber das habe ich auch nie erwar­tet. Ich brau­che kei­ne Rück­mel­dung; ich erwar­te nur, daß ich nicht betro­gen wer­de, daß das, was in mir ech­te Gefüh­le aus­löst, selbst in irgend­ei­ner Wei­se echt ist. Ein Schau­spie­ler ist eine Per­son, die sich ver­stellt, aber es immer­hin eine Person.

Wenn ich mir also KI-Fil­me anse­he, beun­ru­higt und schmerzt es mich, wenn mir däm­mert, daß die Per­son, die ich da sehe, nicht real ist, nir­gend­wo exis­tiert, nie gelebt hat, nicht ein­mal gebo­ren wur­de und nie gebo­ren wer­den wird. Das bedeu­tet, daß kei­ner­lei Bezie­hung zu ihr mög­lich ist. Eine sol­che wäre das Äqui­va­lent von Empa­thie zu einem “Fle­sh­light” [ein Mas­tur­ba­ti­ons-Instru­ment, das eine Vagi­na imi­tiert.- ML], was sich nie­mand vor­stel­len kann.

Natür­lich könn­te man sagen, daß Schau­spie­ler immer fik­ti­ve Cha­rak­te­re spie­len, und daß ich weder den Schau­spie­ler noch den Cha­rak­ter, den er dar­stellt, jemals tref­fen wer­de, so daß ich ohne­hin nur eine ima­gi­nä­re “Bezie­hung” mit der Per­son auf der Lein­wand ein­ge­gan­gen bin. Gewiß, gewiß… Aber es ist nicht das­sel­be, und wir alle wis­sen das. Hier wird ein Rubi­kon über­schrit­ten, und wir alle wis­sen das.

Ich emp­fin­de dies ganz genau­so. Und ein wei­te­res Pro­blem, das ich noch aus­führ­li­cher ela­bo­rie­ren müß­te, ist die Auto­ma­ti­sie­rung und damit letzt­end­li­che Aus­lö­schung der mensch­li­chen Krea­ti­vi­tät, die KI min­des­tens impli­ziert. Sie ope­riert mit bereits Geschaf­fe­nem, das in Daten ver­wan­delt wur­de, die nun prak­tisch end­los kom­bi­niert und vari­iert wer­den kön­nen, nahe­zu mühe­los, auf Zuruf und Knopf­druck. Es ent­steht eine Mega-Infla­ti­on von Bil­dern, Wor­ten und Tönen, hin­ter denen kein Mensch, kein Schöp­fer mehr steht. Damit wird die Idee der Kunst selbst ent­wür­digt und entwertet.

Ich sehe dies auch ganz genau so wie Hayao Miya­za­ki, der japa­ni­sche Alt­meis­ter des ani­mier­ten Films, der ange­ekelt auf einen (zuge­ge­be­ner­ma­ßen noch recht pri­mi­ti­ven) KI-ani­mier­ten Clip reagier­te, der ihm vor­ge­führt wurde:

Wer auch immer die­ses Zeug her­stellt, er hat kei­ne Ahnung, was Schmerz ist. Ich bin zutiefst ange­wi­dert. Wenn ihr wirk­lich gru­se­li­ge Sachen machen wollt, könnt ihr das tun, aber ich wür­de die­se Tech­no­lo­gie nie­mals für mei­ne Arbeit ver­wen­den. Ich emp­fin­de das als eine Belei­di­gung des Lebens selbst. (…) Ich habe das Gefühl, daß wir uns dem Ende der Zei­ten nähern. Wir Men­schen ver­lie­ren den Glau­ben an uns selbst.

Gewiß wer­den digi­ta­le Tricks schon seit den acht­zi­ger Jah­ren in Fil­men ver­wen­det, und sind an und für sich ein Werk­zeug, das theo­re­tisch auch ech­ten, ernst­haf­ten Künst­lern prak­ti­sche Diens­te leis­ten kann. Heu­te pro­fi­tie­ren vor allem Low-Bud­get-Pro­duk­tio­nen von avan­cier­ter, aber kos­ten­spa­ren­der Tech­nik, und sie haben mei­nen Segen. Ein Kubrick oder Hitch­cock wür­de den Ein­satz von KI-Tech­no­lo­gie kaum ver­schmä­hen, und damit auch gewiß Bemer­kens­wer­tes schaf­fen, eben weil er Kubrick oder Hitch­cock ist.

Das sind nun die meis­ten KI-Pro­du­zen­ten aller­dings nicht, und bis­lang habe ich nur sehr weni­ge Bei­spie­le von KI-gene­rier­ter Kunst gese­hen, die in eine posi­ti­ve Rich­tung deu­ten. Sogar die gelun­ge­ne­ren und ver­blüf­fen­de­ren Bei­spie­le haben einen scha­len Bei­geschmack, weil ihnen das Ele­ment der Anstren­gung, des Lei­dens, des tat­säch­li­chen Kön­nens fehlt, weil auch sie errech­ne­te, maschi­nel­le Seri­en­pro­duk­te sind, selbst wenn sie von einem Gestal­ter indi­vi­du­ell model­liert werden.

Noch ein­mal Mil­len­ni­al Woes, ich könn­te es kaum bes­ser ausdrücken:

Ich glau­be, daß ein wesent­li­cher Bestand­teil der Kunst ein gewis­ses Maß an Kampf und Anstren­gung ist. Ein schöp­fe­ri­scher Akt soll­te nicht bil­lig oder schmerz­los sein. Er soll­te etwas kos­ten. Ich weiß nicht genau, war­um das so ist. Aber wenn Sie erfah­ren wür­den, daß Leo­nar­do da Vin­ci die Mona Lisa in einer Stun­de gemalt hat und es ihm das End­re­sul­tat völ­lig egal war, oder wenn Sie hören wür­den, daß er einen Robo­ter oder eine künst­li­che Intel­li­genz dazu gebracht hat, es für ihn zu tun… wür­den Sie sich dann nicht betro­gen fühlen? (…)

Kunst soll­te die Frucht einer Anstren­gung sein. Wenn es kei­ne Anstren­gung gibt, ist es kei­ne Kunst. Sie bedarf der Ein­übung von Fähig­kei­ten, des Auf­spü­rens und der Pfle­ge von Talen­ten, der Zeit, der Ener­gie und des Enga­ge­ments. Ein Teil des Mensch­seins besteht dar­in, daß wir Din­ge tun, die uns am Her­zen lie­gen; wenn uns die Sache zu leicht von der Hand geht, haben wir nicht unter Beweis gestellt, daß sie uns ernst­haft am Her­zen liegt. Wenn sich in der Sache, die wir erschaf­fen haben, nicht die Zeit und die Sorg­falt spie­geln, die in ihre Erschaf­fung geflos­sen sind, ist sie wert­los – zumin­dest als ein Monu­ment mensch­li­chen Stre­bens, denn das ist sie dann ein­fach nicht.

Natür­lich gibt es Momen­te der Inspi­ra­ti­on, in denen das Schöp­fe­ri­sche auf leich­ten Füßen kommt, und einen “die Muse küßt”. Ein befreun­de­ter Dich­ter schil­der­te mir neu­lich, wie er eines sei­ner bes­ten Gedich­te in nur weni­gen Minu­ten geschrie­ben hat. Aber auch sol­che Momen­te sind Frucht und gna­den­haf­te Beloh­nung einer lan­gen Ein­übung des Hand­werks, von Hin­ga­be und Anstrengung.

Dar­um ein paar Wor­te zu “Wil­helm Kachel”, der “Memes von rechts lie­fert” (Hei­mat­ku­rier) oder nach Ansicht von info-direkt sogar “ein rech­tes Lebens­ge­fühl” stärkt.

Kern­bot­schaft sei­ner Mems ist nach Selbst­aus­kunft die per­sön­li­che Selbst­op­ti­mie­rung in patrio­ti­schen Diensten:

Mach dich fit, mach dich schlau, orga­ni­sier dich und ret­te dein Land!

Ich habe erfah­ren, daß hin­ter dem Pseud­onym ein alt­ge­dien­ter Akti­vist steckt, den ich schät­ze und sym­pa­thisch fin­de. Aber von sei­nen KI-Pro­duk­ten kann ich lei­der nicht das­sel­be sagen.

Mein “Lebens­ge­fühl” stär­ken sie nicht, son­dern lösen in mir einen läh­men­den, faden Ekel aus. Soll­te ich ein­mal Herr­scher eines Eth­no­staats in Pata­go­ni­en wer­den, wird der­ar­ti­ge Optik unter Andro­hung von Prü­gel­stra­fe verboten.

Mei­net­we­gen sind das Geschmacks­fra­gen, aber eben nicht nur. Da ist zunächst ein Aspekt, den ich an KI-Pro­duk­ten gene­rell unan­ge­nehm, bei­na­he bedroh­lich emp­fin­de: Die auf­dring­li­che Über­per­fek­ti­on, die Hyper­de­tail­liert­heit, die einen weit­aus höhe­ren Arbeits­auf­wand sug­ge­riert, als tat­säch­lich in das Bild ein­ge­gan­gen ist.

Im Fall von “Wil­helm” imi­tie­ren die Bil­der (nach eige­ner Aus­sa­ge bekommt er drei pro Tag hin) die Mach­art eines Ölge­mäl­des, und wären dies tat­säch­lich von Hand geschaf­fe­ne Gemäl­de, so wür­den sie ein zig­fa­ches an Zeit kos­ten und eine respekt­ge­bie­ten­de hand­werk­li­che Meis­ter­schaft vor­aus­set­zen. Auch hier ist es das maschi­nel­le, seri­el­le Vor­täu­schen von Meis­ter­schaft, das das scha­le Gefühl aus­löst, von dem Mil­len­ni­al Woes spricht.

Das sagt Wil­helm über sei­ne Vorgehensweise:

An sich beginnt alles mit einer Idee. (…) Dann gibt man der Maschi­ne Fut­ter. Stil, Bild­grö­ße, Set­ting, Refe­ren­zen, Far­ben, Begrif­fe. Und dann beginnt an sich schon die Magie der Maschi­ne. Das, was die KI aus­spuckt, wird mit Pho­to­shop und Gra­fik­ta­blet über­ar­bei­tet und in eine Form gegossen.

Aber auch wenn sie mit Hand gemalt wären, wären die Ergeb­nis­se schlicht­weg nicht mehr als Kitsch, von einer Ober­flä­chen­glatt­heit und Ein­di­men­sio­na­li­tät, die tat­säch­lich ins Gen­re der klas­si­schen Pro­pa­gan­da gehört, von der Auf­trags­kunst des Drit­ten Reichs über den sozia­lis­ti­schen Rea­lis­mus bis hin zu chi­ne­si­scher und nord­ko­rea­ni­scher Regimekunst.

Die per­fek­ten, gestyl­ten, glück­lich lächeln­den Men­schen mit Super­mo­del-Kör­pern und ‑gesich­tern auf Wil­helms Kacheln sehen tat­säch­lich genau nach dem aus, was sie sind: Maschi­nell, seri­ell erzeug­te und belie­big mul­ti­pli­zier­ba­re Reiß­brett­pro­duk­te, seich­te, nach Sche­ma F kli­schier­te Klo­ne, die rech­te Wer­te wie Hei­mat­ver­bun­den­heit, Fami­li­en­sin­ne, Stär­ke, Ehre, Mut und so wei­ter signa­li­sie­ren sollen.

Aber es schmeckt durch und durch nach Fake, nach Abzieh­bild. Es ist zu smart und zu per­fekt und zu for­mel­haft. Die Masche hat sich nach etwa einem Dut­zend Mems erschöpft und rotiert nur mehr in einer Dau­er­schlei­fe aus end­lo­ser, vor­her­seh­ba­rer Wie­der­ho­lung und Varia­ti­on. Sei­ne Figu­ren bewe­gen sich durch ihre comic­s­haf­te Über­zeich­nung hart am Ran­de zur Selbst­par­odie oder zur unfrei­wil­li­gen Komik. Wer sich von so etwas jen­seits von tem­po­rä­rem Amü­se­ment ernst­haft mit­rei­ßen oder moti­vie­ren läßt, hat mein Mitleid.

Die Wil­helm-Kacheln schei­nen die Kli­schees der Lin­ken über Rech­te zu bestä­ti­gen, und dies viel­leicht teil­wei­se sogar mit einer augen­zwin­kern­den Absicht (die jedoch kein “Zivi­list” von außen ver­ste­hen wird) und dem Wil­len, Refle­xe zu trig­gern, ähn­lich wie das “Deut­sche Familie”-Mem der Jun­gen Wer­te­uni­on (mit der WEF-Anspie­lung “Du wirst eine Fami­lie haben und du wirst glück­lich sein), das vor eini­gen Mona­ten die Run­de mach­te, eine aus­ge­such­te Scheuß­lich­keit, die eben­falls wie ihre eige­ne Par­odie wirkte.

Ich ver­mu­te, der Ursprung die­ser Num­mer liegt in einem Cover des Wochen­ma­ga­zins der FAZ vom April 2016, Titel “Wie die AfD leben möch­te”, das demons­trie­ren woll­te, wie spie­ßig, bie­der und rück­wärts­ge­wandt das Men­schen­bild der Blau­en doch sei. Jan Fleisch­hau­er beschrieb es damals so:

Auf dem Cover prä­sen­tier­te das Blatt die AfD-Fami­lie als Neu­auf­la­ge der Fami­lie Trapp: die Kin­der in Tracht, die Wan­gen so rosig, als wür­den sie den gan­zen Tag mit Sand­dorn­saft gefüt­tert; die Mut­ter mit frisch­ge­stärk­ter Schür­ze und Scho­ko­ku­chen in der Hand; der Vater als fescher Natur­bur­sche, das Jagd­ge­wehr über der Schul­ter, den Dackel zu Füßen.

Ich erin­ne­re mich, wie das damals auf Rechtstwit­ter als epi­sches Eigen­tor gefei­ert wur­de: Was sei denn nun schlecht an die­sem Bild? Haben sich die Macher nicht selbst ent­larvt, indem sie das abge­bil­de­te Fami­li­en-Ide­al als ver­werf­lich und schreck­lich hinstellten?

Das funk­tio­nier­te durch eine semi-iro­ni­sche, trot­zi­ge Aneig­nung und Affir­ma­ti­on, wie sie im Trump-Jahr 2016 üblich war. Das Cover des FAZ-Maga­zins wur­de nun auf Rechtstwit­ter als “basiert” gefei­ert. Es war Getrol­le, (im Kern) aber auch ernst gemeint; es war ernst gemeint, (im Kern) aber auch Getrolle.

Denn trotz­dem blieb die Tat­sa­che bestehen, daß das Bild auch wirk­lich ein biß­chen eklig und kleb­rig war, und absicht­lich so gestal­tet wur­de. Nicht weil trach­ten­tra­gen­de Kin­der, Scho­ko­ku­chen, Jagd­ge­weh­re oder tra­di­tio­nel­le Fami­li­en an sich eklig wären, son­dern weil Kitsch eklig und ver­lo­gen und vor allem auch häß­lich ist (wirk­lich “schön” kann auch nur etwas Wah­res sein, den­ke ich).

Ich wür­de die Illus­tra­ti­on des FAZ-Maga­zins als die Urmut­ter der Wil­helm-Kacheln klas­si­fi­zie­ren. Der Macher hat die Optik mit­tels KI auf­ge­motzt und die Iro­nie her­un­ter­ge­dimmt, bis sie für Außen­ste­hen­de kaum mehr wahr­nehm­bar ist. Und so bie­tet er uns uniro­nisch per­fek­te Men­schen­ty­pen mit blon­den, wehen­den Haa­ren in Korn­fel­dern, Rudel von blon­den Kin­dern, die Deutsch­land­fah­nen schwen­ken, Höcke mit Schwert und Rit­ter­rüs­tung, Paa­re, die aus­se­hen, als wären sie dem Cover eines Johan­na-Lind­sey-Roman­tik­ro­mans ent­sprun­gen und wan­deln­de Bre­ker-Sta­tu­en im Mus­kel-Shirt, die Pla­ka­te kle­ben und blaue Fah­nen schwen­ken, als ernst­ge­mein­tes poli­ti­sches “Mar­ke­ting” an, das über unse­re Bla­se hin­aus wir­ken und anzie­hen soll.

Was dabei her­aus­kommt, ist eine Art Pro­pa­gan­da-Por­no. Gene­rell haben KI-Bil­der einen essen­ti­ell por­no­gra­phi­schen Cha­rak­ter oder “Geist”, unge­ach­tet ihres Inhalts. Was ich hier­mit mei­ne, sind ihre grel­le Über­per­fek­ti­on, ihr Hyper- und Super-Rea­lis­mus im Diens­te über­trie­be­ner Wunsch­vor­stel­lun­gen und extre­mer Reizeffekte.

Unfrei­wil­lig iro­nisch sind in die­sem Zusam­men­hang wie­der­um die zahl­rei­chen Appel­le der Wil­helm-Kacheln, sich einem rea­len, gesun­den, natur­ver­bun­de­nen Selbst­ver­sor­ger­le­ben zuzu­wen­den. Hier stim­men Form und Inhalt ein­fach nicht über­ein. Die Meme prä­sen­tie­ren und pro­pa­gie­ren eine pure, über­stei­ger­ter Fan­ta­sy-Welt, deren maschi­nel­ler Cha­rak­ter unver­kenn­bar ist. Damit haben auch sie Teil am all­ge­mei­nen Trend zur Auf­lö­sung der Wirk­lich­keit durch digi­ta­le Bil­der und Rei­ze, die über ubi­qui­tä­re Bild­schir­me prak­tisch ohne Unter­bre­chung in die Hir­ne der Men­schen gepumpt werden.

Ich höre immer wie­der das Argu­ment, daß KI-Pro­duk­te nun unaus­weich­lich die poli­ti­sche Pro­pa­gan­da, die Wer­bung und das Mar­ke­ting gene­rell domi­nie­ren wer­den, und die Rech­ten gar kei­ne ande­re Wahl hät­ten, als mit­zu­ma­chen und die­se Werk­zeu­ge krea­tiv für ihre eige­nen Zwe­cke zu nutzen.

Man­che schei­nen sich von die­ser Tech­no­lo­gie das Blaue vom Him­mel zu ver­spre­chen, als hät­te man nun eine Art bil­li­ge magi­sche Waf­fe in die Hand bekom­men, die uns hel­fen wird, unse­re Ideen weit über unse­re Bla­sen hin­aus zu ver­brei­ten. Aber wie bei allen tech­no­lo­gi­schen Inno­va­tio­nen sind Gewöh­nung und Bana­li­sie­rung gleich um die Ecke. Der Kit­zel ver­fliegt bald, und gefüt­tert wird damit bereits jetzt vor allem die eige­ne Kli­en­tel, die sich durch “Tei­len” die­ser Bil­der die Illu­si­on ver­schafft, irgend­et­was in der wirk­li­chen Welt bewegt oder ver­än­dert zu haben.

Trotz mei­ner per­sön­li­chen, tief­sit­zen­den Abnei­gung gegen KI-Erzeug­nis­se, die ich für abso­lu­tes Gift für Geist und See­le hal­te, kann ich ratio­nal das Argu­ment nach­voll­zie­hen, daß ihre Nut­zung tat­säch­lich zuneh­mend unum­gäng­lich wird, wenn man nicht aus dem Ren­nen des Kamp­fes um die öffent­li­che Auf­merk­sam­keit gedrängt wer­den will.

Aber im Wesen der Tech­no­lo­gie selbst sitzt ein zer­stö­re­ri­scher Teu­fel, der Krea­ti­vi­tät eben­so nur imi­tiert, wie er die Wirk­lich­keit nur imi­tiert. Alles, was man mit sei­ner Hil­fe auf­bau­en will, steht auf einer schie­fen Ebene.

Dar­über soll­te mei­ner Ansicht nach im rech­ten Lager gründ­li­cher nach­ge­dacht werden.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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Kommentare (41)

Teufel

22. April 2024 13:37

Es ist schwer, dieses Unbehagen auszudruecken - den Versuchen hier gelingt es nicht. Es ist nicht die Nichtexistenz der Figuren, es sind hauptsaechlich diese subtilsten Fehler (vor allem in der Bewegung), die enthalten sind und dann noch das Wissen, dass es maschinell erstellt wurde.
Woody aus Toy Story existiert auch nicht wirklich, wurde aber von Hand erstellt. Er erzeugt dieses Gefuehl nicht. KI-Kunst dagegen hat etwas unfertiges, etwas entstellendes, aber es ist davon auszugehen, dass das auch bald behoben ist. Und dann muss man sich immer die Frage stellen, ob man es ablehnt, weil man weiss, dass es nicht menschengemacht ist oder weil man es tatsaechlich verstoerend findet. Denn ich moechte behaupten, dass es heute schon etwaige Beispiele gibt, die ohne dieses Zusatzwissen anders aufgenommen wuerden.

Ein gebuertiger Hesse

22. April 2024 13:40

Der wichtigste Text des Jahres bislang.
"Be REAL" - was sonst sollte man rechts bekräftigen und verteidigen wollen?

Umlautkombinat

22. April 2024 14:16

Ich schreibe Software, in dem ich speziell Boilerplate-Code mit ihrer Hilfe halbautomatisch erzeugen kann, was mir den Kopf frei macht. Das steht in der Kontinuitaet der Entwicklung von niederen zu hoeheren Programmiersprachen und anderen Technologien der IT. Sehr brauchbar. Es gibt also mehr (weit mehr) Felder als die im Artikel Besprochenen, was allgemeine binaere Urteile verbietet.
Im Artikelkontext selbst sieht es anders aus. Ich hatte kuerzlich eine Diskussion mit einem Pfarrer. Der hatte eine Weiterbildung, in der eine AI-geschriebene Predigt vorgestellt wurde. Kommentar: "Gar nicht so schlecht". Aber man sah die Angst, auch als ich erwiderte: "Das lehrt Gottes Bodenpersonal Demut". Der Grund liegt auf der Hand: AI wird trainiert. Das Futter eignet sich zur Variierung im generierenden Teil oder nicht. Wann eignet es sich? Wenn sein origineller Gehalt begrenzt ist. Und zwar nicht im Einzelfall, sondern ueber eine grosse Menge. Eine Kritik an die eingeuebte Verkuendigung Gottes Wortes, man hat es sich einfach zu lange zu leicht gemacht. Die AI stellt das nur ins Licht, all die Huelsen darunter. Aehnlich ist es mit Massenkunst. Das Unbehagen ist gerade der Anteil der fehlt, die Originalitaet und Authentizitaet z.B.. Oder umgekehrt, der triviale Gehalt wird wie unter der Lupe vergroessert, so dass er schmerzt. Was mit extremer Reduzierung des Oberflaechlichen verbunden ist. Ja das tut manchem weh, wenn er dazugehoert und davon bis jetzt ausreichend gut gelebt hat.

Laurenz

22. April 2024 14:59

Ich sehe die Gefahr einer Ver-KI-erung nicht wirklich. Wie man aus der Achgut-Redaktion verlautbaren ließ, hätte vor allem die Masse der Journos aus Mainstream- & Kartellmedien Angst davor, weil statt einem Menschen, nun KI die Textbausteine der Artikel oder Politikerreden aussuchen würde, was billiger sei. KI kann vielleicht die Pieta oder den David kopieren, aber selbst kreieren? Unwahrscheinlich. Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster & behaupte, Tobias Moretti ist der größte ethnisch-deutsche, lebende Schauspieler. Er ist auch nicht blond, sieht sehr wohl wie ein Tiroler aus. Also, daß KI so jemanden kreieren kann, wage ich zu bezweifeln. Warum will man irgendwas künstlich herstellen? Man braucht einfach nur in die Kiste greifen & Originale heraussuchen. https://youtu.be/yTtdVgVUAis oder hier https://youtu.be/uAV8akyK3r0 oder so https://youtu.be/ZbTn9G4bhOQ 

Liselotte

22. April 2024 15:14

Der Teufel mit der Regenbogenfahne gefällt mir (als Wegwerf-Momentsbild), die Familienbilder sind viel zu retro und die Männer vom Bodybuilderkrampf verseucht (Bodybuilding ist nicht der Aufbau von Kraft, die für etwas einsetzbar wäre, sondern bloße Optimierung auf Optik).
Ich denke, man bräuchte Bilder von "Normalos", wie sie gerne wären - also schon vorteilhaft aussehend, Familie mit Kindern (aber vielleicht etwas lockerer als die gestellten Präsentationsbilder) und mit NEUER Mode. Imgrunde sollten wir selbst Mode machen. Reine Rückgriffe werden da nicht helfen (kein Handwerker läuft heute noch im Blaumann herum, Tracht ist eine sehr regionale Sache und in Großstädten freakig), aber eine Evolution zu was seriös Alltagstauglichem wäre gut.
Aber, es braucht vor allem Ideen - für Sprüche, Stories, Lebenstaugliches.
was mir gerade so einfällt:
ein junges/mittelaltes mitteleuropäisches Paar, das sich küßt, davor laufen/spielen/rennen 3 Kinder, alles etwas raumgreifend auf einen Gehweg oder einem größeren Kinderspielplatz. (Die Verbundenheit der Geschlechter fehlt zZt schmerzlich)
Familie an einfach gedecktem Tisch, jeder nimmt sich was aus einer der Schüsseln.
Wilhelms Beharren auf Familie ist durchaus richtig, aber die Bebilderung ist zu sehr retro, meine ich. Im Idealfall würde man echte Familien fotografieren, aber das ist wohl zu aufwendig und zu teuer.
 
 

Liselotte

22. April 2024 15:35

Das Junge-Werteunion-Bild erinnert mich in seiner Optik sehr an die Bilder aus Readers Digest, das in vielen westdeutschen Haushalten bis in die 80er zu finden war. Die amerikanischen Häuser im Hintergrund bestätigen das. Diese Illustrationen waren auch immer technisch sehr perfekt, in der Aussage aber irgendwie nicht sehr anrührend.

Liselotte

22. April 2024 15:42

"Es entsteht eine Mega-Inflation von Bildern, Worten und Tönen,"
ja, es ist eine Inflation von Wegwerf-Bildern.
Dazu fällt mir ein, daß um die Jahrhundertwende viele Leute in Lohn+Brot kamen durch die von Senefelder erfundene Lithographie (sie setzten ihm auf eigene Kosten ein Denkmal in Prenzlauer Berg). Dies führte auch zu einer Inflation von Bildern und Illustrationen, die inzwischen freilich fast alle im Papierkorb gelandet sind.
KI-Bilder sind eine Steigerung dieser Welle, gewissermaßen.

Utz

22. April 2024 16:22

Den Artikel gelesen, gedacht: 100 % Zustimmung, zurückgelehnt, Gedanken sortiert, und es blieb eine große Hoffnungslosigkeit. Ich kannte die Wilhelm Kacheln nicht. Ich halte sie für schädlich. Den einen geben sie eine völlig unrealistische Hoffnung, daß es so (wieder) werden könnte, die anderen desillusioniert sie, weil sie sehen, das sind Dritte-Reich-Familien, das ist blutleer, das sind nicht wir. Dann kommt der Gedanke: Haben wir keine besseren Visionen? Ist das alles, womit wir die KI beauftragen können? Und noch später wieder Hoffnungslosigkeit: selbst wenn wir bessere Ideen haben als Wilhelm und die komische Oma in Afrika, das Medium KI ist einfach falsch, das bringt uns nicht weiter.

heinrichbrueck

22. April 2024 16:57

KI und Wahrheitsfähigkeit. Die KI-Spielereien werden einen Bach nicht ersetzen können. Konservative und Fachkräftemangel. Solange der Teufel die Konservativen auf seiner Seite hat, denen man die Logik der Fachkräftemangellüge andrehen konnte, braucht er keine KI, schließlich hat er auch noch die Demokratie im Angebot. Die importierten Fachkräfte müssen halt ihre eigenen Fachkräfte mitbringen. Wenn man den Teufel schluckt, muß man ihn wieder auskotzen. Trennungen sind nie schmerzfrei. Die Konsequenzen müssen beurteilt werden; vielleicht schafft es ein Prozent der Europäer. Die Ausländer werden ihre eigenen Länder aufbauen, ob mit oder ohne deutsche Fachkräfte. 

Dr Stoermer

22. April 2024 17:37

1/2
Sind KI-Filme schlecht, weil sie die menschliche Kreativität imitieren und das ästhetische Empfinden beleidigen? Nur insofern, als dass der Mensch, dem die KI entgegentritt, sich getäuscht fühlen kann, wo er Kreativität und Empfinden erwartet. Hier wird sich die Erwartungshaltung aber anpassen können. Ansonsten ist ein KI-Werk so unkreativ und unästhetisch wie vieles auf der Welt. Womit der interessantere der von ML angesprochenen Aspekte lautet: Ermöglichen KI-Filme (nur Bilder/Filme/Ton, folgendes gilt nicht für KI an sich) dämonische Täuschung? Ja, auf jeden Fall, aber auch Bücher, Lieder und sonstiges ermöglichen dies. Täuschung entsteht im Kopf des Getäuschten. Damit stellt sich zunächst die Frage, was auch ein echtes Bild überhaupt mehr sein kann, als ein gewählter Ausschnitt einer komplexeren Wirklichkeit, die genauso gut das Gegenteil dessen gewesen sein kann, was das echte Bild zeigt. Man denke an diverse Bilder der Wehrmachtsausstellung.
Offenbar kommt es bei einem Bild/Film/Inhalt darauf an: Was will uns der Autor damit sagen? Und genau diesbezüglich sind „täuschend echte“ KI-Bilder eher eine große Chance für die Menschen, sich wieder Ihrer Sinne zu besinnen. Denn glaubt der Mensch nicht zu oft, was er liest? Oder was er hört? Die ersten Kinobesucher sprangen in Panik auf, als eine Lokomotive auf der Leinwand ihnen entgegenfuhr. Es soll auch noch Leute geben, die glauben, was in der Tagesschau gezeigt wird.

Dr Stoermer

22. April 2024 17:39

2/3
Der Kern des Vertrauens in einen Inhalt liegt in der Projektion der Annahme eigener Redlichkeit auf die Macher des Inhalts (sofern diese bei den Machern nicht als bereits widerlegt gilt, wie etwa bei denen der Wochenschau bis 45).
Je öfter der Konsument von Inhalten jedoch erlebt hat, dass er sie nicht mehr danach unterscheiden kann, ob sie von einem redlichen Erzeuger stammen oder einer leicht bedienbaren Maschine, wird er genötigt sein, ihnen nicht mehr „einfach so“ zu glauben. Das macht aus denkerischen Chamäleons wieder Menschen, die erleben, wie sehr sie auf ihr Denken noch angewiesen sind. Dämonisch daran ist eher, dass die Menschen auch wahrhaftigen Inhalt NICHT so schnell glauben, wie es wünschenswert wäre. Beispiel: Wenn man die Nachricht eines Atomschlages für eine Täuschung hielte, wo sie wahr ist.
Kann man sich einen KI-basierten Gegenfilm vorstellen, also einen basierten KI-Film? 
Ja warum nicht? Es ist ein Genre, und so, wie auch TikTok nicht aus der Denkstube eines humanistischen Philosophen stammte, kann es gegen die Phalanx ihrer nihilistischen Erfinder eingesetzt werden. Die Bilder von Wilhelm Kachel finde ich großartig, weil sie in schneller, abwechslungsreicher Abfolge hochverdichtet ein Gegenideal verbreiten, das lehrt, sich auf die richtigen Kernideen zu fokussieren und die Gegenseite maximal provoziert und verunsichert.

Dr Stoermer

22. April 2024 17:40

3/3
Gefakte, übertriebene Bilder antworten auf andere gefakte, übertriebene Bilder / kitschiges Getrolle allein zur Provokation
Kachels Bilder sind nicht auf der Ebene der Ästhetik Kunst, sondern auf der Ebene der Verachtung des Gegners. Es geht damit nicht darum, selbst dem dargestellten Ideal zu entsprechen, sondern zu zeigen, welches Ideal man hat, und zwar mit einem Lächeln, das sagt: Ihr seid so erbärmlich, dass wir es uns sogar leisten zu können, über uns selbst semi-ironisch zu lachen. WIR bestimmen, was uns gefällt. Nicht ihr.  Es ist ein Fußtritt in ihren Allerwehrtesten.
Auslöschung der menschlichen Kreativität.
Welche echte Kreativität, die bewunderungswürdig ist, droht denn ausgelöscht zu werden? Die Gag-Schreiber oder perversen Mimen in Hollywood? Nur zu! Mit dem Streaming-Abo a la Spotify hat sich ebenfalls immerhin ergeben, dass Künstler wieder auf die Bühne müssen, wenn sie Geld verdienen wollen.
Richtig ist selbstredend, dass die KI-Bilderwelten nur als Werkzeug verstanden werden dürfen, nicht als Ersatz für eine Lebensführung, die die behaupteten Ideale auch anstrebt. Wenn aus dem „Digital Warrior“ nur ein buckliger Kauz hinter der Tastatur wird, ist nichts gewonnen. Aber haben Aufblaspuppen dafür gesorgt, dass der Drang nach Echtem nachließ? Wie sagte Luther: Fliesst’s nicht ins Fleisch, so fliesst‘s ins Hemd, von daher wird sich das Leben den Weg schon nehmen.

Florian Sander

22. April 2024 18:28

Mich überrascht dieser Text. Klar sind die meisten KI-Produkte, die inzwischen so durchs politische und sonstige Netz schwirren, keine "Kunstwerke". Müssen sie doch aber auch gar nicht sein. Politische Massenpsychologie sollte - muss - sich gezwungenermaßen vom Schnellroader Schöngeist entkoppeln. Wenn jemand eine KI-Kachel zu politischen PR-Zwecken entwirft, ja meine Güte, dann soll das doch kein "Kunstwerk" sein. Ebensowenig wie jemand ein Kunstwerk erschafft, wenn er eine Pressemitteilung schreibt. Es ist eine Auftragsarbeit, nicht mehr und nicht weniger.
Politische PR muss in der Masse (!) - nicht: in Eliten - Emotionen wecken. Dazu gehört dann auch, dass man gerade die erreicht, die kitschige Vorabendserien schauen oder Arztromane lesen. Kitsch ist nicht Kunst, aber Teil von PR. Einfach etwas differenzieren, was wozu gut ist und wozu nicht, und schon kann man auch mit KI-generierten Bildchen leben, ohne sie überbewerten zu müssen.

Utz

22. April 2024 19:12

Wichtigste Erkenntnis? Nein, ein Gegenfilm zu Oma Wakanda ist nicht denkbar. Die Regierung manipuliert, was das Zeug hält. Schon von daher wäre uns dieser Ansatz zuwider. Andererseits: Uns fehlen auch die Utopien. Wie soll die Zukunft aussehen? Es ist überhaupt nicht rechts sich selbige perfekt vorzustellen (lauter blonde, durchtrainierte, makellose Menschen), die Linken sind es, die in die Gleichheit verliebt sind. Rechte kümmern sich um ihren Körper, wollen nicht wie Ricarda Lang aussehen, was aber nicht heißt, daß man makellos oder arisch sein muß. Und ab da fällt uns schon nichts besseres mehr ein wie: die 80er-Jahre waren doch noch gut. Aber so kommen wir nicht weiter. 

Liselotte

22. April 2024 19:23

@Teufel: Dieses Ignorieren des 3-dimensionalen Körperbaus (oder, bei Gebäuden, solcher wichtigen Dinge wie der Stockwerkshöhe) ist genau das, was mich auch so gruselt. Kitsch- und Massenpropagandaproduktion als Mittel im kulturellen und politischen Kampf haben wir seit dem späten 19. Jhdt reichlich, das ist nicht wirklich ein Argument gegen die Verwendung, da stimme ich anderen Kommentatoren zu. Aber die 3brüstigen Frauen oder Arme mit 2 Handgelenken grausen mich. Ich empfinde das als Sabotage des Körpers, als Verneinung der Physik (Ihr Beispiel mit Toy Story ist ganz treffend, auch Ice Age ist ähnlich: dort wurden die Figuren mW zuerst 3-dimensional entworfen, und dann eine Oberfläche übergezogen. Dadurch sind sie viel körperhafter, als die flachen, vor allem auf Photos beruhenden, jetzigen KI-Produkte.).
 

LetzteGoten

22. April 2024 20:18

Florian Sander hat es auf den Punkt gebracht. Während in rechtsintellektuellen Kreisen darüber diskutiert wird, ob KI-generierte Bilder den Untergang des Abendlandes markieren, geht dieses Land den Bach herunter. Es ist doch vollkommen gleich, ob diese Memes und KI-Produkte optisch gefallen oder nicht. Wichtig ist nur die Wirkung in der Masse, die wie Florian Sander eben schreibt nicht von akademischen Schriften, sondern von handfesten "Helden" aus dem Internet und den Sozialen Medien begeistert werden. Ein Beispiel: trotz aller woken Propaganda ist derzeit eine der erfolgreichsten Serien die über den ehemaligen US-Soldat "Reacher", der weiß, blond, muskelbepackt, gestählt und alle Kampfkünste beherrschend dargestellt wird. Ähnlich den Memes von Kachel. Wo ist das Problem?

ML: Diese ominöse "Wirkung auf die Masse" sehe ich nirgendwo gegeben. Es ist ein völlig illusorisches Schlagwort.

Florian Sander

22. April 2024 21:23

@ML: Das kann man bisher auch noch nicht irgendwo sehen oder nicht sehen, weil die Technologie noch zu neu ist. Ich vermute, wir werden erst in ein paar Jahren einigermaßen objektiv - also: ohne subjektive Geschmacksdiskussionen, sondern auf statistischer Basis - beurteilen können, wie effektiv solche Mittel der politischen PR wirklich sind. Nur, wie LetzteGoten schon schrieb: Das negiert nicht die Notwendigkeit politischer PR, die zwar identisch sein kann mit Kunst (etwa bei Filmen oder Serien), es aber eben längst nicht immer ist. PR muss Lebensgefühl ausstrahlen, und das schafft sie mitunter auch durch "Kitsch", also emotionalisierende Vereinfachungen. Diese braucht der Mensch aber. Vermutlich haben die Serie "Vikings" oder die "300"-Filme mehr junge Menschen zu einem identitären Lebensgefühl inspiriert als alle rechtsintellektuellen Publikationen zusammengenommen. Das bedeutet nicht, dass rechtsintellektuelles Publizieren falsch wäre. Aber wir alle wissen, dass man durch künstlerischen Anspruch keine Massen erreicht.

Waldgaenger aus Schwaben

22. April 2024 22:00

Man kann aus allem ein Riesenproblem machen. 
Eine Google-Suche nach "deutsche Familie" lieferte an 3. Stelle dieses ansprechende Bild:
https://www.kidsgo.de/familie-87/aufwachsen-in-einer-grossfamilie/
Sogar der Hund ist mit dabei. Dauer der Suche ca. 30 sec.
Es ist eine der einfachste Übungen für eine KI ein solches Bild so abzuändern, dass Urheber- und Persönlichkeitsrechte nicht verletzt werden. Warum die Junge Wertunion auf ein abstossend kitschiges Bild zurückgreift, verstehe ich nicht. Mich erinnern dieses an ältere Schriften der Zeugen Jehovas, wo die Bilder sicher noch handgemalt waren. Vielleicht ist das USA-Geschmack? In D kommt das sicher nicht an.
 

ofeliaa

22. April 2024 22:16

Aber KI wird ja nicht nur wegen der Tatsache genutzt, dass es einen Grafikdesigner oder Zeichner oder sonstiges ersetzt und man so jemanden somit nicht finden, bezahlen und ins Geschehen mit einbeziehen muss oder gar, weil es echte Kunst produzieren könnte. Eher weil es nicht ganz eindeutig ist, wer der Urheber/Autor ist. Das Gesetz hinkt glaube ich bzgl. KI noch etwas hinterher. Also dass die Bilder oft grotesk wirken, ist wahr, aber es geht wohl auch um diese Grauzone, in der man dadurch agieren kann. 

Liselotte

22. April 2024 22:19

@LetzteGoten: Zweifellos gibt es eine eskapistische Sehnsucht nach Helden und v.a. der Darstellung von solchen, die die Werbung/Propaganda/Kulturindustrie (um mal den Gruselfaktor Adorno zu zitieren) zu bedienen hat. Undercut ist gegenwärtige Männerfrisurenmode, paßt also. Als Meme spricht das schon einen Teil von Leuten an. Was mir etwas gefährlich erscheint: wir haben den Ukrainekrieg (sage mir keiner, den können wir völlig weghalten). Ich will nicht, daß dem Verheizen unserer Jugend Vorschub geleistet wird (daß die ukrainischen und russischen Jungen verheizt werden, ist schlimm genug). Deswegen würde ich das Handfeste (das unbedingt vorkommen muß) lieber auf weniger martialische Weise zur Sprache kommen lassen. Auch sind mir deutsche Tugenden wie "Kraft mit Zurückhaltung/mit Maß und Ziel" sowie im Verbund mit scheinbar gar nicht so nahen (aber eben doch verständigen) Nachbarn oder Familienmitgliedern wichtiger als das amerikanische Einzelgängerheldenbild ("Rambo" mit seinen Bodybuilderkrampfadern). Bezüglich der Verbundenheit ist Wilhelm schonmal nicht schlecht, aber die optik finde ich zu sehr retro. Sie müßte etwas modernisiert werden.

Liselotte

22. April 2024 22:22

Ach ja, noch was bzgl gruseliger Körpermißgeburten: schaut Euch mal im Oma-in-Wakanda-Film das linke Auge der Enkelin, das linke Knie und die darauf liegende Hand der Oma an. Da sind genau die Gruseleffekte der KI zu sehen.

Liselotte

22. April 2024 22:31

@ML: die "Wirkung auf die Masse" wird vermutlich erst noch ausprobiert werden müssen, mit vielen verschiedenen Flavors für unterschiedliche Zielgruppen. Schließlich haben nicht alle ein gleiches Alter und ein gleiches Einkommen. -
was man noch verarbeiten könnte:
In Ice Age das Rhinozeros "Aussterben spielen wir später".
Die Werbung für das Parfüm "Charly" in den 70ern (für Frauen).
und ansonsten sollte man sich mehr über brenzlige Situationen und ihre Auflösungen durch einen passenden Spruch Gedanken machen, denn die Berliner Schnauze ist in den letzten 20 Jahren sehr dezimiert worden.
 

Speng

22. April 2024 23:53

Der neo-luddistische Ton in dem Artikel amüsiert mich ein wenig.

ML: Darauf habe ich gewartet, der "Luddist" ist der "Nazi" aller Technologiefetischisten.

Jetzt soll man bei KI-Bildern die Grenze ziehen, weil sie die menschliche Kreativität verhöhnen und, so wie ich das Gesagte interpretiere, so aalglatt, kitschig wie dämonisch wirken sollen.

ML: Ja.

Da fühle ich mich erinnert an eine Diskussion auf einem Messageboard vor ein paar Jahren, auf dem behauptet wurde Emojis seinen alchemisch/okkulten Geheimsiegel nachempfunden, welche Dämonen beschwören sollen. Das Gleiche gilt für Computerschaltkreise. Also doch ein Geist in der Maschine, wenn nicht gleich der Teufel an sich ;) Zum Exorzismus müssen wir dann aber nicht nur auf Ki-Bildchen verzichten, sondern dürfen auch gleich unsere Rechner und Telefone wegschmeißen.
Ich würde damit aber noch ein wenig warten, denn wenn ich so sehe, mit welcher Art von "Kunst" https://knowyourmeme.com/photos/2029747-corporate-art-style#trending-bar wir in den letzten 15 Jahren im Internet von den Herrschenden so gepeinigt wurden (vom Silicon Valley bis zum Familienministerium), so können ein paar von uns manipulierte Bilder unsere Seelchen wohl kaum noch mehr verletzen. 
PS: Auch Kitsch kann schön sein, Agitprop kann auch Kunst sein und Propaganda ist wenigstens nicht immer unästhetisch.
 
 

Gracchus

23. April 2024 00:02

Ich verstehe das Unbehagen, teile es aber nur bedingt. Wie @Umlautkombinat meine ich, dass KI dann auch unterscheiden hilft. Kunst ist dann das, was KI nicht könnte. Die Masse wird das nicht interessieren. Die derzeitige Kulturproduktion kommt auch ohne viele Originalität oder Kreativität aus, und auch da oder vor allem, wo ein Kunstanspruch verfolgt wird. Das Problem in puncto Kunst sehe ich weniger in den Möglichkeit der Manipulation, sondern in der Normierung und Gleichförmigkeit. Die ästhetische Normierung ist m. E. weit fortgeschritten. Kaum noch Bereitschaft, sich auf neue ästhetische Erfahrungen einzulassen. 

links ist wo der daumen rechts ist

23. April 2024 01:32

Natürlich gäbe es Gegenmodelle zu diesem KI-Schmonzes. Etwa die Arbeiten von Kluge, Reitz, Syberberg, Fassbinder. Im Grunde wären die 70er und 80er Jahre eine wahre Fundgrube.
Mein Lieblingsbeispiel aber stammt aus Niklas Schillings Film "Rheingold" (die Handlung ist zu vernachlässigen):
Als der gleichnamige TEE den Loreley-Felsen passiert, beginnt ein Großvater im Zugabteil seiner Enkelin, einem kleinen Mädchen mit blonden Zöpfen, das gebannt aus dem Zugfenster starrt, die Geschichte der Loreley zu erzählen. Gleichzeitig sieht man in einer Außenperspektive den von einer bärenstarken E03 gezogenen Zug in einer Wettfahrt mit einem 450 SEL. Das war die Zeit, in der auf den DM-Scheinen Dürer- und Cranach-Porträts prangten. Eine selbstbewusste Nation, die ihren Platz in der Welt hatte, bewundert und geschätzt.
Was haben wir heute zu bieten?

Teufel

23. April 2024 07:45

Das Problem dieses neuen Werkzeugs besteht derzeit vor allem in der Diskrepanz zwischen der Feinheit der Befehlseingabe und dem daraus generierten Bild und dessen Details. Die KI fuellt einfach zu viele Einzelheiten generisch und mit Artefakten behaftet aus und darin liegt das abstossende, weswegen man KI-Erzeugnisse auch so schnell erkennt.Wenn man die Bilder einst bis auf das Pixel genau kontrolliert und der Vorstellung des Kuenstlers anpasst, dann unterscheidet sich diese Methode inhaltlich so wenig wie die Schreibmaschine von der Feder.Ich finde, diese Technik hat enormes Potential. Sie senkt die Umsetzbarkeitsschwelle drastisch und erhoeht damit aber gleichzeitig die Messlatte der Qualitaet.
Hier ein KI-generierter Trailer zu einem fiktiven Tron:
KI Tron-Trailer
Beachtenswert ist das traumartige an den fliessenden Bildern, es muss nicht immer nur Grusel oder Abscheu sein.

RMH

23. April 2024 08:05

"Kunst ist dann das, was KI nicht könnte." @Gracchus: Das ist eine nur derzeit geltende These. KI zielt darauf ab, nicht nur zu replizieren und dabei den Quirl zu verwenden sondern schöpferisch und damit kreativ zu werden (sonst könnte man das "I" auch weglassen). Die Technik wird fortlaufend besser, die Entwicklung geht rasant voran. Und wenn sich die Menschheit einmal - Achtung, Modeformulierung - ehrlich macht, ist sie schöpferisch schon lange an ihre Grenzen gekommen. Das Plagiat, die Hommagen, das Selbstzitat, das inspired by ... sind allgegenwärtig. Alles schon mal da gewesen. Die Sekundär-, Tertiär- etc. Verwerter sind prägend und dominant. Universitäten sind zu einem großen Teil nur noch Reproduktions- und Kompostieranlagen um so die geforderte Publikationsquote für die Mittelgewinnung zu erlangen, abgesegnet durch das Prädikat, Zitier- und Quellenangaberegeln werden eingehalten. Das Zeitalter des Nihilismus ist eben auch das Zeitalter der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Gleicheit produziert Gleiches. KI kommt einem so vor, wie Münchhausens Versuch, sich am Pferdeschwanz selbst aus dem Sumpf zu ziehen. Das lässt sich nicht mehr aufhalten. Der Menschenpark benötigt dringend nicht nur neue Regeln sondern vor allem neue Spielfächen, denn ein Großteil des akademischen Proletariats wird überflüssig werden (worin auch Positives liegen kann).

Liselotte

23. April 2024 09:03

@ofeliaa 22:16: Das ist richtig, daß Sie diese Grauzone erwähnen, die die Voraussetzung für den Gebrauch der KI ist. Man kann deswegen beim Gebrauch dieser KI, zumindest in der kostenlosen Version, wohl NICHT direkt von einem bestimmten Bild ausgehen. 

Adler und Drache

23. April 2024 09:26

Ich bin zwiegespalten und unschlüssig, da ich mich fast gar nicht mit technischen Fragen und Neuerungen beschäftige - das meiste zieht an mir vorüber. Weder teile ich bisher MLs tiefe Abneigung noch  irgendwelche Ängste, ich schätze, der Einsatz von KI wird schlicht und einfach den Müll, der ohnehin produziert wird, noch vermehren. Das Filmchen ist Müll, die Kacheln sind Müll, warum soll man sich mit sowas beschäftigen? Bereiche, in denen KI etwas Produktives leisten wird, sind Spezialbereiche, die dem Otto Normalverbraucher auch bisher nicht zugänglich waren und sind. 
Immer wieder wächst das Gras,
Wild und hoch und grün,
Bis die Sensen ohen Hass
Ihre Kreise ziehn ...
(Gundermann)
 

Karl

23. April 2024 10:27

Die Inflation von Filmchen, Bildern, Texten, Sprache, Musik wird auf die Spitze getrieben und versiegt dort. Inflation bedeutet Entwertung. Die heute immer noch vorherrschende Überbewertung der sog. „Kultur“ gewinnt so wieder menschliches Maß. Solche Gehirnpest degradiert sich selbst und erhält den Stellenwert, der ihr gebührt. Wenn ein Bild Zeitgeschehen verdichtet, ist es eindrucksvoll und wirkmächtig, wenn 1000ende Bilder gleichzeitig ein Geschehen scheinbar beliebig deuten sind sie wertlos. 

Maiordomus

23. April 2024 10:39

Künstliche Intelligenz? Es würde sich lohnen, sich auch nur nicht mal in das malerische, sondern das technische und ingenieurhafte Gesamtwerk von Leonardo da Vinci zu vertiefen, einschliesslich Kommentare und Skizzen; auch glaube ich nicht, dass KI auch nur einen lateinischen Originalbrief von Erasmus von Rotterdam über plumpe Plagiate hinaus zustandebringen würde.  

Liselotte

23. April 2024 10:46

@Gracchus: "Kunst ist dann das, was KI nicht könnte." Ah je. Das hatten wir schonmal: in den 1920er Jahren der Kampf der Theater und Cabarets gegen den Film, und ab der gleichen Zeit bis in die 1980er/90er das Auseinanderfallen von Photographie und "Kunst" (danach kam Multimedia und dergl.). Nicht daß die "andere" Kunst in der Zeit so viele bemerkenswerte Bilder erzeugt hätte, oder die Lichtinstallationen länger als ein Jahrzehnt überlebt hätten.
Ich denke, es kommt vor allem immer noch auf die Bildidee an, die man zunächst billig, auch mit KI, realisiert, als Wegwerfbild. Und wenn die gut ist, kann man sie drucken und somit etwas länger verfügbar halten, oder als Video weiterverbreiten.

Laurenz

23. April 2024 10:53

Ich habe hier jetzt mal was herausgesucht, wobei es um Kunst oder nicht geht. Das Video mit Audrey Hepburn wurde als Schokoladen-Werbung wohl in 2014 aus der Schubalde geholt. Die Filmszene mit allen sichtbaren Menschen, wurde mit Statisten erstellt, Film ist immer künstlich, daher, zumindest in diesem Falle, Kunst.  Mir gefällt die Mode besser als die heutige Mao-Mode, das Daimler-Cabriolet ist wunderschön, man darf sagen, Kunst im KFZ-Bau, selbst die hier geladene Musik von Dieter Bohlen ist quasi Volks-Kunst, ähnlich Karl May als Literaten. Wie soll KI meine Empfindungen einschätzen können? https://www.youtube.com/shorts/VkxVHRGVJz4?feature=share und hier der Original-Werbespot mit zeitgenössischer Musik. https://youtu.be/eJt9narRaf4

MARCEL

23. April 2024 11:12

Der Teufel äfft immer nach.
Da heutige Propaganda immer mit Unterhaltung (Gaming) einhergeht, ist der Sog zu stark.
Es ist wie in der Golem-Legende des Rabbi Löw: Der Golem hat keine Seele. Er wird allenfalls "belebt", lebt aber nicht (Moral: Nur Gott kann wirklich erschaffen).
Da die Unterscheidung, zwischem dem, was lebt und dem, was nicht lebt, aber immer mehr abhanden kommt, wird das Leben selbst abhanden kommen. Ohne, dass man es merkt.
Oder spitzer und in die Zukunft gesprochen: KI wird zum KZ
Soft zwar, aber genauso ohne Fluchtmöglichkeit, wie sein Vorläufer aus dem industriellen Zeitalter. 
 

Umlautkombinat

23. April 2024 12:44

@Adler und Drache
> Spezialbereiche [...] Otto Normalverbraucher
Im beruflichen Umfeld ist der Verbraucher Spezialist, Konsum ist nur eine Rolle des Menschen. Sie wuerden sich wundern, wo AI ueberall zum Einsatz kommt. 
Was die volle Kontrolle der Pixel angeht - die gibt es nicht und wird es nicht geben. In meinem beruflichen Bereich sagt man: Wenn man eine Software hinreichend detailliert spezifizieren will, wird man das letztlich nur durch den Akt des Schreibens des Programms selbst tun koennen. Unendlich genau kontrollierter Output erfordert unendlich vielfaeltigen Input. Und da wird der Unterschied zwischen Lernverfahren der Maschine und des Menschen sichtbar und wesentlich. Manches gibt Letzterem durch die genetische Vorverdrahtung schon mit Ansatz der Ontogenese des Gehirns einen Vorspung. Aber lange nicht alles. Ein Kind lernt Sprache und Grammatik nicht durch Regellernen oder Wahrscheinlichkeitsauswertungen (Statistik, das tut die Maschine) sondern durch Kopieren und Experimentieren als Schlaege tief in den Moeg;lichkeitssraum hinein (das macht die Maschine nicht), ganz weit vorn durch Spielen.

Speng

23. April 2024 13:05

"ML: Darauf habe ich gewartet, der "Luddist" ist der "Nazi" aller Technologiefetischisten."
Schön, dass ich den Erwartungen gerecht werden konnte und irgendwer muss es ja sagen... Aber im Ernst, ich will dies nicht zu sehr metaphysisch aufladen. Für mich bleibt's Spielerei, Werkzeug und Instrument (vielleicht ein sehr nützliches).
Jeder Gang durch eine moderne deutsche Kleinstadt deprimiert mich mehr, als tausende Bilder, welche die neuralen Netzwerke so ausspucken.
@Teufel (hehe): "KI Tron-TrailerBeachtenswert ist das traumartige an den fliessenden Bildern, es muss nicht immer nur Grusel oder Abscheu sein."
Genau!
 

kikl

23. April 2024 17:50

Die künstliche Intelligenz wirkt wohl heute auf Künstler genauso bedrohlich wie die Fotografie im 19. Jahrhundert für Maler als Bedrohung wahrgenommen wurde. Letztlich wird es für die Kunst darauf ankommen, sich die KI als neues Werkzeug anzueignen. 
Das gilt ebenso für viele weitere Berufe, die von der KI bedroht sind. 

RWDS

23. April 2024 18:08

Naja, das ist ja nun erstmal viel Spekulation. Lassen wir es erstmal drauf ankommen, was die rechten Kreativen mit KI so anstellen werden, bevor man ein Urteil fällt.
Die Kacheln sind Geschmackssache, wirken auch eher so, als wäre die Zielgruppe der gemeine Boomer. Und ganz ehrlich, wenn da die KI dafür sorgt, dass der Facebook- und Telegramcringe durch optisch ansprechende Bilder aufgepeppt wird, kann das nur von Vorteil sein.
Heutige Schlagzeile: Fast ein Viertel der U30-jährigen würde AfD wählen. Da kann man jetzt nicht kommen und sich der Technik verschließen.
Ziel muss es doch sein zu zeigen, wir gehen mit der Zeit, aber auch die Zukunft muss deshalb kein Shithole werden. Früher war tatsächlich auch oft besser.
Es sind noch 38 Tage bis zum Stolzmonat. Dann werden wir sehen, was Rechtstwitter und die Honigbubble so hinzaubern.
Und in 1-2 Jahren werden KI-erzeugte Medien sowieso nicht mehr unterscheidbar von "realer" Kunst sein. Unser Problem sind die Leute, die die KI nutzen. Nicht die Technik.

Gracchus

23. April 2024 20:45

@Liselotte, RMH, MARCEL
KI, sowie ich es verstehe, ist nicht ein neues Medium wie Fotografie oder Film, sondern, so auch RMH, ein potentieller Schöpfer (was aber noch zu beweisen ist). Abgesehen davon: Der Film folgt - von Avantgarde-Filmern durchaus beklagt - bis heute literarischen Mustern. Und ich würde bestreiten, dass Fotografie die Portraitkunst alter Meister erreicht. Es ist, wie @MARCEL sagt, im Pinsel eines Vermeer oder Rembrandt war mehr Seele als in den Linsen der meisten Fotografen. 
KI muss aber noch zeigen, was sie kann. Soeben auf NZZ gelesen, mit Hilfe von KI soll es möglich werden, als Leser mit den Romanfiguren zu interagieren und somit selbst Akteur zu werden. Das klingt zugegeben durchaus reizvoll. Andererseits: Wäre es nicht sinnvoller, gleich mit echten Menschen zu interagieren und zu kommunizieren? 
 

Gracchus

23. April 2024 21:06

Fortsetzung:
Große Kunst zeichnet sich m. E. nicht in erster Linie durch Virtuosentum aus; sondern durch Dringlichkeit und Notwendigkeit, die den Künstler zum Werk getrieben hat, es war ihm eine Herzensangelegenheit, sein Weiterleben hing davon ab - ob KI auch dergleichen simulieren kann? Eine Art Todesbewusstsein? Und zwar vor sich selber? 
Ich bin da bei @MARCEL. Die Masse der heutigen Kunstproduktion ist doch schon seelen- und leblos. Es wird daher kaum auffallen, wenn jetzt KI mitmischt. Aber ich erwarte davon keine große Kunst. 

Adler und Drache

24. April 2024 08:43

@kikl: Werkzeuge sind nicht "neutral", sie haben ein "Eigenleben" oder eine eigene, ihnen eingestiftete Logik. D.h. nicht nur ein Künstler benutzt ein Werkzeug (oder allgemein ein Mensch), sondern er verwandelt sich diesem Werkzeug auch an, um es gebrauchen zu können. Maschinelle Werkzeuge machen uns zu Maschinenmenschen, das war Thema der Kunst seit dem Expressionismus ("Metropolis" oder "Modern Times"). Unter Umständen bildet sich der längst zum Knecht gewordene Mensch noch immer und umso inbrünstiger ein, Herr zu sein. 

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