Abstraktion und Einfühlung

Die Eule der Minerva beginnt ihren Flug erst bei Nacht, und ich beginne mit dem Nachdenken oft, nachdem ich meinen Job als Vordenker erledigt habe.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Mich besuch­te eine Spie­gel-Jour­na­lis­tin zum Zwe­cke eines Inter­views über „rech­te Frau­en“. Zwei ihrer Fra­gen tra­fen mich kei­nes­wegs uner­war­tet, son­dern las­sen sich einem Sta­pel von Bei­spie­len hin­zu­fü­gen, den ich zu einem schwe­len­den und quä­len­den Denk­pro­blem seit lan­gem ange­häuft habe.

Sie frag­te mich, wie ich zu „Ver­ge­wal­ti­gung in der Ehe“ ste­he, und im wei­te­ren Ver­lauf des Gesprächs dann, wie es bei mir um die Nächs­ten­lie­be zu einer indi­schen Nähe­rin bestellt sei. Auf dem­sel­ben Bei­spiel­sta­pel lie­gen bereits: „Wie erklä­re ich einer Les­be mit einem frem­den Baby an Kin­des Statt, daß ich Adop­ti­on durch homo­se­xu­el­le Paa­re für falsch hal­te?“, „Wie erklä­re ich jeman­dem, der sich gera­de end­lich schei­den läßt, daß Schei­dung und Patch­work zur Ero­si­on der Gesell­schaft bei­tra­gen?“ und „Wie erklä­re ich einem Sozi­al­hil­fe­emp­fän­ger oder einem Kas­sen­pa­ti­en­ten, daß der Sozi­al­staat zu Ver­haus­schwei­nung des Men­schen führt?“

In einem Kom­men­tar zu Bos­sel­manns Neo­so­zia­lis­mus skiz­zier­te ich eine ers­te vage Annä­he­rung an das Gemein­sa­me die­ser Fragen.

In meh­re­ren Anläu­fen habe ich schon in den letz­ten Jah­ren Tei­le die­ses Pro­blems ven­ti­liert, und ver­sucht, es erst iro­nisch, dann mit den Begrif­fen „Inter­ak­ti­on“ und „Sub­jek­ti­vie­rung“, zuletzt dem des „unsicht­ba­ren Bösen“ zu fas­sen. Unter einem bestimm­ten Blick­win­kel han­delt es sich um ein und die­sel­be Fra­ge in vie­ler­lei Gestalt. Eine fer­ti­ge Ant­wort habe ich auch jetzt nicht.

In allen genann­ten Fäl­len han­delt es sich um den Wider­streit von Nähe und Fer­ne, von Ein­füh­lung und Abs­trak­ti­on, von Sub­jek­ti­vi­tät und Objek­ti­vi­tät. Steht mir ein kon­kre­ter Mensch gegen­über, bin ich gebannt von sei­ner Prä­senz. Uns ver­bin­den wohl­tem­pe­rier­te Höf­lich­keits­for­men, die es nor­ma­ler­wei­se ver­hin­dern, den ande­ren in der Inter­ak­ti­on zu krän­ken, zu kon­fron­tie­ren, über ihn salopp gespro­chen „drü­ber­zu­fah­ren“ unge­ach­tet sei­ner leib­li­chen Anwesenheit.

Rudolf Stei­ner hat in einem Vor­trag über „Sozia­le und anti­so­zia­le Trie­be im Men­schen“ bemerkt, daß in jeder Begeg­nung der ande­re Mensch gewis­ser­ma­ßen bestrebt sei, mich ein­zu­schlä­fern. Sei­ne Nähe lähmt mei­ne Denk­tä­tig­keit, ich will mich nur noch mit ihm ver­bin­den. Die Gegen­warts­psy­cho­lo­gie nennt dies Empa­thie. Eine gewis­se Hilf­lo­sig­keit bemäch­tigt sich mei­ner, weil ich ihm zuhö­re, mich in ihn ein­füh­le, auf sei­ne Sei­te gezo­gen wer­de, ob ich will oder nicht. Das ist der Nor­mal­fall der Inter­ak­ti­on, der „sozia­le Trieb“ im Men­schen macht, daß dies geschieht. Mit einem inne­ren Ruck kann ich mich davon los­rei­ßen, aufwachen.

Wenn Sie einem Men­schen gegen­über­tre­ten, schlä­fert er Sie ein, das heißt, Ihr Den­ken schlä­fert er ein, nicht Ihr Füh­len und Wol­len. Jetzt müs­sen Sie, wenn sie ein den­ken­der Mensch blei­ben wol­len, sich inner­lich dage­gen weh­ren. Sie müs­sen Ihr Den­ken akti­vie­ren. Sie müs­sen zur Abwehr über­ge­hen gegen das Ein­schla­fen. Das Einem-ande­ren-Men­schen-Gegen­über­ste­hen bedeu­tet immer: sich erwa­chen machen, sich auf­we­cken, sich los­ma­chen von dem, was er mit einem will.

Das pas­siert genau dann, wenn mich „anti­so­zia­le Trie­be“ packen, ich von die­sem kon­kre­ten Men­schen abs­tra­hie­re. Dann bekom­me ich all­ge­mei­ne­re Zusam­men­hän­ge in den Blick, der Mensch, der mir gegen­über­steht, wird für mich zum Typus, zum Fall, zum Ele­ment einer Grup­pe, zum Sym­ptom für eine grö­ße­re geschicht­li­che Ten­denz. Der his­to­risch-poli­ti­sche Blick ist objek­ti­vie­rend, er führt weg vom Ein­zel­schick­sal. Das bedeu­tet: wer in Geschich­te denkt, denkt nicht in Geschich­ten. Das bedeu­tet aber auch: man kann nur sub­jek­tiv-ahis­to­risch oder objek­tiv-his­to­risch den­ken. Wer nur Sub­jek­te sehen kann, sieht kei­nen objek­ti­ven Pro­zeß und vice ver­sa.

Ich fan­ge an, zwei Ebe­nen zu tren­nen. Ich begeg­ne im Leben einer ver­ge­wal­tig­ten Frau, einer Les­be, einem Sozi­al­hil­fe­emp­fän­ger, geschie­de­nen Eltern – zuver­läs­sig set­zen die sozia­len Trie­be ein, mein Füh­len ist im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes in Mit­lei­den­schaft gezo­gen. Nur der Nähe­rin im fer­nen Indi­en kann ich nicht begeg­nen, sie bleibt abs­trakt, auch wenn ich mir ihr Schick­sal den­ken kann, auch wenn ich eine Ver­än­de­rung ihrer Lage wol­len kann.

Zu die­ser trick­reich instal­lier­ten Ferns­ten­lie­be habe ich hier und Tho­mas Wawerka hier eini­ges geschrie­ben. Den emo­tio­na­len Bann hal­te ich in der Inter­ak­ti­on nie lan­ge aus, das Den­ken drängt sich mit aller Kraft zwi­schen die sozia­len Trie­be und zerrt mich in die Abs­trak­ti­on. Auf der der Begeg­nung ent­rück­ten Ebe­ne erken­ne ich erst grö­ße­re Ent­ste­hungs­zu­sam­men­hän­ge. Nun die ver­spro­che­nen Beispiele:

Der Sozi­al­staat ist eine spä­te Errun­gen­schaft des libe­ra­len Kapi­ta­lis­mus zur Abpuf­fe­rung der zuneh­men­den Unfä­hig­keit der Bevöl­ke­rung, für sich und ein­an­der mate­ri­ell sor­gen zu kön­nen. Der alter­na­tiv­lo­se „Man­gel an Aus­weg­lo­sig­keit“ (Götz Kubit­schek) gebiert zu ver­sorg­te, zu beque­me Men­schen. Einem kon­kre­ten von die­sen Errun­gen­schaf­ten abhän­gi­gen Gegen­über nun vor­zu­hal­ten, er ver­haus­schwei­ne durch Hartz IV, Kran­ken­ver­si­che­rung, Bil­dungs- und Ren­ten­sys­tem, ist zynisch. Ich pro­fi­tie­re ja sel­ber von eini­gen die­ser Lebens­be­hel­fe, schlü­ge ich sie mit gro­ßer Ges­te ver­bal­ra­di­kal aus, hiel­te man mich zu recht für einen Heuchler.

Soll ich, nächs­tes Bei­spiel, etwa auf die Fra­ge nach der „Ver­ge­wal­ti­gung in der Ehe“ mit Rein­hold Schnei­der wahr­heits­ge­mäß ant­wor­ten: „Die Fami­lie ist gehei­ligt im Geheim­nis. Hier ist kein Zutritt, für kei­ne welt­li­che, geist­li­che, mensch­li­che Juris­dik­ti­on“? Ich wür­de ver­spot­tet oder des Fana­tis­mus gezie­hen, jeden­falls nicht ver­stan­den, so sorg­fäl­tig ich mich auch erklärte.

Wenn ich, um ein abschlie­ßen­des Bei­spiel näher anzu­schau­en, jener les­bi­schen Adop­tiv­mut­ter gegen­über­ste­he, die mir viel­leicht von ihren Sor­gen erzählt, und ihr ins Gesicht sage, daß ihr von der Homo­se­xu­el­len­lob­by durch­ge­setz­tes Recht Teil einer Volks­zer­set­zungs­agen­da ist und über­dies ent­wick­lungs­psy­cho­lo­gisch höchst bedenk­lich für das Kind, ist mein Ver­hal­ten eben­falls zynisch. Die Frau will mir ja nichts Böses und hält ihr Tun sogar für Gutes.

Doch den Mund hal­ten, lächeln, die „neue Nor­ma­li­tät“ bil­li­gen müs­sen? Unmög­lich. Die sub­jek­ti­ve Ebe­ne und die abs­trak­te Ebe­ne, mit­hin: Füh­len und Den­ken, klaf­fen aus­ein­an­der. Auch noch so ange­streng­tes Wol­len, etwa durch eine bes­se­re Gesprächs­stra­te­gie, bringt sie nicht zusammen.

Der bereits erwähn­te Stei­ner kann hier womög­lich einen Schritt wei­ter­hel­fen. Er kennt die­se Zer­ris­sen­heit genau und erklärt in einem ande­ren Vor­trag aus dem Jah­re 1909:

So kann im Leben aus­ein­an­der gehen der Patri­ot und der Pri­vat­mann. Dann spre­chen wir von kei­nem ein­heit­li­chen Cha­rak­ter, und mei­nen damit, daß das Ich sei­ne Wir­kung nicht gleich­mä­ßig ver­teilt auf die ver­schie­de­nen Betä­ti­gun­gen der Seele.

Stei­ner führt dann näher aus, was das Ich leis­ten muß, indem es Den­ken, Füh­len und Wol­len erst funk­tio­nal von­ein­an­der dif­fe­ren­ziert und dann harmonisiert:

Ist das Ich des Men­schen nicht in der Lage, die­se ein­zel­nen See­len­glie­der mit­ein­an­der in Bezie­hung zu set­zen, Ord­nung, Har­mo­nie und so wei­ter her­zu­stel­len, so fal­len die ein­zel­nen See­len­glie­der aus­ein­an­der. Das Ich muß sich kräf­tig erwei­sen durch alle ein­zel­nen See­len­glie­der hin­durch und jedes ein­zel­ne in die andern in ent­spre­chen­der Wei­se hin­ein­spie­len las­sen. (…) Und daß der Mensch nicht in Stü­cke aus­ein­an­der­fällt, wird bewirkt durch die eben geschil­der­te cha­rak­te­ro­lo­gi­sche Tätig­keit des Ich an den ein­zel­nen See­len­glie­dern. Wenn das Ich aber nicht die Herr­schaft behält über die ein­zel­nen See­len­glie­der, so tritt das ein, daß uns der Mensch wie zer­stü­ckelt erscheint, daß das Ich hin­un­ter­sinkt und nicht mehr gese­hen wer­den kann: Cha­rak­ter­lo­sig­keit, Hin­ge­ge­ben­sein an die Dämo­nen sei­ner eige­nen See­le; der Mensch wird hin und her geris­sen von Trie­ben und Gefüh­len, Gedan­ken, die ihn zur Ver­zweif­lung bringen.

Es ist bei uns Heu­ti­gen not­wen­dig, daß die sub­jek­ti­ve und die objek­ti­ve Ebe­ne aus­ein­an­der­tre­ten, daß Ver­ste­hen der Hin­ter­grün­de und empa­thi­sche Begeg­nung zunächst nicht gleich­zei­tig mög­lich sind, daß der his­to­risch den­ken­de und poli­tisch wol­len­de „Patri­ot“ und der ein­fühl­sa­me „Pri­vat­mann“ inkom­men­sura­ble Per­spek­ti­ven inner­halb einer ein­zi­gen Men­schen­see­le sind. Die Zer­ris­sen­heit ist näm­lich Vor­be­din­gung dafür, daß das Ich über­haupt beginnt, sei­ne Tätig­keit auf­zu­neh­men. Das Ich sor­tiert die zer­ris­se­nen oder inein­an­der ver­knäu­el­ten See­len­kräf­te, rich­tet sie auf und ver­bin­det sie wie­der auf die rich­ti­ge Weise.

Ist es mög­lich, das Ich zu kräf­ti­gen, damit es die­se Leis­tung immer bes­ser voll­brin­gen kann? Damit ich nicht län­ger in Stü­cke aus­ein­an­der­fal­le, hin­ge­ge­ben bin „an die Dämo­nen in mei­ner eige­nen See­le“? Ich bin schon dabei. Denn die Dif­fe­ren­zie­rungs­leis­tung geschieht bereits.

Die all­mäh­li­che Syn­the­se ist, folgt man der Tra­di­ti­on christ­li­cher Tugend­leh­ren, das Ergeb­nis lang­jäh­ri­gen „Trai­nings mit einem Gott“ (Peter Slo­ter­di­jk). Ent­schei­dend ist dabei, kei­nes der See­len­glie­der ein­sei­tig zu über­be­an­spru­chen, und wie­der und wie­der zu ver­su­chen, Abs­trak­ti­on und Ein­füh­lung zu ver­bin­den, wis­send, daß dies Schwer­ar­beit ist und des höhe­ren Bei­stands bedarf.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

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Kommentare (37)

Wahrheitssucher

17. Januar 2020 14:50

Einer der klügsten Artikel, der je auf SIN erschienen ist.
Als möglicher Lösungsansatz des Dilemmas nur ein Satz:
Das jeweils schlechte Beispiel darf nicht Schule machen,
muß Ausnahme bleiben...

Maiordomus

17. Januar 2020 15:41

@Sommerfeld. Sie hätten ruhig "Vordenkerin" schreiben dürfen. Sage ich als ein Akademiker, der vor etwa 6 Jahren eine Petition österreichischer Akademikerinnen gegen die Gender-Sprache und gegen das Binnen-I mitunterzeichnet hat.

Dabei hat jedoch die Halbnonne Königin Agnes von Ungarn (gest. 1364) jeweils in ihrem Habsburger-Kloster ihre Schwestern genau wie diese selbst einander als "geliebte Brüder" angesprochen. Man kann beim "Mitgemeintsein" der weiblichen Ansprechpersonen durch einen rhetorisch formulierten Text wohl auch übertreiben.

Noch interessant, wie die Spiegel-Reporterin ausgerechnet eine "indische Näherin" aus ihrer emanzipatorischen Büchse Ihnen vorhält. Eine Tätigkeit und ein Beruf, der in der mittelalterlichen christlich-mystischen Frauenspiritualität sowie in katholischen Nonnenklöstern eine gewaltige Rolle spielte, zwar eher in Richtung der inneren als der äusseren Emanzipation, weil die Tätigkeit einer Schneiderin in hohem Grade mit Gebet und Meditation verbunden werden konnte. Ende September 2019 hat die katholische Kirche wieder mal eine Schneiderin heiliggesprochen: Marguerite Bays aus dem 271-Seelendorf Siviriez im Produktionsgebiet des Greyerzer-Käses (Kanton Freiburg, Schweiz). Zwischen 1848 und 1856. als der Bischof von Freiburg im Üechtland von einer im Bürgerkrieg von 1847 kraft der Bayonette an die Macht gekommenen liberalen Regierung nach Savoyen ins Exil vertrieben worden war, galt diese fromme Frau als ein Symbol des katholisch-konservativen Widerstandes einer Landbevölkerung, die aufgrund einer Unmündigerklärung als einzige Bürgerschaft in der Schweiz nicht mal via die männliche Stimmbürgerschaft über die Bundes-Verfassung von 1848 abstimmen durfte. Stattdessen kam das durch eine manipulierte Wahl zusammengesetzte Kantonsparlament zum Zuge. Es war aber damals, trotz Ausschluss der Juden von den vollen Bürgerrechten, die fortschrittlichste demokratische Verfassung in Europa.

Die besagte Schneiderin Marguerite, von Papst Franziskus am 28. September heiliggesprochen, erlebte am Tag der Verkündigung des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis durch Papst Pius IX. (1854) eine Spontanheilung, wiewohl sie erst nachträglich erfuhr, dass ihre für sie als Wunder erfahrene Heilung und die Verkündigung des Dogmas gleichzeitig erfolgt waren. Es war dies, im Gegensatz zu anderen von mir recherchierten Heilungen, kein organisiertes "Wunder". Die besagte heilige Schneiderin, wie die Droste in ihrem Garten in Meersburg eine grossartige Geschichtenerzählerin für Kinder aus dem Dorf, hätte sich die Kümmernisse einer Spiegel-Reporterin so schwer vorstellen können wie die letztere die Prioritäten einer mystisch orientierten katholischen Schneiderin auf dem "Bewusstseinsstand" der Epoche, als in Europa zur Zeit von Metternich, Papst Gregor XVI. und Papst Pius iX. die Heilige Allianz stattfand.

Ich vermute, Frau Sommerfeld, Ihre Begegnung mit der Spiegel-Reporterin stand im Zeichen von einer Art metaphysischen "Ungleichzeitigkeit" zweier Zeitgenossinen. Ich halte es für möglich, dass Sie die Antipodin von deren eigenen Voraussetzungen her wohl eher besser begreifen konnten als dies umgekehrt der Fall gewesen sein könnte. Es wäre fast zu schön, würde ich mich täuschen.

Mboko Lumumbe

17. Januar 2020 15:44

Ja, das Leben und seine unangenehmen Herausforderungen.

Man muss manchmal erst mal selbst die unangenehmen Antworten aushalten wollen und können, die man Anderen geben möchte und manchmal auch schlichtweg geben muss.
Denn das Leben ist kein Ponyhof, oh wie muss das jetzt aus philosophischer Sicht schmerzen, doch das halte ich jetzt einfach mal aus.

Mich erinnert das an den Sommer 2015 und die befürchteten "unangenehmen Bilder" an unseren Landesgrenzen. Auch da wollte niemand die unangenehmen Entscheidungen treffen und aushalten. Jetzt haben wir den Salat.

Es ist genau diese Unart des "Zeitgeistes", dass man ja nichts negatives sagen mag oder gar entscheiden möchte. Und wehe es wird doch getan, dann stehen sofort die Lynchbanden auf der Matte.

Wahrheitssucher

17. Januar 2020 15:55

@ Maiordomus

„@Sommerfeld. Sie hätten ruhig "Vordenkerin" schreiben dürfen.“

Ein hübsches Kompliment, dem ich mich in dieser Form für das eine Mal anschließen möchte...

Maiordomus

17. Januar 2020 16:37

PS. II. @Sommerfeld. Ausser dem von mir oben schon apostrophierten "Vordenker" bringen Sie im drittletzten Abschnitt Ihres in der Tat mit Recht gerühmten Essays noch gleich den "Privatmann",;griechisch Idiotes, wobei der Begriff "Idiot" selbst in Genderkreisen kaum besternt wird und in meiner bisherigen Lektüre auch noch nie IdiotInnen geschrieben.

Laurenz

17. Januar 2020 17:14

5 Minuten habe ich überlegt, was ich Ihnen, Frau Sommerfeld, gerne schreiben würde, zur dargestellten "Problematik", denn ich sehe keine Problematik. Und Sie schilderten auch nicht Ihren weiteren Umgang mit der Dame vom Relotius-Stürmer. Die Fragen aus Rudolf Augsteins eigener Hölle unterstellen doch schon eine vorgefertigte Haltungs-Definition der jeweiligen Protagonisten. Nur Ihre Haltung, Frau Sommerfeld, wird einer Prüfung unterzogen. Ich verstehe deswegen das Verhalten meiner prominenten Mitstreiter, wie Höcke, Meuthen, Gauland, Weidel oder auch Kalbitz (wie Gauland) im Interview mit dem Links-Fascho Tilo Jung, einem verhinderten Lubjanka-Exekutor, in keiner Weise.
Sobald jemand moralisierende Fragen stellt, fordere ich hingegen grundsätzlich den Fragesteller mit der Gegenfrage nach seiner Authentizität, inwieweit er überhaupt berechtigt ist, diese Fragen zu stellen. Ich frage nach seiner Referenz. Nur bin ich nicht prominent, so daß eine Veröffentlichung erzwungen würde. Lustige Begebenheiten mit Kamera-Teams des ÖRRs auf Parteitagen werden nicht gesendet. Welcher Hofnarr auf Reisen macht sich auf der Jagd nach Idioten freiwillig selbst zu einem?

Auch Ihr Mangel an Aggressivität, Frau Sommerfeld, in der Debatte, muß wohl mit dem Selbstbild unserer konservativen Prominenten in unserer Gesellschaft zu tun haben. Hier fehlt es einfach an Kampfgeist. Als Interview-Partner sind unsere Prominenten alle ungeeignet. Sie hatten sich 2 Fragen der Inquisitorin schon vorab gedacht, Franz Bettinger, Lotta Vorbeck oder ich alle(!), so schwer ist das nicht, weil linker Schwachmatismus, die haben nichts auf der Pfanne, außer uns.
Erinnern Sie Sich an die Servus-TV-Sendung mit Broder und Kubitschek. GK hatte sich zwar relativ gut geschlagen, aber man bemerkte, daß er auf die Pappnasen, die Ihm und Broder gegenüber saßen, eigentlich überhaupt keinen Bock hatte, und Er befand sich auch die meiste Zeit, wie alle oben genannten auch, im Rechtfertigungs-Modus, wieso nicht im Angriffs-Modus?
Es kann in einem Interview oder einer Debatte immer nur ein Ziel geben. Den politischen Gegner in der Totalen zu zerlegen und ins publizistische Nirwana zu schicken. Aber das muß man, im Sinne Leni Riefenstahls oder Lawrenti Berijas, auch wollen. "Mit Rechten reden", auch Ihr Interview, Frau Sommerfeld, hat nur diesen einen Zweck. Warum nutzen Sie das angebotene Schlachtfeld nicht und optimieren es zu Ihren Gunsten? Etwa weil Sie Recht bekommen wollen? Warum nehmen Sie es Sich einfach nicht und fragen die Dame vom Hamburger Hetzer, welche ihrer Klamotten aus Deutscher - oder zumindest EU-Produktion stammen? Ist das Leder ihrer Schuhe in Europa zu Tarif-Löhnen gegerbt worden?
Und was Ihre Philosophen-Freunde angeht, so liegen die in der menschlichen Kommunikation wohl weitestgehend falsch. Schauen Sie doch mal nach dem Werk des kürzlich verstorbenen Bert Hellinger, (der Große Geist erleuchte Seine Seele).
Wenn Sie 5 Wochenenden lang Familien- oder System-Aufstellungen aktiv als Vertreter mitgemacht haben, können Sie die Gedanken und im Leben von fast jedem gegenüber, auch am Telefon lesen, ganz empathisch. Es aus Gewinnsucht zu nutzen, zerstört die Empathie. Die Kunst der Aufstellens im politischen Sinne zu nutzen, erachte ich als legitim.

(...)

Es geht also hier nicht um einen Werte-Kanon, es geht rein um die Kompatibilität unterschiedlicher Kulturen. Bei den meisten ist ein Zusammenleben in unserem Sinne, auch unserer linken Freunde, eben nicht möglich. Es kann sein, auch wenn es nicht darf.

Fuchs

17. Januar 2020 17:50

Vortrefflicher Artikel!
Wenn man, statt zu versuchen beide Pole in ein Gleichgewicht zu bringen, schlicht beim Unpersönlich-Logischen bleibt und in der Begegnung seine Meinung klar nennt, stellt man sein Gegenüber auf die Probe: Kann und will er mir auf dieser Ebene begegnen, oder ist er geistig Gefangener seiner eigenen Lebensentscheidungen und persönlichen Charakteristiken?
Man kann davon ausgehen das Jene, die diesen Test nicht bestehen ohnehin ein Fähnchen im Wind sind, welches sich je nach unmittelbarer und "unmittelbarer" (medialer) Umgebung dreht und wendet.

Natürlich ist der Versuch einer sinnvollen Synthese (dh. einer Synthese, die diesen Namen verdient und nicht bloß inkohärenter Zusammenwurf ist) praktisch sehr hilfreich (man muss weder seine eigene Meinung "zurechtbiegen" noch andere Menschen vor den Kopf stoßen), doch:
Ist es nicht grundlegend verkehrt, wenn der Starke, auf höherer Ebene Agierende sich dem Schwachen, auf die unterer Ebene Beschränkten, anpasst?

Ging der ursprüngliche Impuls zur Schaffung von Klassen-/Kastengrenzen unter Europäern (historisch wohl in der Bronzezeit bei den sog. Indo-Europäern zu verorten) nicht auf ein Bewusstsein für diese (und ähnlich geartete) Unterschiede zurück?

Stefanie

17. Januar 2020 20:13

Tja, was könnte man mit so einer frischgeschiedenen, arbeitslosen, lesbischen, indischen Adoptivmutter, die in ihren Beruf als Näherin zurückkehren möchte um krankenversichert zu sein, nicht alles besprechen. Man kann sich geradezu ausmalen, welche Wendung so eine Diskussion nehmen würde... , denn bei fiktiven Gesprächen mit StrohmännInnen von SpiegelreporterInnen bin ich immer ungemein schlagfertig. Während ich im echten Leben normalerweise sehr zurückhaltend bin, besonders bei Erstbegegnungen mit wildfremden Menschen, von denen ich nur eine vage Charakterisierung bekommen habe ("frisch geschieden", "arbeitslos", "wartet seit Monaten auf eine neue Hüfte") und denen ich für gewöhnlich nicht gleich meine politischen Ansichten über die Ursachen ihrer Malaise aufs Ohr drücke.
Diese Fragen geben vor, von der abstrakten in die persönliche Ebene zu wechseln, aber eigentlich sind die angeführten Personen keine Persönlichkeiten, sondern Abziehbilder, Klichees, Stereotype wie sie dutzendweise in Spiegelreportagen den Leuten vorgestellt und auf diese Art zur Realität gemacht wurden. Nehmen wir die z.B. Arbeitslosen: aus irgendeinem Grund glauben Linke, diese warteten nur auf eine Initiative der Bundesregierung, die diese"wieder in Jobs" bringt. Denn so läuft Wirtschaft im Spiegelland: die Politik schafft Arbeitsplätze, die Arbeitsplätze schaffen mehr Arbeit in der Verwaltung und dem Betreuungsgewerbe und schon steigt das Bruttosozialprodukt. Und was machen die Arbeitslosen?- Sie wählen AfD. Diese Abgehängten, schwer Vermittelbaren Ossis, die morgens ihre schwarz-rot-gold-bemützten Nachbarn mit Bierflasche in der linken Hand und erhobener rechten grüßen... - Und was man denen sagen würde, wenn man ihnen über den Weg liefe - das wissen SpiegelreporterInnen ganz genau, man kann seiner Leserschaft sogar Handlungsempfehlungen geben, wie mit diesen Exemplaren zu verfahren sei, wenn man Ihnen unterm Weihnachtsbaum begegnen sollte...
Man sollte sich nicht allzusehr den Kopf darüber zerbrechen, wie man sich von Linken idealisierten
Gruppen gegenüber verhalten würde. Oft genug entsprechen Sie diesem Ideal gar nicht und sind den eigenen Ansichten näher, als man denkt. Und falls nicht? Dann hat man einen Konflikt, der sich übers Reden alleine nicht entscheiden läßt. Es gibt auch unversöhnliche Situationen, die dann entweder durch Ausweichen oder die Machtfrage entschieden werden. Wahrscheinlich nicht von intellektuellen Frauen... Aber das war ja der Sinn dieser Fragen: Sie sollen in eine Rolle gedrängt werden, in der Sie entweder als Unmensch*In dastehen oder ihr Gesicht verlieren. Jedenfalls glaube ich nicht, dass es Ihrem Gegenüber um eine konkrete indische Näherin ging, die nebenbei noch ein Kind für ein westliches schwules Pärchen austrägt.

quarz

17. Januar 2020 21:51

Gibt es einen moralischen Grund, jemandem das Wissen vorzuenthalten, dass er Urheber einer verwerflichen Handlung oder Profiteur eines schädlichen Zustandes ist? Dass diese Frage nicht allgemein zu verneinen ist, lässt sich leicht anhand von Beispielen belegen. Einem, der gerade von der Brücke springen will, weil er einen schweren Verkehrsunfall verschuldet hat, soll man nicht erzählen, dass das Unfallopfer gerade an den Folgen gestorben ist.

Solche Fälle sind aber eher die Ausnahme als die Regel. Insbesondere dann, wenn das verwerfliche Handeln oder der schädliche Zustand sich perpetuiert und auch die Zukunft zu bestimmen droht, ist Opposition erforderlich und darf die Befindlichkeit der Verursacher kein dauerhaftes Hindernis sein. Auch die moralische Wahrheit ist dem mündigen Menschen zumutbar.

Wie aber kann man Menschen, die unter der Aufklärung über ihre unheilvolle Rolle leiden, möglichst schonend begegnen ohne die Vermittlung seiner eigenen Position aufzugeben? Ich empfehle die Einladung zur Erörterung. Wenn ich eine These öffentlich vertrete, habe ich auch ein Argument zur Verfügung, das diese These stützt. Und was liegt näher, als den von der Konklusion des Arguments Betroffenen, Erschütterten, Beleidigten oder Verunsicherten aufzufordern, uns mitzuteilen, wo das Argument seiner Meinung nach fehlerhaft ist.

Dadurch wird er zum Analytiker erhoben, dem wir auf ethischer Augenhöhe begegnen und ihm insofern die demütigende Rolle des Angeklagten ersparen. Er wird in den Salon der Abstraktion gebeten. Seine Befangenheit kann er an der Garderobe abgeben. Zugleich aber erschweren wir es ihm, sich argumentlos in die Schmollecke zurückzuziehen. Auf dieses Angebot einzugehen gebietet jedem mündigen Menschen sein Anspruch, als moralisches Subjekt ernst genommen zu werden. Wer auch hier noch versucht, den Vorrang seiner Kränkung vor dem Argument zu behaupten, der schwächt seine Position auch in den Augen vieler, die ihn zunächst noch verteidigt haben.

Wenn der Opponent nun Bereitschaft zeigt, sich der rationalen Erörterung zu stellen, aber keinen Fehler im Argument benennen kann, dann ist ein wichtiger Fortschritt erzielt. Zwar mag die Kränkung unvermindert bestehen, aber sie steht jetzt nicht mehr primär in Opposition zu einem Menschen, den man seinerseits wegen seiner mangelnden Rücksichtnahme kritisieren könnte, sondern zum Argument, dessen Autorität der Opponent durch sein diskursives Verhalten anerkannt und dessen Relevanz er durch seine fehlerdiagnostische Erfolglosigkeit eingeräumt hat.

nom de guerre

17. Januar 2020 21:54

Ein interessanter Artikel, aber ich frage mich, wieso für die Dame vom Spiegel das Thema der Vergewaltigung in der Ehe eines ist. Die Debatte über deren Strafbarkeit wurde vor über zwanzig Jahren zugunsten der Strafbarkeit entschieden, wieso möchte der Spiegel das aufwärmen?

Bei dem Schneider-Zitat, dem Sie offenbar zustimmen, würde mich interessieren, wie weit Sie dabei gehen würden. Hinsichtlich der Vergewaltigung in der Ehe lässt sich aus meiner Sicht sowohl für als auch gegen eine Strafbarkeit überzeugend argumentieren (wobei ich mich im Ergebnis dafür ausspreche), die Unantastbarkeit der Familie kann man dabei neben anderen Punkten vorbringen. Aber müsste man dann nicht letztlich auch jedwede Kindesmisshandlung der staatlichen Aufsicht entziehen, solange sie nur von den eigenen Eltern begangen wird? Kann Schneider das so gemeint haben? Dass Sie das so sehen, nehme ich nicht an, aber wie begründen Sie den Unterschied?

@ Fuchs
„Wenn man […] schlicht beim Unpersönlich-Logischen bleibt und in der Begegnung seine Meinung klar nennt, stellt man sein Gegenüber auf die Probe: Kann und will er mir auf dieser Ebene begegnen, oder ist er geistig Gefangener seiner eigenen Lebensentscheidungen und persönlichen Charakteristiken?
Man kann davon ausgehen das Jene, die diesen Test nicht bestehen ohnehin ein Fähnchen im Wind sind, welches sich je nach unmittelbarer und "unmittelbarer" (medialer) Umgebung dreht und wendet.“

Diesen Vorwurf könnte man durchaus umkehren und sich die Frage stellen, was aus dem „Unpersönlich-Logischen“ wird, sollte es jemals durch konkrete, die eigene Person oder Umgebung betreffende Lebensereignisse – das Leben ist nun einmal nicht abstrakt – auf die Probe gestellt werden. Im Übrigen macht man es sich m.E. zu einfach, wenn man die Beispiele, die Frau Sommerfeld bringt, durchgehend unter „persönliche Lebensentscheidungen“ subsumiert. Sich scheiden zu lassen, ist sicherlich eine Entscheidung, der Weg dahin im Allgemeinen dagegen eine Kette von – einseitigen oder gegenseitigen – Fehlern, die ich nicht zwingend als Entscheidungen bezeichnen würde. In der Ehe vergewaltigt zu werden, ist sicherlich keine „persönliche Entscheidung“, es sei denn, man sieht die Entscheidung darin, den falschen Mann geheiratet zu haben.

Der_Juergen

17. Januar 2020 22:51

@Stefanie

Ihr Kommentar zu diesem Beitrag ist unübertrefflich gut. An Caroline Sommerfelds Stelle hätte ich einer SPIEGEL-Reporterin ein Interview verweigert. Es geht diesen Leuten doch wirklich nicht um die Stringenz irgendwelcher Argumente, sondern einzig darum, Rechte, ob Männer oder Frauen, als Unmenschen, wenn nicht gar als Untermenschen darzustellen. Mit solchen erbärmlichen Lohnschreibern sollte man sich nicht gemein machen.

Zum Thema "Vergewaltigung in der Ehe". @Nom de guerres Argument, wonach jemand, der gegen ein solches Gesetz eintrete, auch Kindsmisshandlung im Namen der Elternrechte für straflos erklären müsse, halte ich nicht für stichhaltig, schon darum, weil sich Kindsmisshandlung sehr oft forensisch nachweisen lässt, Vergewaltigung in der Ehe aber nur selten und mit grösster Mühe. Da wird doch in aller Regel Aussage gegen Aussage stehen.

zeitschnur

18. Januar 2020 00:41

Ich bin bei Ihrer Unterscheidung, Frau Sommerfeld, erinnert an eine Unterscheidung aus der Kirche: die zwischen Sünder und Sünde. Es heißt oft, man liebe den Sünder, aber nicht die Sünde.

Nun ist die Situation, die Sie beschreiben, eine der härtesten Proben des Lebens. Wenn ich einmal kirchlich sprechen darf: Wer tief verstrickt ist in Sünde, der beharrt auch auf ihr und rechtfertigt sie. Er erträgt die Konfrontation mit der Objektivität nicht. Ja, es ist sogar ein Zeichen, dass hier schwere Sünde vorliegt, DASS man auf Infragestellung auf der objektiven Ebene sofort mit "Diskriminierungsvorwürfen" pariert. „Sage dem Narren die Wahrheit, und er wird dich hassen“, sagt das Sprichwort. Wäre sich derjenige subjektiv so sicher, dass er einer objektiven Einordnung seines Handelns standhielte, ohne höhnisch oder ausfällig zu werden, ohne sich "diskriminiert" zu fühlen, müsste man nicht befürchten, ihm gegenüber zum Zyniker zu werden. Das Dilemma ist für mich persönlich in solchen Situationen, dass der „Zynismus“ den anderen eigentlich auf Augenhöhe sehen würde, man ihn aber aufgrund des Empathiedrucks als infantilisiertes Mündel seiner Fehlentscheidungen ansieht, dem man nicht auf dem Niveau begegnen kann, das man selbst für angemessen hielte.

Manchmal könnte aber der „Zynismus“ der Auftakt zur Rekonstruktion der Würde sein. Nicht, dass ich immer recht hätte, wäre hier die Geste gegenüber dem anderen, sondern die, dass ich einstehe dafür, dass es eine Überschreitung der Subjektivität gibt, die der andere bei sich stillgelegt hat. Diese Überschreitung muss allerdings je selbst errungen werden. Nicht zuletzt macht auch das vielen Angst. Es ist bequemer, sich in Subjektivität treiben zu lassen. Man wird sich so zur Droge, zur Selfie-Droge.

Daher noch ein Gedanke: in der Suchthilfe gibt es den Begriff des Co-Süchtigen, dessen, der zwar selbst zB nicht säuft, aber den Säufer an seiner Seite in der Sucht stützt.
Wenn man also aus Bequemlichkeit und Gruppendruck sich auf die Seite der Empathie schlägt, ist man da uU ein Co-Süchtiger. Viele, die von einer Sucht geheilt wurden, sind heute noch demjenigen dankbar, der aus dem Co-System ausgestiegen ist und die objektive Rolle eingenommen hat.

heinrichbrueck

18. Januar 2020 00:55

@ quarz
Wenn zwei Demokraten miteinander diskutieren, liegt der Fehler darin, daß beide keine politische Macht besitzen. Wie bedient man einen demokratischen Kopf, der als Manipulationswerkzeug der Massenmanipulation ausgesetzt ist? Ist der normale Kopf in der Lage, dessen Hirn in einer Demokratie sozialisiert wurde, politisches Denken in der Art und Weise zu lernen, daß er die Wirklichkeit erkennen kann? Oder ist politisches Denken im Verhalten eher ein Vorhang, mit dessen Hilfe die Wirklichkeit verschleiert werden kann? Mal angenommen, ein Gespräch hätte die Wahrheitsseite bestätigt und die Gegenseite überzeugt. Was wäre dann gewonnen? Es liegen politisch immer noch beide falsch.

tearjerker

18. Januar 2020 01:20

„...aber ich frage mich, wieso für die Dame vom Spiegel das Thema der Vergewaltigung in der Ehe eines ist.“ Weil Frauen sich nun mal ständig darum bemühen, andere Weiber in die Ecke zu stellen und darauf verlassen können, dass die schiere Möglichkeit nicht durch die Bezugsgruppe akzeptiert zu werden ein weitaus grösseres Problem ist als irgendwelche „inhaltlichen“ Differenzen. Und was ist dann besser geeignet als die Solidarität unter Frauen abzufragen, sei es die indische Näherin bemühend oder eine strenge Regulierung des Zugangs zur weiblichen Primärressource einfordernd. Die Interviewerin weiss das und kann ja wie beschrieben auf die Empathie der Gegenseite bauen. Beide Seiten können einfach nicht anders.

Fuchs

18. Januar 2020 01:57

@ nom de guerre
Das "Unpersönlich-Logische" ist eben nicht "abstrakt", sondern die Essenz des Konkreten. Wer beispielsweise davon überzeugt ist, dass eine gewisse "Lebensweise" schlecht/widernatürlich sei und dennoch selbst zu jener neigt, nun, mit dem stimmt eben etwas nicht und er sollte Wege finden, seine eigenen Neigungen/"Begierden" zu verändern/loszuwerden, und nicht andersum (= die Ansichten den "Begierden" anpassen) - der platonische "eros" sollte dem "logos" untergeordnet sein.

Gracchus

18. Januar 2020 02:18

Wie immer: Ein bemerkenswerter Beitrag, der Fragen aufwirft, mit denen ich mich auch rumschlage - eben auch: ohne letzte Antworten.

1. Der SPIEGEL-Reporterin würde ich mit ironischen Rückfragen begegnen wollen. Das Problem der Fragen ist doch, dass sie konkrete Beispiele bringt, aber auf eine abstrakte Ebene zielt, wenngleich mir nicht klar ist, auf welche. Die Empathie, die sie aufruft, bleibt doch abstrakt.

2. Empathie: ja. Aber was folgt daraus? Dass ich dem, mit dem ich Empathie empfinde, willfahre oder ihn bestätige? In einem Film, dessen Titel ich vergessen habe, fiel der Satz: "Gott liebt dich, wie du bist. Aber weil er dich liebt, will er nicht, dass du so bleibst, wie du bist."

3. Einem Anwalt oder Arzt wird in der Regel nicht Zynismus vorgeworfen, wenn er dem Mandanten / Patienten die Wahrheit sagt. Und ein Anwalt darf ruhig Empathie empfinden, falls er dazu noch in der Lage ist, aber er darf sich, will er seinem Mandanten helfen, nicht davon einlullen lassen, er muss klar denken und eine realistische Lösung finden.

4. Nun geht es Caroline Sommerfeld um die Kommunikation von Mensch zu Mensch. Ich habe das Steiner-Skript nicht ganz durchgelesen, aber nach den ersten Seiten geht es ihm, so scheint mir, um den konkreten Menschen in der konkreten Situation. Deshalb sehe ich nicht unbedingt den Konflikt zwischen abstrakter Ebene und der Empathie mit einem Gegenüber. Wenn ich da vom Fühlen zum Denken wechsele, führt mich das nicht dazu, dass ich diese Person als Fall, Typus etc. betrachte; Steiner folgend, gilt es zu lernen, mit meinem Denken in der konkreten Situation zu bleiben.

Die Empathie mit einem Sozialhilfe-Empfänger könnte mich dann zu der Erkenntnis führen, dass er selber mit sich und seiner Situation unzufrieden ist oder sich schuldig fühlt, weil er nicht selbst für sich sorgen kann - auch wenn er die Schuld für seine Misere an andere adressiert.

Die Empathie mit der lesbischen Adoptivmutter könnte zu der Erkenntnis führen, dass sie sich selbst etwas vormacht, wenn sie glaubt, eine homosexuelle Verbindung sei dasselbe wie eine heterosexuelle, und dass ihr Kinderwunsch aus einem Kompensationsbedürfnis herrührt.

Was ich dann sagen würde, hängt wiederum von der konkreten Person und der konkreten Situation ab. Das ist eine ähnliche Zwickmühle, wie sie Sommerfeld beschreibt: Einerseits möchte die Person in ihrer Selbsttäuschung nicht bestätigen, andererseits will ich sie auch nicht mit meinen Eindrücken, dass sie sich etwas vormacht, konfrontieren, zumal wenn ich den Eindruck habe, sie sei nicht bereit dazu.

4. Den Schneider-Satz fasse ich als Verteidigung der konkreten Realität auf, die sich durch Abstrakta nicht einfangen lässt. Sollte nicht unser Glaube, mit Hilfe abstrakter, allgemeiner Normen lasse sich Ordnung herstellen, die Wirklichkeit regeln, auf den Prüfstand? Ich glaube zwar auch, dass Adoptivkinder am besten in einer stabilen heterosexuellen Beziehung aufwachsen. Aber im Einzelfall kann es auch anders sein. Anders gesagt: Es kommt nicht auf die abstrakte Norm an, sondern auf das Bewusstsein, das sich - so Steiner - nur in Freiheit bilden kann.

Maiordomus

18. Januar 2020 08:10

Wie das Zitat von Reinhold Schneider gemeint ist: „Die Familie ist geheiligt im Geheimnis. Hier ist kein Zutritt, für keine weltliche, geistliche, menschliche Jurisdiktion“?

@nom de guerre; Sommerfeld: Es ist möglich, dass Sommerfeld das Zitat von Reinhold Schneider aus einem Aphorismenband genommen hat, "Lektüre für Minuten"; den ich vor Jahrzehnten für den Insel-Verlag zusammengestellt habe und der eine hohe Auflage erzielte Ich erlaube mir deshalb, die Problematik etwas in den Kontext zu stellen.

Kommentar Sommerfeld: Da haben Sie recht.

"Die Familie ist geheiligt im Geheimnis" bedeutet bei Reinhold Schneider Rücklick auf seine Kindheit in Baden-Baden, u.a. dargestellt in den Büchern "Verhüllter Tag" und "Der Balkon", letzteres Buch ebenfalls von mir mit Nachwort als Insel-Taschenbuch wieder herausgegeben. Beide Aktivitäten liegen um 40 Jahre zurück. Der Inhalt der Reflexion von Reinhold Schneider (1903 - 1958), als dessen bedeutendsten Buch aus heutiger Sicht "Winter in Wien" einzuschätzen wäre, wie u.a. Ludger Lütkehaus, der wohl klügste deutsche Atheist, und Arnold Stadler, der mithin bedeutendste lebende katholische Autor fast gleichzeitig betonten, weil in diesem Buch keinerlei Verteidigungspositionen des Christentums mehr eingenommen werden.

"Die Familie ist geheiligt im Geheimnis." Dabei verwahrt sich Reinhold Schneider gegen äussere Jurisdiktionen weltlicher und geistlicher Art, wobei die katholische Kirche zwischen dem Frühmittelalter bis ins 20. Jahrhundert in dieser Hinsicht sich immer mehr Vollmachten aneignete, war doch früher eine gültige Eheschliessung noch ohne Mitwirkung eines Priesters möglich usw. Mit der Zeit kamen weitere Präzisierungen dazu, so das Verbot der Cousinenheirat, dessen Abschaffung durch das Zivilgesetz einiger Schweizer Kantone bie Beibehaltung im Kirchenrecht z.B. 1833 im Kanton Aargau eine Staatskrise auslöste. Ein Pfarrer, der eine solche Ehe (es gab noch keine Zivileher) nicht einsegnen wollte, wurde von der Regierung abgesetzt und durch einen liberalen Pfarrer ersetzt; als dieser eine solche Ehe einsegnete, wurde er vom Bischof abgesetzt. Der Streit setzte sich fort bis zur Einführung der Zivilehe in der ganzen Schweiz 1875. (Griechenland führte die Zivilehe auf Druck der EU erst 2015 ein, Italien und Spanien erst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts.) Was die Einmischung der Kirche in Ehe- und Familienangelegenheiten betrifft (schon zur Zeit von Heinrich VIII. höchst relevant und ein Hauptmotiv zur Gründung der anglikanischen Kirche), so ging das Kirchenrecht 1909 sogar so weit, dass nicht mal Verlobungen ohne Mitwirkung eines Priesters kirchenrechtlich von Relevanz sein konnten. Als Heiratsalter hat das ältere Kirchenrecht 12 Jahre für Mädchen, 14 Jahre für Jungen angegeben, was gemäss aber einem Schweizer Rechtsdokument von 1599 noch durch Dispens unterschritten werden konnte, selbst bei bürgerlichen Eheschliessungen, bei Königskindern usw. geschah dies ohnehin: Elisabeth von Thüringen wurde schon als fünfjähriges Kind zumindest symbolisch ihrem Gatten, ebenfalls noch ein Kind, ins Bett gelegt; das waren alles kirchliche Rituale, also Jurisdiktion; andererseits genügte gemäss einem St. Galler Dokument aus dem 9. Jahrhundert noch eine gegenseitige Vereinbarung von Vätern für die Eheschliessung, wobei diese freilich widerrufbar war, wenn nicht innerhalb eines Jahres Schwangerschaft eintrat. Das war germanische "Jurisdiktion".

Bei Reinhold Schneider kam aber für die genannte Aussage nebst seinem enormen Wissen über das Mittelalter (er schrieb auch eine Biographie über Elisabeth von Thüringen) noch und hauptsächlich seine private Perspektive zum Tragen: die äusserst unglückliche Ehe seiner Eltern, die mit Ehebruch, Konkurs, Selbstmord des Vaters verbunden war. Hier sah er durchaus auch, dass existentielle Probleme bloss mit Jurisdiktion nicht lösbar sind. Schliesslich muss noch der Satz von Reinhold Schneider, den der Schweizer Arbeiterschriftsteller Karl Kloter, dessen Vater Hotelportier war, noch aus dem Zusammenhang einer Wirtefamilie verstanden werden: "Wo die Fenster nicht geschlossen, die Türen nicht dicht sind, kann keine Familie sein. Ein Gasthaus ist nicht Heimat." Kinder, die auf diese Weise eigentlich in einem mehr öffentlichen oder halböffentlichen Raum aufwachsen, geniessen kaum familiäre Nestwärme, was heute natürlich nicht nur für Kinder von Wirten gilt. Ausserdem ist der Satz von Reinhold Schneider "Die Familie ist geheiligt im Geheimnis" aus "Verhüllter Tag" noch in den Kontext der Frage nach dem Erotischen in der Literatur zu setzen. Wie Reinhold Schneide ausführt, findet in Geschichten um Don Juan und Faust, männlichen Prototypen des Erotischen in der Literatur, die Familie gerade nicht statt beziehungsweise wird dieselbe in Faust, Der Tragödie Erster Teil, im Zusammenhang mit der Familie von Gretchen (Ermordung der behütenden Mutter durch Gifttrank) sogar zugunsten des Triumphs des Eros zerstört. Dabei fällt Reinhold Schneider auf, dass sich der Eros zu seinem Triumph regelmässig der Lüge bedient, zumal ausserhalb der Familie; wobei es aber auch innerhalb der Familie die Lüge gibt, nicht zuletzt oft die Lüge von der intakten Familie. Wobei jedoch Reinhold Schneider unter der "heiligen Familie" gerade nicht eine Familie von Heiligen versteht, sondern einen geheiligten Raum, in den die genannten Jurisdiktionen besser nicht eindringen sollten. Dies hat freilich auch Nachteile, siehe die zwar nicht von Reinhold Schneider geführte, aber in diesem Blog erörterte Frage nach der Vergewaltigung in der Ehe, auch die Frage von und nach Unrecht, das den Kindern von ihren Eltern geschieht, wobei die Blutschande bei allen Tabuisierungen schon immer als ein ausgeprägtes Verbrechen galt. Umgekehrt natürlich auch Vatermord und Muttermord, ferner Undankbarkeit gegen die Eltern, was nach altpersischem Recht mit Lebendigbegrabenwerden bestraft werden konnte. Die Unlösbarkeit der dramatischen Familiensituation wird u.a. im Gesamtwerk von Franz Kafka unglaublich plastisch dargestellt, wobei ich der Meinung bin, dass der Jurist Kafka dieses Problem nicht für rechtlich lösbar hielt.

Will man über alles ein bisschen vernünftig und rational nachdenken, durchaus im Sinne des Kulturphilosophen Reinhold Schneider, so müsste gelten: Im Zweifelsfall sollte die Jurisdiktion über die Familie eher zu wenig weit gehen als zu weit. Ich selber hätte als Politiker die jetzt nicht mehr zur Diskussion stehende Vergewaltigung in der Ehe nicht zum Offizialdelikt erklärt, sondern, wenn schon, als ausdrücklichen Grund einer Klage auf Trennung und/oder Scheidung. Wenn Vergewaltigung in der Ehe ein Offizialdelikt ist, stellt sich die Frage, ob und warum eigentlich nicht auch Ehebruch, oft mit ebenso traumatischen Folgen verbunden wie eine Vergewaltigung ein solches sein könnte? Es gibt Formen des Ehebruchs, die sich ähnlich traumatisch auswirken wie z.B. Vergewaltigung in der Ehe und weitere schwere Vergehen in der Familie. Es ist aber klar, dass, wenn Abtreibung und Ehebruch genau so strafbar wären wie heute Vergewaltigung, die Gefängnisse wieder mal voll auch von Einheimischen wären, bei enormem Erweiterungsbedarf. Ich betone nachdrücklich, dass ich dies nicht fordere, bloss theoretisch erörtere. Es ist nämlich eine rein ideologische Entscheidung, dass und warum Vergewaltigung Zuchthaus gibt, nicht aber Ehebruch und die Abtreibung, welche in jedem einzelnen Fall die Tötung eines Menschen darstellt, allerdings noch nicht die Tötung einer Person, weil die Personrechte (mit wenigen Vorbehalten, z.B. Aussetzung von Neugeborenen un d dergl.) voraussetzen, dass man als Glied der bürgerlichen Gesellschaft aufgenommen, anerkannt und registriert ist. Das Minimum scheint, dass man geboren wurde, vgl. die berühmte "Geburtlichkeit" nach Lütkehaus. Wobei diese Sache natürlich noch viel komplizierter ist als ich es hier ausführe. Nicht kompliziert ist jedoch der Befund, dass ein Fötus bzw. ein Embryo ein Mensch im vollen Sinne ist, im Falle einer drohenden Abtreibung mit sehr viel weniger Überlebenschancen als ein kräftiger männlicher Flüchtling, der über das Mittelmeer um fast jeden Preis die europäischen Sozialstaaten zu erreichen versucht. Es sind dies Gesichtspunkte, an die sich zumal die Verantwortlichen der Kirche wieder mal vergegenwärtigen sollten. Es ist klar, dass sie, würden Sie diesen absolut objektiven Verbund vergegenwärtigen, in Kreisen von Gender, Feminismus, Standardslinks und Standardlinksliberal als "voll Nazi" dastehen würden.

Der Satz "Die Familie ist geheiligt im Geheimnis" tönt etwas feierlich, bekräftigt indes auch Tabus und ist natürlich nicht ein Ausbund an Rationalität. Es bedarf weitestgehender Analysen, auch solcher, wie sie etwa auch ein Sigmund Freud unternommen hat. Bei genauerem Hinsehen kommen wir irgendwann bei jeder Gruppe zum Punkt, wo die Toleranz aufhört. Derzeit leben wir, etwa im Zusammenhang mit Gender usw, in der Aufbauphase einer neuen Religion, die sich aber zur Tarnung ihrer Religionsabsichten nicht so bezeichnet. Dass sich Caroline Sommerfeld dem ganzen Ernst dieser Debatte stellt, macht sie, wenn man es so sagen darf, zu einer engagierten Philosophin. Dabei läuft man nun aber doch voll daneben, wenn einer wie @Laurenz in diesem Zusammenhang mit der unmöglichen Mischung von Leni Riefenstahl und Lawrentij Berija aus der Mottenkiste kommt, wobei nur letzterer für diktatorische Lösungen rechtsgeschichtliche Bedeutung erlangte. Sie sehen, @Laurenz, dass für vernünftig proportionierte Kirchenkritik genaueste, auf Forschungen beruhende Detailarbeit vonnöten wäre.

Laurenz

18. Januar 2020 11:43

@Caroline Sommerfeld ..... nach dem Lesen der Kommentare hier, möchte ich noch etwas von den von mir nicht benannten Punkten etwas schreiben. "Vergewaltigung in der Ehe", sobald Körperlichkeit in einem Paar-Verhältnis nicht mehr einvernehmlich abläuft, ist dieses Verhältnis doch bereits beendet. Da ich mich zu der weitestgehend narzißtischen Mosaik-Rechten zähle, ist Gewalt, um Sex zu erhalten sowieso absurd. Ich erwarte, daß die Damen dieser Welt von selbst umfallen und um Sex betteln. Alles andere ist dann nicht erquicklich und schon gar nicht motivierend. Und Freudenhäuser existieren doch explizit für verheiratete Männer um die Mehrehe, die in unseren Knochen steckt, kostengünstig zu simulieren.
Körperlichkeit ist, wie Sie wissen, etwas Feinsinniges. Jegliches Verlassen eines schmalen Grats kann die Stimmung trüben, auch bei Männern. Und die Frage von männlicher Kraft beim Akt ist elementar. Ich konnte es tatsächlich nicht verhindern, einige Damen in meinem Leben näher kennen zu lernen, und keine wollte Blümchen-Sex. Ein Freund definierte dies mal so, "Frauen lieben im Bett die Gewalt von uns Männern, die sie außerhalb des Bettes an uns hassen". Auch der von vielen Frauen gewünschte Beschützer-Status von Männern ist natürlich in einem femininen inneren Widerspruch gefangen. Denn nur "gefährliche" Männer können auch beschützen. Die Gratwanderung zwischen Mann und Frau geht natürlich auch in den gesellschaftlichen Bereich hinein. Wenn feministische Organisationen, wie die "Straßen-Schlampen" publizieren, sie zögen ihre kurzen Röckchen nur für sich an, ist das natürlich gelogen. Ohne Männer, keine kurzen Röcke. Man(n)/frau kauft doch lieber bildende Magazine, inspiriert von den schönen Kleidern von Frau Kositza, als den Kartoffel-Säcken von Frau Schwarzer, da beißt die Maus auch keinen intellektuellen Faden ab. Die Frage, die sich hier in Wahrheit stellt, ist "welcher" Mann auf den kurzen Rock reagiert oder im Bett Kraft anwendet. Die heutige Gesellschaft überhöht die weibliche Erwartungshaltung an Männer, die dieser nicht mehr gerecht werden können, wie auch(?). Gerade im mittleren Management finden wir die kinderlosen Karriere-Frauen Ende 30, die keinen Mann finden. Männer binden sich auch sozial nach unten, solange die persönlichen, schlichten Bedürfnisse gestillt sind. Frauen hingegen, wollen sich meist sozial nach oben binden, ganz archaisch evolutionär. Aber mit 2 akademischen Abschlüssen und 3 Fremdsprachen einer Frau engt sich die Zahl der potentiellen Bewerber, die noch mehr zu bieten haben, arg ein. Dieses kleine Grüppchen von Männern kann sich aber ganz andere Frauen, als kleine Prokuristinnen oder Direktorinnen aussuchen, da wächst der selbstgemachte weibliche Frust. Auch die radikalsten Feministinnen der Deutschen Geschichte, die Damen der "Baader-Meinhof-Bande", ordneten sich freiwillig in den Harem des noch nicht mal intellektuellen Andreas Baader ein. Von daher ist Feminismus schlicht dummes Gequatsche, auch Feministinnen unterliegen unseren archaischen steinzeitlichen Normen. Da ist nichts mit einem sozialen Konstrukt.
Und die Frage nach Scheidung oder nicht, ist an Sie, Caroline Sommerfeld, als Frau (und nicht als Philosophin) natürlich richtig gestellt. Denn Frauen entscheiden in der Regel über Bindung oder Trennung. Männer wollen zwar gerne mehr als eine Frau haben, aber Trennungen sind uns unangenehm, zumindest solange wir nicht von frau gequält werden.
Natürlich, da gebe ich Ihnen Recht, hat der Staat dafür gesorgt, daß Eltern zuwenig Verantwortung für ihre eigenen Kinder übernehmen. In einer art-gerechten Welt, sterben Kinder, wenn die Eltern nicht in der Lage sind, ihre Kinder zu ernähren. Und menschliche Bindungen entstanden in den Eiszeiten deswegen, weil Frauen in diesen Perioden nicht in der Lage waren, Kinder alleine großzuziehen, wie sonst bei Säugetieren üblich und die Aufzucht menschlicher Brut auch zu langwierig wurde. In einer mehr selbst-verantwortlichen Gesellschaft würden Männer und Frauen mehr darüber nachdenken, mit wem sie sich binden. Denn Trennungen bedeuteten den Tod der Kinder. Eingedenk dessen, schrieb Platon seine Werke und befürwortete Euthanasie, Zeugungs- und Geburten-Kontrolle. Nach Platons Maßtäben wären natürlich auch Ihre Kinder betroffen, da Ihr Mann bei der Zeugung zu alt war. Hat Platon Recht oder Unrecht?
Ich frage das deswegen, weil Sie den Sozialstaat angreifen. Der Sozialstaat ist nichts anderes, als eine bombastische Vergrößerung der Familie. Und alle deutschen Juntas seit Willy Brandt bis heute haben den Sozialstaat massiv verraten, mißbraucht, was bei der Zerstörung der Familie, als Erfolgsmodell, auch nur eine logische Konsequenz darstellt. Der Fugger'sche Sozialstaat, oder die Krankenversicherung der Piraten Tortugas beinhalten eine Frage der Verantwortlichkeit von Eigentum. Eigentum, im Extremfall feudale Schlösser, Kathedralen, werden mit weniger Freiheit des einzelnen bezahlt. In der archaischen germanischen Stammes-Kultur gab es, im Gegensatz zu den Kelten, weder Burgen noch Städte, aber man war frei und zahlte keine Steuern. Militärische oder kulturelle Gemeinschafts-Projekte, wie zB Philosophen-Karrieren, werden von allen mit mehr Unfreiheit bezahlt, zu Recht oder zu Unrecht?

Monika

18. Januar 2020 13:29

Hallo! Wer schaltet einen solchen Kommentar frei wie den letzten von @ Laurenz ???
(Frau Kositza, waren Sie das, Sie Schlingeline ? Oder eine Ihrer Töchter, die sich jetzt totlacht ? )
Dieser Kommentar bestätigt alle, aber auch alle Klischees über das Frauenbild frustrierter, alter, weißer Männer.
„Ich erwarte, dass die Damen von selbst umfallen und um Sex betteln.“ 😲😲😲
Eher fallen die Damen um vor Lachen.

zeitschnur

18. Januar 2020 14:26

@ Maiordomus

"Wenn Vergewaltigung in der Ehe ein Offizialdelikt ist, stellt sich die Frage, ob und warum eigentlich nicht auch Ehebruch, oft mit ebenso traumatischen Folgen verbunden wie eine Vergewaltigung ein solches sein könnte? Es gibt Formen des Ehebruchs, die sich ähnlich traumatisch auswirken wie z.B. Vergewaltigung in der Ehe und weitere schwere Vergehen in der Familie. Es ist aber klar, dass, wenn Abtreibung und Ehebruch genau so strafbar wären wie heute Vergewaltigung, die Gefängnisse wieder mal voll auch von Einheimischen wären, bei enormem Erweiterungsbedarf. Ich betone nachdrücklich, dass ich dies nicht fordere, bloss theoretisch erörtere. Es ist nämlich eine rein ideologische Entscheidung, dass und warum Vergewaltigung Zuchthaus gibt, nicht aber Ehebruch und die Abtreibung, welche in jedem einzelnen Fall die Tötung eines Menschen darstellt, allerdings noch nicht die Tötung einer Person, weil die Personrechte (mit wenigen Vorbehalten, z.B. Aussetzung von Neugeborenen un d dergl.) voraussetzen, dass man als Glied der bürgerlichen Gesellschaft aufgenommen, anerkannt und registriert ist."
___________________

Ihre Erwägung führt vor Augen, dass es im Abendland nie eine Zeit gab, in der das heilige Geheimnis der Familie nicht in irgendeiner Weise ideologisch und in Folge juristisch entzaubert wurde.
Christlich würde man sagen: der gefallene Mensch kann das Geheimnis ja nicht leben, er entweiht es ja selbst durch all das, was Sie da oben aufführen, was real und schmerzlich ist, fast jeder kennt es irgendwie. Brutale, nichtsexuelle, feststellbare Gewalt der Eltern, meist des Vaters gegen die Kinder, aber auch die Frau, sind dabei noch gar nicht thematisiert.
Ergo, würde einer christlich weiter argumentieren, muss auch der Mensch in der Familie geschützt werden vor dem Wolf, der der Mensch dem Menschen ist. Es bedarf des Königs, frei nach Hobbes.

Ich finde es eigentümlich, dass Schneider anhand der Familie sowohl den Schwerpunkt des Wölfischen als auch den des (irdisch verstandenen) Königlichen hier plötzlich, für einen kurzen Moment, aussetzt. Er, der von einem Monarchismus ohne Reaktion träumte.
Man könnte das als Hinweis darauf verstehen, dass in der Familie die heilige Ordnung erahnt werden kann, die im Garten Eden galt: Gott bewegte sich in der Abendkühle unter den Menschen, die sich gegenseitig und die Schöpfung durchströmen, umschließen und überfliegen und unterlaufen ohne Reibung und Bemächtigung, die Trauben wuchsen dem, der sie finden sollte, in den Mund, oder machten ihm Platz, wenn er sie nicht brauchte, damit er an ihnen vorbeischreiten konnte, alles war ausgeruht.

Jesus aber sah in der Familie den äonischen Urgrund für das Verharren in und das Weitergeben der Verkehrtheit: "Wer sind meine Mutter und meine Brüder?" "Meine Mutter und meine Brüder sind die, die den Willen des Vaters tun." -
"Wer Vater und Mutter nicht verlässt um meinetwillen, ist mein nicht wert!" Wobei hier aber wieder - und so schließt sich der Kreis - ein Anklang an Gottes Schöpferwort über dem Mann hörbar wird: Ein Mann wird Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhängen. Der in der familiären Macht Gebundene muss sich lösen aus ihr und der Frau, hier steht interessanterweise dann die Frau für die Rolle des Christus, folgen.

Der heilige Raum der Familie Schneiders knüpft daher eher an das Wort Jesu an, dass der, der um seinetwillen Eltern und Kinder verlässt, schon hier, im "Schon" des "Noch nicht", Brüder, Schwestern, Mütter, nota bene aber: keine Väter (denn wir sollen außer den Vater im Himmel niemanden mehr als Vater ansehen) erhält.
Sein Unbehagen, diesen bereits vorgezeichneten heiligen Raum der neuen Menschheitsfamilie zu verrechtlichen, entlarvt die historischen wie aktuellen antichristliche Richtung des letztendlich symbolischen Eingriffs ins Geheimnis.
Interessant war dabei Ihre Beschreibung älterer Ein- und Übergriffe in unserer Geschichte. Wenn ich auch sonst mit vielem, was die Kirche meinte definieren oder festsetzen zu sollen, nicht mehr mitkann, finde ich nach wie vor die katholische Konzeption des Ehesakramentes, die in Trient definiert wurde, insofern vollkommen, als sie ausdrücklich nicht die Kirche als Spenderin des Sakramentes ansieht, sondern die Braut und den Bräutigam, die sich gegenseitig das Sakrament spenden, die Kirche assistiert dem nur, besteht aber seit Trient darauf, dass diese Assistenz geschehen müsse. Zuvor gab es tatsächlich Privateheschlüsse, und sie waren gültig. Man kann aber die kirchliche Intervention auch positiv sehen, weil sie die Übergriffe irgendwelcher Väter über ihre Kinder damit abstellte und ins Zentrum rückte, dass nur die Ehe gültig ist, die sowohl der Mann als auch die Frau bewusst und willentlich als Ehe (nicht irgendwelches vages Gesexe wie heute meist oder aber Vermögensgeschacher der Familie wie früher oft) eingeht.

nom de guerre

18. Januar 2020 15:35

@ Der Juergen

„Zum Thema "Vergewaltigung in der Ehe". @Nom de guerres Argument, wonach jemand, der gegen ein solches Gesetz eintrete, auch Kindsmisshandlung im Namen der Elternrechte für straflos erklären müsse, halte ich nicht für stichhaltig, schon darum, weil sich Kindsmisshandlung sehr oft forensisch nachweisen lässt, Vergewaltigung in der Ehe aber nur selten und mit grösster Mühe. Da wird doch in aller Regel Aussage gegen Aussage stehen.“

Hier scheinen Sie mich missverstanden zu haben. Ich bezog mich darauf, dass als Argument gegen ein solches Gesetz auf die Unantastbarkeit der Familie verwiesen wird. Das Beweisproblem sehe ich durchaus auch, ebenso wie die Gefahr, dass entsprechende Vorwürfe als Waffe für einen Scheidungs-/Sorgerechtsprozess missbraucht werden.

@ Fuchs

„Wer beispielsweise davon überzeugt ist, dass eine gewisse "Lebensweise" schlecht/widernatürlich sei und dennoch selbst zu jener neigt, nun, mit dem stimmt eben etwas nicht und er sollte Wege finden, seine eigenen Neigungen/"Begierden" zu verändern/loszuwerden, und nicht andersum“

Aber bspw. Harz-IV-Empfänger zu sein, ist doch keine Neigung, sondern (sofern man die Betroffenen nicht pauschal als Faulenzer bezeichnen will, womit ich angesichts des schon beginnenden wirtschaftlichen Abschwungs vorsichtig wäre) Ergebnis der Wechselfälle des Lebens. Nun kann man abstrakt der Ansicht sein, dass Sozialleistungen die „Verhausschweinung“ fördern. Konkret haben wir aber eine gesellschaftliche Situation, in der familiärer Rückhalt, der etwa eine längere Arbeitslosigkeit abfedern kann, eher die Ausnahme darstellt und auch Ersparnisse bei vielen Menschen nicht vorhanden sind. In dieser Lage den Sozialstaat abzuschaffen – um das Gedankenspiel konsequent fortzusetzen –, würde vielleicht der Verhausschweinung entgegenwirken, allerdings auf Kosten der Schwächsten. Wäre damit etwas gewonnen? Darf man das?

@ Maiordomus

Ich danke für die ausführliche Einordnung (insbesondere die Zielrichtung des Zitats gerade auch gegen Eingriffe der katholischen Kirche in die Familie war mir nicht klar), auch wenn meine Ausgangsfrage damit nicht beantwortet wird.

„Hier sah er [Schneider] durchaus auch, dass existentielle Probleme bloss mit Jurisdiktion nicht lösbar sind. […] Die Unlösbarkeit der dramatischen Familiensituation wird u.a. im Gesamtwerk von Franz Kafka unglaublich plastisch dargestellt, wobei ich der Meinung bin, dass der Jurist Kafka dieses Problem nicht für rechtlich lösbar hielt.“

Das sehe ich auch so. Die Justiz kann – im Idealfall – den Rechtsfrieden wiederherstellen, etwa indem ein Räuber bestraft wird. Die Traumatisierung des Opfers wird durch ein solches Urteil dagegen nicht aufgehoben, und in den Verwicklungen persönlicher Näheverhältnisse, vor allem bei Familien, kann ein Gerichtsverfahren unbestreitbar nur einen kleinen Teilbereich der Problematik adressieren. Dennoch muss m.E. eine vergewaltigte oder misshandelte Ehefrau zumindest die Möglichkeit haben, sich an die Justiz zu wenden, ebenso wie bspw. gewährleistet sein muss, dass misshandelte Kinder vor ihren Eltern geschützt werden können; unbeschadet dessen sollte der Staat aber in der Tat möglichst wenig in Familien eingreifen.

„Es ist nämlich eine rein ideologische Entscheidung, dass und warum Vergewaltigung Zuchthaus gibt, nicht aber Ehebruch und die Abtreibung[.]“ Auch hier kann ich nicht widersprechen. Dies, also die rein ideologische Natur der gesetzten Prioritäten, gilt allerdings auch für frühere Zustände, in denen Abtreibung und Kindsmord (letzterer in neuerer Zeit unter bestimmten Umständen privilegiert gegenüber gewöhnlichem Mord) selbstverständlich strafbar waren, mit der gleichen Selbstverständlichkeit aber ledige Mütter und ihre Kinder aus der sozialen Gemeinschaft ausgestoßen werden konnten (s. das von Ihnen erwähnte Gretchen im Faust, welches ja nicht aus angeborener Verderbtheit zur Kindsmörderin wird).

micfra

18. Januar 2020 20:19

Sehr geehrte Frau Sommer,

ist das Denkproblem nicht das gleiche, das Arnold Gehlen in Moral und Hypermoral beschreibt und in seiner Forderung einer pluralistischen Ethik?

Maiordomus

19. Januar 2020 07:20

@nom de guerre. Ich "unterschreibe" Ihre Präzisierungen voll. Es geht in der Tat um die sowohl rechtsphilosophischen wie auch rechtsgeschichtlichen Hintergründe des Rechts: vgl. Mephisto in Goethes Faust "Es erben sich Gesetz und Rechte/Wie eine ewige Krankheit fort..." usw. Die Kindsmörderinnenprozesse früherer Zeiten müssen beileibe nicht verteidgt werden!

Es bleibt nun aber eigentlich unentbehrlich, dass die sog. "letzten Gründe" erörtert werden, was z.B. bei Menschenrechtsdebatten von grosser Bedeutung wäre. Richter in Strassburg und den Haag ohne diese Hintergründe wären eigentlich nicht brauchbar; es ist auch klar, dass etwa die Ernennung von Bundesrichtern in den Vereinigten Staaten von unvergleichlichem politischem Gewicht ist; allenfalls mit Papstwahlen (sofern der Papst ernst genommen wird) in Relation zu setzen. Bei Gerichtsurteilen letzter Instanz stellt sich nämlich das "Unfehlbarkeitsproblem", wie es Joseph de Maistre in seinem Buch "Du pape" (1819) dargestellt bzw. gemeint hat. Aus Sicht des gemeinen Menschenverstandes ist der Papst theoretisch mindestens so fehlbar, allenfalls "fehlbarer" als kluge Theologen wie Augustinus, Thomas von Aquin oder Karl Rahner. Aber praktisch ist er in der Entscheidungsgewalt, Diskussionen zu beeenden, Rechtsfrieden und Identität zu bestätigen, unter gewissen Bedingungen, "ex cathedra", unfehlbar. Wobei immerhin zum Beispiel die umstrittene Enzyklica "Humanae vitae" von Papst Paul VI. diesen Anspruch nicht erhebt. Als eine Aussage gegen die damals aufkommende Ideologie von 1968, also Kritik am westlichen Mainstream-Denken, war das Dokument, wie überhaupt prinzipienethisch, eindrucksvoll. Für den Rest der Welt, z.B. für die damals neu so genannte "Dritte Welt" war es wenig hilfreich.

Man beachte noch, was ich in meinem obigen Koreferat geschrieben habe über den Trend der Kirche, vom Frühmittelalter bis ins 20. Jahrhundert und später schrittweise immer mehr sich in das gemäss Reinhold Schneider "geheiligte Geheimnis der Familie" einzumischen, wobei dies freilich schon beim Apostel Paulus angefangen hat. In der katholischen Kirche wurde das Problem dann freilich mehr und mehr verrechtlicht.

Es bleibt dabei, dass für Debatten über Grundlagen des Rechtes etwa ein Carl Schmitt, bei all seinen Umstrittenheiten, objektiv eine ähnliche Bedeutung erlangt hat wie etwa der nicht minder umstrittene Karl Marx (zusammen mit dem eher noch klügeren Friedrich Engels) in den Fragestellungen, auf die heute der sogenannte Kulturmarxismus Antworten zu geben versucht. Um was es nun mal bei den letzten Gründen des Rechtes geht, hat aber kaum einer klarer zu machen verstanden als Carl Schmitt. Wer Carl Schmitt verstanden hat und dabei dennoch "freiheitlich" bleiben will, gelangt wohl zur Auffassung, siehe oben meine Ausführungen zur Familie, dass man nicht alles verrechtlichen kann und vor allem, dass man nicht alles verrechtlichen soll. Dies bedeutet nach Reinhold Schneider, in der menschlichen geschichtlichen Existenz Tragik zuzulassen, welche stets mit unlösbaren Problemen und Dilemmata im Zusammenhang steht.

Maiordomus

19. Januar 2020 08:34

@Zeitschnur. Ihre Ausführungen sind nicht ohne Tiefsinn. Da hätte Ihnen Reinhold Schneider, verstorben in Freiburg am Ostersonntag 1958, wohl direkt antworten müssen. Man müsste wohl von seinem Begriff der Tragik aisgehen, der schon vorchristlich ist, so wie Schneider im gleichen Text, den Sommerfeld zitierte, den Eros "einen tragischen heidnischen Gott" genannt hatte. Die Tragik in der Familie ist bekanntlich, wie Sie wissen, der Gegenstand der Orestie von Euripides, bereits bei Aeschylos fürchterlich dargestellt, schauen Sie sich mal auf youtube den Film "Elektra" mit der noch jungen Irene Papas in der Titelrolle an, wie sie ihre abgeschnittenen prächtigen langen Haare auf das Gestein des Tempels schmeisst. Eine grandiose Aufführung mit der Übersetzung von Kurt Steinmann wurde 2017 in Darmstadt gegeben. Mit der Tragik meint Reinhold Schneider, in diesen Perspektiven nicht unähnlich Hebbel, Schopenhauer und Kafka Probleme, die, _derjürgen scheint es erfasst zu haben, nunmal von keiner Jurisdiktion einholbar sind, wiewohl gerade in der Darmstädter Inszenierung am Ende das Recht verkündet wurde, wobei es aber gemäss dem Regisseur nicht um Agamemnon und Orest ging, sondern um Donald Trump, was aber glücklicherweise sich aus der Aufführung nicht ergab, bloss aus der nachträglichen Kommentierung in der Debatte nach der Premiere. Eine Bestätigung des Wortes von Sokrates, dass Künstler sehr oft nicht in der Lage sind, zu verstehen oder gar zu erklären, was sie machen (womit die Aufführung gerettet blieb). Meines Erachtens sollten grosse literarische Texte, zumal etwa griechische in der Übersetzung Steinmanns, heute eher gelesen werden, weil Aufführungen schnell mal einseitig dem Zeitgeist verhaftet bleiben. Aber an Sie @Zeitschnur: es handelt sich in der Tat um das hier, in dieser Debattentextsorte mit politischer Priorität, nicht ausreichend zu erörternde Problem des Tragischen, worüber sich beispielsweise in der Existenzphilosophie des 20. Jahrhunderts Reinhold Schneiders Anreger Miguel de Unamuno noch tiefsinnig ausgelassen hat. Wenn Sie das Tragische durch das Pathologische ersetzen und dennoch auf eine Weise begreifen wollen, müssten Sie es über Freud und Kafka weiterverfolgen.

Noch zur Präzisierung der Erörterung vom 18. Januar 08.
10 Uhr zum von Caroline Sommerfeld und mir kommentierten Text von Reinhold Schneider betr. Jurisdiktion über die Familie, aus "Lektüre für Minuten", Suhrkamp Verlag 1980:

"Nicht kompliziert ist jedoch der Befund, dass ein Fötus bzw. ein Embryo ein Mensch im vollen Sinne ist, im Falle einer drohenden Abtreibung mit sehr viel weniger Überlebenschancen als ein kräftiger männlicher Flüchtling, der über das Mittelmeer um fast jeden Preis die europäischen Sozialstaaten zu erreichen versucht. Es sind dies Gesichtspunkte, die sich zumal die Verantwortlichen der Kirche wieder mal vergegenwärtigen sollten. Es ist klar, dass sie, würden sie diesen absolut objektiven Befund (nicht "Verbund") sich vergegenwärtigen, in Kreisen von Gender, Feminismus, Standardslinks und Standardlinksliberal als 'voll Nazi' dastehen würden. "

Gustav Grambauer

19. Januar 2020 08:39

Anregung zu einem kleinen Gedankenexperiment:

1. Würde man ohne Kategorische Imperative, die nichts als Fiktionen, "Konstruktionen" sind, und damit ohne im Ober- oder Unterstübchen laufende üble Bots wie "also, wenn das jetzt alle machen würden" überhaupt in solche Zwickmühlen kommen?!

2. Wie würde sich das Verhältnis zu sich selbst und zur Welt verändern, wenn man sich einfach von allen Kategorischen Imperativen und sogar insgesamt von allen fiktionalen Denkfiguren losrieße? (Gut, "Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer", zumal womöglich, wenn man mit "Wie moralisch werden?" zu Kant dissertiert hat ...)

Aber wäre dieses Losreißen nicht csqn des "Trainings mit einem Gott"?!

- G. G.

links ist wo der daumen rechts ist

19. Januar 2020 08:52

Abstraktion gegen Einfühlung

Interessant finde ich das „Setting“ (unmögliches Wort) der erwartbaren Fragen einer Spiegel-Journalistin mit der Verknüpfung des aufgesparten Fragenstapels.
Erstere folgen in ihrer Glatteis-Logik in etwa dem Schema: Wie antworte ich auf den Vorwurf des Rassismus. Und das haben wir doch schon hundertmal durchgekaut:
„Sie sind Rassist!“
„Sie nicht?“
Hier gelänge also die Ironisierungsstrategie, während sie etwa in der „Frage des Frauenwahlrechts“ keine absolute Unterbrechung (Parekbase) bewirkt, sondern im schlimmsten Fall nur die eigenen Vorwegannahmen torpediert, Stichwort: Volksabstimmung in Ö über die Wehrpflicht. Frauen über 50 waren via Zivildienst-Argument ausschlaggebend für die Beibehaltung; im Gegenzug wäre ich für eine bedingungslose Wehrpflicht für Frauen.

Interessanter finde ich aber den – ohne äußeren Druck - gestifteten Zusammenhang des Fragenstapels: lesbische Adoptivmutter, Scheidungsproblematik, Sozialhilfeempfänger.
Versetzen wir uns kurz in die Lage, es gäbe einen rechtsliberal-nationalkonservativen Mainstream. Wie würden typische Fragen aus einem imaginären Stapel eines linken Dissidenten lauten?
So in etwa:
Sollen wiederverheiratete Katholiken sofort exkommuniziert werden? Entfernen Sie Ihre Kinder umgehend aus dem erzkatholischen Internat, wenn Mißbrauchsvorwürfe eines Pfarrers bekannt werden? Ist die Existenz einer rechten Subkultur mit schwulen Dandys und lesbischen Karrieristinnen mit rechten Familienwerten vereinbar?

Man sieht: Auf weitergedachte Suggestivfragen folgt keine ironische „Parekbase“, es folgen Selbstimmunisierungsstrategien.
Der Zynismus höhlt den Zahn aus, die schlecht sitzende Plombe nennt sich Empathie.
Am Ende winkt – lokalbetäubt - nicht die Synthese, sondern die Metaebene, und die steht ganz unironisch schon fest: „Links ist giftig, rechts ist richtig.“

Den Umweg über die nicht zufällige Anspielung auf Worringers „Abstraktion und Einfühlung“ finde ich dabei erhellend.
Worringer geht es genau nicht um eine Vermittlung zwischen Positionen, sondern um den einseitigen Hang zur Abstraktion als typisch deutschen Wesenszug. Man vergleiche dazu etwa die (leicht wertende) Skizzierung der Kunstdebatten dieser Zeit in Peter Ulrich Heins „Die Brücke ins Geisterreich“ (Rowohlt TB, 1992). Ja wie läßt sich denn das ganze Ideenkonglomerat aus „Okkultismus“, Theosophie, „nordisch-gotischer Kunst“, „faustischer Seele“, Tiefgründigkeit usw., das gegen die westliche Zivilisation aufgeboten wurde, anders verstehen?
Warum sind die „Betrachtungen eines Unpolitischen“ nicht nur Götz Kubitscheks Lieblingsbuch?
Natürlich hat sich dieses Konglomerat in Richtungen entwickelt, die so nicht beabsichtigt waren (Hein akzentuiert hier sehr einseitig), aber wenn nicht der Hang zum ewigen Transzendieren, was soll denn dann typisch deutsch sein. Selbstimmunisierung?
@ zeitschnur hatte ja dazu vor kurzem die passenden Rudolf-Steiner-Zitate geliefert („Deutscher wird man…“).

Aus der Sicht eines amerikanischen Konservativen (Allan Bloom in „Der Niedergang des amerikanischen Geistes“) lautet die Analyse dieses deutschen Vermächtnisses so: die Trias Nietzsche-Weber-Freud hätte einen allgemeinen Werterelativismus inkl. Ich-Zersplitterung zu verantworten, die in der deutschen Variante zu einer Selbstermächtigung des Volkes (meine Zuspitzung), in der amerikanischen Variante zur Blüte einer durchanalysierten Gesellschaft aus Konformisten geführt hätten.
Zitate:
„… das Markenzeichen „echt deutsch“ ersetzte man durch „made in USA“, und das neue amerikanische Lebensgefühl erweist sich, sieht man nur richtig hin, als eine Disneyland-Version der Weimarer Republik für die ganze, brave Familie.“
„Wenn man den Charakter und die Intention von Talcott Parsons mit denen Max Webers vergleicht, dann hat man eine Vorstellung von der Kluft zwischen dem Kontinent und uns. In Parsons erkennt man, wie Weber zur Routine gemacht worden ist.“
Die ersten Umerziehungsopfer waren also die Amis und die doofen Deutschen waren 1933 bloß falsch abgebogen.

Gegen diese konservative Sichtweise von jenseits des Atlantiks und gegen neurechte Selbstimmunisierung, die natürlich zugleich Selbstaffektion ist (ein Forist hat vor kurzem gemeint, uns bliebe keine Zeit mehr, wenn die Hütte brennt; lieber Freund: die Hütte haben bereits die eigenen Leute abgefackelt, jetzt kommen halt auch Ungebetene und wir versuchen uns in den Trümmern zurechtzufinden), biete ich – wieder einmal - meine Lesart:
Weniger gewissensberuhigende Aussicht auf eine Synthese als vielmehr auszuhaltende Polarität (meinetwegen wie von Walter Hueck populärwissenschaftlich beschrieben) oder ein „reaktionär"-melancholisches Loblied auf die Entropie.

Ulrike

19. Januar 2020 09:11

Vor über 30 Jahren führte der SPIEGEL ein Gespräch mit dem Verhaltensforscher Konrad Lorenz über die Zukunft der Menschheit. Zitate aus diesem Gespräch: "Ich glaube, die Einsicht in die eigene Begrenztheit ist Voraussetzung für das Weiterleben des Menschen. ...
...die Verhausschweinung ist eine Triebverflachung, ein Überwuchern niedriger Triebe; es gibt dabei Menschen, die nur an Fressen und Begattung denken. Die Unlustvermeidung kann dazukommen, beides kombiniert sich leicht...
Wir sind mit dem Genom - den Erbanlagen - eines Spätsteinzeitmenschen geschlagen, und wir müssen uns damit abfinden. Das heißt aber nicht, daß wir unsere primitiven Triebe nicht steuern oder unterdrücken können...
Wer alle Unlust meidet, meidet auch das höchste Glück. Das Licht braucht Schatten: Zur Freude, die man beim Klettern empfindet, wenn man oben angekommen ist, gehören die zerschundenen Hände - leider sieht diese Welt das nicht ein."
https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13530460.html

Gibt es heute tatsächlich Gründe, mit dem SPIEGEL ein Gespräch zu führen?

Maiordomus

19. Januar 2020 10:34

@Gustav Grambauer. Über gewisse Regeln und deren überpersönliche und überindividuelle regulierungstaugliche und zumindest in schweren Fällen sanktionsfähige Gültigkeit, ob ethisch oder juristisch, wird es immer notwendige und in diesem Sinn auch legitime Debatten geben. Darüber konnte auch ein Moralkritiker wie Nietzsche nicht hinweghelfen.

Gustav Grambauer

19. Januar 2020 11:49

Maiordomus

Ihr Einwand erinnert mich an diejenigen, die geltend machen, daß man seine Ernährungsweise wegen der "naturgegebenen" Gebißform nicht verändern dürfe. Der freie Mensch aber begrüßt, daß er mit seiner frei gewählten Ernährungsweise zugleich Gestalter bzw. Umgestalter seines Gebisses ist.

Es gibt keine andere Möglichkeit, den ethischen Individualismus

https://anthrowiki.at/Ethischer_Individualismus

einzuführen, und ich gehe davon aus, daß dies ein Anliegen von Frau Sommerfeld ist, als ihn eben einzuführen, von allein führt er sich nicht ein. Machen Sie sich hierbei mal keine Sorgen über ein Rechtsvakuum. Genau in dem Maße, in dem der ethische Individualismus erblüht, dürfen und werden die Regeln obsolet werden. Sowieso müssen wir uns keine Sorgen darüber machen, daß den Apparaten und Apparatschiks ihre Fluten an Regeln abhandenkommen kommen könnten.

- G. G.

zeitschnur

19. Januar 2020 11:49

@ Maiordomus

Meinen "Tiefsinn" haben Sie aber irgendwo in den falschen Dateiordner verschoben, pardon. Mir ging es nicht um einen Begriff bzw nicht den klassischen Begriff des Tragischen. Trotzdem danke für Ihre Antwort, die natürlich wie immer belesen und luzide kommt, aber auch ein bisschen lehrerhaft.

Schneider war ein christlicher Denker, daher deutete ich seine Äußerung auch von daher.

Ich würde den gefallenen Zustand der Welt nicht im aristotelischen Sinne als tragisch bezeichnen. Mir liegt eine solche Auffassung viel zu sehr im Theatralischen und Pathetischen, bei dem Mitleid in einen Objektivierungsprozess (zur Erhabenheit hin) führen soll. Das ist trotz des Anscheins einer Ähnlichkeit aus mS doch etwas anderes:

In den verdorbenen, gefallenen Strukturen ist nicht nur die einstmals gute Schöpfung noch erkennbar, sondern der Rachamim-Gott, der Gott des Erbarmens, gibt dem Menschen in und trotz der Verkehrtheit Lichtzeichen für die Erlösung und eine neue Schöpfung im Verkehrten, das damit aber zugleich transzendiert wird.
Das bedeutet hinsichtlich des heiligen Raums der Familie: sie war einst gut geschaffen ("Wachst und mehrt euch"), ist Ausgangspunkt der Verkehrtheit, und zugleich beleuchtet die Gnade in ihr die zukünftige Herrlichkeit von ferne.

Es ist nicht de Tragischen verwandt, sondern dem Dornbuschereignis: Mose steht in der Wüste vor einem Dornbusch, einem der vielen brennenden Dornbüsche, die es dort gibt (man hat mir erzählt, dass sie sich dort tatsächlich in der Öde selbst entzünden und abfackeln können), aber plötzlich erkennt er in diesem destruktiven Feuer: es ist jetzt gewendet und konstruktiv, denn diesmal verbrennt der Busch nicht. Es ist heiliges Feuer, es ist Göttliches. Der Boden, auf dem er steht, der Boden der Ödnis und Unfruchtbarkeit wird plötzlich zum heiligen Boden, Gott heißt ihn die Schuhe auszuziehen und direkte Fühlung mit dem Heiligen aufzunehmen über die Fußsohlen. So wird eine lebensfeindliche Situation umgewandelt in eine Szene des Heiligen.

Schneider muss das sehr lebendig empfunden haben (ich habe den "Lektüre für Minuten"-Band auch, aber auch viele andere Bücher von Schneider), mit einer verzweifelten Hoffnung sah er im wachsenden Unheil das wachsende Heil. Ich habe das schon als Jugendliche empfunden, als ich "Verhüllter Tag" las.
Zugleich wäre - so verstand ich ihn - jede formelle und geistliche Überhöhung der an sich verkehrten Ordnungen schon wieder die Optimierung der Verkehrtheit.

Ergo muss man die Familie im heiligen Raum unangetastet lassen in ihrer Verkehrtheit und als Gnadenort. Sobald man hier etwas definieren oder auch justiziabel machen will, wird es verkehrt, verkehrt, ganz verkehrt.

Und ich denken, viele hier sind sich darüber einig, dass wir das auch in der Realität sehen.

zeitschnur

19. Januar 2020 12:28

@ Gustav Grambauer

Ihr Gedankenexperiment führt zum Paradox des Gesetzes vom Sinai: Es macht den Menschen darauf aufmerksam, wo er eigentlich steht, weil er unfähig ist, sich in göttlichen Ordnungen zu bewegen. Für den Menschen kommt nur eine göttliche, geistige Ordnung infrage - nicht die animalische eine Bienenstaates, Ameisenhügels oder Wolfsrudels (die ich damit an ihrem Ort nicht abwerten will!). Der Exodus aus Ägypten geschah aus einem an sich animalisch konzipierten "Staat", ähnelte er doch mehr einem Bienenstaat als einer göttlichen Ordnung, und seine Götter waren seelische, keine geistigen Wesen. Alles Leibliche kann in einer animalischen Ordnung nur wieder in Seelisches "transzendiert werden" und wirkt seelisch auf den Leib zurück.
Das Gesetz vom Sinai soll den Menschen daran erinnern, dass sein Leib Geistiges transzendieren sollte, aber nicht tut. Und vom Geistigen her wieder erhoben wird in so etwas wie "echte Leiblichkeit" ("Geistleib").
Das Gesetz mit seinen Regeln kann aber niemals die Fülle der göttlichen Ordnungen abbilden oder gar irgendwie "einfangen", es richtet starre Zäune auf. Manche Theologen sagen heute, dass viele Gesetze daher gar nie zur Anwendung kamen (und es wird ihre Anwendung auch nicht bezeugt), sondern wie Ps 1 es formuliert, ist ihr Sinn weniger die Einhaltung als das "Über der Weisung murmeln darüber/tages und nachts".
Es ist ähnlich paradox wie Röm 13 mit seiner platten Behauptung, der "Staat" sorge dafür, dass die Guten belohnt und die Bösen bestraft würden und sei darin "Gottes Diener". dem animalischen Menschen gilt das, nicht aber dem geistigen Menschen - letzterer hält dies nur noch bis zum Ende des Äons aus und tastet es um der noch animalischen Menschen nicht an, denn sie hätten dann keinen Halt mehr.

Göttliche Ordnung aber kennt keine "Regeln" mehr. In ihr fällt die Abstraktion in eins mit der Einfühlung (d.h. dem Einzelfall).

Maiordomus

19. Januar 2020 13:26

@zeitschnur. Statt Debatten zu halten, müsste man, was das Inkommensurable der Familie betrifft, Geschichten erzählen: Jeremias Gotthelf und zumal Theodor Fontane, dieser zumal, den man bei dieser Leserschaft besser kennen wird, haben dies vorzüglich geleistet, ausserdem der Literaturhistoriker Peter von Matt in seinem phänomenalen Buch "Verkommene Söhne - missratene Töchter", wo laufend die entsprechenden Geschichten aus der Literatur lehrreich berichtet werden. Nicht zuletzt Arnold Stadler in seinem Dreifach-Hauptwerke-Band: "Einmal auf der Welt und dann so", seit 2012 als Fischer-Taschenbuch erhältlich.

zeitschnur

19. Januar 2020 15:43

@ Maiordomus

"Soll ich, nächstes Beispiel, etwa auf die Frage nach der „Vergewaltigung in der Ehe“ mit Reinhold Schneider wahrheitsgemäß antworten: „Die Familie ist geheiligt im Geheimnis. Hier ist kein Zutritt, für keine weltliche, geistliche, menschliche Jurisdiktion“? Ich würde verspottet oder des Fanatismus geziehen, jedenfalls nicht verstanden, so sorgfältig ich mich auch erklärte."

Das schrieb Sommerfeld.
Sie würde nicht verstanden, so sorgfältig sie sich auch erklärte.
Glauben Sie im Ernst, dass diese Nichtversteher es besser verstünden, wenn man ihnen Geschichten erzählt?
Ich glaub es nicht.
Sie spotten doch auch über die Geschichten!
Sie spotten heute über Jesus und seine Gleichisse und taten es damals schon, wobei Jesus einmal sagt, denen, die nichts verstünden, gäbe er Gleichnisse, die Seinen aber würden Geheimnisse erkennen:

"11 Und er sprach zu ihnen: Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben, jenen aber, die draußen sind, wird alles in Gleichnissen zuteil, 12 "damit sie sehend sehen und nicht wahrnehmen und hörend hören und nicht verstehen, damit sie sich nicht etwa bekehren und ihnen vergeben werde"." (Mk 4) - Jesaja zitiert hier Jes 6,9.

Die Differenz ist: die es nicht verstehen, sind solche, die immer etwas sehen und hören wollen; die es verstehen aber sehen und hören geistig, man kann es nicht sehen oder hören. Das, was also heilig ist an der Familie, kann man nicht beschreiben, so oder so nicht, allenfalls metaphorisch, auch dann, wenn man philosophisch spricht.

Oder - Sie erwähnen es doch selbst oben nebenbei - sie inszenieren klassische Dramen so, dass sie intentional völlig verfremdet worden sind.
Ich sag Ihnen was: Die, die die Geschichten verstehen, sind identisch mit denen, die auch eine Erklärung Sommerfelds verstünden bzw dafür offen wären.
Schneider hat eher philosophiert als Geschichten geschrieben. Das mag man also je nach Charakter halten wie man will. Er hat poetisch philosophiert.
Vielleicht ist Ihnen ja aufgefallen, dass ich in meiner obigen Antwort Bezug auf Erzählungen des AT nahm, die mir etwas vom "Geheimnis" ausdrücken.

nom de guerre

19. Januar 2020 17:27

@ Maiordomus 19. Januar 2020 07:20

„[…] dass man nicht alles verrechtlichen kann und vor allem, dass man nicht alles verrechtlichen soll. Dies bedeutet nach Reinhold Schneider, in der menschlichen geschichtlichen Existenz Tragik zuzulassen, welche stets mit unlösbaren Problemen und Dilemmata im Zusammenhang steht.“

Ja, das erscheint mir einleuchtend.

Maiordomus

19. Januar 2020 18:39

@Zeitschnur. Zum Erzählen. Sollen sie doch spotten! Will man erfahren, wie das Leben in Deutschland bzw. in Berlin war in der Zeit um 1880, bringt "Irrungen, Wirrungen" von Fontane als Einblick in den Alltag, sogar auch die Klassengesellschaft, das Arbeiten im Haushalt, die Sehnsüchte der Menschen, die Freizeit, den Snobismus usw., erfährt man bei Fontane mehr als zum Beispiel als bei "Das Kapital" von Karl Marx und auch mehr als aus den damaligen Statistiken. Zugleich erfährt man "fast alles" über das Verhältnis von Mann und Frau, jedenfalls mehr als aus Abhandlungen von sagen wir mal GenderhistorikerInnen, und erst noch schonungslos, illusionslos und klar weniger langweilig. Wegen der Intelligenz und Weisheit des Erzählers sind neben dem überragenden Zeitbild darüber hinaus, ohne in Thesen zu verfallen, aus dem Text sogar überzeitliche Erkenntnisse zu gewinnen. Das kann man allerdings heute in einem Kurs fürs Romanschreiben alles nicht lernen. Desgleichen kann man aber , zum Beispiel für die Mentalität einer sich fortschrittlich dünkenden amerikanischen Oberschicht, auch über ein durch und durch degeneriertes Eheverständnis, wie es sich in Amerika schon vor 100 Jahren anbahnte, nach der Meinung etwa der kritischen Feministin Esther Vilar fast nirgends sich besser orientieren als im Roman "Der grosse Gatsby" von Francis Scott Fitzgerald. Er verstand es, die Probleme der Zeit, nicht zuletzt auch das oben angedeutete Eheproblem, in eine eine grosse Erzählung zu fassen. Dies wäre heute erst recht notwendig, mit der Voraussetzung, dass die Erzählerinnen und Erzähler sich zunächst eine immer weniger selbstverständliche geistige Freiheit und Unabhängigkeit erringen sollten, zu schweigen von der für das Erzählen notwendigen Begabung. Dies alles ist und wäre jedoch heute keineswegs ausgeschlossen.

Maiordomus

19. Januar 2020 19:55

@Nicht nur für Zeitschnur. Damit das Erzählen nicht unterschätzt wird, und zwar nicht bloss an die Adresse der sich hier zu Wort meldenden Damen: Ein Ernst-Jünger Zitat machte in einer früheren Debattenkollonne zumindest auf die Herren Eindruck; nämlich seine Antwort auf die Frage, was das Schlimmste am 1. Weltkrieg gewesen sei, nämlich "dass wir ihn verloren haben". Was aber war für den selben Autor mithin "das Schönste", zumindest etwas vom Schönsten? Dass er, wie er gestand, in einem Unterstand im Warten auf das Gefecht "Irrungen und Wirrungen" von Fontane gelesen habe und sich deshalb lebenslänglich an fast jede Einzeilheit dieses Romans erinnert habe! Jedenfalls besser als an das fast gleichzeitige militärische Geschehen oder auch Nicht-Geschehen. Dieses Bekenntnis scheint mir keine Kleinigkeit aus der Sicht des angeblichen "Machos" Jünger: Steht doch mit der Figur der Lene eine Frau im Mittelpunkt des besagten Romans. Dass die stärksten Texte von Fontane sogar an analytischem Gehalt, nicht nur stilistisch, solchen von Marx gleichkommen oder sie übertreffen (weil er noch stärker die menschliche Situation analysiert, z.B. die Ehe inbegriffen), ist mein voller Ernst und ich vermute, dass Ernst Jünger diesem Urteil beigepflichtet hätte. So wie für Esther Vilar der Roman "Der grosse Gatsby" von Fitzgerald als Kritik der damaligen amerikanischen bürgerlichen Ehe beim Mittelstand und bei der Oberklasse und auch als Kritik der auf diese "Karriere" eingestellten Frauen das Lehrbuch schlechthin war. Erst noch unterhaltsamer als sogenannte Fachliteratur!

HomoFaber

19. Januar 2020 20:54

Die Schwierigkeit der Vermittlung rechter Positionen:
Die Linken betäuben mit dem süßen Gift der berauschenden Utopie. Die Rechten müssen dagegen die bittere Medizin der nüchternen Realität verabreichen.

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