Damit ist eine weitere Umdrehung der staatlichen Daumenschraube gegen die außersystemische Opposition vollzogen. Die Stoßrichtung ist klar: Nach dem Verdachtsfall kommt die Beobachtung, darauf folgt der „gesicherte Extremismus“.
Jede Stufe ermöglicht weitere Methoden der Zersetzung und schaltet neue repressive „Folterwerkzeuge“ frei. Am Ende steht auch das Parteiverbot im Raum. Es sei denn, die AfD vollzieht vorher die einzige Anpassung, die das System jemals von ihr wollte: sie verschwindet. In fünf Thesen will ich darstellen, wie das neurechte Lager diese Entwicklung beurteilen sollte:
1. Der Verbot des Volksbegriffs schafft Klarheit
Das Ziel metapolitischer Arbeit ist immer auch die Klärung der Begriffe und der Fronten. Polarisierung ist im Interesse derjenigen, gegen die die Zeit spielt. Der diffuse Graubereich “rechts der Mitte”, den die Union jahrzehntelang monopolistisch bediente, klärte sich und verschwand, nachdem die AfD auftauchte, polarisierte und sich in der politischen Landschaft festsetzte.
Doch auch AfD und FPÖ selbst dürfen sich nicht, rechtspopulistisch-oberflächlich, vor den entscheidenden Fragen drücken: Was ist das Volk? Wie viel Fremdes verträgt es? Was sind die Grundvoraussetzungen für Assimilation? Welche Form von Remigration braucht es, um unsere Identität zu erhalten?
Diese Fragen entscheiden das 21. Jahrhundert. Alle anderen Themenbereiche sind nur insofern relevant, als sie Vorteile für den Kampf gegen den Bevölkerungsaustausch mit sich bringen. Auch das lehrt uns die Fixierung des VS auf den Volksbegriff. Sie schafft eine seltene Einheit zwischen den sonst zerstrittenen Fraktionen des rechten Lagers.
Mit der absurden Kriminalisierung der bloßen Formulierung eines Volksbegriffs jenseits des Staatsbürgers, nötigt der VS, sich mit dieser Frage intensiv auseinanderzusetzen. Vor allem die AfD wird ihre juristischen und politikwissenschaftlichen Experten auf die Verteidigung des Volksbegriffs ansetzen müssen. Es braucht eine anschlussfähige und weltanschaulich fundierte, juristisch vertretbare Position.
Daniel Fiß hat Recht, wenn er hier Versäumnisse im Bereich der rechten Theoriebildung bemängelt:
Das rechte Lager hätte von Beginn an seine gesamten intellektuellen Ressourcen in dieses Thema investieren müssen. Klarheit über eigene Positionen schaffen. Logikfehler aufdecken. Historische Realitäten aufzeigen.
— Feldzug Blog (@Feldzug2) April 26, 2023
2. Die Repression intensiviert die Strategiedebatte
Indem der VS die Grundlage jeder rechten Politik schlicht für verfassungswidrig erklärt, zwingt er das rechte Lager zur Reflexion der eigenen Strategie. Bringt Parteiarbeit überhaupt etwas, wenn ein Federstreich den Diskursrahmen derart einschränkt?
Ein „Parlamentspatriotismus“, also die populistische Jagd nach Mehrheiten im Rahmen des Sagbaren, begleitet von Distanzierungen und inhaltlicher Anpassung, ist damit klar widerlegt.
Doch auch die Strategie der „Reconquista“, also die Kulturrevolution von rechts, die der VS bei „Ein Prozent“ und IFS verortet, muß sich kritischen Fragen stellen: Wie gehen wir mit einer Transformation des sanften zum offenen Totalitarismus um? Ist das rechte Lager bereit, von „Social change“ und „Orbanisierung“ zu „Regime change“ und „Maidanisierung“ zu wechseln?
Die regelmäßigen „Realitätschecks“ durch Haldenwangs Bauchschläge nötigen uns zur Reduktion auf das Wesentliche: wie können wir in einem repressiven System politische und metapolitische Macht aufbauen?
3. Die „Repressionsakzeleration“ ist ein gutes Zeichen
Wäre die AfD samt ihrem metapolitischen Umfeld wirkungslos, bräuchte es weder gesteigerte Aufmerksamkeit noch Repression. Altrechte Akteuere stehen in letzter Zeit wohl deswegen weniger im Fokus, weil sie aus Sicht der Elite keine echte Gefahr darstellen. Insbesondere ein Satz des VS adelt die neurechte Strategie:
Ziel des Vereins ist die metapolitische Erringung der kulturellen Hegemonie und damit die Etablierung einer entsprechenden Gegenkultur‹. Hierzu nutzt der Verein verschiedene Strategien, um die entsprechenden Inhalte in die ›Mitte der Gesellschaft‹ zu transportieren.
Ja, genau das wollen wir! Daß eine demokratisch legitime, metapolitische Beeinflussung der Gesellschaft Repression auslöst, zeigt auch, wie wirkungsvoll sie ist.
Anders als Klimakleber, die ausschließlich mit Straftaten und einer Terrorisierung der Bevölkerung Reaktion und (widerwillig-sanfte) Repression auslöse, reicht bei Rechten bereits eine unschuldig Idee.
Nutzt die Opposition das richtig, dann führt diese Ideen-Repression zu einer Steigerung ihrer Legitimation und Popularität. Was verboten ist, wird interessant. Procedere der “metapolitische Erringung der kulturellen Hegemonie” ist , durch anschlussfähige Provokation eigene Ideen mittels Normalisierung und Wiederholung salonfähig zu machen („Adaption“) oder das System zur antidemokratischen Repression zu nötigen.
Repressive Schläge gegen Ideen entlarven stets eine Fehlfunktion der „ideologischen Staatsapparate“ (Louis Althusser) bei der Herstellung des ideologischen Konsens. Karl W. Deutsch schrieb dazu in seinem Buch Cracks in the Monolith:
Totalitäre Macht ist nur dann stark, wenn man sie nicht zu oft anwenden muß. Wenn totalitäre Macht ständig gegen die gesamte Bevölkerung angewandt werden muß, ist es höchst unwahrscheinlich, daß sie lange wirkungsvoll bleibt.
Die Repression gegen das gewaltfreie, anschlussfähige und erfolgreiche rechte Lager ist auch Ausdruck eines chronischen Autoritätsmangels der „Wahrheitssysteme“. Darauf ist stärker aufmerksam zu machen als auf den “Doppelstandard”.
4. Überstehen ist alles!
Ein System geht dann zur juristischen Repression über, wenn die Kontrolle durch die anderen „Filter“ der Verhaltenskontrolle nicht ausreichen. Meist reichen sozialer, ökonomischer und terroristischer Druck aus, damit „feindlich-negative Handlungen“ aufhören. Juristischer Druck ist das letzte Mittel, wenn die Methode der „Zersetzung“ (siehe die „Richtlinie 1/76 zur Bearbeitung Operativer Vorgänge“ des Ministeriums für Staatssicherheit) nicht zum Erfolg führt.
Ziel der Repression ist die Zerschlagung der oppositionellen Strukturen und die Zerstreuung ihrer Kräfte in die Unsichtbarkeit. Anwendung von Repression schwächt zwar die Autorität des Regimes. Wenn sie dabei die Opposition vernichtend trifft, ist es das „Opfer“ aber wert.
Die VS-Beobachtung ist natürlich nicht „wirkungslos“ für das rechte Lager. Das darf beim propagandistisch notwendigen „Pfeifen im Walde“ nicht übersehen werden. Aus dem Grund ist es auch sinnvoll, den absehbaren VS-Schlag gegen die Mutterpartei prozessual so lange hinauszuzögern wie möglich. Das gibt den einzelnen Mitgliedern und Funktionären die Möglichkeit, sich psychisch und beruflich darauf einzustellen. Dennoch wird der Schaden nicht ausbleiben.
Die gesteigerten Überwachungsmöglichkeiten, der enorme Anstieg an „VS-Mitarbeitern“, zusammen mit dem großzügigen „gegen Rechts“ Budget der Ampel, das über Umwege auch in den Linksterrorismus fließt, bedeuten harte Zeiten für das neurechte Lager.
Der repressive Schlag muß um jeden Preis überstanden und die oppositionellen, aus Faesers Sicht „negativen“, Handlungen fortgesetzt werden. Nur dann tritt der beschriebene, delegitimierende Effekt ein. Raubt die Repression ohne expliziten Verbot dem Widerstand die Schwungkraft und führt zu seinem Zerfall, wiegt das doppelt schwer.
Das System hat sich seiner Opposition durch „Zersetzung“ elegant entledigt, ohne den Betrieb der Demokratiesimulation nachhaltig zu stören. Hier gilt es Spaltung und Defätismus zu überwinden und mit “triumphalem Trotz” oder ganz gelassen “weiterzuarbeiten”, wie Kubitschek schreibt.
5. Die Kantenschere
Ein unangenehmes Thema kommt durch den VS-Beschluß wieder hoch: die souveräne Kantenschere. Erneut werden teils hämische Stimmen aus altrechten Kreisen laut: „Es hat euch alles nichts gebracht. Euch geht es nun wie uns.“ Einige meinen, daß “spätestens jetzt” der Moment für einen großen „unite the right“ Moment gekommen sei.
Genau darauf spekuliert jedoch die Repression. Die AfD und ihr metapolitisches Umfeld haben ein projiziertes Mobilisierungspotential von 20–30%, wenn sie ihre Sache richtig machen und die Lage günstig ist. Im Osten ist man längst zur neuen Volkspartei geworden. Neurechte Think Tanks, Bürgerbewegungen und Aktionsgruppen stehen im direkten Ideenaustausch mit der Massenpartei.
All das war und ist undenkbar für das altrechte Lager. Nach meiner pragmatischen Definition ist es dadurch gekennzeichnet, daß der Erhalt der ethnokulturellen Identität nicht sein einziges Hauptziel darstellt. Zu der Forderung tritt in altrechten Kreisen die Rehabilitierung des NS, seiner Symbole, Begriffe und Instituionen. Eine unnötige, offene Flanke für Repression und Dämonisierung.
Daß der neue rechte Aufbruch seit den 2010er Jahren sich aus Verzweiflung, Trotz und Gleichgültigkeit in diese Subkultur sacken lässt und den Weg der Selbstradikalisierung und ‑marginalisierung geht, ist die wahre Hoffnung des VS, wie Benedikt Kaiser hier anmerkt.
Eine rechte Opposition, die sich ausschließlich auf die identitäre Frage nach Volk und Bevölkerungsaustausch fokussiert, das aber nicht mit der Renaissance politischer Bewegungen des 20. Jahrhundert verbindet, ist mehrheitsfähig – und damit der Alptraum der Eliten.
Gerade angesichts der nun geöffneten Schleusentore für Spitzel, agents provocateurs und Infiltratoren, die nach einer Reportage der SZ gerne „szenetypische Delikte begehen“, braucht es umso mehr eine klare Profilierung. Selbstverständlich bedeutet das keine kriecherische Distanzierung, keine liberale Reinheitsspirale und keinen politischen „Waschzwang“. Man muss sich auch nicht vorschreiben lassen, mit wem man redet und mit wem nicht.
Doch die AfD und die neue Rechte müssen aus eigener Kraft und Überzeugung souverän klarstellen, wofür sie stehen, und wofür nicht. Andernfalls werden das die Gegner für uns tun und ein Zerrbild zeichnen, das zur Realität werden könnte.
Dazu anschließend ein praktischer Ratschlag: Jeder rechte Akteur sollte den Beschluß zum Anlaß nehmen, Chatverläufe zu löschen, gespeicherte Bilder zu sichten, dubiose Gruppenchats zu verlassen und sein eigenes Kommunikationsverhalten einer grundlegenden Revision zu unterziehen. Auch wenn die VS-Repression unvermeidbar ist, sollte man es den Herren so mühsam wie möglich machen.
Alles in allem ist der VS-Beschluß also nicht nur ein Grund, die üblichen Empörungsfloskeln und „Doppelstandards“-Postings abzuspulen. Es ist ein Anlass zur kritischen Lagebeurteilung und ein Aufruf an die rechte Theoriebildung, den Volksbegriff zu verteidigen und die Strategiedebatte zu intensivieren.
In Anlehnung an Viktor Orbans Diktum „Die Heimat kann nicht in Opposition sein“ ist dem VS entgegenzuhalten: „Das Volk kann nicht verfassungswidrig sein.“ Es ist der Ursprung jeder Verfassung und wird, den „Regierungsschutz“ in seinem juristischen Amoklauf eines Tages politisch in seine Schranken weisen.
Maiordomus
Sellner zeigt hier eindeutig seine hohe Begabumg für politische Analyse mit hoher Hammerschlag-Treffer-Quote. Mit anderen Worten: er ist eine politische Begabung. Diese sollte er auf einschlägigem Gebiet so umsetzen, wie es heute angebracht ist, besonders in Deutschland. Bei der philosophisch-literarisch-weltanschaulichen Analyse sollte er bei seinem nachweisbar und vorwurfsfrei feststellbaren etwas dünneren Rucksack stärker auf Arbeitsteilung setzen. Glaube ich mir nach 60 Jahren fast täglicher Beschäftigung mit Philosophie und Erkenntnistheorie zu sagen erlauben dürfen.