Was erwartet der Zeitungsleser eigentlich unter dieser Überschrift? Die große Inszenierung. Der Literaturwissenschaftler Helmut Lethen und seine Ehefrau Caroline Sommerfeld behaupten, ihre Familie sei zu Opfern von ‘Sippenhaftung’ durch politisch korrekte Kreise. Aber ist das so? Eine Recherche.
Nun, da steht es ja: Der Leser dürfte sich eine Recherche erwarten.
Aber was hat der Historiker getan? Er hat zur Waldorfschule Kontakt aufgenommen und sich die Version des Schulvorstandes erzählen lassen und diese daraufhin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung verkauft. Lethen und Sommerfeld wurden nicht kontaktiert.
Kennen Sie den? Schulze wird aus dem Betrieb rausgemobbt. Ruft ein Journalist bei Schulzes Ex-Chef an und erfährt exklusiv die ganze Wahrheit: Schulze war ein schlechter Mitarbeiter und nun stilisiert er sich auch noch zum rausgemobbten Opfer.
Hab ich mir gerade mal ausgedacht, den blöden Witz. Weiß hat sich sein Vorgehen nicht gerade mal ausgedacht, bei ihm hat es System.
Es geht ihm nicht um politische Auseinandersetzung, nicht um audiatur et altera pars, es geht um Demontage, um öffentliche Rufschädigung des Feindes.
Das gewichtige Narrativ setzte sich durch, die Dramaturgie der Story war zu verlockend: Der großväterliche Professor und die junge Studentin, der Altlinke und die Neurechte. Von „Spiegel“ bis „Süddeutsche“ gab es kaum eine Zeitung, die das Thema nicht aufgriff. Und weil es um Helmut Lethen ging, fand die Rede von der „Sippenhaftung“ Gehör bis über die Grenzen Österreichs hinaus. Die Frage ist nur, ob diese Darstellung stimmt. Es gibt triftige Gründe, daran zu zweifeln. Man erfährt sie auf der anderen Seite, der Seite des Konflikts, deren Position in den aufgeregten Artikeln und Interviews bisher überhaupt nicht vorkam, der Waldorfschule Wien West.
Helmut Lethen ist der Schlüssel zum Erfolg seiner Neurechten (sic!) Gattin. An der Seite des exzellent vernetzten Wissenschaftlers ist ihrer Kampagne gegen die Schule maximaler Erfolg beschieden.
Dramaturgie, Story, Darstellung, Kampagne. Was wirklich passiert ist, interessiert Weiß nicht. Er will ja auch ganz etwas anderes. Er will die Protagonisten demontieren, und dazu bedient er sich des derzeit ausgefeiltesten Mittels im „Kampf gegen Rechts“: Realitätsentzug. Wenn alles nur „große Inszenierung“ ist, bleibt nämlich kein Raum für die Darstellung dessen was ist, sondern jede Handlung und jede Äußerung verfolgt irgendeinen dahinterstehenden, großangelegten, geplanten Zweck. Weiß’ Grundgedanke ist: die Rechten spielen mit uns, manipulieren uns, narren die Öffentlichkeit.
Doch wer hier den öffentlichen Raum vergiftet, derealisiert, wer jede Äußerung (auch noch die allerauthentischsten Kindertränen) als Szene im Schauspiel liest, der ist der Manipulateur.
Das Schauspiel „Inszenierung als Opfer“ läßt keine Wirklichkeit mehr zu. In der Realität widerfährt jemandem ein Übel, ihm wird es aber unmöglich gemacht, diese Realität zu bezeichnen, denn dadurch spielt er ja nur mit der Gutgläubigkeit der Mitmenschen. Das Übel kann es nicht gegeben haben, es geht im Spiel der Inszenierungen auf. Wenn der politische Feind auf diese Weise derealisiert wird, beraubt man ihn der politischen Mittel, denn Politik ist nichts anderes als Macht/Ohnmacht-Darstellung im öffentlichen Raum.
Doch dummerweise dreht eine vollends derealisierte Darstellung völlig frei: wenn es keinen Realitätsbezug mehr geben kann, sind auch Falschbehauptungen, fake news und der Sinn von „Wahrheitsmedien“ dahin. Wer die Inszenierungs-Schraube zu hoch dreht, verliert die eigene Argumentationsgrundlage gegen den politischen Gegner, die „triftigen Gründe“.
In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 3. Februar wurde Volker „Antifa“ Weiß eine ganze Seite über die Eheleute Lethen eingeräumt. Er hat herausbekommen, daß die Waldorfschul-Kündigungs-Geschichte ein einziger Mumpitz gewesen ist, allein dazu ausgedacht, so richtig schön herumzuopfern. Es habe keine Kündigung, keinen unvorhergesehenen Rauswurf gegeben, alles rechter fake. Und die Großmedien hätten sich von der perfiden Sommerfeld einen Bären aufbinden lassen, allen voran die ZEIT und die faz selber. Selbst der linke Freitag hätte Lethen die story mit den weinenden Kindern geglaubt. Die Schule sei nämlich, so Weiß’ Rechercheergebnis, bloß zum „Nebenschauplatz einer außergewöhnlichen Ehekonstellation“ gemacht worden – sie sei das wahre Opfer, das bis zuletzt „um die Kinder gekämpft“ habe.
Die Mutter hingegen kämpfte nur “für ihre Weltanschauung”. Alles was recht ist. Ich opfere meine Kinder also meiner Weltanschauung, ich bin ja rechts …
Leo/Steinbeis/Zorn lieferten mir dazu die Anleitung. Die drei Verfasser des „Leitfadens“ Mit Rechten reden (2017) stellen in ihrem Buch die These auf, daß Rechte sich dadurch auszeichnen, nicht etwa in inhaltlicher Hinsicht andere politische Ansichten oder ein wesentlich anderes Menschenbild als Linke zu haben, sondern ihr Rechtssein im kommunikativen Vollzug zu zeigen. Rechtssein bedeutet demnach, ein bestimmtes Spiel mit den „Nicht-Rechten“ (so bezeichnen die Autoren ihresgleichen, um nicht von uns zurecht „Linke“ genannt zu werden) zu treiben.
Dieses Spiel hat von ihnen den unschönen Namen „Pendelspiel Arschloch und Opfer“ verpaßt bekommen. Es geht so: Rechte verhalten sich arschlochhaft, indem sie moralische Empörung provozieren, einfach, weil sie es können. Wenn dann die Empörung reflexartig einsetzt, weiden sie sich cool an der Empörung, um daraufhin – sich selbst als Opfer dieser Empörung hinzustellen, denen der Mund verboten wird, die „wegen Rechts“ (zur Grammatik dieser Phrase siehe hier) ausgeschlossen werden aus dem Diskurs, die am Ende tätlich angegriffen werden, obwohl sie ja nur ihre freie Meinung sagen.
Das rechte Arschloch teile aus und könne nicht einstecken. Täter-Opfer-Umkehr sei seine bösartige Logik, postulieren die drei Nichtrechten. Diese Opferdefinition der Rechten hat inzwischen den politischen Raum flächendeckend vergiftet.
„Eine dieser Prämissen“, schrieb Lichtmesz,
ist die Annahme, daß Rechte qua Rechtssein immer schon “Täter” seien und darum an allem, was ihnen widerfährt, irgendwie selbst schuld seien. In dem Opferrollenvorwurf steckt häufig auch eine Art Beschämungssprache – wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen, und der Betreffende soll als schwächlich, lächerlich und wehleidig dargestellt werden. Daß dies im Interesse desjenigen liegt, der ihm den Schaden möglichst ungestraft zufügen will, liegt auf der Hand.
Verführe ich nach der Spielanleitung der Herren Leo et. al., wie Volker Weiß mir unterstellt, wäre mir geraten, so vorzugehen:
Erst müßte ich so einiges richtig Arschlochhaftes sagen, am besten in der Schule der Kinder, über die Schule und besonders die dort vertretenen „Regenbogen-Familienersatzkonstrukte“ – solange, bis sie mich rauswerfen und bis die Kinder dran glauben müßten. Erst dann ginge es mir richtig gut, Arschloch, das ich wäre. Denn jetzt endlich könnte ich zu Stufe zwei übergehen: der Opferinszenierung. Dazu müßte ich bloß noch meinen Mann rumkriegen, mitzuspielen. Sowas könnte ich doch mit links. Denn eigentlich wäre er ja schon immer rechts gewesen.
Nur diese Lüge hält übrigens Weißens gesamte Demontagegeschichte zusammen. Rechtssein definiert sich laut unseren Mit-rechten-Reden-Experten über die „Selbstviktimisierung“: Wer Opfer spielt, ist rechts und umgekehrt. Nun, da auch er selbsterklärtes „Opfer von ‘Sippenhaft’ durch politisch korrekte Kreise“ ist, hätte ich’s geschafft.
Helmut Lethen ist doch immer schon Täter gewesen, wie diese Meisterdialektikerin unter den Antifantentwitteranten eristisch definiert. Er liest gern Faschisten (Jünger! Mohler! Weißmann!), lebt in „fruchtbringender Gemeinschaft“ mit einer Faschistin, führt mit Faschistenfreunden Interviews (Thomas Wagner findet Benedikt Kaiser gut!) und des Gatten früherer Maoismus war auch nicht von schlechten Eltern.
Ich machte mir also rückwirkend zunutze (zu dieser Volte sind nur rechte Selbstinszenierungsgenies fähig), daß seine Mitmaoisten in den 70er Jahren damals schon Zweifel an gewissen Protagonisten des Imperialismus hegten. Weiß beweist:
Lethens KPD/AO war darin keine Ausnahme. 1971 postulierte sie, dass die ‘Kollektivschuldtheorie’ des ‘anglo-amerikanischen Imperialismus’ der Ausschaltung der deutschen Industrie diene, ‘Deutschland zerstückeln’ und in ‘dauernder Abhängigkeit halten’ solle.
Lethen in die rechte Schuldkultnummer einzugemeinden erfordert tiefgehende Recherche. Denn expressis verbis ist er zu diesem Spezialthema ganz anders drauf, aber Worte sind für den Entlarver bekanntlich Schall und Rauch.
Die für meine „große Inszenierung“ wichtigste Zutat ist für den hier erstaunlich feminismuskritischen Historiker der berühmte Literaturwissenschaftlergatte. „Herausragend“, „hochproduktiv“, „glänzend“, „renommiert“, „exzellent vernetzt“ – was will die Hypergamistin mehr? Flugs hätte ich den Plan fertig gehabt. Zwanzig Jahre später sollte die gebildete Welt Opfer meiner Inszenierung werden.
„Sehr viel Beachtung“ wurde mir geschenkt, läßt Volker Weiß die Obfrau sagen. Ich danke recht schön dafür. Die Schulgemeinschaft habe sich „nahezu aufgerieben“ daran, unter Qualen meine Publikationen auf Skandalöses hin („Frau Sommerfeld hat Neger gesagt!“) zu durchforsten, einen waschechten Hexenprozeß im Stile von „Außerordentliche Generalversammlung“ zu inszenieren, um „vollständig und lückenlos zu klären, ob und wie Mitglieder rechtsextremer Vereine“ die Schule unterwanderten und Rudolf Steiner vereinnahmten, das DÖW zur Hilfe zu holen, sich die Mäuler zu zerreißen, insgesamt fünf Kinder rauszuschmeißen, ein Klima der Angst zu verbreiten, das in der Bestellung einer Gruseltruppe von Securities bei Generalversammlung nach unserem Rauswurf gipfelte, um die Schule zu beschützen „vor den Identitären“. Wäre ich Weiß, könnte ich fast versucht sein, einen fas-Artikel zu verfassen darüber, wie sich diese Schule als Opfer inszeniert. Doch das Inszenierungsdrama entfaltet seine soziale Wirkung ja nur andersherum.
Abschließend vier Punkte zur Klarstellung der von Volker Weiß unterstellten Einzelheiten, denn auch in meinen Wikipedia-Eintrag hat Weißens G’schichtldruckerei schon Einzug gehalten:
- Es hat nie einen Arbeitsvertrag mit der Waldorfschule für meine Küchenanstellung gegeben. Stimmt. Aber: Die Gleichbehandlungskommission im Bundesministerium hätte sich meines Falles von „Diskriminierung aufgrund der Weltanschauung“ überhaupt nicht angenommen, wenn nicht im österreichischen Arbeitsrecht das „arbeitnehmerähnliche Verhältnis“ existierte. Andernfalls wäre sie nicht zuständig und hätte kein Verfahren eröffnet. Für regelmäßige Arbeit über einen längeren Zeitraum Entlohnung, Naturalien oder Kostenreduktion zu erhalten begründet ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis. Ich habe dort täglich fünf Stunden die Schulküche geleitet, exakt denselben 25-Stunden-Job gemacht wie mein fix angestellter Vorgänger: Logistik, Bestellung, Zubereitung von 200 Essen, Elternkoordination, Verantwortung nach außen als Küchenleitung. Der Fahnder glaubt der Obfrau, die von „reiner Elternmitarbeit“ und „Ehrenamtlichkeit“ redet.
- Die Kündigung des Betreuungsvertrags war nicht unerwartet. Stimmt. Aber: obschon der Rauswurf der Kinder seit der Küchenkündigung als Damoklesschwert über uns schwebte, hatten wir mit der „Wiener Erklärung“ aufseiten der Waldorfschule eine allgemeine Sicherheit, daß es keine Diskriminierung wegen „politischer oder sonstiger Überzeugung“ an Waldorfschulen geben dürfte. Auf der besagten Generalversammlung ist meinem Mann coram publico versichert worden, daß es keine „Sippenhaftung“ gäbe. Für uns als Eltern war ab diesem Zeitpunkt dieses Problem aus der Welt. Doch danach arbeitete der Schulvorstand daran, durch einen neuen Vertrag das „ruf- und kreditschädigende“ Sommerfeldproblem loszuwerden. Was ihm auch gelang, der Zeitpunkt der Kündigung der Betreuungsverträge war perfekt: der letzte Schultag, während der Zeugnisvergabe. In den Sommerferien versandet etwaige Empörung. Die Lehrer waren in das Ausschlußverfahren nicht einbezogen worden und reagierten völlig überrumpelt.
- In der Schule habe ich niemanden je politisch belagert oder agitiert. Schriftliche Äußerungen und öffentlichen Auftritte in politischer Absicht spielten sich außerhalb der Schule ab. Zwei Ausnahmen gibt es: 1.) Ein privater Blogeintrag ganz zu Beginn meiner Publikationstätigkeit handelte von einer Szene in der Schule („Ein objektiv unschöner Adventkranz“). 2.) Nach einem Haßmail an alle Mitglieder durch ein nunmehriges Vorstandsmitglied, das mich via Martin Sellners früher Jugend des Rechtsextremismus zieh, bin ich in einmal in die schulinterne Mailkommunikation eingestiegen. Es hat später offensichtlich großes Interesse gegeben, alle meine Äußerungen in Publikationen akribisch zu verfolgen. In der Schule habe ich mich nicht einmal auf der Generalversammlung angemessen verteidigen dürfen („keine Plattform für Rechte“). Die „Gegenerklärung“ 2017 war Reaktion auf den Mißbrauch der „Wiener Erklärung“ als selektives Diskriminierungsmittel gegen politisch Mißliebige und die Vereinnahmung der Pädagogik Rudolf Steiners. Das Einschalten der Gleichbehandlungsstelle ist ein legitimes Mittel etwaig diskriminierter Mitarbeiter in Betrieben und keine „Rufschädigung“. An die Presse gegangen bin ich erst nach dem Ausschluß unserer Kinder im Sommer 2018.
- Die Lehrerin hat nie davon erfahren, daß jemand sein Kind von unserem wegzusetzen wünschte. Stimmt. Aber: dergleichen können Eltern wunderbar untereinander kolportieren und dann entrüstet abstreiten, wenn sie von Investigativjournalisten angerufen werden.
„Die Schwierigkeit besteht darin abzuweisen, was euch hindert, ihr selbst zu sein – ohne gleichzeitig das abzuweisen, was euch zwingt, es zu sein.“ (Paul Valéry)
H. M. Richter
Irgendwann einmal werden sich Historiker mit der Frage beschäftigen, welche Geschichten zu unserer Zeit zugelassen wurden und welche nicht. Es wird dann der Frage nachgegangen werden, worin die Gründe gelegen haben mögen, bestimmte Geschichten nicht nur zu unterdrücken, sondern, hatten diese einmal das Licht der Öffentlichkeit erblickt, sie sogar möglichst in ihr Gegenteil zu verkehren.
Bei der Geschichte, die der Familie Lethen-Sommerfeld widerfuhr, wird es nicht allzu schwer sein, diese Gründe zu finden: Zu exemplarisch beschreibt sie, wie es um unsere Gegenwart bestellt ist, zu augenscheinlich sind die Parallelen zu jenen sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannten Geschichten, in denen Kinder - wenn auch zu ganz verschiedenen Zeiten - aus ähnlichen und durchaus vergleichbaren (Nicht-)Gründen Haus, Hof, Stadt, Land oder eben (zunächst ...) Schulen verlassen mußten.
Die Geschichte, die der Familie Lethen-Sommerfeld widerfuhr, kann und darf es also nicht geben, - historia est delenda ...
Damnatio memoriae in der Spätphase der Bundesrepublik Deutschland, - noch bevor solche Geschichten überhaupt erneut zur kollektiven Erinnerung werden, werden können.
Daß diese Geschiche hier dennoch erzählt werden konnte, daß hier aus erster Hand einer Verkehrung entgegnet werden konnte, zeigt einmal mehr, wie wichtig und unverzichtbar SIN ist.