Alfred Dorfer und die FPÖ-Wähler

Unter den Intellektuellen Österreichs läuft gerade eine Art Wettbewerb, wem die schlaueste Erklärung oder der smarteste Kommentar zum Wahlsieg der FPÖ einfällt. Trotz Ansätzen zur Differenzierung scheinen alle zumindest darin übereinzustimmen, daß es sich hierbei um einen Betriebsunfall handelt, der eigentlich nicht hätte passieren sollen. Dieser Meinung bin ich natürlich nicht.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Am ein­fachs­ten liegt der Fall für Anti­fan­ten, wie der all­seits belieb­ten links­ra­di­ka­len Akti­vis­tin Nata­scha Strobl, die aus irgend­ei­nem mys­te­riö­sen Grund zu den Lübe­cker Tho­mas-Mann-Tagen ein­ge­la­den wur­de, wo sie sich zum Zau­ber­berg äußern soll­te, einen Roman, den zu lesen sie offen­bar für über­flüs­sig hielt.

Es ging dabei um die “intel­lek­tu­el­le Offen­heit” der Figur Hans Cas­torp, der sich nicht zwi­schen den Anti­po­den Settem­b­ri­ni und Naph­ta (dem Auf­klä­rer und dem “Reak­tio­när”) ent­schei­den, was den Ver­an­stal­tern Anlaß zu aller­lei gelehr­ten Gesprä­chen gab.

Strobl, der “intel­lek­tu­el­le Offen­heit” laut Bericht der FAZ suspekt ist (kein Wun­der), bog das Gespräch ein­fach für eine Wer­be­ein­schal­tung in eige­ner Sache ab (ihre Ware ist “Angst vor dem Faschismus”):

Die Wie­ner Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin Nata­scha Strobl spar­te sich zwar jeden Bezug auf den Roman – viel­leicht hat­te ihr im öster­rei­chi­schen Wahl­kampf die Zeit gefehlt, ihn (noch ein­mal) zu lesen –, schien cas­torp­sche Auf­ge­schlos­sen­heit aber gene­rell für poli­tisch naiv oder gar ver­däch­tig zu hal­ten. Ihre all­ge­mein gehal­te­nen War­nun­gen vor dem Her­auf­zie­hen eines neu­en Faschis­mus oder der Ver­ro­hung digi­ta­ler Dis­kur­se gefie­len einem Teil des Publi­kums offen­bar vor­züg­lich. Der ande­re Teil frag­te sich, ob ihre State­ments in einer Talk­show nicht bes­ser auf­ge­ho­ben gewe­sen wären als bei den Thomas-Mann-Tagen.

Für Strobl ist die Sache ganz ein­fach: Faschis­ten machen halt Faschis­ten­din­ge, so wie Strobl halt Strobl-Sachen sagt. Als Mit­ar­bei­te­rin und Bera­te­rin des gro­ßen Ver­lie­rers Babler bleibt ihr wohl kein ande­res Deu­tungs­mus­ter übrig, um mit der Lage fer­tig zu werden.

Eben­so uner­gie­big wie sym­pto­ma­tisch für den Geis­tes­zu­stand der Ver­tre­ter des Kul­tur­be­triebs war auch der Kom­men­tar des Schrift­stel­lers Franz­obel im Stan­dard, der sich offen­sicht­lich selbst für außer­or­dent­lich geist­reich hält. War­um wird “Goeb­bels-Imi­ta­tor” Kickl (“man muss es sagen: rhe­to­risch bril­lant”) gewählt?, fragt er aus der Sicht eines Ein­woh­ners von “Tim­buk­tu” (harch harch).

Ganz ein­fach:

Sei­ne Ant­wort auf alle Fra­gen ist immer die­sel­be: Aus­län­der raus! Ein Ham­mer sieht in allem einen Nagel, auf den er dre­schen kann. Daher wird jetzt jeder, der in Zukunft ein Ver­bre­chen bege­hen will, nicht mehr in das Land gelassen.

Und was treibt die Wäh­ler um? Franz­obel glaubt auch dies genau zu wissen:

Öster­rei­cher fürch­ten nichts so sehr, als dass wir Aus­län­der etwas bekom­men, was uns nicht zusteht. Sie haben pani­sche Angst, dass der Islam ihren Zwerg­staat kapert. (…) Sie haben sol­che Angst, dass sie alle Leu­te mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund zurück­schi­cken wol­len. Remi­gra­ti­on nen­nen sie das. Öster­rei­cher wol­len unter ihres­glei­chen blei­ben. Der ein­ge­bo­re­ne Alpen­mensch will nur sei­nes­glei­chen sehen. Kann man ver­ste­hen. (…) Sie wäh­len die FPÖ, weil ihnen die lau­ten Auto­ra­di­os mit ara­bi­scher Musik auf die Ner­ven gehen, weil es in der Stra­ßen­bahn nach Döner riecht, es ihr Lieb­lings­jo­ghurt nicht mehr gibt. Sie wäh­len das Werk­zeug Her­bert Kickl, weil sie einen Grant haben auf die Welt.

Gries­grä­mi­ge, ängst­li­che Frem­den­fein­de, die sich vor ein­ge­bil­de­ten Pro­ble­men fürch­ten, wäh­len stumpf­sin­ni­ge Rechts­extre­mis­ten, die jede Fra­ge mit dem­sel­ben Ham­mer beant­wor­ten: Das müs­sen wohl die­se “ein­fa­chen Ant­wor­ten auf kom­ple­xe Fra­gen”, vor denen die “Poli­tik­wis­sen­schaft­ler” à la Strobl pau­sen­los warnen.

Mit grob­schläch­ti­gen Strick­mus­tern die­ser Art webt sich die Lin­ke einen Vor­hang vor der Wirk­lich­keit; wenn man etwa die zahl­lo­sen Pro­ble­me, die die Mas­sen­ein­wan­de­rung mit sich bringt, nicht aner­ken­nen will, muß man eine Art von Dämo­no­lo­gie ent­wi­ckeln, um zu erklä­ren, war­um so vie­le Men­schen nicht die eige­ne Lieb­lings­par­tei wäh­len oder ande­re Inter­es­sen verfolgen.

Es könn­te ja auch mög­li­cher­wei­se sein, daß den Wäh­lern lau­te Auto­ra­di­os weni­ger “auf die Ner­ven gehen”, als zum Bei­spiel die Aus­sicht, daß eines Tages auch ihre Toch­ter grup­pen­ver­ge­wal­tigt und ermor­det wird. (Ich nen­ne ein extre­mes Bei­spiel, weil Franz­obel mit einem beson­ders läp­pi­schen ange­tanzt kommt. Wie er es hin­be­kommt, sich guten Gewis­sens über ernst­haf­te Pro­ble­me, die sich sehr vie­len Fami­li­en mit Kin­dern und nicht all­zu viel Bud­get in der Groß­stadt stel­len, hin­weg­zu­wit­zeln, bleibt sein Berufsgeheimnis.)

Gänz­lich blö­de ist er offen­bar nicht, fie­len ihm doch im Mai etli­che Pro­blem­chen ein, die künf­ti­gen poli­ti­schen Spreng­stoff mit sich brin­gen könn­ten (ich will gnä­dig dar­über hin­weg­se­hen, daß er “demo­sko­pisch” und “demo­gra­phisch” ver­wech­selt hat):

Kli­ma­flücht­lin­ge, Infla­ti­on, knapp wer­den­de Res­sour­cen, eine pro­gnos­ti­zier­te demo­sko­pi­sche Ent­wick­lung, bei der in zwan­zig Jah­ren ein Vier­tel der Bevöl­ke­rung Mus­li­me sind, ein ste­tig wach­sen­des, von den unso­zia­len Medi­en geschür­tes Hass- und Gewaltpotenzial.

Auch die ÖVP bekommt von Franz­obel eins auf’s Dach:

Trotz­dem wäh­len sie die Par­tei, die dafür ver­ant­wort­lich ist, eine Par­tei, die sich nicht scheut, mit Rechts­extre­mis­ten zusam­men­zu­ar­bei­ten, durch und durch öster­rei­chisch ist – ein wenig katho­lisch, ein biss­chen bäu­er­lich, etwas geschäf­tig, gschaftl­hu­be­risch, ein wenig kor­rupt. Eine Par­tei, deren Ideo­lo­gie es ist, dass alles so bleibt, wie es nie gewe­sen ist. Seit vier­zig Jah­ren ist die­se ÖVP an der Macht, so lan­ge hal­ten sich nicht ein­mal afri­ka­ni­sche Dik­ta­to­ren. Die Par­tei lebt Sta­bi­li­tät und Wer­te, die sie selbst nicht kennt, das aber mög­lichst profitabel.

Da stim­me ich sogar weit­ge­hend zu, auch wenn ich das “ein wenig” kor­rupt für stark unter­trie­ben hal­te. Was Franz­obel nicht sieht oder nicht ein­ge­ste­hen will, ist, daß die FPÖ die ein­zig authen­ti­sche Oppo­si­ti­ons­par­tei zum Sys­tem ÖVP ist, wie das Bei­spiel der Grü­nen in der trau­rig aus­lau­fen­den Koali­ti­on gezeigt haben sollte.

Was Kickl nun aller­dings wirk­lich ver­tritt, ist natür­lich weit­aus kom­ple­xer, als es der “Schrift­stel­ler, Essay­ist und Dra­ma­ti­ker” hin­stellt, bzw. hin­stel­len muß, um sei­ne Pose bei­bei­hal­ten zu kön­nen (man kann auch ein­fach sagen: er lügt schlicht­weg über Kickl).

Hier eine grif­fi­ge Zusam­men­fas­sung, ent­nom­men der all­ge­mei­nen “Bericht­erstat­tung”, aus der aktu­el­len Wei­ßen Rose:

Das Asyl­recht soll refor­miert und Remi­gra­ti­on durch­ge­führt wer­den; in den Schu­len soll man wie­der mit Papier und Stift ordent­lich schrei­ben ler­nen, statt auf Tabletts zu han­tie­ren, und in den Klas­sen­zim­mern hat das Kreuz zu ver­blei­ben; die Ein­füh­rung neu­er Steu­ern wird abge­lehnt, die ORF-Zwangs­ab­ga­be und die Co2-Steu­er wer­den abge­schafft; der öffent­li­che Rund­funk wird einer gründ­li­chen Ent­po­li­ti­sie­rung unter­zo­gen; die umfas­sen­de Unter­su­chung und Bewer­tung der “Pandemie”-Politik der letz­ten Jah­re, ent­spre­chen­de Ent­schä­di­gun­gen, Rück­erstat­tung von “Corona”-Strafzahlungen und Abschaf­fung des Impf­zwang­ge­set­zes sind wesent­li­cher Teil der “blau­en” Absichts­er­klä­rung; man darf sich über­dies erwar­ten, daß eine von den “Frei­heit­li­chen” geführ­te Regie­rung kon­se­quent gegen den “Gender”-Wahn vor­ge­hen wird.

Wenn das Pro­gramm Kick­ls weni­ger Migra­ti­on, weni­ger Steu­ern, weni­ger “Gen­der” plus “Corona”-Aufarbeitung, dann gibt es eine Men­ge guter Grün­de, dafür zu optie­ren. Es ist wahr­lich kei­ne Hexe­rei, und auch kei­ne Charakterfrage.

Nach den “bösen Cops” ist nun ein “guter Cop” auf­ge­tre­ten, in Gestalt des Kaba­ret­tis­ten Alfred Dorfer, der der Pres­se­agen­tur APA ein Inter­view gab, das ges­tern über reich­wei­ten­star­ke Haupt­strom-Kanä­le wie exxpress.at, gmx.at oder trend.at gestreut wurde.

Dorfer, Jahr­gang 1961, ist seit über drei­ßig Jah­ren einer der bekann­tes­ten und belieb­tes­ten Kaba­ret­tis­ten Öster­reichs. Der gro­ße Durch­bruch gelang im 1993 mit dem Kult­film (zuvor Thea­ter­stück) Indi­en, an der Sei­te von Josef Hader (aus die­sem Film konn­te damals wirk­lich jeder zitieren).

Die Ver­tre­ter sei­ner Zunft genie­ßen in unse­rem Land den Ruf von beson­ders über­le­ge­nen Durch­bli­ckern, weil die Leu­te den­ken, sie hät­ten Din­ge ver­stan­den, wenn man sie dar­über zum Lachen brin­gen kann.

Kaba­ret­tis­ten sind in der Regel links, stets an vor­ders­ter Front mit dabei, wenn es dar­um geht, sich “gegen rechts” zu enga­gie­ren. “Rechts”, dort ste­hen die Dum­men, Schmut­zi­gen, Häß­li­chen und Gemei­nen (also auch mei­ne Wenig­keit), “links” ste­hen die klu­gen und gebil­de­ten Huma­nis­ten, die über die Rech­ten lachen.

Das Inter­view mit Dorfer beginnt nun mit einer Absa­ge an das Links-Rechts-Den­ken und die Zumu­tung, Kaba­rett sol­le eine bestimm­te Ideo­lo­gie oder Par­tei unterstützen:

APA: Kul­tur­schaf­fen­de auch im Kaba­rett­be­reich gel­ten eben­so als links wie das Publi­kum. Errei­chen Sie die gan­ze Brei­te der Gesellschaft?

Dorfer: Mein letz­tes Pro­gramm hat­te 200.000 Zuschau­er. Allei­ne schon auf­grund der Quan­ti­tät muss ich außer­halb mei­ner “Bubble” tätig sein. Es gibt sicher auch Men­schen, die bewusst nicht zu mir gehen. Weil sie mich per­sön­lich nicht mögen oder mich für einen Lin­ken hal­ten – was im Übri­gen falsch ist. Ich habe es nie ange­strebt, ein Nischen­kas­perl zu sein. Die heu­ti­ge Zeit ist gene­rell ein Abge­sang auf die gan­ze Links-Rechts-Geschichte.

APA: Was tritt an die Stel­le einer Links-Rechts-Einordnung?

Dorfer: Verstand.

Sei­ne Erklä­rung für den Erfolg von AfD und Wagen­knecht in Deutsch­land und der FPÖ in Öster­reich lau­tet so:

Dorfer: Die Bot­schaft, die aus die­ser Wahl her­aus­zu­le­sen ist, ist: ‘Wir wol­len nicht mehr so wei­ter­ma­chen wie bis­her.’ Und man­che sind sogar so ver­zwei­felt, dass sie sich den­ken: ‘Dann machen wir es halt mal so.’ Die­se Wäh­ler als dumm hin­zu­stel­len oder als fast nicht wahl­be­rech­tigt zu dif­fa­mie­ren, ist unglaub­lich menschenverachtend.

Er wagt es sogar, das ver­min­te The­ma Migra­ti­on anzusprechen:

Das Wahl­er­geb­nis ist nicht vom Him­mel gefal­len. Wenn man als Sozi­al­de­mo­kra­tie etwa kei­ne kla­re Hal­tung zur Migra­ti­on auf­bau­en kann, ist das ein Eigen­tor. Oder wenn Neham­mer ver­sucht, in die­ser Fra­ge hin­ter­her­zu­hop­peln und als sozu­sa­gen FPÖ zwei­ter Gar­ni­tur auf­zu­sprin­gen. (…) Typisch öster­rei­chisch hat man geglaubt, es geht sich schluss­end­lich aus, die Nazi­keu­le wird wir­ken. Viel­leicht hat das haar­scharf sogar geklappt, aber ein Kon­zept für die Zukunft ist das nicht.

Nach­dem er den FPÖ-Wäh­ler-Ver­ste­her gege­ben hat, dreht er die unver­meid­li­che Pirouette:

Kickl wie Hai­der sind Men­schen, die gut spü­ren konn­ten, was in der Bevöl­ke­rung los ist, aber kei­ne Lösun­gen anzu­bie­ten haben. Kickl hat neben den vie­len inhalt­li­chen Pro­ble­men das Haupt­the­ma gut erkannt: Vie­le Men­schen füh­len sich durch das bestehen­de Sys­tem über­haupt nicht mehr reprä­sen­tiert, ange­spro­chen, gehört oder ver­stan­den. (…) Die­se Strö­mung, über die sich die ande­ren gar nicht geküm­mert haben, hat Kickl unglaub­lich gut mit einer Mischung aus Nazi-Sprü­chen und Bibel-Sprü­chen aufgenommen.

Damit ist er mehr oder weni­ger wie­der dort gelan­det, wo Franz­obel steht: Kickl hat (trotz sei­ner ziem­lich kon­kre­ten Vor­schlä­ge) “kei­ne Lösun­gen”, Kickl benutzt “Nazi-Sprü­che” (wel­che denn?).

Was wäre also statt­des­sen “die Lösung”? Dorf­ers Ant­wort fällt sehr vage aus:

Man kann Migra­ti­ons­the­ma­tik weder dadurch auf­grei­fen, dass man die FPÖ kopiert und die zweit­bes­te Mög­lich­keit ist, noch durch ein Kon­zept, das die Pro­ble­me leug­net oder beschö­nigt. Wir sind hier als gesam­te Zivil­ge­sell­schaft gefor­dert. Wir müs­sen, glau­be ich, auch außer­par­la­men­ta­ri­sche Akti­vi­tä­ten set­zen. Nicht unbe­dingt Demons­tra­tio­nen, son­dern Posi­ti­ves. Beim Hoch­was­ser zum Bei­spiel haben wir gemerkt, dass ein Groß­teil der Gesell­schaft doch bereit ist, die­ser Zen­tri­fu­ge ent­ge­gen­zu­wir­ken. Wenn Men­schen dabei hel­fen, Kel­ler aus­zu­pum­pen – unge­ach­tet des­sen, ob das ein roter, blau­er oder schwar­zer Kel­ler ist.

Wenn “Migra­ti­on” eine über­füll­ter Kel­ler ist, was bedeu­tet es dann, ihn “aus­zu­pum­pen”? Da er das Pro­blem als sol­ches aner­kennt, meint Dorfer ver­mut­lich nicht, es “zivil­ge­sell­schaft­lich” zu über­tün­chen, auf wel­che Wei­se auch immer (etwa, daß sich nun alle soli­da­risch die Hän­de rei­chen, inklu­si­ve der Migran­ten). Migra­ti­on ist lang­fris­tig ein grö­ße­res Pro­blem als Hoch­was­ser, und es wirkt stark zen­tri­fu­gal, indem es die Gesell­schaft eth­no­kul­tu­rell frag­men­tiert und des Zen­trums beraubt.

Die­ses Abbie­gen ins Gewäsch ist ziem­lich ent­täu­schend, wenn auch vor­her­seh­bar. Ehren­haft ist Dorf­ers Stel­lung­nah­me, es sei “men­schen­ver­ach­tend”, die Blau-Wäh­ler “als dumm hin­zu­stel­len oder als fast nicht wahl­be­rech­tigt zu dif­fa­mie­ren”. Sie ist ver­mut­lich in ers­ter Linie an sei­ne “kul­tur­schaf­fen­den” Kol­le­gen gerich­tet, die über­wie­gend so denken.

Nichts­des­to­trotz zemen­tiert das Inter­view die Bot­schaft und die Rah­mung, daß “die­se Wäh­ler” die “ande­ren” sind, “drau­ßen” sind, die Kon­sens­burg gefähr­lich umspü­lend wie das Hoch­was­ser die nie­der­ös­ter­rei­chi­schen Keller.

Die­je­ni­gen, die es lesen, wer­den sich viel­leicht gestrei­chelt füh­len, daß sie gnä­di­ger- und aus­nahms­wei­se ein­mal als Men­schen betrach­tet wer­den. Gleich­zei­tig wer­den sie jedoch als die­je­ni­gen mar­kiert, die außer­halb des Bereichs der Rich­tig­den­ken­den ste­hen, die blöd genug sind, auf “Nazi- und Bibel­sprü­che” rein­zu­fal­len, und nicht kapie­ren, daß Kickl auch kei­ne Lösun­gen hat. Es steckt etwas unter­schwel­lig Her­ab­las­sen­des in Dorf­ers ober­fläch­lich wohl­mei­nen­den Aussagen.

Den­noch fin­de ich es bemer­kens­wert, daß gera­de Dorfer, ulki­ger­wei­se Ver­fas­ser einer Dok­tor­ar­beit mit dem Titel “Sati­re in restrik­ti­ven Sys­te­men Euro­pas im 20. Jahr­hun­dert” (abge­schlos­sen 2011), nun via APA so viel Reich­wei­te ver­schafft wird.

Wäh­rend des Coro­na-Spuks war er (neben Nina Proll, im Gegen­satz zu Franz­obel, der voll auf Linie war) einer der weni­gen öster­rei­chi­schen Künst­ler, die sich zumin­dest ansatz­wei­se kri­tisch zu den “Maß­nah­men” äußer­ten (sie­he hier).

Damit war er min­des­tens im Dunst­kreis jener, die von Staat und Medi­en pau­schal als “Rechts­extre­mis­ten”, “Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker”, “Staats­fein­de” usw. usf. abge­stem­pelt wur­den. Viel­leicht hat dies dazu bei­getra­gen, in ihm Ver­ständ­nis für die Kickl-Wäh­ler zu wecken.

Auch im aktu­el­len Inter­view spricht er das The­ma an, aller­dings ohne wirk­lich Roß und Rei­ter nennen:

Der gro­ße Keil war Coro­na. Das hat die Gesell­schaft nach­hal­tig beein­träch­tigt. Eine ver­wöhn­te Gesell­schaft, die den Frie­den als selbst­ver­ständ­lich ange­nom­men hat, wur­de nach­hal­tig ver­un­si­chert. Über 70 Jah­re lang haben wir die­se Selbst­ver­ständ­lich­keit mit uns getra­gen. Und plötz­lich konn­te man nicht mehr auf die Stra­ße, Jobs und öko­no­mi­sche Exis­ten­zen waren gefähr­det. Das war für vie­le ein Dämp­fer. Die Ten­denz der Ein­hau­sung und eine Sozi­al­scheu haben auch bei uns zugenommen.

Wer hat die­sen “Keil” ein­ge­trie­ben? Auf wel­che Wei­se geschah es? War sie ver­hält­nis­mä­ßig? War sie effek­tiv, gemes­sen an dem, was man errei­chen woll­te? War sie “wis­sen­schaft­lich” und nichts als das? War sie recht­lich zuläs­sig? War sie mensch­lich zuläs­sig? Was für Fol­gen hat­te die­se Poli­tik, gesund­heit­lich, sozi­al, öko­no­misch? Das sind die Fra­gen, um die es geht.

Die Coro­na-Maß­nah­men haben nicht nur eine “Ten­denz der Ein­hau­sung und eine Sozi­al­scheu” beför­dert, son­dern auch ein tie­fes Miß­trau­en in Staat, Regie­rung, Medi­en und Insti­tu­tio­nen geweckt, einen tie­fen Riß ver­ur­sacht, der so schnell nicht mehr zu kit­ten sein wird. Das hal­te ich neben der Migra­ti­ons­pro­ble­ma­tik für den zwei­ten gro­ßen Grund für den blau­en Denk­zet­tel der Nationalratswahlen.

Wer hin­ge­gen denkt, daß über die “Maß­nah­men” und ihre Fol­gen nicht mehr dis­ku­tiert wer­den muß, weil sie im Gro­ßen und Gan­zen gerecht­fer­tigt waren, oder wer denkt, daß es im Bereich der Migra­ti­ons­po­li­tik kei­ne ernst­haf­ten Pro­ble­me und kei­nen Hand­lungs­be­darf gibt, der muß mytho­lo­gi­sche “Faschis­ten” zur Erklä­rung der Wahl­er­geb­nis­se heranziehen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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Kommentare (13)

Adler und Drache

8. Oktober 2024 13:36

Man kann Migrationsthematik weder dadurch aufgreifen, dass man die FPÖ kopiert und die zweitbeste Möglichkeit ist, noch durch ein Konzept, das die Probleme leugnet oder beschönigt.
Dieser Satz beschreibt schlicht und direkt das Dilemma jenes wachsenden Milieus, das weder im einen noch im anderen ein Zuhause findet. Man könnte es das "H-G-Maaßen-Milieu" nennen. Man will oder kann sich nicht entscheiden, will oder kann aber auch nicht einfach den Mund halten. Also bleibt nur übrig, in der Rinne, die von den Eisbrechern geschaffen wurde, den Eisbrechern hinterherzudümpeln und ansonsten wohlgemeinte, aber hilf- und ratlos klingende Appelle durchs Megafon zu rufen. 
Es ist leichter, keine Verantwortung zu übernehmen, aber es ist eben nicht besser.  

Kurativ

8. Oktober 2024 20:08

Dörfer will Illegale Migraten "zurückpumpen"? Das ist ja "unglaublich menschenverachtend"! Aber bei den Massen hat er vielleicht eine neue Metapher gefunden. 

Liselotte

8. Oktober 2024 20:28

Das Asylrecht soll reformiert und Remigration durchgeführt werden; in den Schulen soll man wieder mit Papier und Stift ordentlich schreiben lernen,... die Einführung neuer Steuern wird abgelehnt, die ORF-Zwangsabgabe und die Co2-Steuer werden abgeschafft; der öffentliche Rundfunk wird einer gründlichen Entpolitisierung unterzogen; ... Abschaffung des Impfzwanggesetzes ... konsequent gegen den “Gender”-Wahn 
Das klingt doch alles nach sehr wünschenswert und wählbar. Immerhin, da sind sie jetzt langsam auch drauf gekommen, daß das das ist, was die Leute möchten. Das zu akzeptieren fällt noch schwer, aber immerhin schonmal begriffen, was.

anatol broder

8. Oktober 2024 20:28

der vorherige artikel wäre unter umständen auch heiter ausgefallen. doch weder weidel (protagonistin) noch kositza (autorin) noch das kommentariat merkten, dass langner (antagonist) scherzt: «aber vielleicht gibt es ja eine geheime agenda.»

Kositza: IHR Humor. Sind Sie jahrgangsmäßig eigtl Boomer?

anatol broder

8. Oktober 2024 21:33

@ kositza 20:28
wenn sie das jahr meiner geburt erfahren möchten, dann fragen sie einfach danach. oder haben sie eine geheime agenda?

Laurenz

8. Oktober 2024 21:37

@Anatol Broder ... Richtig, Langner ist ein Theatermann. Sie halten das Weidel-Interview für eine Inszenierung, ein Komödienstadl? Langners Interview mit Broder auch? Sind Sie Insider? Dann lassen Sie uns doch bitte an den Schenkelklopfern teilhaben. Auch ein Langner stellt Broder nicht die unangenehmen Fragen, wie eigentlich Seine Entwicklung vom Saulus zum Paulus stattgefunden hat, vom Elsässer-Stalker aus dem Lager der "Kauft-nicht-bei-Rechten-Industrie" zum Elsässer-Advokaten mit Maxeiner & Nicolay. Hier würde zumindest meine Neugier bis nach Kiribati reichen. Ihre nicht? Lichtmesz hat hier nicht viel tun müssen, um die humoreske Lächerlichkeit der sich an Blödheit überbietenden Schmarotzer des alpenländischen ÖsterReichspropaganda-Ministeriums der Leserschaft zu präsentieren. Der Dorfer mag ja noch auf eigenen Füßen stehen, aber auch nur deswegen, weil auch FPÖ-Wähler in seine Vorstellungen kommen. Schon bei Lichtmesz' ersten Satz (Die Intellektuellen Österreichs) hätte ich wohl lachend unter dem Schreibtisch gelegen, wenn die FPÖ seit einem Jahrzehnt an der Regierung wäre. Das Lachen blieb im Halse stecken, weil der Humor von der Tragik des Geschehens völlig überschwemmt wird. R. Augstein ist schon mehr als 20 Jahre tot. Und Broder macht den Silone. Die Linke hat so fertig.

Maiordomus

8. Oktober 2024 22:49

Es gibt keinen Grund, auf Massen herunterzumachen. Aufgrund seiner Biographie kann er sich nun mal nicht der grössten Oppositionspartei anschliessen, deren schwarze Schafe er natürlich kennt, selbst wenn ihr Anteil nicht gröösser ist als bei anderen Parteien, mutmasslich sogar kleiner. Am meisten ärgern sicb Merkel, Merz, die CDU über ihn. Allerdings fehlt ihm die Dynamik eines Parteiführers, auch der geschickte Machiavellismus der stärksten Oppositionspolitiker. 

ede

9. Oktober 2024 00:07

Als Spaßmacher hat mans so leicht auch nicht. Ob nun hohes oder eher mittleres Einkommen, man gewöhnt sich dran. Der Gedanke auf dem Bau arbeiten zu müssen ist die eigentliche Hölle. Dann doch lieber Pirouette. 

Laurenz

9. Oktober 2024 03:29

@Maiordomus ... Gauland war über 40 Jahre bei der CDU. Das ist mit ein Punkt, warum um Gauland eine explizite Aura der Glaubwürdigkeit fast körperlich sichtbar wird. Ihre Entschuldigung für Maaßen ist keine. Maaßen, Bosbach & Co. sind rechte Feiglinge, die ihr Land quasi verraten haben. Feigenblätter einer Brechreiz erregenden Notdurft einer linken Partei.

Maiordomus

9. Oktober 2024 08:27

Je länger ich die Journalistenszene beobachte, desto besonnener, klarer und zutreffender kommen mir die Analysen von Lichtmesz vor, rechten Dummschwatz, was von Natur aus wie bei allen politischen Tendenzen möglich ist, vermeidet er tunlichst. Es war sehr interessant, seine Analyse der österreichischen Wahlen von 2019 zu lesen, was sich weitestgehend bestätigt hat. Meldete mich damals ausführlich zu Wort, bei ebenfalls richtiger Einschätzung Kickls, auch Kritik an Hausssuchungspraxis Sellner gegenüber, bei dem trotzdem Reserven angemeldet wurden. Leider neigte ich damals noch dazu, Sebastian Kurz, zwar richtig noch besser eingeschätzt als Seehofer und Merkel, zu überschätzen. Unsere grösste Übereinstimmung betraf die Zeitschrift "Die weisse Rose", deren Redakteur noch als kluger Altkonservativer unweit Kuehnelt-Leddihn, modernisiert,  eingeschätzt werden kann, der zum Beispiel sich über Feigheit und Korruptionsanfälligkeit der konservativen Parteien des Mainstreams keine Illusionen macht. Dies war und ist auch seit Jahrzehnten meine bleibende Überzeugung. Trotz Skepsis gegenüber Böll stimmte ich schon zu Lebzeiten desselben mit seiner vernichtenden Kritik an der CDU in "Frauen vor Flusslandschaft", von mir bei Erscheinen rezensiert, überein. Im Vergleich zu Kohl verkörpert meines Erachtens Merz einen "Fortschritt" in Sachen geistigem und orientierungsmässigem Abstieg, für mich tatsächlich eine Enttäuschung, im Gegensatz zu einigen Foristen hier, die sich über solche Politiker wohl noch nie Illusionen gemacht haben.  

X41X

9. Oktober 2024 13:43

So ein Lichtmesz-Artikel perlt die geistige Gurgel runter, ähnlich wie ein Leberkässemmerl schon fast wie von selbst in den Magen flutscht;)
Eine Bekannte von mir hat letztes Jahr nach langen Zeit als Journalistin beim derStandard erschöpft gekündigt. Ihr war deren Propaganda/Lügen schlussendlich zu viel.
Noch ca. zwei Jahre vor der Kündigung bekundete sie die ehrliche und gewissenhafte Arbeit der ganzen Mannschaft dort.
Was ich damit sagen will: Es kann manchmal ganz schnell gehen mit der „Bekehrung“! Was ich aber dennoch in dem Fall von Franzobel zur Gänze ausschließe.
Nach 18 Jahre in Wien und der Bekanntmachung mit unendlich vielen dieser Exemplaren, halte deren Verhalten und Einstellung für pathologisch.
Ob diese allein durch Genetik oder Erziehung entstand, möchte ich offenlassen, aber man beginnt sich eher auf das wesentliche konzentrieren zu können, wenn man diesen Leuten, wenn nicht eine sozopathische oder psychopathische, dann zumindest eine schwere narzisstische Störung „zugesteht“.
Ich weiss, pathologisieren „darf“ man nicht als Konservativer. Aber drauf gekackt, denn das schulterzuckende Hinnehmen von Schicksalen, wie die der Leonie oder Anna-Sophia, kann ich nun mal nicht als gesund bezeichnen!

Laurenz

9. Oktober 2024 15:47

@X41X ... Alternative Medien schließen nie wegen des materiellen Reichtums. Wie GK im AUF1-Interview bekundete, lebt Schnellroda (in Bescheidenheit) vom Verlagswesen einer Nischen-Kundschaft & kann sich sogar den Luxus erlauben, die SiN bis jetzt werbefrei zu gestalten. Der bisher fehlgeschlagene Versuch Faesers Compact zu schließen, war exakt dieser Tatsache, der materiellen Existenzvernichtung, geschuldet. Die früheren Groß-Medien konnten bis zur Ära des Netzes von Druckausgaben mit Anzeigen gut leben, diese Bequemlichkeit dazu veranlaßte, die Abwehrschlacht gegen die us amerikanischen Netz-Giganten schon vor der Schlacht zu verlieren. Ihr, X41X, Berufsbild des Journos stammt noch aus der Zeit vor dem Netz. Dieser Beruf ist, bis auf den alternativen Raum, längst Geschichte. Die überlebenden Alt-Medien sind zu Kampagnen- & Werbe-Agenturen verkommen, bei denen Märchenerzähler schreiben. Inhalte richten sich nicht nach dem Leser/Opfer, sondern nach den Auftraggebern aus. Der grundsätzliche Fehler liegt bei Ihnen, dem Medien-Konsumenten & Ihrer Erwartungshaltung, welche dazu führte, die medial landschaftliche Veränderung zu übersehen & nicht zu akzeptieren. Diesen Tatbestand zu überwinden, hat bei den meisten Konsumenten Alternativer Medien teils über 2 Jahrzehnte gebraucht. Bei den meisten Ü-60-Konsumenten wird es in diesem Leben nicht mehr stattfinden.

X41X

9. Oktober 2024 19:35

@Laurenz

Ich meinte keineswegs, dass sich die gesamte Welt der Journu**en „bekehren“ würde, schon gar nicht zum christlichen Glauben, sondern sich lediglich vereinzelt Individuen abwenden, um dann dem Mainstreammedienbetrieb für immer verloren zu gehen und sich eventuell dem Alternativen Lager hinzufügen.
Was die vom mir ins Spiel gebrachten psychischen Störungen betrifft: So wie´s aussieht verkommen die Alt-Medien zu einem Auffangbecken für eben diese.
Die können dann per Natur gar nicht mehr anders als Blödsinn zu schreiben.
Sie sehen also, ich seh´s noch dramatischer als Sie;)
LG
 

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