Da es die letzte von drei Vorführungen im Rahmen der Wiener Festwochen war, war dieser Kelch gnädig an mir vorübergegangen. Ich will aber trotzdem ein paar Worte darüber verlieren, auch wenn ich nun auf Augenzeugenberichte (aus dem Umkreis von Lethen-Sommerfeld) und Rezensionen angewiesen bin.
Die von einem “Theatermacher” namens Julian Hetzel geschriebene und inszenierte “Performance” basiert nach eigener Aussage auf einem “in Wien lebenden, realexistierenden Ehepaar”, das mir persönlich sehr gut bekannt ist, nämlich Caroline Sommerfeld und Helmut Lethen.
Sommerfeld, Jahrgang 1975, ist langjährige Autorin des Antaios-Verlags, mit ihr zusammen schrieb ich 2017 das (nun wieder erhältliche) Buch Mit Linken leben. Lethen, Jahrgang 1939, ist ein renommierter Germanist, der aus der “Alten Linken” kommt.
Die offzielle Beschreibung des Museumsquartiers lautet so:
“Drei Mal links ist rechts” ist eine Performance über das Zusammenleben radikaler Gegensätze. Es ist ein Familienporträt, das die Beziehung zwischen der populistischen Rechten und der liberalen Linken auf privater, europäischer und globaler Ebene erforscht.
Der deutsche Theatermacher Julian Hetzel lässt sich dafür von einem Wiener Ehepaar inspirieren: sie eine führende Intellektuelle der Neuen Rechten sowie der Identitären Bewegung und er ein Kulturwissenschaftler mit kommunistischer Vergangenheit.
Das Paar und ihre Kinder verhandeln am Küchentisch unvereinbare Positionen. Die neue Rechte beansprucht erfolgreich das Vokabular und die revolutionäre Haltung der alten Linken, während die Linke eine Identitätskrise durchlebt.
Diese ungewöhliche Ehe-Konstellation zwischen der spätberufenen “Identitären” und dem 36 Jahre älteren “68er” hat in der einschlägigen interessierten Literatur bereits Anlaß zu etlichen Betrachtungen und Spekulationen gegeben.
Volker Weiß, wie immer im maximal gehässigen Paranoia-Modus, witterte 2019 gar eine “große Inszenierung”, von Lethen und Sommerfeld gemeinsam eingefädelt, um sich öffentlich als “Opfer” (in Wahrheit nicht-existenter) politisch korrekter “Sippenhaft” hinzustellen. Sogar die New York Times griff 2018 diese “very German love story” in einem langen Artikel auf.
All dies fand nun Julian Hetzel irrsinnig “spannend”, wie er in einem Interview mit dem ORF zu betonen nicht müde wurde. Kann man am Fall Lethen-Sommerfeld das vieldiskutierte Thema der “Spaltung der Gesellschaft” nicht wunderbar exemplarisch studieren? Das Problem, daß jeder in seiner Informations-”Blase” lebt und nicht mehr mit Menschen spricht, die sich in anderen weltanschaulichen Sphären aufhalten? Was tut man, wenn man sich ideologisch polarisiert, aber privat nicht entzweien möchte, noch dazu, wenn das Wohl der Familie auf dem Spiel steht?
Dies alles war auch Thema in Mit Linken leben, wobei wir für Härte (und Fairness) im Sachlichen und Toleranz und Biegsamkeit im Zwischenmenschlichen plädierten. Hetzel wird unser Buch vermutlich gelesen, zumindest durchgeblättert haben. Im ORF-Interview erzählt er jedenfalls, daß er sich in die originale “hart rechte” Literatur vertieft hätte, um zu verstehen, wie diese Wesen ticken und warum sie Zuspruch bekommen.
Dies betont er auch in einem ausführlichen Interview im Programmheft der Wiener Festwochen:
Ich treffe mich mit Menschen, die stark anderer Meinung sind als ich und versuche zu verstehen, warum sie so denken, wie sie es tun. Ich habe angefangen, anstatt immer nur “über” den politischen Gegner zu lesen, direkt dessen Material zu studieren. Bisher habe ich mich nicht angesteckt, sondern durch diese Auseinandersetzung vielmehr mein eigenes Denken geschult und neue Argumente für meine eigene Position gefunden. Ich versuche mit meinen künstlerischen Arbeiten, die Welt ein bisschen besser zu verstehen.
Eine löbliche Einstellung, die Hetzel vom Großteil der heutigen Linken vorteilhaft unterscheidet. Mit Sommerfeld traf er sich auch tatsächlich auf einen Kaffee (Lethen verweigerte kategorisch die Teilnahme). Letzten Sonntag äußerte er in einem Publikumsgespräch (so wurde mir berichtet), er habe “es nicht verarbeiten können”, nun einem Menschen aus Fleisch und Blut gegenüber zu sitzen. Das ist freilich doppeldeutig. Fand er es irritierend, kein medial entstelltes Abziehbild vor sich haben? Oder war diese Erfahrung “künstlerisch” nicht verwertbar?
Die Art, wie das Stück in einem Programmprospekt der Wiener Festwochen beworben wurde, ließ nichts Gutes erahnen: Da war er wieder, allen Ernstes, der neunziger-Jahre-Archivbild-Skinhead-Hinterkopf mit Frakturschrift, die Mutter aller mit “rechts” assoziierten Klischees.
Wir alle kennen dieses Spiel inzwischen: Journalist/Künstler/etc. wanzt sich heran, heuchelt ernsthaftes Interesse, verspricht eine sachliche Auseinandersetzung, und am Ende wird man doch in die handelsübliche Nazi-Pfanne gehauen.
Auch die übrige Bebilderung des Programms zeugte nicht gerade von Originalität: Haufenweise Schwule und Mohren, die offenbar Progressivität und “Diversität” signalisieren sollen, formelhaft, seicht und leicht debil, wie man es von staatssubventionierter Kunst gewöhnt ist.
Dabei scheinen die Intentionen Hetzel zumindest theoretisch doch etwas komplexer gewesen zu sein, als das Plakat erahnen läßt. Im Programmheft-Interview äußerte er, daß sich der Fall Sommerfeld-Lethen zwar auf den ersten Blick “anfühlt” wie “eine Metapher für Europa” und seine inneren ideologischen Spannungen, das Paar aber vorlebe, daß die schematische Auffassung von Polarisierung als “Wir-gegen-sie-Denken” zu kurz greift.
Wir fragten uns also: Was können wir von diesem Paar lernen? (…) Dieses Paar bringt uns dazu, darüber nachzudenken, wie politische Repräsentation und Spaltung konstruiert und verhandelt werden, und zwar im intimisten Raum: dem Zuhause. Was ich besonders eindrucksvoll finde, ist, wie ihre Geschichte im Kontrast dazu steht, wie Politik im Allgemeinen funktioniert und welchen Stellenwert Emotionen und in diesem Fall Liebe dabei spielen.
Darum habe er sich auch entschlossen, die Rollen mit einem echten Paar zu besetzen, den holländischen Schauspielern Kristien de Proost und Josse de Pauw, die das Stück in englischer Sprache spielen.
Was wurde von diesen schönen Ideen nun wirklich umgesetzt, und auf welche Weise? Ibsen-Figuren waren es offenbar nicht gerade, die man in diesem Zwei-Personen-Stück auf der Bühne sah. Stattdessen gab es reichlich plakativen, schwarzen Humor, vor dem Hintergrund eines Plakats auf dem, auf dem Kopf stehend, “Never again is now” zu lesen war.
In den Mittelpunkt wurde die fixe, aus den Blütezeiten der identitären Störaktionen stammende Idee gerückt, daß die Neue Rechte nun die Strategien und den Habitus der Alten Linken (von 1968) kopiere, in der Hoffnung, damit ähnliche metapolitische Erfolge zu erzielen wie diese damals.
Am Ende des Stücks wird die Lethen-Figur von der Sommerfeld-Figur im Laufe eines orgiastischen “Liebesspiels” (oder was auch immer es sein soll) buchstäblich ausgeweidet. Aus seinen Gedärmen macht sie Würste, die anschließend dem Publikum serviert werden.
Ein Rezensent der Presse berichtet:
Am Ende des Stücks „Three Times Left Is Right“ kam Schauspielerin Kristien de Proost, bereits arg kunstblutverschmiert, noch einmal auf die Bühne, um zu erklären, soeben habe eine neue goldene Zukunft der Freiheit begonnen. In deren Namen und zu deren Preis gab’s auf der Bühne Würstel und Bier für alle.
Die Neue Rechte (repräsentiert von Sommerfeld- de Proost)“verwurstet” und kannibalisiert in diesem Stück also die Alte Linke (Lethen-de Pauw) buchstäblich, und wirft ihre zerstückelten Reste dem Publikum zum Fraß vor.
Welche Freiheit hat sie nun verkündet? Diejenige, wieder “Neger” und ähnliches ungestraft sagen zu dürfen? Ist das alles, worum es geht? Das Ganze mündet in eine unbehaglich-zwiespältige “Normalisierung”, in der Grillparty gefeiert statt polarisiert und gestritten wird.
Diese “Dokufiktion”, wie Hetzel es nennt, wurde mit einer minutenlangen ironischen Triggerwarnung für linke und rechte Zuschauer gleichermaßen eingeleitet: Jetzt müsse man sich gefaßt machen nicht nur auf Gewalt, Nacktheit, Haßrede, homophobe Witze sondern auch feministische Perspektiven und Wokeness, verkündete eine von de Proost via Tonkonserve vorgelesene Einblendung, während die Schauspieler nackt und schweigend die Bühne betraten. Was solllte dies signalisieren? Daß man nun entblößte Seelen und die nackte Wahrheit zu sehen bekommen würde?
Ein Rezensent des Standard berichtet:
Im echten Leben sind Josse De Pauw und Kristien De Proost ganz sicher ein reizendes Ehepaar. Das glaubt man den nackten Sympathlern bei ihrer Bühnenchemie sofort. In der Fiktion sind sie aber vor eine schwere Bürde gestellt, die in Bilder mündet, die nach eineinhalb Stunden an Sauschlachten erinnern. Auch die Wiener Wurstwochen sind hiermit eröffnet!
Die Handlung faßt er so zusammen:
Zwei Ideologien treffen in Three Times Left Is Right im kleinsten Kreis aufeinander. Nämlich innerhalb einer Ehe. Er linker Professor, sie seine einstige Studentin, inzwischen aber ins rechte Lager übergelaufen. Angefangen hat es mit Kleinigkeiten wie jener, dass sie den gemeinsamen Kindern keine bösen Wörter verbieten wollte, selbst wenn sie andere verletzen.
Wo wären wir heute, so das Argument, hätte Galileo Galilei sich damals Denkverboten unterworfen. Die Kölner Silvesternacht 2015, in der hunderte Frauen von Männern meist nordafrikanischer Herkunft belästigt wurden, gibt ihr quasi den Rest: Sie fühlt sich nicht mehr sicher, außerdem reichen diese Männer Frauen nicht die Hand. Fazit: Wären die Linken nicht so links, bräuchte es die Rechten nicht.
Das begriffliche Basisrüstzeug wie “Normalisierung” und “Referenzrahmen” lassen wir bald hinter uns und gehen über in die gelebte Praxis: Debattenreizwörter ziehen ein. Seine “Migration” ist ihr “Bevölkerungsaustausch”; was dem einen seine “Diversität” ist, ist der anderen eine “Islamisierung”.
Dazu gibt es lärmende, geisterhaft herumschwebende Musikinstrumente, eine Waschmaschine, die es beim Schleudern eines Ziegelsteines zerfetzt, und einen “unglücklich gegipsten Arm”, den Josse De Pauw dem Publikum bei der Premiere entgegenreckte, mit der Bitte es ihm nachzumachen.
Das abschließende Urteil des Rezensenten klingt allerdings eher mau. Seine bemühten Formulierungen sind verräterisch. Einen großen Erkenntnisgewinn konnte er offenbar nicht verzeichnen. Das Stück werde
… seinem ernsten Thema verblüffend leichtfüßig gerecht. Natürlich ist es ob seiner Aktualität in diesem Land schon gut durchgekaut. Den mitunter verminderten Neuigkeitswert kompensiert er mit Humor und sehr stylischen bis sehr abstrusen Bildern, die man gesehen haben will.
Ist also all dieses nicht mehr neu, nicht mehr interessant, kennen wir es zum Überdruß und haben schon alle Antworten gefunden? Ist die Wurst eh schon eingespeichelt, durchgekaut, verdaut und ausgeschieden? Sommerfeld-Lethen “sooooo 2017”?
Das ist mir schon klar, daß das einem Rezensenten des Standard so passen würde. Und wenn er sich mit einem solchen Produkt zufrieden zeigt und die darin verhandelten Themen für alte Hüte hält, dann hat sein Schöpfer, je nach Perspektive, alles richtig oder alles falsch gemacht.
Die “Provokation” geht somit ins Leere und wird zur Pose, die “harten Fragen” (Die Presse) interessieren diejenigen, die sie eigentlich angehen sollten, gar nicht mehr, das Stück schmiegt sich völlig konform und affirmativ in den Kulturbetrieb, dem es entsprungen ist.
Diese Trägheit und den mangelnden Mut des Regisseurs bemerkte auch ein Rezensent der Salzburger Nachrichten. Er spricht von einem “erstaunlich zähen” und (noch boshafter) “ungiftigen Abend”. Er schildert seinen Eindruck so:
Gespielt werden sie von Kristien de Proost und Josse de Pauw, die im wirklichen Leben ein Paar sind. Das erklären die beiden nackt auf der Bühne stehend und schicken voraus, dass der Abend durchaus auch provozieren solle. Erst dann schlüpfen sie in ihre Rollen und Gewänder.
In Fahrt kommt das Stück dann aber noch lange nicht. Der Rahmen wird mit einer Vorlesung über Normalisierung weiter abgesteckt. Daraufhin rollen nicht zum letzten Mal Musikinstrumente auf einem ferngesteuerten Wagen im Schneckentempo über die mit Ausnahme einer Plakatwand leere Bühne.
Erst dann ecken die beiden Liebenden in Alltagssituationen wie am Tennisplatz oder beim Wäschefalten etwas aneinander an. Themen wie Kindererziehung, Migration oder auch Freiheit werden angerissen. Ein erhellender Austausch an Argumenten und Ansichten findet aber nur in Ansätzen statt. Wie schaut Liebe trotz radikaler Gegensätze nun aus? Kann das überhaupt funktionieren? Und wenn ja, könnte diese Form des Zusammenlebens im Kleinen als kühlende Salbe auf die zusehends erhitzte Gesellschaft im Großen aufgetragen werden? Wer sich Antworten darauf erhofft, sollte woanders suchen.
Waren dies aber nicht genau die Fragen, die Hetzel laut Programmheft-Interview ganz besonders zu interessieren schienen?
Das Stück sei “noch am Spannendsten”, fährt der Rezensent der Salzburger Nachrichten fort, wenn es sich “aufrafft” (har), zumindest ein paar “Nadelstiche zu setzen”:
Wenn sich der gealterte Linke mit zum Hitlergruß eingegipstem Arm schämt und das Publikum auffordert, es ihm aus Solidarität gleichzutun, oder die Rechte dem Publikum in einer Brandrede vorwirft, den Volkszorn erst mit “Wokeness” und politischer Korrektheit geschürt zu haben.
Letzterer Punkt ist interessant, denn in ihm erkenne ich zumindest ansatzweise ein wichtiges Thema aus Mit Linken leben wieder: Das Phänomen des sich verschiebenden “Overton-Fensters”, das unter anderem dazu führen kann, daß einstmals “akzeptable” Positionen an den Rand gerückt werden, und Menschen plötzlich als “Extremisten” oder “Radikale” abgestempelt werden, die sich in keiner Weise in diesen Rollen sehen.
In Wahrheit sind sie sich selbst treu geblieben, während die Meinungsmacher der Gesellschaft, in der sie leben, neu definiert haben, was nun als “normal” und was als “extrem” oder “radikal” zu gelten hat. In unserem Buch zitieren wir als Beispiel einen Tweet, in dem ein Zeitgenosse schrieb: “Ich bin ein patriotischer Sozialdemokrat aus den achtziger Jahren, also das, was man auf Twitter heute einen Nazi nennt”.
Generell ist “extremistisch” meistens eine Fremdzuschreibung mit abwertender Intention. Ich sehe mich selbst in keiner Weise als “Extremisten”. Sommerfelds und mein Buch Mit Linken leben ist nicht “extremistisch” und propagiert auch keine “extreme” oder “extremistische” Weltsicht. “Extremistisch” und “radikal” (und zutiefst unethisch) erscheint mir vielmehr (zum Beispiel) die wahnwitzige Einwanderungspolitik der westlichen Welt, auch wenn sie sich öffentlich als “Normalität” durchgesetzt hat oder zumindest als solche verkauft. Aber wie oft ist es in der Geschichte schon vorgekommen, daß wahnwitzige und destruktive Zustände als “normal” galten und von breiten Massen akzeptiert wurden?
Im erwähnten Programmheft-Interview reflektiert auch Hetzel das “Overton-Fenster”-Problem, allerdings aus einer anderen Richtung als ich in meinem obigen Beispiel:
Durch die kontinuierliche Verschiebung des “Referenzrahmens”, also dessen, was das direkte soziale Umfeld als “normal” empfindet, können auf einmal Taten möglich, legitim, oder gar selbstverständlich werden, die man zu einem früheren Zeitpunkt als undenkbar betrachtet hätte. Wenn Geflüchtete als Naturkatastrophen beschrieben werden – als “Wellen”, “Tsunamis”, als “Schwärme” – dann haften diesen Metaphern Bedrohung und Gefahr an. Diese Assoziationen schüren Angst. Und sobald dieser Deutungsrahmen etabliert ist, wird es einfach, weitere Maßnahmen zu rechtfertigen – etwas Boykotte von Geschäften oder die Einschränkung von Rechten…
Strukturell gesehen ist das eine korrekte Beschreibung. Aber Verschiebungen dieser Art können nach links ebenso wie nach rechts stattfinden (erinnern wir uns auch, wie stark Angstdiskurse die Corona-Politik rechtfertigten und ermöglichten), und sie müssen keineswegs zwangsläufig in finstere, totalitäre Maßnahmen münden.
Hetzel kann sich jedoch nicht von der linken Vorstellung lösen, daß Verschiebungen des “Referenzrahmens” nach rechts “Gewalt” und “Holocaust” zum Fluchtpunkt haben (oder haben müssen).
Ein paar Absätze vor dem letzten Zitat fragt ihn die Interviewerin Carmen Hornbostel:
C. H. “Three Times Left is Right” kündigst Du an als Einladung an das Publikum, sich mit ideologischen Konflikten auseinanderzusetzen, in denen Gewalt normalisiert wird. Von welcher Form von Gewalt sprechen wir?
J. H. Der Sozialpsychologie Harald Welzer schreibt in einem Buch über den Holocaust darüber, dass Täter:innen ganz normale Menschen wie du und ich sind – und das bedeutet im Umkehrschluss, dass auch du und ich zu Täter:innen werden können. Es interessiert mich also, wie es dazu kommt, dass jemand zum Täter:in wird. Wir haben uns intensiv mit der Normalisierung von Gewalt innerhalb der Sprache beschäftigt, aber auch mit der Gewalt vomn Bildern sowie mit physischer Gewalt. Mich fasziniert dabei die Frage, bis eine Gesellschaft den Bezugsrahmen ändert, in welchem wir Dinge normalisieren.
Und bumms, sind wir schlagartig bei einem gänzlich anderen Thema gelandet als der Frage, wie Menschen ihre ideologischen Differenzen privat verhandeln oder wie “radikale Gegensätze zusammenleben” können. Es ist ein astreines Antifa-Framing, das rechten Diskursen generell eine Ausrichtung zur “Gewalt” (ähnlich suggestiv und abstrakt-schlagwortig benutzt wie “Haß”) unterstellt.
Dabei macht er genau das, was er eine Seite später anprangert: Sprachlich Assoziationen herzustellen, die Bedrohung und Gefahr suggerieren und Angst schüren.
Dies ist bekanntlich die Grundlage, mit der sämtliche (staatlichen und außerstaatlichen) Repressionen “gegen Rechts” gerechtfertigt werden: Von Razzien bei Rentnern, die regierungskritische Memes teilen über rein politisch begründete Ausreiseverbote für gesetzestreue Bürger bis hin zur Gesinnungshaft für Youtuber mit falschen Meinungen, “Doxxing” durch öffentlich-rechtliche Blockwarte und zerschlagene Schädel und Fußgelenke durch Antifabanden.
Der Kenner lacht jetzt bitter: Lichtmesz-Sommerfeld-Gesetz! (Jedes. verdammte. Mal.)
Und hier hört für mich der Spaß auf: Es ist nicht nur absurd, sondern auch zutiefst verleumderisch, Sommerfeld in irgendeiner Weise, auch “bloß” indirekt-suggestiv, wie es Hetzel tut, mit “Täter:innen”, “Gewalt” und “Holocaust” zu assoziieren. Es gibt kein Buch von ihr, in dem sie darauf abgezielt hätte, “Gewalt” durch “ideologische Konflikte” zu “normalisieren”. Nichts rechtfertigt es, ihren Namen und ihre Person auch nur ansatzweise in die Nähe solcher Vorstellungen rücken.
Und auch Helmut Lethen, der vor Jahrzehnten Kommunist war, und der im Zuge einer anti-linken Hexenjagd Berufsverbot erhalten hatte, hatte mit “Gewalt” niemals auch nur das Geringste zu tun.
Nicht als “Extremisten” sind Lethen und Sommerfeld “komplementär”, sondern als zeitverschobene Zielscheiben gegenstrebiger politisch-gesellschaftlicher Hysterien.
Wenn sich in dieser Paargeschichte “die Gegensätze treffen”, dann dort und nirgendwo anders, und ein mutigerer und ehrlicherer Regisseur hätte genau dies thematisiert.
Dies ist also, was mich (vermutlich) “getriggert”, bzw. zornig gemacht hätte, hätte ich mir die Nummer angesehen: Nämlich zum xten Mal eine oberflächliche, entstellende Behandlung “unserer” Themen durch Linke, die ein kleines bißchen kantiger als andere sein wollen, durchsitzen zu müssen. Wie ich den Besprechungen und einigen Augenzeugenberichten entnehme, wurde wie immer eine unterkomplexe, systemkonforme Interpretation serviert, die nur so tut, als würde sie anecken oder “Fragen stellen” wollen.
In diesem Fall nehme ich die Sache sogar ziemlich persönlich, da ich mit Sommerfeld seit einem Jahrzehnt eng befreundet bin (wobei ich meinerseits starke Meinungsverschiedenheiten mit ihr habe), und aus eigener Anschauung weiß, wie grob verzerrend diese Darstellung ihrer Person und ihrer Ehe ist, ja sogar der “Dialoge mit H”, wie sie auf diesem Blog nachzulesen sind. Das Skinhead-Plakat hat eigentlich schon alles verraten.
Die Karikaturen auf der Bühne haben so gut wie gar nichts mit den realen Personen Lethen und Sommerfeld zu tun, und dienen lediglich als Projektionsflächen für bestimmte gesellschaftspolitische Ideen des Regisseurs. Wenn Hetzel in Interviews schon die Namen der beiden explizit nennt, dann sollte er wenigstens den Anstand haben, klarzustellen, daß die beiden allenfalls eine “Inspiration” für seine Bühnenfiguren waren.
Die Art, wie er in seinem Stück mit Lethen-Sommerfeld und ihrer Beziehung (oder dem öffentlichen Image ihrer Beziehung) umgegangen ist, ist ausbeuterisch und übergriffig. Zu dieser Attitüde paßt auch, wie mir Sommerfeld mitgeteilt hat, daß Hetzel die beiden “herzlich” zur Premiere eingeladen hat, als wären sie Trophäen oder Zirkustiere, die sich vorführen lassen würden, nachdem ihre Vorbilder buchstäblich auf der Bühne verwurstet wurden. Es versteht sich von selbst, daß das Ehepaar nicht gewillt war, an diesem Spektakel teilzunehmen.
Den Kommentarspalten im Standard entnehme ich übrigens die Information, daß am Montag (19. 5.) eine kleine Gruppe Identitärer auf dem Dach der Halle E des Museumsquartier mit Megaphon, Bengalos und dem Plakat “Einmal links immer falsch” aufgetaucht ist. Ich ehre diese Tat, und sie sei hiermit in den Annalen dieses Blogs verzeichnet.
Ein gebuertiger Hesse
Den Blick vom Schlechten abwenden und alles wird danach wenn nicht besser, so doch vielleicht gut.