Er verteilt dramaturgisch geschickt seine weltgeschichtlichen Rollen von Freund und Feind, Gut und Böse, Hell und Dunkel, und lädt den Leser ein, seinen Platz im Schlachtengemälde zu erkennen und einzunehmen. Seine Vereinfachungen haben etwas Genialisches, aber es sind eben doch Vereinfachungen, deren scheinbare Klarheit blendet und täuscht.
Das im Juli 2020 von Klaus Schwab und Thierry Malleret in Spiel gebrachte Schlagwort vom “Great Reset” versteht Dugin hauptsächlich als Programm, die Menschheit in die sogenannte “Vierte Industrielle Revolution” zu überführen, “im Sinne einer schrittweisen Ersetzung der Arbeitskraft durch Cyborgs und Implementierung künstlicher Intelligenz im weltweiten Maßstab”.
Dugin erwähnt zwar, daß die “Corona-Pandemie” als “Rechtfertigung” dient, dieses Programm umzusetzen, tastet dabei aber kaum das große pandemische Narrativ an, was hierzulande zum A und O des “Großen Erwachens” gehört (im Sinne einer Bewußtwerdung des Lügen- und Manipulationscharakters des politisch-medialen Komplexes) . Er präsentiert also ein “Großes Erwachen” ohne nennenswerte Kritik am Corona-Konstrukt.
Zusätzlich verstrickt er sich in eklatante Widersprüche. In einem der Bonustexte, publiziert am 18. Januar 2021 (zwei Monate vor Erscheinen des “Manifests”), schreibt er:
Der Coronavirus ist die Pest – eine Art eschatologisches Zeichen (das ist sehr wichtig) und ein Symbol für die totale Unfähigkeit der Globalisten, ein Problem wie eine Epidemie zu bewältigen. Dies ist ein klares Zeichen für das Ende der Globalisierung.
Entweder dient “Corona” als Alibi, den Machtanspruch der Globalisten auszuweiten, oder es ist ein Symbol für ihre Unfähigkeit und Menetekel ihres Untergangs.
In dem Bonusartikel “Sanitärer Totalitarismus: Eine biopolitische Diktatur” (13. August 2021) spricht Dugin endlich den Kern der Coronamaßnahmenkritik im Westen an. Was hierzulande unter dem Schlagwort “Great Reset” ins Visier genommen wird, ist in der Regel weniger der von Dugin betonte Transhumanismus, als das “totale System der Überwachung, Kontrolle, Aufforderung und Registrierung”, dem der Körper des Menschen unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung unterworfen wird.
Dieser zentrale Punkt ist Dugin gerade mal drei Seiten wert, auf die ich im dritten Teil des Beitrags eingehen werde, und er ignoriert dabei fast völlig die Bedeutung der Massenimpfung für diese “extrem radikale und unmenschliche biopolitische Diktatur”.
Zusätzlich verschweigt er aus irgendeinem nicht allzu schwer zu erratenden Grund, daß auch in Russland Impfzwang, Gehirnwäsche, Panikmache und Überwachung im Namen der Virenbekämpfung vorangetrieben wurden. (Dazu paßt der – freilich unverifizierte – Tratsch, der mir zu Ohren kam, daß Dugin persönlich ausgesprochene Angst vor Ansteckung hat).
Die Kondensierung des Davos’schen Weltrettungsprogrammes auf den transhumanistischen Aspekt ist für Dugin wichtig, um den Great Reset als radikalisierte Endstufe des Liberalismus zu deuten. Im diametralen Gegensatz zu Armin Mohler (und philosophisch schlüssiger) leitet er dabei den Liberalismus aus dem mittelalterlichen “Nominalismus” ab.
Unter Liberalismus versteht er vor allem die schrittweise Herauslösung des “Individuums” als allen kollektiven Identitäten, wobei am Endpunkt der Entwicklung eben auch noch die kollektive Identität “Mensch” abgeschafft und überwunden werden muß. Der Moment der “Singularität” tritt dann ein, wenn “die Künstliche Intelligenz mit menschlichen Wesen vergleichbar sein wird.”
Dugin unterscheidet dabei zwischen einem “alten” (1.0) und einem “neuen” (2.0) Liberalismus, die sich heute feindlich gegenüberstehen. Der “alte” Liberalismus war konstitutionell antitotalitär und erblickte im totalitären Kommunismus und Faschismus seine hauptsächlichen politischen Feinde (und vice versa). Zusammen bilden diese ideologischen Komplexe die drei zentralen politischen Theorien der Moderne. Mit dem Untergang der Sowjetunion hatte der Liberalismus (scheinbar) gesiegt, was seine Apologeten als “Ende der Geschichte” interpretierten.
Dugin ist nun bekanntlich darum bemüht, eine “vierte” politische Theorie zu basteln, um die vorangegangenen Theorien und mit ihnen die Moderne (und Postmoderne als totale Auflösung aller Dinge) überhaupt zu überwinden.
Den “klassischen”, “idealen” Liberalismus 1.0 sieht Dugin exemplarisch von Friedrich von Hayek vertreten. Diese Art des Liberalismus lehnte die Idee eines “Planes” entlang “fortschrittlicher” Doktrinen ab, und baute stattdessen auf die hergebrachte “Tradition” als “die Summe der rationalen Entscheidungen, die von den vielen vorhergehenden Generationen getroffen wurden”. Diese Art des Liberalismus war “national, offensichtlich kapitalistisch, pragmatisch, individualistisch und gewissermaßen libertär”.
Die nächste Radikalisierungsstufe kommt laut Dugin mit Karl Popper, der nicht nur von einer “offenen Gesellschaft”, sondern auch von ihren “Feinden” spricht. In Hayeks Gesellschaftsmodell “darf” man liberal sein, in Poppers “muß” man liberal sein. “Der Feind der Offenen Gesellschaft ist per definitionem ein ideologischer Verbrecher”, so Dugin, egal, ob er von links oder rechts kommt:
Popper hasst alles, das dem Nationalismus oder Sozialismus ähnlich sieht. Er lehnt die Zweite und Dritte Politische Theorie nicht nur ab, sondern kriminalisiert sie und ruft zu ihrer Auslöschung auf.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Bekanntlich waren Kommunismus und Faschismus (also Sozialismus und Nationalismus in ihrer radikalsten Form) Ideologien, die “aufs Ganze” gingen, und gegenüber dem Liberalismus denselben Auslöschungswillen hegten, den Dugin Karl Popper unterstellt. Poppers Formel “Keine Toleranz den Intoleranten” hat gewiß eine einleuchtende systemische Logik; die Frage ist nur, wer entscheidet, wann die Grenze des “Tolerablen” für das System überschritten ist.
Durch Soros wird der Liberalismus wirklich extremistisch. Er zögert nicht, Farbrevolutionen zu finanzieren, Aufstände, Putsche und was auch immer er als tauglich empfindet, um die Feinde der Offenen Gesellschaft zu bekämpfen. Wie lauten die Kriterien, nach denen ein solcher bestimmt wird? Wer ist der Richter? Die Kriterien dazu werden in Soros’ Bibel, Poppers Buch “Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde”, bestimmt. Der Richter ist Soros selbst, der Hauptvermittler des liberalen Plans und seiner praktischen Umsetzung.
Mit Soros wird der Liberalismus buchstäblich “linksextrem” oder “extrem linksliberal” und “greift fast alles an, was Hayek lieb und teuer war”. Die ideologische und praktische Konvergenz mit dem “rechten” Flügel des Globalismus, dem Neokonservativismus, darf dabei freilich nicht aus dem Augen verloren werden.
“Soros” markiert für Dugin also den Punkt, an dem der Liberalismus 2.0 (gekennzeichnet durch Posthumanismus, politische Korrektheit, Genderismus, Feminismus, “Cancel Culture” und “alle Arten anti-religiöser Bewegungen”) den Liberalismus 1.0 gleichsam “auffrißt” und zum (inneren) Feind erklärt. Der Liberale, der sich beispielsweise gegen die Coronamaßnahmen ausspricht, sieht sich plötzlich zu seiner großen Verwunderung mit “Faschisten” und anderen Antiliberalen auf eine Stufe gestellt.
Liberalismus 1.0 vs. Liberalismus 2.0 nach Ben Garrison
Umgekehrt betrachtet der Liberalismus 1.0 den Liberalismus 2.0. als neuen “Faschismus” oder “Kommunismus”, zum Teil, weil ihm einfach die Begriffe für diese neue Art des Totalitarismus fehlen; da die Gespenster der politischen Theorien 1–3 offenbar noch lange nicht ausgetrieben sind, ist heute jeder des anderen “Faschist” oder “Nazi” (so auch im Rußland-Ukraine-Krieg). Im Liberalismus 2.0 werden die Liberalen “selbst zum Opfer”, also
jene von ihnen, die es ablehnen, das endgültige Verschwinden der guten alten Menschheit, der guten alten Individuen, der guten alten Freiheit und der Marktwirtschaft zu genießen. Für nichts davon wird es einen Platz im Liberalismus 2.0 geben. Er wird posthuman werden, und jeder, der das in Frage stellt, wird im Verein der Feinde der Offenen Gesellschaft willlkommen geheißen. Wir sind hier schon seit Jahrzehnten und fühlen uns hier mehr oder weniger wohl. Also heißen wir euch in der Hölle willkommen, ihr Neueinsteiger! Jeder Trumpunterstützer und gewöhnliche Republikaner wird nun als potenziell gefährliche Person betrachtet, genauso wie es uns seit langer Zeit geht.
Das ist in der Tat im wesentlichen, was in den Jahren der “rechtspopulistischen” Welle geschehen ist, wofür das Beispiel des “Trumpismus” exemplarisch ist. In einem Interview mit einem sehr komischen nordamerikanischen Vogel betont Dugin, daß er selbst als russisch-orthodoxer Antiliberaler mit den weißen, konservativen Protestanten, die zu den Hauptwählern Trumps zählen, nicht viel gemein habe, sie aber als Verbündete im Kampf gegen einen gemeinsamen Feind sehe.
Es trifft zu, daß sich die Feinderklärungen des Systems erweitert und radikalisiert haben, was eine neuartige und heterogene “Querfront” auf den Plan gerufen hat. In meiner “Antwort auf Martin Sellner” schrieb ich etwas überspitzt:
“Rechte”, die immer noch nicht verstanden haben, was hier auf dem Spiel steht, sind nicht mehr meine Brüder und können nicht mehr mit meiner Solidarität rechnen. Hingegen fühle ich eine Verbundenheit mit jedem aufrechten Linken, Liberalen und Libertären, der sich noch eine grundsätzliche Restvernunft und Menschlichkeit (ich schrecke vor diesem Ausdruck nicht zurück) bewahrt hat, und sich gegen diesen Wahnsinn stellt, der uns alle gleichermaßen bedroht. Ich kenne keine Juden und Griechen mehr, sondern nur mehr Gegner und Befürworter der Corona-Tyrannei.
Dugin sieht nun in Trump einen Liberalen des “alten”, Hayek’schen Schlages, während Biden und seine Hintermänner für den “neuen” Liberalismus Soros’scher Prägung stehen. Die Spaltung der USA in eine republikanisch-trumpistische und eine demokratisch-bidenistische Hälfte ist für Dugin also eine Art Bürgerkrieg zwischen zwei Formen des Liberalismus: einen totalitär-progressiven (Biden) und eine nichttotalitär-konservativen (Trump). Die Trumpisten stünden demnach für einen Liberalismus der “Normalen”, die nichts mit “Drag Queen Story Hours” und anderen “woken” Perversionen anfangen können.
Trump vs. Tiefenstaat nach Ben Garrison
Darüberhinaus meint Dugin, das alte geopolitische Schema Land und Meer wiederzuerkennen:
Die Geopolitik der Wahl 2020 zeigt uns die Grenzen zweier Amerikas – ein blaues, atlantisches, ultraliberales und globalistisches Küstenland und ein rot gefärbtes, konservatives, traditionalistisches Heartland. Die blaue Perversion gegen die rote Normalität.
Man könnte auch alternativ sagen: Stadt gegen Land, urbanes Ballungsgebiet vs. ländliche Peripherien mit ihren unterschiedlichen Werten, Lebensformen und politischen Präferenzen.
Diese Schemata Dugins könnte man auch auf die rechtspopulistische Revolte in Europa anwenden, wobei hier verstärkt Züge hinzukommen, die er als im weitesten Sinne “nationalbolschewistisch” bezeichnet, da Elemente der alten Gegner des Liberalismus, Sozialismus und Nationalismus, kombiniert und gegen die liberalen Eliten in Stellung gebracht werden.
Der “alte” Liberalismus steht nach Dugin für die Idee der Demokratie als Herrschaft der Mehrheit, im Gegensatz zur Minderheitenherrschaft der Eliten, die sich auf Moral, “Experten“tum, “Wissenschaft” usw. berufen. In ihm ist die Emanzipation des Individuums aus kollektiven Einbettungen nicht vollständig vollzogen, sondern hält sich in einem “pragmatischen”, aber “offenen” Rahmen. Liberalismus 1.0 steht “progressistischen” Experimenten skeptisch gegenüber, und anerkennt deshalb Nationalstaat, Familie, traditionelle Geschlechteridentitäten und Religion.
Diese althergebrachten kollektiven Einbindungen sind nun im Gegensatz zu vorliberalen Gesellschaften “optional” geworden, und können damit rasch ihre Verbindlichkeit und Integrationskraft verlieren. Dadurch wird der Widerstand gegen die Sogkraft der permanenten “Emanzipierung” und des “Fortschritts” geschwächt, besonders wenn sie sich mit moralisch mitreißenden linken Ideen verbindet, als Kampf für Gleichheit und “soziale Gerechtigkeit”, gegen “Unterdrückung”, “Diskriminierung”, “Ausbeutung”, “Kolonialismus”, “Rassismus” usw.
Das ist ein Punkt, den Dugin durch seine Fixierung auf den Liberalismus ziemlich vernachlässigt: Was er als “Liberalismus 2.0”, als “Soros-Liberalismus” bezeichnet, wird vor allem durch Strickmuster aus der “zweiten politischen Theorie” (Kommunismus/Sozialismus) gespeist. Nicht das liberale Thema Freiheit, sondern das linke Thema Gleichheit ist hier der Motor, und wie stets in der Geschichte geht die Forderung nach Gleichheit rasch in die Forderung nach Suprematie und Privilegierung über (“manche Tiere sind gleicher”).
Letzteres zeigt sich besonders deutlich im “Antirassismus” der “kritischen Rassentheorie” (critical race theory), die in Bidens Amerika quasi Staatsdoktrin geworden ist. Sie wird von Dugin seltsamerweise mit keinem Wort erwähnt, obwohl sie in den USA eine weitaus größere Rolle spielt als Genderpolitik, LGBT-Kult, und “Posthumanismus”. Das hat wohl damit zu tun, daß er sich selbst ebenfalls als Antirassist betrachtet, und Antirassismus als Charaktereigenschaft des absoluten Feindes nicht so recht in seinen ideologischen Kram paßt.
Amerikanischen “Ethnonationalisten” ist jedenfalls schon aufgefallen, daß das Konzept der “rassischen” Identität der Dugin’schen Reichsideologie zuwiderläuft und im multiethnischen Rußland, das sich zur Hälfte über Asien erstreckt, wohl auch für erhebliche Spannungen sorgen würde.
Sowjetischer Ethnopluralismus
Systemisch betrachtet, kann eine liberale Gesellschaft nur dann einigermaßen stabil bleiben, wenn sie sich nicht vollständig liberalisiert, sondern gewisse Grenzen respektiert und von der Liberalisierung ausnimmt. Wird der Individualismus, von Dugin als Kernidee des Liberalismus verstanden, jedoch radikalisiert und auf die äußerste Spitze getrieben, so hebt er sich irgendwann selbst auf. Aus dem Individuum wird ein “Dividuum”, also etwas “Teilbares”, das Summe seiner Teile ist und somit aus “austauschbaren Teilen besteht”, gleich einer Maschine.
Das ist in der Tat das Ziel der Ideologen des “Great Reset”, die diese Aussicht als Heilsversprechen präsentieren, das die Menschheit zum Besseren transformieren soll. “Wir sind keine geheimnisvollen Seelen mehr“, sagte Yuval Harari, ein zwiespältiger Vordenker der transhumanistischen Technokratie, 2020 in Davos. „Wir sind jetzt Tiere, die man hacken kann.“
Insofern ist es keineswegs übertrieben, wenn Dugin den “Great Reset” als einen “Plan zur Auslöschung der Menschheit” bezeichnet, allerdings nicht im Sinne eines biopolitischen Massenmordes durch Impfstoffe oder Gain-of-Function-Viren, wie das manche “Verschwörungstheoretiker” mutmaßen, sondern im Sinne einer “Abschaffung des Menschen” (C. S. Lewis).
Nun naht der Moment der endgültigen Ersetzung des Individuums durch die gender-optionale rhizomatische Entität, eine Art Netzwerk-Identität. Und der letzte Schritt wird schließlich in der Ersetzung der Menschheit durch unheimliche Wesen bestehen – Maschinen, Chimären, Roboter, künstliche Intelligenz und andere Spezies der Gentechnologie.
An diesem Punkt wird Dugins Rhetorik schrill und apokalyptisch. Mit dem “großen Erwachen” der Völker beginnt der eschatologische Endkampf, die “Schlacht der Liberalen gegen die Menschheit”, der aber nicht zu verwechseln sei mit einem Kampf des Westens gegen den Osten oder der USA und der NATO “gegen alle anderen”. Denn er “schließt auch jenen Teil der Menschheit mit ein, der sich selbst auf dem Territorium des Westens befindet, der sich jedoch immer mehr von den globalistischen Eliten weggebewegt”, mit anderen Worten all jene, die “rechtspopulistisch” wählen oder sich neuerdings gegen Zwangsimpfung und andere vorgeblich epidemiologische Maßnahmen wehren.
Diese Beteuerungen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, denn andere Stellen in dem vorliegenden Buch und weiteren Schriften Dugins erwecken den gegenteiligen Anschein – nämlich daß das ideologische Ringen zwischen den Kräften der Verwurzelung und jenen der Auflösung eben doch auf einen sehr konkreten Kampf hinausläuft, Westen gegen Osten, Rußland gegen USA und NATO, mit beispielsweise der Ukraine als Proxy-Schlachtfeld.
Angeblich kursieren gerade unter russischen Offizieren Handbücher, in denen Sätze dieser Art stehen:
Der russische Offizier ist ein Krieger des Geistes. So war es zu allen Zeiten. Rußland und die rußländische Armee sind die letzte Bastion, um den Angriff der satanischen “Neuen Weltordnung” “aufzuhalten”.
Das ist ein katechontischer, durchaus duginistischer Gedanke.
Wenn Dugin grundsätzlich wird, werden Liberalismus 1.0 und 2.0 trotz ihrer Gegensätzlichkeit und Verfeindung nicht mehr voneinander unterschieden, sondern zum Namen ein- und desselben Feindes, ja zum “Symbol des absolut Bösen” und politischen Verbrecherischen.
Dugin plädiert sogar dafür, das Wort “liberal” ebenso als “Beleidigung” zu benutzen, wie früher (und heute) das Wort “faschistisch”. Dabei serviert er ziemlich starken Tobak:
Wenn du liberal bist, bist du ein Untermensch, du bist weniger als ein Mensch, du bist eine kranke Kreatur, eine perverse Kreatur. Und du bist ein Verbrecher, denn du schürst Bürgerkrieg, soziale Ungerechtigkeit, Besatzung, Kolonisierung, Entmenschlichung. Der Liberalismus ist ein Verbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschheit – schlimmer als Faschismus und Kommunismus. (.…)
Heute gibt es sie und uns. “Sie” sind die Liberalen, und sie sind nicht nur gegen russsische, chinesische, muslimische und europäische Patrioten – sie sind gegen Nordamerikaner, Lateinamerikaner, Afrikaner, Europäer und alle anderen. Sie sind von ihrer eigenen Gesellschaft entfremdet. Sie haben keine Legitimation zu regieren, denn sie sind Usurpatoren, Ausbeuter und Mörder. Liberal zu sein, heißt ein Mörder zu sein.
Noch eine Geschmacksprobe aus dem Artikel “Das Große Erwachen: Die Zukunft beginnt jetzt”, geschrieben im Januar 2021, unmittelbar nach dem sog. “Kapitolsturm”:
Unser Hauptkampf ist jetzt eindeutig international. Globalisten gegen Antiglobalisten ist heute viel wichtiger als Russen gegen Amerikaner, oder der Westen gegen den Osten, oder Christen gegen Muslime.
Ashli Babbitt, die Trump-Anhängerin, die im Kapitol von einem Sicherheitsmann erschossen wurde,
gab ihr Leben für echte Freiheit und Gerechtigkeit. Und Freiheit und Gerechtigkeit sind universelle Werte. Sowohl russische als auch amerikanische, muslimische als auch christliche, westliche als auch östliche. (…)
Es gibt nur zwei Parteien auf der Welt: die globalistische Partei des Great Resets und die antiglobalistische Partei des Großen Erwachens. Und nichts in der Mitte. Dazwischen befindet sich der Abgrund. Er will mit Meeren von Blut gefüllt werden. Das Blut von Ashli Babbitt ist der erste Tropfen.
Der Kampf wird universell. Die Demokratische Partei der USA und ihre globalistischen Stellvertreter – einschließlich aller High-Tech-Industrien und der Großfinanz – sind ab sofort eine klare Verkörperung des absolut Bösen.
Ganz universalistisch, von der “Menschheit” aus gedacht, ist der Liberale (oder wahlweise der globalistische Liberale) also ein in Schmitt’scher Terminologie “absoluter Feind”, ein hostis humani generis, ein “Feind des Menschengeschlechtes”.
Das ist ziemlich inkonsistent für jemanden, der noch ein paar Seiten zuvor einen radikalen Kulturrelativismus vertreten hat: “Niemand kann den anderen beurteilen. Es gibt kein universelles Kriterium im politischen Denken, und das ist das Hauptprinzip der Vierten Politischen Theorie”, also jener Doktrin, die Dugin dem Liberalismus, Kommunismus und Faschismus entgegenstellen will.
Wenn das aber so ist, wie kann man von einem “absolut Bösen” sprechen? Wenn es “kein universelles Kriterium im politischen Denken” gibt, warum soll der westliche Liberalismus dann keine mögliche, gleichberechtigte Lebensform unter vielen anderen sein (ein Gedanke, den Dugin auch hin und wieder äußert)?
Um es noch komplizierter zu machen, bringt Dugin geschichtsphilosophische Auffassungen in Spiel, die offenbar von René Guénon und Julius Evola (mehr noch als von Heidegger) beeinflußt sind. Die herkömmliche Geschichtsauffassung datiert die große Entfaltung des “Westens” mit dem Anbruch der Neuzeit und der Loslösung vom mittelalterlichen Weltbild. Für Dugin beginnt hier die große Entartung, die den Westen gleichsam zum Krebsgeschwür des Planeten gemacht hat.
Auch wird man etliche Widersprüche finden. Dugin schreibt einerseits, offenbar in Anspielung auf Huntington (“What is universalism to the West is imperialism to the rest”):
Wir müssen die Menschheit als Menschheit akzeptieren – nicht den Westen und den Rest. Wir sollten die Position umkehren: Der Rest ist der Name der Menschheit, und der Westen ist der Name der Krankheit am Körper der Menschheit.
Andererseits:
Wir müssen den Westen befreien. (…) Wir sollten in der globalen Revolution gegen die westliche politische Moderne geeint sein. Aber wir sollten verstehen, daß wir nicht gegen den Westen kämpfen. Wir kämpfen gegen das Regime der Moderne. (…) Die Moderne ist eine Abweichung der westlichen Geschichte, die auf einem völligen Missverständnis ihrer selbst beruht. Die westliche Moderne ist die Krankheit. Es ist eine westliche Krankheit – aber zuallererst tötet sie den Westen selbst. Wir müssen also dem Westen helfen, sich von der Moderne zu befreien.
Aber wer ist dieses “Wir”? Dugin bringt in geradezu romantisierender Weise eine (noch zu schaffende) Allianz von nicht-westlichen Kulturen in Stellung gegen den “Westen”, sozusagen “The Rest against the West”. Der “Westen” wird teilweise geographisch, teilweise politisch, teilweise als (kranker) “Geisteszustand” bestimmt. Dugin muß deshalb einräumen:
Jeder ist von der politischen Moderne kolonisiert. Nicht nur die nicht-westlichen Kulturen und Zivilisationen – der Westen selbst ist von der Moderne kolonisiert.
Die “Moderne” wäre demnach das große Miasma, das vom Westen ausging und inzwischen die ganze Welt befallen und kontaminiert hat. Der “Great Reset” ist nur ein Name für seine aktuellste und gefährlichste Form. Damit schließt der große Kampf jeden Menschen ein, der in irgendeiner Weise von dieser “Krankheit” befallen oder bedroht ist, sei es “auf dem Territorium des Westens” oder auf irgendeinem anderen “Territorium”. Der “Westen” wäre demnach auch eine Art von politisch-geistiger Pandemie.
Und wer soll nun das “große Erwachen” der Völker gegen diese Weltbedrohung anführen, wer ist für diese Mission auserkoren? Natürlich Rußland! Rußland hat laut Dugin aufgrund seiner tiefsitzenden antiliberalen Tradition eine Endzeit-Sendung und soll die Völker vom Liberalismus und Globalismus befreien (wie sie einst die Rote Armee svom “Faschismus” befreit hat?).
Weil die “Höchstwerte” der historischen russischen Zivilisation (die Dugin von der europäischen Zivilisation abgrenzt) “kollektive Identität” und die “Wahrnehmung der Souveränität und der staatlichen Freiheit” (also nicht der staatsbürgerlichen) sind, steht sie dem westlichen, liberalen Denken ewig wesensfremd gegenüber und ist somit der natürliche Widersacher des Globalismus:
Schlußendlich ist die Rolle des wichtigsten Pols des Great Awakening für Russland vorgesehen. (…)
Der Sieg des Globalismus, des Nominalismus und der kommenden Singularität würde das Scheitern der historischen Mission Russlands bedeuten, nicht nur in der Zukunft, sondern auch in der Vergangenheit. Immerhin war die Bedeutung der russischen Geschichte immer genau auf die Zukunft ausgerichtet und die Vergangenheit war nur der Probelauf für sie.
Und in dieser Zukunft, die nun heraufdämmert, liegt die Rolle Russlands nicht nur darin, eine aktive Rolle im Great Awakening einzunehmen, sondern auch darin, an seiner Spitze zu stehen und den Imperativ der Internationale der Völker im Kampf gegen den Liberalismus zu erklären, der Seuche des 21. Jahrhunderts.
Diesen Gedanken relativiert Dugin zwar “realistisch”, denn auch im russischen Apfel steckt schon tief der liberale Wurm. Auch Rußland selbst muß noch zu seiner Bestimmung befreit werden:
Natürlich hat auch das heutige Russland keine vollständige und kohärente Ideologie, die eine ernsthafte Herausforderung des Great Resets darstellen würde. Darüber hinaus sind die liberalen Eliten, die sich an der Spitze der Gesellschaft verschanzt haben, noch immer stark und einflussreich in Russland. Liberale Ideen, Theorien und Methoden dominieren noch immer die Wirtschaft, Bildung, Kultur und Wissenschaft. All das schwächt Russlands Potential, verwirrt die Gesellschaft und bereitet den Boden für wachsende interne Widersprüche. Aber insgesamt ist Russland der wichtigste – wenn nicht sogar der bedeutendste – Pol des Great Awakenings.
Aber schließlich läßt er (wenig überraschend) die Katze aus dem Sack, welche Art “Großes Erwachen” ihn vorrangig interessiert- das “imperiale” (und zu diesem Zweck ist die Kontrolle über die Ukraine unerläßlich):
Was bedeutet es für Russland unter solchen Umständen zu “erwachen”? Es bedeutet, Russlands historische, geopolitische und zivilisatorische Ausmaße zur Gänze wiederherzustellen und ein Pol der neuen Multipolaren Welt zu werden.
Ist an dieser Idee nun etwas dran, oder ist das bloß eine Fiktion Dugins?
Mehr darüber im dritten Teil dieser Artikelreihe.
Ukraine-Krieg nach Alexander Dugin
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Zur Nachlese:
Waldgaenger aus Schwaben
Mir kommt dieser Dugin vor wie Alfred Rosenberg. Um diese Vermutung zu überprüfen, müsste ich beider Werke lesen, was ich gewiss nicht tun werde. Sie sollen beide fast unlesbar sein.
Zehn Ster Holz wollen gesägt werden für den nächsten Winter und dann muss der Garten bestellt werden.