Wie bereits hier, hier und hier dargelegt, verfolgten wir als Redaktion der Sezession die Entstehung einer anvisierten linken Sammlungsbewegung zugleich mit Interesse, Neugier und Gelassenheit. Nun zeigt sich: Die Gelassenheit war begründet; »Aufstehen« ist sitzengeblieben.
Die Gruppierung, so ambitioniert ihr Ziel einer überparteilichen linken Plattform mit Ausstrahlungspotential auf Unzufriedene jenseits aller Lager auch gewesen sein mag, war von Anbeginn ihrer Proklamation im Sommer 2018 keine wirkliche »Bewegung«.
Sie wurde am Reißbrett von klugen Köpfen wie Wagenknecht und Bernd Stegemann entworfen, wies aber zu wenig intellektuelle Größen wie Wolfgang Streeck auf. Vor allem aber fehlten lebendige, gärende, gewiß anstrengende Prozesse einer aktionsorientierten Basis. Der Versuch, sich nachträglich eine breites Unterstützungsfundament mit entsprechendem Wachstumsstreben zu generieren, schlug fehl.
Zwar gab es bundesweit lokale Vernetzungstreffen mit zum Teil bis zu 200 Teilnehmern. Aber alles blieb diffus – Organisation, Theorie, Praxis. Offenbar hatte man kaum Erfahrung mit außerparlamentarischer Netzwerk- und Kampagnenarbeit. Wagenknecht selbst ist es eher gewohnt, in Talkshows, in Interviews und im Plenarsaal zu glänzen.
Konstant und regelmäßig unter Menschen zu gehen und sich in die Kärrnerarbeit flächendeckenden Strukturaufbaus zu vertiefen, war ihre Sache indes noch nie, was an und für sich kein Grund für allfälliges Scheitern wäre – nur fand sich eben niemand, der ihr diese eminent bedeutende Arbeit abnahm und professionell erledigte.
Dabei wollte »Aufstehen« genau das abbilden: Eine populare »Bewegung«, die Proteststimmungen bündelt und die allgemeine Unzufriedenheit ob der herrschenden Verhältnissen in linke Fahrwasser kanalisiert. Nur macht es eben den Wesenskern einer jeden politischen Bewegung aus, Mobilisierungspotential, Vernetzungsarbeit und Kampagnenfähigkeit publikumswirksam zu verbinden. Nichts davon gelang »Aufstehen«.
Stattdessen wurde die Netzseite samt aller Mailadressen zwischenzeitlich abgeschaltet, weil es Unklarheiten über die Bezahlung gegeben haben soll; stattdessen fremdelte die spärlich erschlossene Basis mit der bisweilen autoritär wirkenden Führung; stattdessen blockierten Grüne, SPD und Wagenknechts Linkspartei jedes Ausgreifen der Ideen der Aufstehen-Kernmannschaft um Wagenknecht, Stegemann, Fabio de Masi und andere auf ihre starren Strukturen und Denksysteme.
Im August 2018 schrieb ich an dieser Stelle:
So entsteht keine Dynamik, und die relevanten Akteure von SPD, Grünen und Linkspartei gehen bereits jetzt auf Abstand. Das liegt natürlich an der entstehenden Konkurrenzsituation, an Wagenknecht, an Grandseigneur Lafontaine, an eben den klugen Köpfen um Fabio de Masi und Co. (die ohnehin seit geraumer Zeit als »linksnationale« Abweichler verdächtig erscheinen).
Es liegt aber auch daran, daß die bundesdeutsche Linke die Notsituation, in der sie sich befindet, nicht begreifen will; sie ist erkenntnisblind, ideologisch auf Irrwegen und inhaltlich wie strategisch erfreulich beratungsresistent. (…)
Aufstehen wird daher kein Rettungsanker für die Linke bedeuten, sondern ein letztes Aufbäumen linkssozialdemokratischer Restvernunft, gepaart mit nationalstaatlicher Pragmatik, die dem linken Lager freilich zu weit geht.
Dieses Aufbäumen ist nichts mehr wert ohne Wagenknecht. Nur sie war telegen, populär, intellektuell und über Lagergrenzen hinweg anerkannt bzw. beliebt zugleich, nur sie hätte, bei einem forscheren und entschlosseneren Antritt des Projekts, das Gesicht einer – wenngleich kleinen – linken Tendenzwende verkörpern können.
Daß gerade sie, die unbändigen Arbeitsfleiß entwickeln kann, ausgerechnet jetzt erkrankte, und von zahlreichen internen wie externen Faktoren gehemmt wurde, mag dafür mit ausschlaggebend gewesen sein.
Den Hauptgrund darf man jedoch in jener ätzenden Art und Weise vermuten, mit der das Kipping-Mehrheitslager der Linkspartei, relevante Personen der Grünen und die Resterampe der Sozialdemokratie dem Wagenknecht-Aufbruch entgegentraten. Wagenknecht leugnet heute nicht einmal mehr, daß es um Mobbing-ähnliche Verhaltensweisen ihrer Genossen geht.
In meinen neuen kaplaken-Band Blick nach links, der in wenigen Tagen bei Antaios erscheint, habe ich u. a. auch einen Text zu »Aufstehen« und Wagenknecht aufgenommen, der wie folgt endet:
Es ist nicht auszuschließen, daß die Spirale der innerlinken Anti-Wagenknecht-Agitation im Zuge der Konkretisierung des Vorhabens und weiteren Verstößen gegen antifaschistische Verhaltensgebote in offene Abneigung und Haß umschlägt, ja daß die Köpfe der anvisierten linken Sammlungsbewegung aus der politischen Linken flüchten müssen – dann, erst dann werden die Karten neu gemischt.
Es ist vorstellbar, daß jene, die heute versuchen, Realismus und Gemeinschaftsdenken aufs neue in die Linke einzubringen, aus diesem hybriden Konstrukt verstoßen werden. Bei antifaschistischen Wannabe-Exekutoren wetzt man in diesem Sinne bereits die publizistischen Messer:
Der Grandseigneur des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung Wolfgang Streeck, der nicht nur die bereits zitierten verweltbürgerlichten Linken kritisierte, sondern zuletzt bei einer „Aufstehen“-Veranstaltung äußerte, eine Gesellschaft ohne Grenze sei keine Gesellschaft und man könne zudem eine Grenze nur öffnen, wenn man sie habe, wird vom antideutschen Grandseigneur Hermann L. Gremliza daraufhin spöttisch in die Nähe des ausländerfeindlichen Terrorismus gebracht: „Wenn ein Ausländerheim nicht brennt, kann man’s nicht löschen.“
Wer solche Genossen hat, wird angesichts dieser Verfallsform der gegenwärtigen Mehrheitslinken nicht mehr unbekümmert und vorwärtsdrängend am Projekt des Aufstehens arbeiten können.
Einige Monate nach Niederschrift dieser Passage sehe ich wenig Anlaß, sie zu ergänzen oder gar zu korrigieren. Wagenknecht ist – politisch – am Ende; ihr Wirkungskreis wird sich fortan vermutlich auf ihre Rolle als Public Intellectual beschränken.
Für die sozial und popular orientierte Rechte birgt das verbriefte, nicht weiter nur gemutmaßte Ende der nationalstaatlichen, kommunitaristischen und »populistischen« Linken eine ungeheure Chance. Und die AfD kann das Ost-Superwahljahr 2019 mit seinen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg nun entschlossen als einzige Kraft bestreiten, die entlang der Grundpfeiler Identität, Sicherheit und Solidarität operiert.
Insbesondere in den »neuen Bundesländern« der Bundesrepublik glaubten viele Linkswähler nämlich hartnäckig, die Partei Die Linke wäre Wagenknecht und Wagenknecht wäre die Partei Die Linke – damit dürfte Schluß sein, und die Linke wird zwischen Erzgebirge und Ostseestrand sukzessive auf ihren kosmopolitischen, urbanen, antifaschistischen Mehrheitsflügel zurechtgestutzt.
Dieser freilich ist alles, aber sicherlich keine Alternative für Ostdeutschland.
Sandstein
Die Linke weiß ja gar nicht, was sie sich damit antut.
Da wird die einzige Person kaltgestellt, die über alle Parteigrenzen und Ideologie-Kammern hinweg gehört und für voll genommen wird.
Im Grunde die einzige Linke, der man wirklich mal zuhören kann.
Als sie auf einem der letzten Parteitage davon sprach, dass ein Sozialstaat natürlich Grenzen bräuchte, da standen innerhalb von Sekunden die Choleriker_innen (es waren eigentlich fast nur Frauen..) am Saal-Mikrophon zwecks peinlicher Befragung.
Nicht therapierbar der Laden und es ist gut so, dass diese wirklich intelligente Frau sich nicht weiter für ihn aufreibt.
Ich bin so mutig und sage in 5 Jahren steht die bei uns.