Er definiert es als “spontane”, größtenteils “unbewußte”, “intuitive”, “blinde” Reaktion der Massen, denen blitzartig die Erkenntnis in die Knochen gefahren ist, daß sie das Vieh auf der Schlachtbank der globalistischen Eliten sind, die ihr Schicksal bereits entschieden haben und die in der Zukunft keinen Platz für Völker vorgesehen haben. Diese Eliten bereiten “eine offene Diktatur” vor, “großflächige Repressionen” und “umfassende Desinformationskampagnen”.
“Das Große Erwachen” ist ein Schlagwort mit stark religiöser Konnotation, das auf diverse protestantische Erweckungsbewegungen in Nordamerika zurückgeht. In Dugins pathethischer Sprache gleicht es einem “Schrei aus dem Zentrum der Hölle”, der “die Nacht durchdringt”, gleich einem Menschen, der aus einem Alpdruck erwacht:
Was nun erwacht, ist nicht ein Lager ideologischer Gegner des Liberalismus, der Feinde des Kapitalismus oder ideologischer Gegner der Demokratie. Sie sind nicht einmal Konservative. Sie sind einfach Menschen – Menschen als solche, die gewöhnlichsten und einfachsten. Aber… Menschen die menschlich bleiben wollen, die ihre Freiheit haben und behalten wollen, ihre Geschlechtsidentität, ihre Kultur, ihr Leben, die konkreten Bande zu ihrer Heimat, zur Welt um sie herum, zum Volk.
Und so bringt Dugin “den Menschen” und die “Menschheit” selbst in Stellung gegen den Feind, den er als “Liberalismus” bezeichnet:
Die Menschheit selbst, der Mensch als “eidos”, der Mensch als Gemeiner, der Mensch als kollektive Identität und in allen diesen Formen zugleich, organisch und künstlich, historisch und innovativ, östlich und westlich, rebelliert gegen die Liberalen.
Die Einheit in der Vielfalt der Menschheit zeige sich angesichts der Bedrohung durch die gemeinsame “ernsthafte Bedrohung, die über allen Menschen wie ein Damoklesschwert schwebt.” Wir erkennen hier unschwer alte Nouvelle-Droite-Ideen wieder: Der “Aufstand der Kulturen” gegen den Feind von Kulturen überhaupt, gegen “das System, das die Völker tötet” (Guillaume Faye).
Ähnliche Vorstellungen finden sich auch in der hiesigen Corona-Widerstandsbewegung. So hat Stefan Magnet, der fleißige Kopf des alternativen Senders AUF1 , seine Programmschrift Nach Corona (2020) mit dem Untertitel “Warum die Globalisten scheitern werden und die Menschheit erwacht” versehen. Auch er sieht Anzeichen eines weltweiten Trends zum Nationalismus, der sich dem Globalismus widersetzt.
Dugin spitzt diese Frontstellung (Globalisten vs. Menschheit) apokalyptisch-eschatologisch zu:
Das Große Erwachen richtet sich gegen den “Great Reset” und stellt den Aufstand der Menschheit gegen die herrschenden liberalen Eliten dar. Mehr noch, es ist der Aufstand des Menschen gegen einen uralten Feind, den Feind der Menschheit selbst.
Wer mit letzterem gemeint ist, ist wohl nicht schwer zu erraten. Da bleibt nur noch der Armageddon, aus dessen Asche eine neue Welt entstehen kann:
Das Große Erwachen ruft zu einem entscheidenden “Nein!” auf. Dabei handelt es sich nicht um ein Ende des Kriegs, noch um den Krieg selbst. Dieser hat vielmehr noch gar nicht begonnen. Aber es besteht die Möglichkeit eines solchen Anfangs. Eines neuen Anfangs in der Geschichte des Menschen.
Hier stellt sich nun die Frage nach einer geeigneten “Plattform für das Große Erwachen”. Diese muß naturgemäß mehrere Stützpunkte haben, da die Menschheit eben “vielfältig” ist. Dugin konstruiert daraus eine antiglobalistische Querfront aus amerikanischen Trumpisten, europäischen Links- und Rechtspopulisten, China, Rußland und der “islamischen Welt”.
Gehen wir dies der Reihe nach durch.
1. Trumpisten: Die “erwachten” Massen in den USA, galvanisiert durch den gestohlenen Wahlsieg Trumps, besitzen keine kohärente Ideologie und vertreten allenfalls eine ältere Entwicklungsstufe des Liberalismus, sind also aus Dugins Sicht in einem erweiterten Sinne Teil des Übels selbst.
Sie besitzen auch so gut wie keine Macht, denn die “liberalen Eliten” kontrollieren die “Weltfinanzen”, die “US-Militärmaschinerie”, die Kommunikationsnetzwerke der High-Tech-Giganten, sowie “Technologie, wissenschaftliche Zentren, globale Bildung, Kultur, Medien, Medizin und soziale Dienste.”
Wie diese Macht zuschlägt, kann man an der Niederwerfung des Trucker-Aufstandes in Kanada studieren: Einfrieren der Bankkonten, flächendeckende mediale Negativpropaganda, Zensur der sozialen Medien, und dazu noch etwas gute, alte Polizeigewalt. Der einfache Wurzeldemokrat, der für seine Überzeugungen auf die Straße geht, steht heute einem schier unbesiegbaren System gegenüber, das sich selbst als das eigentlich “demokratische” ausgibt und ihn als “Extremisten” brandmarkt.
Ähnliches gilt für 2. die “populistische” Opposition in Europa, die laut Dugin lahmgelegt ist, weil sie die Links-Rechts-Spaltung nicht überwinden kann und lieber aufeinander losgeht, statt sich quasi “national-bolschewistisch” gegen das herrschende System zu vereinigen.
Außer acht läßt Dugin hier das konservativer und nationaler gestimmte Osteuropa, das vielen “Rechtspopulisten” zumindest teilweise als Vorbild und Projektionsfläche dient, das jedoch tiefsitzende antirussische Ressentiments birgt, die historische Gründe haben, und die nun erfolgreich aktiviert worden sind.
In die Kategorie der “europäischen Populisten” fällt auch das Spektrum der rechten Dissidenten, also “unseres”, das hiermit aufgerufen wird, sich mit antiglobalistischen Gruppen von links (gibt es dergleichen eigentlich noch?) zu verbünden.
Und nicht nur das: auch in China, im Islam und in Rußland sollen wir Rechte bzw. Identitäre Bündnispartner gegen den gemeinsamen Feind Globalismus/Liberalismus/Great Reset erblicken.
Diese ausländischen Feinde des Globalismus stehen auf weitaus stärkeren Positionen als die amerikanischen Trumpisten und die europäischen Populisten, die beide auf ihrem eigenen, von einem gewaltigen Machtapparat “okkupierten” Territorium als innenpolitische Feinde markiert wurden und darum in einer eher prekären Lage sind.
Da wäre also 3. China, das zwar bei der wirtschaftlichen Globalisierung mächtig mitmischt, sich jedoch seine “kollektive Identität” erhalten habe und frei von jedem Individualismus sei. “Die chinesische Zivilisation” , rühmt Dugin, “stellt den Triumph des Klans, des Volkes, der Ordnung und Struktur über jegliche Individualität” dar.
4. Die “islamische Welt” als Ganzes betrachtet Dugin als “einen einzigen großen Pol des Großen Erwachens”, da “der Widerstand gegen den Great Reset ein unbedingter Imperativ für beinahe jedes islamische Land ist”. Die islamische Welt hätte die Chance, ihre inneren Spaltungen in einem gemeinsamen Dschihad (meine Wortwahl) gegen den Globalismus zu überwinden. Eine besondere Rolle spielen hierbei der schiitische Iran und die sunnitische Türkei (die immerhin noch NATO-Mitglied ist).
Die Golfstaaten und andere arabische Länder seien zwar wirtschaftlich stärker vom Westen abhängig, besäßen jedoch “soziale Systeme, die nichts mit der globalistischen Agenda zu tun haben und natürlicherweise dazu tendieren, sich auf die Seite des Großen Erwachens zu stellen.”
An dessen Spitze soll natürlich 5. Rußland stehen, was ich schon im ersten Teil dieses Beitrags ausgeführt habe. Voraussetzung dafür ist seine “imperiale Wiedergeburt” als katechontisches, “orthodoxes” Reich, mit der weltgeschichtlichen Mission, “die Ankunft des letzten Bösen auf der Welt zu verhindern” und den “universalen Aufstand der Völker und Kulturen gegen die liberal-globalistischen Eliten” anzuführen.
Illustration gefunden auf katehon.com
Dieses neu-russische Reich soll allerdings nicht danach trachten, die Welt zu beherrschen, sondern es soll vielmehr ein Beispiel für die Bildung multipler Reiche auf allen Kontinenten geben – sogar ein “europäisches Reich” soll dabei herausspringen, wobei die Frage offen wäre, wer denn das Reichsvolk bilden soll.
Dugin schlug dafür 1997 in seinem unübersetzten Werk Die Grundlagen der Geopolitik die in der europäischen Mitte lebenden Deutschen vor (denen er auch Ostpreußen zurückgeben wollte), aber das derzeitige nationalmasochistische, transatlantisch selektierte, infantile und psychisch auffällige Personal ist wohl nicht der geeignete Adressat für ein solches Ansinnen, das historisch ein bißchen belastet ist.
Das alles klingt nun fast wie ein mythisches Epos nach der Manier des “Herrn der Ringe”: Die Völker von Mittelerde stehen auf und vereinigen sich, Gimli neben Legolas, gegen Sauron und seine Orks, und der “Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden” ist so regenbogenbunt wie das Kreissymbol der “Agenda 2030” (schlicht ein anderer Name für das Programm des Great Reset).
Eine Frage, die sich bei Dugin, dessen “Orthodoxie” mit ziemlicher Sicherheit eine politisch-philosophische Pose ist (man denke an seinen radikalen Kulturrelativismus; die Modernen nach Péguy “glauben nicht, was sie glauben” ), immer stellt: Glaubt er wirklich selber daran? Und hat dieser Krieg, dieser Endkampf gegen die Mächte der Finsternis nun in der Ukraine begonnen?
Diese Deutung wäre eine logische Konsequenz aus Dugins Ausführungen. Momentan hält er sich, soweit ich es überblicken kann, diesbezüglich zurück, und betont vor allem die geopolitische Bedeutung des Konflikts.
An eine Wiedergeburt des russischen Imperiums aus den Wehen des Krieges glaubt zumindest der nationalistische russische Oligarch Konstantin Malofejew, von dem dieser Text auf Dugins Netzseite erschien:
Es ist Zeit für Wahrheit und Gerechtigkeit. Wir alle müssen uns nun um das Oberhaupt unseres Staates, Wladimir Wladimirowitsch Putin, scharen, um zur Wiederherstellung dieser historischen Gerechtigkeit beizutragen. (…) Die Zeit für die Wiedergeburt Rußlands ist gekommen. Ein neues GroßRußland hat begonnen. Darauf haben wir schon sehr lange gewartet. Möge Gott sich erheben und seine Feinde zerstreuen!
“Freiheit und Gerechtigkeit”, schreibt Dugin an anderer Stelle, “sind universelle Werte.” Die “Wahrheit” hat er außenvorgelassen, vermutlich, weil er der Ansicht ist, daß es Wahrheit nur im kulturell determinierten Plural, in russischer, amerikanischer, chinesischer, muslimischer, orthodoxer, katholischer, westlicher, östlicher und sonstiger Form gibt.
Dasselbe ließe sich jedoch auch über die Begriffe “Freiheit” und “Gerechtigkeit” sagen, deren Sinn je nach Perspektive und Kontext ausgesprochen variabel ist, bis hin zur orwellianischen Umkehrung.
Hier nun also meine wesentlichen Kritikpunkte an Dugins Schrift, die ich hiermit zur Diskussion stelle:
Das “Große Erwachen” ist eine Fiktion. Sie ist das Netz, mit dem Dugin die Opposition im Westen für seine pro-russische Agenda einfangen will. Die Metapher des “Erwachens” ergibt nur für Länder, in denen die globalistischen Matrix so gut wie uneingeschränkt herrscht, einen Sinn – also offenbar nicht für Rußland, China und die “islamische Welt”, die nach Dugin diesbezüglich schon “woke” sind.
Natürlich wird es im Westen weiterhin zum Bruch großer Bevölkerungsteile mit den herrschenden politisch-medialen Eliten und ihren Narrativen kommen. Dies wird zu erneuten Massenprotesten und Absetzbewegungen führen, und man kann diesen Ablösungsprozeß meinethalber als “Erwachen” bezeichnen. Dugin versucht jedoch, ihn mit einer metaphysischen, chiliastischen Dimension aufzuladen, gleichsam einen End- und Wendezeitmythos zu kreieren.
Mehr ist es allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht, und was auch immer im Zuge des Zerfalls der westlichen Welt an religiösen Vorstellungen entsteht, kann sich genauso gut lähmend für den Widerstand auswirken. Der kultische und konfuse Glaube der Q‑Bewegung wirkte eher als Opium denn als Kokain, indem er zur Passivität des “Trust the Plan!” ermutigte. Mit ziemlicher Sicherheit handelte es sich dabei um “kontrollierte Opposition”, die dann auch im Zuge des sogenannte “Kapitolsturms” die gewünschte “schlechte Optik” geliefert hat, die sich anschließend mächtig aufbauschen ließ.
An die Stelle Trumps als Brennpunkt von Glauben und Hoffnung setzt Dugin zwar nicht direkt Putin selbst, wohl aber die vermeintliche Führungs- und Befreiungsrolle, die er Rußland in diesem endzeitlichen Drama zuspricht. Das ist nicht minder irreführend als die “Q”-Illusion, und vermutlich benutzt Dugin dieses Wortgeklingel zu keinem anderen Zweck als dem der ideologischen Verführung.
Rußland ist nicht unser Erlöser und Befreier vom Globalismus, vom “Tiefenstaat” unserer feindlichen, antinationalen Eliten oder vom Great Reset, sondern verfolgt eigene politische Interessen, die nicht notwendigerweise die unseren sind.
Rußland und Europa werden, trotz mannigfacher kultureller Gemeinsamkeiten und Überschneidungen, immer zwei verschiedene Dinge bleiben. Die Chance einer kontinentalen Achse Paris-Berlin-Moskau ist tragischerweise nun auf lange Sicht vertan. Sie wurde von den herrschenden Eliten Europas ohnehin nie ernsthaft angestrebt, obwohl es dazu immer wieder Ansätze gab, von DeGaulle bis Schröder. Bewegungen in diese Richtung ließen stets die Alarmglocken in Washington und London schrillen.
Wir sind kein antiglobalistischer oder gar antiliberaler Separatisten-Donbass, dem Putin zu Hilfe eilen wird, um uns vor einer Okkupation zu befreien oder vor einem Genozid (der ja in Form des “Großen Austauschs” tatsächlich stattfindet) oder wahlweise vor dem Transhumanismus, “Liberalismus”, Transsexuellenkult oder was auch immer zu retten.
Putin setzt im laufenden Informationskrieg keineswegs auf das Framing “Rußland gegen den Globalismus”, sondern er aktiviert das emotional zündendere antifaschistische Paradigma, indem er behauptet, sein Kampf gelte dem “Nazismus” in der Ukraine und in der ganzen Welt, als würde er wie einst Stalin erneut einen “Großen Vaterländischen Krieg” führen.
“Für eine Welt ohne Nazismus. Für Rußland.”
Der Ukraine-Krieg könnte (mit oder ohne Sieg Putins) tatsächlich in eine neue Weltordnung, Blockbildung und Polarisierung münden, die zwar den Machtbereich der globalistischen Eliten weltweit beschneidet, ihn aber im geographischen Westen (USA, Gesamteuropa, Kanada, Australien, Neuseeland) immens verstärken könnte. Schon jetzt erleben wir in ganz Europa eine Pro-NATO-Galvanisierung und einen weiteren medialen Gleichschaltungsschub, der über das russische Feindbild aktiviert wird.
Die multipolare Welt, die Dugin als politisches Ziel dem “One-World”-Projekt des Globalismus gegenüberstellt, ist schon seit geraumer Zeit Realität. Amerika ist nicht mehr “die einzige Weltmacht”. Eine “Weltregierung”, wie man sie in Davos und anderswo anvisiert, wäre nur mit einer Beteiligung Rußlands und Chinas möglich, aber diese auf ihrer Souveränität beharrenden Riesenstaaten scheinen, trotz erheblichem Mitmischen in der globalistischen Politik und im WEF, eigene Ziele zu verfolgen.
Wohlgemerkt gehen Zukunftsprognosen des WEF für das Jahr 2030 (publiziert 2016) davon aus, daß die globale US-Dominanz der Welt unwiderruflich zu Ende sein wird, Nationalstaaten ein Comeback haben werden und sich “eine Handvoll globaler Mächte” den Erdball aufteilen wird.
Es gibt also seitens des WEF keine programmatische Erklärung, die Welt weiterhin westlich-amerikanischer Dominanz zu unterstellen. Im Gegenteil gehen auch seine Ideologen wie Dugin davon aus, daß eine multipolare Welt die unausweichliche Zukunft ist.
Mehr davon im fünften und (diesmal wirklich) letzten Teil.
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Zur Nachlese:
zeitschnur
Es sind Spiegelungen, great reset spiegelt großes Erwachen, das spiegelt wiederum woke. Trust the plan spiegelt trust science. Auf der Dollarnote steht immer noch "In God we trust". Bloß - um welchen Gott handelt es sich? One world spiegelt die multipolare Welt. Die alte Ordnung spiegelt den new world order. Es ist immer derselbe alte Hafenkäs.
Und wir brummen wie fette Schmeißfliegen in diesem Glasgehäuse, deppern mal gegen diese, mal gegen jene Wand und wittern mal da mal da herrliche Ausblicke ...
Es ist ein irrsinniger Hexenkessel an schalen Illusionen im Schleudergang mit einer wachsenden Zahl an Umdrehungen. Der Menschheit wird so der letzte Tropfen Blut herausgepresst und das letzte bisschen Seele bis eine vertrocknete, öde Wüste zurückbleibt, der nun endlich vorm Menschen gerettete "Planet", der planetes, der Herumschweifer, für den nichts anderes steht als der Böse, der ein Lügner und Menschenmörder war von Anfang an.