Wir haben keine Zeit zum Archivieren, Resümieren, Nostalgieren, noch nicht einmal zwischen den Jahren.
Ich saß Anfang Januar über den Vorbereitungen unserer Teilnahme zur sicher höchstkarätigen Konferenz unseres bisherigen Lebens. Ich war als Keynote-Speaker nach Budapest eingeladen, neben Pascal Bruckner, Steve Bannon, Douglas Murray und einer Handvoll EU-Politikern und Brüsseler Lobbyisten und Beratern, und zwar auf Einladung einer Orban-nahen Stiftung, die diese Konferenz über die Zukunft Europas für die vier Visegrad-Staaten organisierte.
Die Konferenz sollte Ende Januar stattfinden, aber dann kam es zu politischen Verwicklungen: Referenten sagten ihre Teilnahme meinetwegen ab, die CDU intervenierte bei ihrem europäischen Koalitionspartner, der Fidesz-Partei Orbans, und nachdem wir die Lage telefonisch erörtert hatten, zog das Organisationsbüro Konsequenzen und verlegte die Konferenz kurzerhand in den Mai, auf die Zeit nach der Wahl in Ungarn, einfach so.
Kositza und ich waren dann tatsächlich Ende Mai in Budapest, aber nicht im Rahmen der Konferenz, sondern für einen Einzelvortrag im “Haus des Terrors” nebst einer Handvoll Presseterminen – ich habe hier darüber berichtet.
Mir ist im Verlauf der Auseinandersetzung um meine Teilnahme zweierlei endgültig klar geworden: Wir sind zum einen nun tatsächlich ein Politikum, egal wo wir auftreten, und zwar bereits dann, wenn wir unsere Vorträge noch nicht gehalten, unseren Messestand noch nicht aufgebaut, unsere Gespräche noch nicht geführt haben.
Zum anderen (und dies führt zur nächsten Wegmarke) ist das (todesmutig!) vorgetragenen Vorhaben, mit Rechten zu reden, zumindest für Kositza und mich bereits nach wenigen Metern an sein Ende gekommen: Die herrschende Klasse hat maximal an einer programmatischen oder personellen Ergänzung zu ihren eigenen Bedingungen Interesse – keinesfalls aber im Rahmen harter Diskussionen und Auseinandersetzungen.
Beides zusammengenommen läßt nur den Schluß zu, daß es andere sein werden und sein müssen, die sich der aufweichenden oder aufsprengenden Konfrontation mit dem Gegner annehmen. Das gelang auf vorbildliche Weise etwa den beiden Publizisten Michael Klonovsky und Nikolaus Fest, als sie in Dresden im Rahmen einer AfD-Veranstaltung gegen Dr. Kai Gniffke, Chefredakteur ARDaktuell, und Dr. Peter Frey, Chefredakteur ZDF, antreten konnten und als Sieger vom Platz gingen. Einem Podium mit Kositza und mir hätten die beiden öffentlich-rechtlichen Herren nicht zugestimmt.
Ich gebe hiermit zu Protokoll, daß ich etlichen Vortrags- oder Diskussionsanfragen der letzten Zeit aus genau diesen Erwägungen heraus eine Absage erteilt habe: die Rolle als institutionalisierter Verhinderer einer Ausweitung der Kampfzone ins Establishment hinein gerade NICHT mitzuspielen.
Was uns aber (und dieses Wort muß sein) schon hart anging und angeht, ist die Unerbittlichkeit, mit der ehemalige Mitstreiter und Weggefährten den spaltenden Kampf gegen uns mitkämpfen – wohl um zu zeigen, daß sie in den Augen der politisch-medialen Kaste zum akzeptablen Teil der Gegner gehören könnten.
Ich habe dieses Verhalten einmal mit dem Sprung aus einem Ruderboot ans rettende Land verglichen, bei dem man ja stets dem Boot, das man verläßt, einen gehörigen Stoß weg von diesem Ufer verpaßt. Ich will es erweitern: Es gibt andere, klügere, weniger egoistische Wege, vom Kahn an Land zu gehen, um das Ufer zu verändern. Es muß nicht auf Kosten derer geschehen, die noch im Boot sitzen.
Zum Schauplatz der Verkniffenheit rechtsintellektueller Befindlichkeiten wurde Mitte Februar Kopenhagen. Dorthin, und zwar in einen der Vortragsräume des dänischen Parlaments, waren zum Thema “25 Jahre ‘Anschwellender Bocksgesang’ von Botho Strauß” neben mir auch Karlheinz Weißmann und Dieter Stein zum Vortrag eingeladen. Die beiden saßen in der einen, ich in der anderen Ecke des Saales, ein humorvoller oder ernster, vor allem aber entspannender Austausch war nicht möglich, obwohl ich zwei Anläufe unternahm, und am Ende machte sich einer der Organisatoren sogar einen Spaß daraus, die Glaswand zwischen den Deutschen zu kommentieren.
Über diesen außerordentlich interessanten Tag im “Folketing” habe ich hier berichtet.
Bevor ich aber im naßkalten Kopenhagen im “Café des Nordens” ein Bier der Marke “Ask und Embla” trank und sehr beeindruckt durch eines der Volkshäuser wandelte, in dem sich die Grundtvigsche Idee der Volksbildung und der Volksgesundheit niedergeschlagen hat, absolvierten Kositza und ich den letzten Akt vor der bisher größten Niederlage, die wir bisher als Verleger erlebt haben.
Wir waren mit unseren Kindern an der Sierra Nevada in Andalusien, um zu wandern und das warme Winterlicht zu spüren. Die Hälfte der Zeit verbrachten wir aber am Laptop, um letzte Hand an die Übersetzung des jüngsten Buches der amerikanischen Feminismuskritikerin Camille Paglia zu legen. Wir hatten die Rechte an dieser Aufsatzsammlung erworben und im Verlauf der Übersetzungsarbeit festgestellt, daß ein Teil der Texte ohne erläuternde Fußnoten für deutsche Leser schlechterdings unverständlich bleiben mußte. Diese Fußnoten einzutragen und auf das notwendige Maß zu bringen, beschäftigte uns acht spanische Abende lang, und zwar so voll und ganz, daß wir den Selbstausbeutungscharakter unseres Verlegerseins wieder einmal plastisch vorgeführt bekamen.
Im April mußten wir die gesamte Auflage des Paglia-Buchs einstampfen lassen: Aufgehetzt von einer Schreiberin der Süddeutschen Zeitung, hatte Camille Paglia über ihre Rechtsanwälte beanstanden lassen, wir hätten ohne Rücksprache Fußnoten gesetzt (und damit gegen ihre Reputation als Professorin gearbeitet), zwei Texte weggelassen (und damit die Gesamtkomposition zerstört), ein Vorwort Kositzas eingefügt (und sie damit für “erläuterungsbedürftig” erklärt) sowie einige Kapitelüberschriften recht frei ins Deutsche übersetzt (und damit sinnentstellt).
Es gab Vermittlungsversuche von mehreren Seiten, ratlose Zeitungsberichte voller Respekt für die aufwendige Edition, aber am Ende hatten wir keine Chance: Mag sein, daß ich (nicht wir) Formfehler begangen hatte, aber am Ende fiel die Entscheidung aus politischen Gründen. Einen Rechtsstreit mit einer us-amerikanischen Kanzlei wollten wir nicht wagen, also kam eine Schredderei zum Einsatz. Hier kann man den Rechenschaftsbericht Kositzas nachlesen.
Diese Niederlage machte aus dem späten März und dem ganzen April eine bleierne Zeit. Sie war bleiern, weil unser Plan, auf der Leipziger Buchmesse unspektakulär als normaler Verlag neben anderen Verlagen aufzutreten, nicht zur angestrebten Normalisierung führte. Wir wurden neben Compakt, Junge Freiheit und Europa Terra Nostra in einer rechten Ecke platziert, und nachdem die Junge Freiheit ihre Anmeldung zurückgezogen hatte, war das Eck ein recht leerer Raum.
Unsere Lesungen mußten wir in einer schräg dem Stand gegenüber aufgebauten und in alle vier Richtungen zugeschraubten Leseinsel abhalten, in die der Sicherheitsdienst der Messe gerade einmal 35 Besucher eintreten ließ. Wir nahmen die Frustration der vielen Antaios-Leser wahr, die sich trotz eines aberwitzigen Kälteeinbruchs am Messesamstag durch das Verkehrschaos bis zur Messe durchgekämpft hatten und nun keinen Platz mehr für unsere Lesungen ergattern konnten, und wir hätten mit Megaphonen von unserem Stand aus moderieren sollen, um die Abdrängungsstrategie der Messe zu unterlaufen.
Wir haben das nicht gemacht, vielleicht um zu zeigen, daß wir uns – wie zuvor in Frankfurt schon – an die Regeln einer Buchmesse halten würden und dafür zumindest eine relativ faire Berichterstattung erwarten dürften. Seltsam, solche hartnäckigen Illusionen!
Im Grunde hätte uns klar sein müssen, daß nach einer kurzen Tauwetterperiode während und nach der spektakulären Buchmesse in Frankfurt im Herbst zuvor ein Strategiewechsel bei den Verantwortlichen solcher Großereignisse stattfinden würde, ein Abdrängen, Zuschrauben, eine räumliche Behinderung der Meinungsäußerungsmöglichkeiten – keinesfalls also das, was unter dem zum Arbeitsbegriff gewordenen Buchtitel “Mit Rechten reden” aus der Feder dreier todesmutiger Klett-Autoren eigentlich zu verstehen wäre.
Und so spiegelte die Kältefront, die am Buchmessesamstag die Temperaturen auf unter minus zehn Grad drückte, die eingefrorene Lage, in der wir uns befanden: Es war keine Bewegung mehr drin, keine Verständnisbemühung mehr spürbar, es wurde über uns (und das ausführlichst), nicht aber mit uns geredet.
An vorderster Front profilierte sich dabei übrigens einer der drei Autoren des eben erwähnten Buches, Per Leo. Nachdem er während der Frankfurter Buchmesse als Rechten-Versteher jeden Tag drei Mal an unserem Messestand war und sich im Nachgang zwei Mal mit Kositza und mir in Berlin traf, um “mit Rechten zu reden”, wurde ihm rasch der eigene Mut mulmig, und nicht nur ihm: Was er und seine zwei Mitautoren von ihren Freunden, Followern, ihren Communities und Kollegen zu hören bekamen, muß so intolerant und lebensgefährlich gewesen sein, daß alle drei von ihrem Plan absahen, mit uns zu reden, und zwar in der Öffentlichkeit oder wenigstens im Rahmen eines Salons.
Mehr noch: Leo wurde als Experte für den rechten Umgang mit den Rechten vom Börsenverein des Buchhandels eingeladen und trug auf der verbandsinternen Tagung in München vor. In welche Richtung er da ging, legte er kurz vor der Leipziger Buchmesse in einem Beitrag für den “Freitag” dar, unter dem bezeichnenden Titel “Cool down”. Martin Lichtmesz, der mit dem Autorentrio in intensivem Austausch geblieben war, rückte Leos unwahrhaftige Darstellung auf unsere Blog gerade – aber wie immer bleibt die Frage: Was trägt so etwas aus?
Jedenfalls saßen – dies zuletzt – Kositza und ich mit unseren Kindern bei einer ausgedehnten Mahlzeit zusammen, nachdem aus dem Nichts heraus am 21. April eine linke Demonstration samt Rockkonzert in Schnellroda zu ihrem mehr als schwach besuchten, peinlichen Ende gekommen war. Im Verlauf dieses Essens kam die Frage auf, ob gegen die Übermacht der anderen überhaupt noch ein Kraut gewachsen sei.
Solche Fragen sind, wenn sie von den eigenen Kindern gestellt werden, immer mit der Hoffnung verknüpft, daß den Eltern, den Leithammeln, ein Weg, eine Handlungsmöglichkeit bekannt sei. Natürlich können unsere mittlerweile doch recht großen Kindern auch die Wahrheit verkraften: daß wir ab und an dann doch mit unserem Latein am Ende sind und uns in einem Wechselspiel aus Konfrontation, Inszenierung und Angriffsgeist, Fremdheit und Unversöhnlichkeit zu einem nicht geringen Teil auch selbst für die Festlegung auf eine bestimmte Rolle im Gesamtspektakel verantwortlich sind.
Natürlich hat Kositza Recht, wenn sie den Vorwurf der Eindimensionalität und eines mangels an Ambivalenz von uns weist. Dem stehen ja selbstredend unsere Lebenserfahrung, die jedem Intellektuellen eigene Deutungsunsicherheit sowie die Grundüberzeugung entgegen, daß das Leben nicht aus Legosteinen, sondern aus krummen Hölzern besteht.
Aber dieser Haltung (die ein hohes maß an Toleranz den Lebensentwürfen und Denkversuchen anderer einschließt!) stehen formelhafte Äußerungen gegenüber, wie vor allem ich sie in der Öffentlichkeit getätigt habe – im März etwa in Form eines Redebeitrags aus dem Publkum, als sich Uwe Tellkamp und Durs Grünbein in Dresden über die sogenannte “Erklärung 2018” stritten. Ich fragte damals (ziemlich rhetorisch zugegebenermaßen), ob es nicht notwendig sei, den Riß, der unsere Gesellschaft spalte, zu vertiefen, und zwar so lange, bis ans Licht käme, was den Riß erst verursacht habe.
Solches widerspricht dem Wunsch der Leute nach Verständigung und Versöhnung, und es wird gleich verwechselt mit einer Unfähigkeit, das Verbindende zu sehen. Das sehen wir schon, aber es ist nicht an der Reihe.
In der Familienrunde jedenfalls, als wir einen Espresso bestellten und dazu ein Schnaps auf’s Haus ging, spekulierten wir recht frei vor unseren Kindern über die Möglichkeiten, die nach der bahnbrechenden Herbstmesse in Frankfurt und nach der bleiernen Erfahrung der Leipziger Frühjahrsmesse noch blieben. Wir müssen, sagte ich, die nächste Sackgasse unbedingt vermeiden, denn das Leipziger Modell würde nun zur Blaupause in der formalrechtlich korrekten, tatsächlich aber ausgrenzenden Umgangsweise mit uns.
Wir können uns ja nicht einfach unter anderem Namen anmelden, sagte Kositza. Wir können nicht einfach einen neuen Verlag gründen, sagte ich. Doch, können wir, sagte Kositza. Und dann kaufen wir ihn und seinen Messeplatz. Und ich weiß auch schon, wer diesen Verlag gründen könnte.
Ihr seid ein bißchen verrückt, sagten die Kinder. Die machen das, sagten sie untereinander.
Ein gebuertiger Hesse
Eine Lagebeschreibung wie sie treffender und persönlich-umfassender nicht sein könnte. Ja, genau so war das damals, werden in 20 Jahren die Kinder - Ihre eigenen, die manch anderer Hiesiger und dann aber auch ganz andere, die man noch gar nicht kennen kann - sagen und wissen, wofür Sie glücklicherweise gekämpft haben.
Die Spannung, was den nächsten und allemal den letzten Teil dieses Berichts anbelangt, steigt!