Sie ermöglicht unabhängig von naturwissenschaftlich-virologischen Debatten die politische Analyse der universalistische Gesundheitsweltpolitik, die im Schatten von Corona aufgefahren wird.
Über den „Great Reset“ und seine Planer hat insbesondere Caroline Sommerfeld hier und hier geschrieben. Ich will in diesem Artikel anhand des Buches Alles unter dem Himmel von Zhao Tingyang eine Leerstelle des rechten Denkens aufzeigen, die gerade in der Kritik an den Globalisten deutlich wird. Diese erschöpt sich allzu oft in einem rein defensiven Affekt. Ihr fehlt jedes revolutionäre, visionäre und „futuristische“ Element, jeder Aufbruchsgeist und jede positive Alternative.
Rolf Peter Sieferle beschreibt in seinem Werk präzise die Krise des klassisch-liberalen Weltbildes, das auf einer spontanen und automatischen Selbstorganisation autonomer Subjekte aufbaut. Pläne und Interventionen werden abgelehnt, da gerade die persönliche Freiheit und der individuelle Wettbewerb innovative Kräfte freisetzen, die langfristig Produktivität und Wohlstand steigern würden. Sieferle schreibt:
„Im weltanschaulichen Zentrum des Liberalismus lag der Glaube, daß sich in der Wirklichkeit sämtliche Ordnungen durch ein »freies Spiel der Kräfte« bilden, ohne daß eine Instanz existieren müßte, die sich des Zustandekommens solcher Ordnungen direkt und intentional annähme.“ (Rolf Peter Sieferle, Epochenwechsel, S.348f)
Wir befinden uns jedoch, so Sieferle, aufgrund der Explosion der Technik an einem Punkt an dem moderne Informations‑, Kriegs- oder Biotechnologie dem einzelnen Mensch und Unternehmen ein bisher undenkbares Ausmaß an Handlungsmacht ermöglichen. Der Glaube an eine spontane Organisation aller Akteure und die automatische Entstehung eines “besseren” Zustands durch den freien Wettbewerb ist etwa im Bereich der Genforschung und des Transhumanismus unhaltbar.
Die katastrophischen Potentiale der multikulturalistischen, transnationalen und hochtechnisierten Moderne werden (beispielsweise in Gestalt von Umweltkatastrophen oder Viruspandemien) von globalistischen Eliten schon seit Jahren als Argumente für eine Neue Weltordnung instrumentalisiert.
Die Einwände konservativer und liberaler Kritiker an den Katastrophenszenarien beschränken sich bisher jedoch darauf, ihre Dringlichkeit und Bedrohlichkeit infragezustellen, wofür sie wahlweise als „Klima-“ oder „Coronaleugner“ diffamiert werden. Ohne im Detail auf die alternativen Perspektiven auf den „menschengemachten Klimawandel“ oder die „Pandemie“ einzugehen, greift diese Kritik zu kurz. Ihr Problem: sie fußt, bewußt oder unbewußt, auf dem oben skizzierten liberalen Basisglaubenssatz, der wiederum auf dogmatischen antietatistischen und individualistischen Prinzipien aufbaut.
Die Figur des „Rechten“, der maskenlos auf der Ladefläche seines SUV-Pickups dicke Steaks grillt und dabei auf „Klimagreta“ schimpft und politisch unkorrekte Islam- und Frauenwitze erzählt, mag ein mediales Klischee sein. Sie trifft jedoch leider auch den Kern der heutigen rechten Kritik an globaler Klima‑, Wirtschafts‑, Gesundheits- und Migrationspolitik. Das unterschlagene Problem der berechtigten Kritik an der medialen Inszenierung und politischen Instrumentalisierung von ökologischen und medizinischen Krisen lautet: diese sind in den Augen des klassisch-liberalen Denkens faktisch nicht wahr, weil sie ideologisch gar nicht wahr sein dürfen!
Das Bestehen einer globalen Krise würde den „Virus- “ und „Klimasozialisten“ die Legitimation für eine globale Planwirtschaft und eine Einschränkung der individuellen Freiheit in die Hand geben. Eine Krise, die noch dazu ihre Grundlage in der liberalen Globalisierung hätte, würde den Basisglaubenssatz, wonach die maximale individuelle Freiheit die beste und gerechteste Ordnung erzeugt, infrage stellen.
Die defensive Kritik vieler „Rechter“ an allen linken Katatstrophenszenarien ist also dadurch belastet, daß sie aus einer liberalen ideologischen Notwendigkeit erfolgt. Hier trifft sich die libertäre Staatskritik, die neben nationaler auch globale Planung aus Prinzip ablehnen muß, mit einem evangelikalen Gottvertrauen, welches in der Problematisierung von Überbevölkerung und Umweltzerstörung instinktiv eine menschliche Arroganz gegen den Heilsplan einer “manifest destiny” vermutet.
Man verstehe mich nicht falsch: Die Kritik an der faktischen Basis der globalistischen Vorstöße zu einer neuen technokratischen Weltordnung sind notwendig. Sie deckt in vielen Bereichen auf, daß ein apokalyptischer Wunsch Vater der „ besorgten Warnungen“ ist. Aber auf Dauer ist diese Kritik zu wenig. Sie läuft, gerade über die mythisch-verschwörungskritische Schlagseite, die heute überhandnimmt, sogar Gefahr, beim Auftreten einer echten globalen Krise, in der sich die latenten Zerstörungspotentiale der Technosphäre materialisieren, irrational und suizidal zu agieren.
Diese theoretische Schwäche, die im ideologisch diktierten Leugnen aller Krisenpotentiale besteht, ist unter anderem Ergebnis des Einflusses angloamerikanischer libertärer bis evangelikaler Ideologeme auf die europäische Rechte. Durch die Überflutung mit solchen Ideologiefragmenten aus dem kanadisch-amerikanischen Raum findet dieses Denken vor allem in theoriefernen Teilen der hiesigen Rechten großen Anklang. Seine individualistische Schlagseite fusioniert geradezu perfekt mit dem Selbstverwirklichungs- und Privaterlösungsgedanken der esoterischen alternativen Szene.
Tatsächlich trifft Sieferles Kritik des „dionysischen Individuums“, das Jonas Schick in den Coronaprotesten verortete, leider häufig zu. Die Kritik am Great Reset und an dem Projekt der westlich-liberalen Weltordung wirkt störrisch, engstirnig und infantil, wenn sie keine positive Alternative formulieren kann. Der blinde Glaube an den Basissatz des libertären Denkens, vermischt mit esoterischen Utopien oder evangelikalem Gottvertrauen, ist keine geeignete Antwort auf die Wissens- und Ideologieproduktion tausender globalistischer Think Tanks.
Das rechte Denken verbündet sich hier teil- und tragischerweise gegen die eher „sozialistisch“, also planwirtschaftlich und egalitaristisch geprägten Technokratie mit dem nicht weniger globalistischen Liberalismus und fordert ein “Zurück zur Normalität” von Freihandel und Konsum. Die identitäre Frage geht in den neuen Virus- und Klima-Debatten beinahe unter. Das hat einen klar bestimmbaren Grund:
Die realen Gefahren und Krisenpotentiale der modernen Technosphäre und des multikulturellen Bevölkerungsexperiments wurden seit langem von rechten Denkern wie Heidegger oder Spengler analysiert und erkannt. Woran jedoch die Rechte bisher scheiterte, ist die positive Theorie eines neuen „Nomos der Erde“.
Hier dominiert die universalistische und globalistische Denkschule, die in der hegelianischen Tradition, oszillierend zwischen Marxismus und Liberalismus, eine säkularisierte Verzerrung des Christentums darstellt. Die zu recht durch den historischen Rost gefallene Idee des aufklärerischen „Weltgeist-Nationalismus“, mit einem einzigen Volk die totale Erdherrschaft anzustreben, wird von namhaften Wissenschaftlern dagegen als säkularisierte Zerrform des Judaismus identifiziert. Sie wiederzubeleben versucht heute keiner mehr. Stattdessen herrscht, wie Martin Lichtmesz in seinem großartigen Buch beschreibt, ein rein defensiver Ethnopluralismus vor.
Diesem fehlt oft jede visionäre Kraft und jede geopolitische Verortung. Ein wichtiges Ziel neurechter Theorien- und Ideenbildung läge darin, eine identitäre Gegenthese zur westlich-universalistischen Globalisierung zu entwickeln. Ein „Great Reset von rechts“, der von manchen Kommentatoren ironisch im Munde geführt wird, wäre insofern nötig, als die derzeitige Entwicklung keine neue Wegrichtung, sondern die logische Endphase eines lange andauernden, „Fortschritt ins Grauen“ (Alain de Benoist) ist.
Selbstverständlich kann diese identitäre Alternative nicht in flapsigen Konzepten zu „tribalistischen Ökodiktaturen“, Memes über das „Tradlife“, oder Phatasmen archäofuturistischer Astronautik bestehen. Auch das bloße Konzept des „Ethnostaats“, oder einer „eurosibirischen Techno-Festung“ greift zu kurz. Es braucht, gerade im Angesicht der neuen transhumanistischen und biotechnologischer Felder, auf die sich das geopolitische Konfliktgeschehen unweigerlich verlegt, auch ein Konzept einer geopolitischen Balance und einer multipolaren Weltordnung.
Während Technokraten eine totale Kontrolle und Gleichschaltung der “Menschheit” als alternativlose Antwort auf die neuen Krisenpotentiale der Technologie anbieten, hofft die rasant wachsende verschwörungskritische Szene indes auf einen diffusen esoterischen “Bewußtseinswandel”, also eine universalistische anthropologische Revolution, die das Wesen des Menschen ändern soll. Im rechten Lager herrscht in diesem Themenbereich bis auf wenige Ausnahmen wie etwa das Werk von Alexander Dugin, gähnende Leere. Neue Denkanstöße könnten aus China kommen.
Das 2020 erschienene Buch Alles unter dem Himmel des chinesischen Philosophen Zhao Tingyang versteht sich als eine Kritik am westlichen Staats- und Weltstaatsverständnis. Der Autor hat eine Professur am Institut für Philosophie der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften inne.
Das “Nouveau magazine littéraire” kürte ihn zu einem der 35 einflußreichsten Denker der Welt. Ähnlich wie Dugin gilt er als „Staatsphilosoph“, dessen Werke auf den Nachttischen der politischen Führung Chinas liegen. Im erwähnten Werk entwickelt er mit dem Konzept der„Tianxia“, das in der Chinesischen Zhou-Dynastie (1046 bis 256 v. Chr.) entwickelt wurde, und mit “Alles unter dem Himmel” übersetzbar ist, eine Alternative zum westlichen Hegemoniedenken. Mit Heidegger ist er sich darin einig, daß der westliche Nationalstaat eine etatische Version des neuzeitlichen Subjekts darstellt.
„Weil man die Seinsfrage noch nicht begreift und damit auch nicht das Da-Sein, weil man dieses doch immer als „Subjekt“ nimmt, gelangt man zu den komischen Forderungen, das Einzelsubjekt (in Sein und Zeit) müßte jetzt durch das Volkssubjekt ersetzt werden. Die armen Tröpfe!“ Martin Heidegger, Besinnung, HGA 66, S. 144
Konsequent und nachvollziehbar entfaltet Tingyang die gesamte Problematik der brüchigen, letztlich invidualistisch-solipsistischen westlichen Staatskonzeption, die sich durch koloniales Ausgreifen in das amorphe feindliche „Außen“ ebenso absichern muß wie das Einzelsubjekt durch das technische Gestell. Kein Wunder, daß es vom aufklärerischen Großinquisitor Thomas Assheuer in der ZEIT bis zu Jürgen Osterhammel in der FAZ im Westen negative Rezensionen hagelt. Greift Tinyang doch mit seinem „ontologischen Prinzip“die Elementarlehre des westlichen Liberalismus an:
„Die Koexistenz geht der Existenz voraus (…) die Koexistenz ist die Voraussetzung der Existenz“. (Zhao Tingyang, Tianxia, S. 18)
Das „Gen der Gemeinschaft“, das Tinyang unter Rückgriff auf Konfuzius in der familiären Verwandtschaft verortet, ist in Form der “Volksseele” die Grundlage der Staatlichkeit, nicht die kalkulierende Einzelvernunft, die sich aufgrund äußerer Gefahren zum „Gesellschaftsvertrag“ genötigt sieht. Tinyang stellt der westlichen Trias „Individuum – Gemeinschaft – Nationalstaat“ die chinesische Struktur von „Sippe – Staat ‑Tianxia“ gegenüber in der das Subjekt „keine politische Entität“ darstellt (S.22).
Stattdessen tritt das Konzept einer kosmischen Universalität, das vom „Tianxia“ verkörpert wird, auf den Plan. In diesem sieht Tinyang die Chance zu einem „Weltfrieden“ und einer „inklusiven Welt“, die nicht auf Assimilation und Hegemonie aufbaut. Das Konzept weist neben den zitierten unglaublich starken Stellen auch einige in meinen Augen naive Schwächen auf und wird von mir auf diesem Blog beizeiten rezensiert werden. Bereits jetzt kann man allerdings konstatieren, daß Denker aus den kontinentale Machtzentren China und Russland visionäre denkerische Gegenentwürfe zur westlich liberalen “Thalassokratie” erarbeiten.
Gerade das deutsche Denken hätte hier vermittels Heideggers unübertroffener Kritik am neuzeitlichen Subjekt eine wichtige ideengeschichtliche Aufgabe. Die fehlende Dimension einer nichtuniversalistischen kosmischen Ebene, die in Tingyangs Denken „Tianxia“ einnimmt, gilt es auch für das europäische Denken neu zu erschließen. Nur so kann der kommende identitäre Aufbruch aus den Fehlern eines universalistisch “verseuchten” Nationalismus lernen, anstatt auch neue Konzepte und Visionen damit anzustecken.
Auch westeuropäische Rechte sollten sich, wollen sie ihrer Rolle als Dissidenten gerecht werden, daran ein Beispiel nehmen. Gerade in der Krise und im Gewoge der politischen Aktion gilt verstärkt die Pflicht zur geistigen Besinnung. Scheinbar ohnmächtig in fremder kultureller, wirtschaftlicher und politischer Dominanz erstickend, steht uns der Widerstand gegen die „geistige Besatzung“ jedoch immer noch frei.
Die Kritik an der westlich liberalen Weltordnung und ihrem “Great Reset” ist verkürzt, wenn wir keine eigene, visionäre Alternative aufzeigen. Wenn wir den neuen Herausforderungen ausweichen, die Krisenpotentiale leugnen und unsere geistige Mitte verlieren, wird die Geschichte uns bestrafen.
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Zhao Tingyang: Alles unter dem Himmel. Vergangenheit und Zukunft der Weltordnung (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft ), Berlin: Suhrkamp 2020. 266 S., 22 € – hier bestellen. Benedikt Kaiser bespricht dieses Buch hier.
MARCEL
Ideengeschichtlich gesprochen könnte man sagen, dass jetzt erst das 19. Jahrhundert zu Ende geht.
Das lange 19. Jahrhundert hat die menschliche Lebenswelt derart substantiell verändert (durchaus im planetarischen Maßstab), dass jeder Rückweg verbaut ist. Die permanente Flucht nach vorn ist sein Erbe und sein Fluch - bis heute.
Wer das ablehnt, begeht irgendwann Suizid, wird Eremit, verbündet sich mit der islamischen Kultur (und geht damit in ihr auf) oder vertraut/hofft mit Hans-Dietrich Sander auf ein "verborgenes Volk", das sich neu ("neu" durchaus revolutionär verstanden) findet, sammelt und organisiert.