Wer ist William Toel? Über seine Biographie ist nicht alles bekannt, er selbst erzählt von internationalen wirtschaftswissenschaftlichen Lehrstühlen, die er innehatte und davon, daß schon vor seiner Geburt alles darauf angelegt war, daß er jetzt seit anderthalb Jahren zu den Deutschen gerufen wurde.
Ich werde mir den Mann näher anschauen. Zum einen wäre von seinen Thesen zu reden (1.), danach von seinen Hintergründen (2.), sodann von seinem Auftreten und der Möglichkeit, als Medienkonsument Persönlichkeiten anhand von Bildern einzuschätzen (3.).
1. William Toel tourt durch die Bundesrepublik mit Vorträgen, in denen es im Kern um die nationalmasochistische und antideutsche Umerziehung unseres Volkes seit 1945 geht. Im britischen Bletchley Park unterhielt der Geheimdienst nicht nur die “Codebreaker”-Abteilung im II. Weltkrieg, sondern dort wurden Umerziehungspläne für das besiegte deutsche Volk detailliert ausgearbeitet. Diese stehen im Mittelpunkt von Toels Aufklärungsarbeit, die Rheinwiesenlager bilden einen zweiten historischen Schwerpunkt. Toel initiierte den sogenannten “Walk am Rhein” zur Erinnerung an die vergessenen Opfer der Nachkriegsjahre. Vom 28.8.21 bis 5.9.21 kamen mehr als 62.000 Menschen an den Rhein, “um zu gedenken und die neue Freiheit in Deutschland zu feiern”, wie es auf seiner Website heißt. Beides sind Gesichtspunkte, die im offiziellen deutschen Geschichtsunterricht fehlen.
Er sieht es als seine Mission an, den Deutschen ihre Identität wiederzugeben. Genau jetzt (noch vor zwei Jahren sei die Zeit nicht reif gewesen) ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Deutschen aufwachen. Es kämen gerade – das könne kein Zufall sein – sehr viele Umstände zusammen. Toel nennt diese Koinzidenz “den perfekten Sturm” und sagt mit seinem amerikanischen Akzent: “die Umstanden bringen Geläggenheit”. Die “rote Linie der Deutschen” sieht er in den Spaziergängen erreicht. Aktuell verlautbart er, daß Putin die Ukraine als “heiliges Herz Rußlands” zurückholen will, die deutschen Mütter aber sich aus dem kommenden Krieg (!) heraushalten sollen.
Die Leute der Neuen Weltordnung in London und New York haben keine andere heilige Sache als Geld und Macht. Beides sind überhaupt keine heiligen Dinge,
schreibt er in dieser Verlautbarung. Grundsätzlich trifft sich Toel in Videos mit vielen bekannten Namen aus der investigativen Szene in der Kritik an NWO und Great Reset und beschwört die Deutschen, sich ihres Wesens bewußt zu werden und “Verantwortung” in der Welt zu übernehmen. Daß diese insofern die BRD ein NATO-Vasallenstaat ist, nicht vom Politpersonal übernommen wird, führt Toel zum Appell an das deutsche Volk, seine heilige Mission selbst in die Hand zu nehmen.
William Toels Agenda wäre grob zu beschreiben als Great Awakening speziell designed für uns Deutsche. Diese Website hat sogar den Ausdruck “German Awakening”/“Deutscher Aufbruch” erfunden (und listet akribisch alle Internetauftritte, Zitate und Fundstellen zu William Toel auf).
Die Deutschen wurden erschaffen, um eine besondere Rolle in der Welt zu erfüllen. Wenn die Deutschen wieder Deutsche sind, wird die Welt geheilt sein
liest man ganz oben auf seiner Homepage. Ist diese These genau dieselbe, die wir im Briefwechsel entwickeln? Sehr oberflächlich kann dies den Anschein erwecken. Hier ist kein Platz, um unsere suchenden, ausholenden, fragenden Briefwechsel-Gedanken nachzuzeichnen. Toel präsentiert fixfertige Versatzstücke ausgesprochen appellativer Art, die paßgenau bestimmte Wunden berühren und Affekte kitzeln. Mir stellt sich die Frage, was seine Absicht dabei sein könnte.
2. Wir hatten hier auf der Sezession im Netz bereits eine kleine Toel-Auseinandersetzung, und zwar im Kommentarstrang zu einem Netzfundstücke-Artikel von Jonas Schick. Damals versuchte “Gustav Grambauer” zusammenzutragen, was es über Toel zu erfahren gibt und was von ihm aus seiner Sicht zu halten sei. Ich will diese Einschätzung hier wiedergeben, weil sie mir im großen und ganzen richtig erscheint:
Riechen Sie nicht auf 3.000 Meter gegen den Wind den Geheimdienstodeur? Wer bezahlt eigentlich seine hochfrequenten Reisen, seine drei Leibwächter usw., und dies inzwischen über drei Monate? Im Nexus damit würde es mich auch überhaupt nicht wundern, wenn er im Auftrag einer Sekte unterwegs wäre, ideologisch bzw. politisch-programmatisch würde er sehr gut z. B. in die Scientology reinpassen. Toels Methode kommt aus der Mottenkiste des Marketing oder der polizeilichen Vernehmung: er triggert routiniert, gezielt und sehr aufdringlich Sehnsüchte an und schmiert dabei dem Publikum ganze Fässer Honig ums Maul, z. B. mit seinem Salbader von seiner “tiefen Liebe für Deutschland”, mit dem er jeden Vortrag und jedes Interview zu Beginn ausgiebig NLP-ankert.
Es bleibt unklar, ob Toel auf eigene Rechnung arbeitet oder nach Deutschland geschickt worden ist, um Kontakte möglichst zur vordersten Front der widerständigen Szene aufzubauen. Uneindeutig ist aus meiner Sicht ebenfalls, für wen er arbeiten sollte. Aus dem Umstand, daß er stets die US-Kriegsflagge am Revers trägt, und noch 2012 prominent auf einer Globalistenkonferenz, auf der albernerweise alle Gäste T‑Shirts mit Merkelraute geschenkt bekommen haben sollen, vertreten war, ließe sich ableiten, daß William Toel transatlantische Agenden bedient.
Dieser Blogger hat sich auf ihn eingeschossen und förderte in mehreren Artikeln Indizien zutage, die aus seiner Sicht dafür sprechen, daß Toel nichts anderes als ein NWO-Globalist im Schafspelz ist:
Was Toel anprangert, nämlich, dass die Alliierten das deutsche Volk nach dem Krieg einer psychologischen Operation unterzogen haben, das tut er jetzt augenscheinlich selbst, nur dass es dieses Mal eben in die entgegengesetzte Richtung gehen soll. Leider merken viele nicht, dass sie gerade auf eine neue, eine ganz andere psychologische Operation hereinfallen, nämlich den Stups in die seit langem geplante „neue Weltordnung.“
Gegen ein Hineinlocken der Deutschen in die Great-Reset-Agenda des “freiwilligen Verzichts” und “des Deutschen Modells, das wir sehen werden in der zukünftigen Weltordnung”, die – ich hab es noch nicht gelesen, jener Blogger aber offensichtlich – in Toels neuestem Buch beschworen werden, sprechen seine Parteinahme für Putin und die doch auf dem zitierten Blog eher spärlich gesäten Enthüllungen konkreter Globalistenorganisationen, geschweige denn ‑auftraggeber.
Wie ist es möglich, daß William Toel weder von YouTube noch von Twitter angetastet wird? Entweder lassen sie ihn spielen, weil er harmlos ist, oder er arbeitet ihnen als Gatekeeper zu, ergäbe die übliche Logik des Verdachts. Doch die greift vielleicht zeitlich zu kurz. Meine Vermutung wäre: er ist ein nützliches Element in einer größeren inszenierten Trendwende – und zwar ganz gleich, ob er seine Agenda ganz allein zusammengeschustert hat “aus Liebe zu den Deutschen” oder übergeordnete Auftraggeber hat.
In meinem Great-Awakening-Text hatte ich bereits angedeutet, daß konservative Kräfte im Westen, also alte Neocons, Trump- und Q‑Anhänger und Evangelikale im US-amerikanischen bible belt, und im Osten (Alexander Dugin wäre nur ein Beispiel, der chinesische Staatsphilosoph Tingyang Zhao ein weiteres), die gegen den deep state arbeiten, eine ganz andere Weltordnung anstreben. Das “große Erwachen” in seiner pseudo- und realreligiösen Dimension ließe sich als passender Überbau zu einer Welt großer Reiche, kleinerer Militärdiktaturen und chinesischer Ökonomie ausmalen. Da hinein gehörten dann auch “patriotisches Christentum”, eine wiederentdeckte Volks-Identität und die vielbeschworenen “neuen politischen Mythen”.
Eine solche Weltordnung aufzubauen wäre allerdings in meinen Augen eher die nächste Zündstufe des “Reiches des Ersatz-Christus” (Martin Barkhoff), diesmal in der Modefarbe rechts-religiös-tribal, als die eigentliche menschheitsgeschichtliche Aufgabe der Deutschen.
3. Es ist möglich, William Toel in Deutschland persönlich kennenzulernen. Wie nahe man ihm kommen wird, sei dahingestellt, denn inzwischen umlagern ihn große Fan-Aufgebote, auffällig daran ist die Überzahl emotional ergriffener Frauen (da sage noch einer, auf der politischen Rechten gäbe es Damenmangel – man muß es nur richtig anstellen und sie bei ihren mütterlichen Instinkten packen).
Wie ist es möglich, einen medial präsenten Einflußagenten (etwas anderes sind influencer nie) einzuschätzen? Im Alltag bewährte Menschenkenntnis hilft oftmals nicht, denn wir haben es mit inszenierten Präsentationen (Photographien, Videobotschaften, Netzpräsenz) zu tun.
Zusammengetragene auffällige sprachliche Äußerungen wären ein allererster Schritt. Hier besteht die Gefahr, die der oben genannte Blogger allgemein sieht, im besonderen: dadurch daß Toel seine Anhänger – erst einmal völlig zu recht – dazu anleitet, die “Wieselwörter des Systems” zu erkennen, werden diese, wenn sie nicht gut aufpassen, taub für Toels eigene Triggervokabeln.
Ein nächster Schritt wäre die Wahl der Interviewpartner (sofern man diese kennt und einordnen kann): In welcher Szene will er ankern? Wo paßt es anscheinend überhaupt nicht (z.B. hat der überaus medienaffine und in der Sache gleichgesinnte Anthroposoph Axel Burkart angekündigte Videos mit William Toel abgesagt)? Wie kritisch dürfen die Interviewer nachfragen? Dabei ist zu bedenken, daß ein oder zwei “durchgeknallte” Gesprächspartner noch kein Indiz für die Absichten des Interviewten abgeben, in der Breite wird aber erkennbar, daß Toel sich gern hörige Zuhörer sucht (und weder Intellektuelle noch Politikdarsteller).
Schließlich sind auch diese zwei Schritte noch nicht ausreichend, für ein Gesamtbild braucht es so etwas wie phänomenologische oder imaginative Urteilskraft.
Ein Kommentator schrieb kürzlich betreffend Karl Lauterbach, man möge sich Roland Barthes’ Begriff des “punctum” neu aneignen, denn “das Physische, Physiognomische macht den großen Unterschied”.
Wie blickt William Toel in die Kamera? Blickt er überhaupt jemals geradeaus? Warum macht er mit den Händen vertikale Schneidebewegungen, wenn von Macht, Gesetzen, Führern usw. die Rede ist? Wie passen Affektwörter und Gelassenheitsgesten zusammen (double bind)? Wo blitzt etwas Unpassendes durch?
Roland Barthes würde die ersten beiden Schritte zum “studium” einer Photographie zählen. Das “punctum” hingegen ist der Durchstoß durch die Oberfläche (einer Photographie in Barthes’ Theorie, ich verallgemeinere: auch eines Videos) im Auge des Betrachters auf die zeitlich zurückliegende Realität der Aufnahme und auf die körperlich entfernte Realität der abgelichteten Person. Den Betrachter berührt etwas, er bemerkt ein Störelement (dies muß kein häßliches oder komisches sein). Daraus erschließt sich dann ein physiognomischer Eindruck:
Die Photographie des verschwundenen Wesens berührt mich wie das Licht eines Sterns. Eine Art Nabelschnur verbindet den Körper des photographierten Gegenstandes mit meinem Blick: das Licht ist hier, obschon ungreifbar, doch ein körperliches Medium, eine Haut, die ich mit diesem oder jener teile, die einmal photographiert worden sind. (Roland Barthes, Die helle Kammer, S.91)
Mein Näherungsversuch an das Phänomen William Toel bleibt subjektiv. Es würde mich nicht wundern, wenn nach diesem Parforceritt durch die Möglichkeiten der Entzauberung der ein oder andere Verteidiger Toels übrigbliebe und mir ein typisches Laster aller “Verschwörungstheoretiker” vorwürfe: alles hätte immer doppelten Boden. Laß den Fürsprecher der Deutschen uns doch Mut machen!
Ich schlage dieses Angebot aus und suche Mittel und Wege, mich vor solchen Mutmachern nicht geradewegs fürchten zu müssen. Ein ziemlich steiler und steiniger Weg liegt in unserem Briefwechsel zwischen Wien und Peking jetzt in zweiter Auflage vor.
MARCEL
Der Theologe Karl Barth war der erste, der schon bald nach dem Krieg eine Lanze für das deutsche Volk brach.
Generell: Man sollte sich den Mut sowie das Selbstverständnis nicht von außen holen.
Und klar: Jeder Staat will seine Opposition kontrollieren. Am besten geht das, wenn man sich seine Opposition gleich selbst schafft...(dies soll aber nicht (nur) auf den Fall Toel bezogen sein)
A propos Putin: Russland ist ein eindrucksvolles Beispiel des Wiederaufstiegs nach der bleiernen Gorbatschow-Jelzin-Depression.