Dugins Feindbestimmung “Liberalismus 2.o” ist irreführend und unbrauchbar. Um seinen Feind ideologisch zu konstruieren, greift Dugin zu groben Vereinfachungen und Gleichsetzungen.
Die “Moderne”, der “Nominalismus”, der “Liberalismus”, der “Transhumanismus”, der “Westen”, der “Great Reset”, schließlich der Leibhaftige selbst, all diese Namen reduzieren sich in Dugins Rhetorik zu eher suggestiven als analytischen Chiffren ein- und derselben Sache.
Dabei funktioniert schon die Gleichsetzung dessen, was er “Liberalismus 2.0″ nennt (“Soros”-Linksliberalismus, im Gegensatz zu Rechtsliberalismus 1.0 “Hayek”), mit dem Great Reset nicht, denn augenscheinlich werden unter diesem Banner autoritäre und proto-totalitäre Herrschaftsformen durchgesetzt, die das genaue Gegenteil von Liberalismus sind, wie man ihn bisher verstanden hat: Rechtsstaat, Meinungsfreiheit, weltanschaulicher Pluralismus, Schutz des Bürgers vor Übergriffen des Staates, “government by discussion” usw.
Aber auch die (wenn wir Carl Schmitt folgen) nicht im eigentlichen Sinne liberale Auffassung von der Demokratie als “Volksherrschaft” der Mehrheit, die in freien Wahlen ihren Willen kundtut, den die Regierung auszuführen hat, wird ausgehebelt. Sie gilt nun als potentiell faschistoider “Populismus”. Und während die Grenzen der Meinungsfreiheit von “Experten” und “Faktencheckern” festgelegt werden, sichern sich die Regierungen dagegen ab, daß irgendeine Partei gewählt wird, die ihr politisches Programm grundsätzlich in Frage stellt.
Dugin bestimmt den Liberalismus als beständiges Herauslösen des Individuums aus kollektiven Identitäten. Darum sei der “Transhumanismus” seine logische Folge, denn dieser löst nun auch die kollektive Identität “Mensch” auf.
Dugin erkennt zwar, daß dies zu dem dialektischen Schritt führt, auch die Individualität des Individuums aufzulösen, denn am Ende bliebe nur mehr ein programmierbares “Dividiuum”, also etwas “Teilbares”, das “aus austauschbaren Teilen besteht”, wie eine Maschine. Aber eben darum kann von “Liberalismus” nicht mehr sinnvollerweise die Rede sein.
Und was nun den “Individualismus” angeht, der im westlichen Menschen nunmal stärker verankert ist als im östlichen (vermutlich auch genetisch), so wird auch dieser zunehmend eingedämmt. Diese bedrückende Wahrnehmung drückt sich etwa im “NPC”-Meme aus. Wir sind heute Zeugen einer rasanten Kollektivisierung und Gleichschaltung der Gesellschaft.
Durch den Great Reset wird also auch die westliche Welt Tag für Tag immer weniger liberal und immer weniger individualistisch.
Schon aus diesem Grund ist die Vorstellung einer Bewegung des “Großen Erwachens gegen den Great Reset”, die unter antiliberalen und antiindividualistischen Vorzeichen antritt, völlig absurd. Wir können dieses Monster nicht überbieten, was Illiberalität und Anti-Individualismus angeht. Was uns noch vom Liberalismus und Individualismus übriggeblieben sind, ist heute die einzige Waffe, die wir noch gegen die vollkommene Übernahme des totalitären Globalismus haben.
Was hat nun aber Dugin als erklärter Antiliberaler und Anti-Individualist dagegen einzuwenden? Sind die Mittel des Totalitarismus für ihn legitim, solange der Zweck stimmt? Wäre eine russisch-imperiale-orthodoxe Überwachungsdiktatur für ihn in Ordnung, oder gar wünschenswert?
Auf welcher Grundlage schreibt er denn Sätze wie diesen? :
Es ist faszinierend zu sehen, wie sich die westlichen Demokratien angesichts einer Pandemie rasch in geschlossene totalitäre Gesellschaften verwandeln, die auf allgegenwärtiger Überwachung, dem Abbau von Bürgerrechten und Freiheiten und einem immer härteren System der Unterdrückung basieren.
Wie lautet seine antiliberale Argumentation gegen “Abbau von Bürgerrechten und Freiheiten”, “Unterdrückung” und “allgegenwärtige Überwachung”? Und wenn Dugin all dies prinzipiell verwerflich findet, warum kritisiert er dieselben Vorgänge nicht auch in Rußland oder erst recht in China?
China ist einer der größten Trendsetter in Sachen technologischer Überwachung und Steuerung der eigenen Bevölkerung. China hat die “Pandemie” seit Anfang an benutzt, um verschiedene Methoden der totalitären Kontrolle der Bevölkerung auszutesten. China experimentiert genauso mit dem Transhumanismus und der genetischen Manipulation wie westliche Länder, und dies vermutlich mit weniger Gewissenshemmungen.
Davos Agenda 2022
China ist ein enger Partner des WEF und erfährt dort hohe Wertschätzung. Schwab stellte Xi Jinping, den Eröffnungsredner des Davos-Treffen 2022, mit folgenden Worten vor:
Es ist mir eine besondere Ehre und ein großes Privileg, Seine Exzellenz Xi Jinping, Präsident der Volksrepublik China, zur Eröffnung der Davoser Agenda-Woche vorzustellen.
China hat unter Ihrer Führung bedeutende wirtschaftliche und soziale Errungenschaften erzielt. Sie haben das historische Ziel erreicht, in jeder Hinsicht eine gemäßigt wohlhabende Gesellschaft zu werden.
Ich glaube, dies ist der beste Zeitpunkt für Staats- und Regierungschefs, zusammenzukommen und gemeinsam daran zu arbeiten, dass die Welt inklusiver, nachhaltiger und wohlhabender wird.
China hat nachweislich, unter anderem durch seinen Einfluß auf die WHO, erheblich dazu beigetragen, daß sich das Lockdown-Modell im Westen durchsetzen konnte. Der Great Reset wäre also ohne die Beihilfe (Komplizenschaft?) Chinas nicht möglich gewesen.
Und nicht nur das: China ist ausdrücklich eines der größten Vorbilder der Architekten des Great Reset, die schon im Frühjahr 2020 davon geschwärmt haben, wie großartig die Volksrepublik die Pandemie in den Griff bekommen und wie gründlich sie die “medizinische Desinformation” bekämpft hat. Sie haben China geradezu darum beneidet, daß es in der Lage ist, radikale “Lockdowns” zu verhängen, die man im liberalen Westen leider nur vergleichsweise halbherzig durchführen kann.
Und schließlich ist Chinas “Sozialkreditsystem” offensichtlich die Blaupause für die “digitale Identität” für Jedermann, ein Lieblingsprojekt von Bill Gates, Klaus Schwab und anderen globalistischen Akteuren.
Irritiert liest man nun bei Dugins Ausführungen über den “sanitären Totalitarimus” und die “biopolitische Dikatur”, die im Zuge der “Pandemie” installiert wird:
So entdeckt eine europäische Demokratie nach der anderen, dass Gesundheitsdiktatur und “pandemischer Nationalsozialismus” sehr geeignete Formen des Regierens sind. Wo Demokratie Debatte, Diskussion, Einigung und Kompromiss bedeutet, können Krankenwagensirenen und Polizisten mit Gasmasken die Entscheidungsfindung und Umsetzung wesentlich erleichtern. Der Sanitärfaschismus erweist sich als profitabel, billig und effektiv.
Der Preis für die Bequemlichkeit der Eliten ist die flächendeckende Errichtung eines KZ-Panoptikums, das nicht einmal in das Privatleben, sondern in den biologischen Organismus des Menschen eindringt. Sensoren durchdringen Körper, die transparent werden – nackt für die Gesamtheit der elektronisch-medizinischen Kontrolle.
Wenn sich diese Tendenzen fortsetzen, was höchstwahrscheinlich der Fall sein wird, da ein Ende der Pandemie nicht in Sicht ist, werden wir vor einer einzigen Wahl stehen: Welches Konzentrationslager sollen wir wählen – das nationale Lager, in dem unsere Körper in das totale Überwachungssystem eines souveränen Staates integriert werden, oder das globalistische Netzwerk, das über die Köpfe der nationalen Verwaltungen hinweg operiert. Können wir etwas anderes wählen als ein “nacktes Leben” in einem nationalen oder globalen Gefängnis? Meiner Meinung nach nicht. Es gibt für uns nichts anderes zu tun. Was meinen Sie dazu?
Vor allem der letzte Absatz genügt in meinen Augen, um den ganzen Rest dieser Schrift völlig zu diskreditieren.
Der einzige Unterschied zwischen dem Westen auf der einen und China und Rußland auf der anderen Seite wäre demnach, daß die Russen und Chinesen wenigstens in einem “nationalen” KZ leben dürfen, statt einem “globalistischen”.
Wenn es nur noch darum geht, das passende KZ zu wählen, was sollen dann noch all die schönen Worte über den Kampf für die “Menschheit”, für “Freiheit und Gerechtigkeit”? Was soll die Gegenüberstellung von bösen “Liberalen” und dem “vielfältigen” Rest, der noch nicht entwurzelt ist, was soll das ganze apokalyptische Katechonten- und Endkampfgerede?
Man sehe noch genauer hin. Warum gibt es für Dugin “für uns nichts anderes zu tun”? Na, weil “ein Ende der Pandemie nicht in Sicht” ist! Dieses Ende hängt jedoch schlicht und einfach davon ab, ob die Mächtigen gewillt sind, ihr Narrativ zu ändern. Dugins zweideutige Haltung zur Coronakrise, seine Akzeptanz des Pandemienarrativs, schnappt hier zu wie eine Falle.
Aber das ist noch nicht alles. Eine schiefe Sicht bringt die nächste hervor.
Dugins Definition des “Great Reset” ist unzureichend. Der von ihm betonte “Transhumanismus” der “vierten industriellen Revolution” ist nur ein Aspekt unter vielen, die sich unter diesem Schirmbegriff finden, und ich denke, daß er nicht einmal der wichtigste ist.
Was nun genau unter diesem “Großen Neustart” (oder “Umbruch”) zu verstehen ist, und mit welchen Mitteln er erreicht werden soll, ist schwer auf einen Nenner zu bringen. Vieles liegt noch im Nebel der Spekulation. Das Untier, das wir hier vor uns haben, hat noch keinen Namen.
Es wurde bislang ebenso als “Kommunismus” und “Faschismus” wie auch als “Liberalismus/Kapitalismus” tituliert, womit die Schubladen aller drei politischen Theorien durchdekliniert wären. Manche Kommentatoren wirken dabei wie die blinden Mönche aus dem asiatischen Gleichnis, von denen jeder nur einen Teil des Elefanten zu packen bekommt.
Norbert Haering spricht von einem “bunten Strauß von eng ineinandergreifenden Programmen”, die eine umfassende und tiefgreifende Weltverbesserung bewirken sollen, ganz nach dem Motto des WEF: “Committed to improving the state of the world”.
Zu den behaupteten Zielen zählen die “gerechtere” Verteilung von Ressourcen und Gütern, der Schutz vor allen nur erdenklichen Risiken und Gefahren, sowie die Bekämpfung von “sozialer Ungleichheit”, Umweltverschmutzung, Klimawandel, Armut und Krankheiten. Im Zuge dessen unterstützt das WEF auch Feminismus, “gender equality”, “LGBTI inclusion” sowie die “kritische Rassentheorie”.
Programme, die in der Praxis jedoch die “automatisierte Lenkung und Überwachung der Weltbevölkerung” (Haering) voraussetzen und perfektionieren würden, denn es ist das letztlich das (Konsum-)Verhalten (und daher auch das Denken) der Menschen, das gesteuert werden muß, um diese anvisierte “Nachhaltigkeit” und “Gerechtigkeit” zu erreichen.
Zu diesem Zweck ist auch die permanente Erzeugung von Angst notwendig. Man sagt etwa: Nur, wenn “wir” das und das tun (oder nicht tun), können “wir” uns und die Welt und die Menschheit vor einer Seuche oder dem “Klimakollaps” oder dem “Haß” oder was auch immer retten.
Das WEF präsentiert den Great Reset mit pseudoholistischen Kreisdiagrammen und ermüdenden, phrasengeblähten Programmschriften und Absichtserklärungen, in denen nur ab und zu die Bocksfüße aufblitzen.
Besonders berüchtigt sind die Kurzvideos des WEF-Forums, in denen dystopische Szenarien als wundersame Zukunftsversprechen präsentiert werden:“Du wirst nichts besitzen, und du wirst glücklich sein”, während Minidrohnen dir die Amazonpakete mit den Waren, die du gemietet hast, sanft vor die Haustüre legen, 3D-Drucker künstliche Herzen oder synthetisches Fleisch herstellen, NASA-Überwachungssensoren dich anhand deines Pulsschlags identifizieren und deine Kinder vor einem Bildschirm durch allwissende Logarithmen erzogen werden.
Der Weg in diese Schöne Neue Welt soll über den sogenannten “Stakeholder-Kapitalismus” führen. Diese reformierte und geläuterte Art des Kapitalismus soll das nackte Profitdenken (vulgo den “freien Markt” nach der alten kapitalistischen Schule von Milton Friedman & Co) ablösen und die Konzerne dazu verpflichten, die Interessen möglichst all ihrer “Teilhaber” (stakeholder) zu berücksichtigen und zu befriedigen.
Schwab wurde 2007 befragt, wer denn die “Stakeholder” des WEF seien. Er prahlte, wen er alles an Bord und in der Tasche habe: Unternehmen, Politiker, Regierungen, NGOs, Gewerkschaften, “Experten und Wissenschaftler”, Universitäten, “Sozialunternehmer”…
Ein “Stakeholder” kann mit anderen Worten praktisch jeder sein, dem man in irgendeiner Weise ein “Interesse” oder eine “Teilhabe” an den Produkten oder Aktivitäten eines Konzerns unterstellen kann: Angestellte und Partner, Konsumenten, die Regierung eines Landes oder “die Gesellschaft” als Ganzes. In der PR-Version wird daraus ein “grüner”, “verantwortungsvoller”, “fairer” und “nachhaltiger” Kapitalismus, der um das Wohl aller besorgt ist und nicht bloß sich selbst bereichern will.
Jede Firma präsentiert sich heute so, große wie kleine. Sogar Waffenproduzenten legen heute Wert darauf, daß sie als “nachhaltig”, “systemrelevant” und “demokratisch” wahrgenommen werden.
Das klingt zwar nett, führt aber in der Praxis zu einer Ausweitung der Macht der Konzerne über Staaten, Volkswirtschaften und Gesellschaften, nicht nur in wirtschaftlicher und politischer, sondern auch in “ideologischer” Hinsicht, wenn “Big Business” z. B. geschlossen für Impfungen, “Refugees Welcome”, “Black Lives Matter”, “LGBT”, “I stand with Ukraine” etc. wirbt.
Konzerne werden somit zu Agenten von “Transformationen” auch im sozialen und gesellschaftlichen Bereich. Sie werden herbeigerufen, um Lösungen für “Krisen” herbeizuschaffen, wodurch eine Art “Krisenmarkt”, und parallel hierzu ein “Lösungenmarkt” entsteht. Die Folge eines solchen “Krisenkapitalismus” wäre ein permanenter Bedarf an Ausnahmezuständen. Wie man am Verlauf der Coronakrise ablesen kann, wäre der hauptsächliche Profiteur die internationale Milliardärsklasse.
Das WEF selbst betrachtet die Coronakrise als große Bewährungsprobe des “Stakeholder-Kapitalismus”, auch genannt “öffentlich-private Partnerschaft”. Diese ermöglichte die rasche Produktion, Zulassung, Bereitsstellung und Verteilung von Impfstoffen für Milliarden Menschen.
Pharmariesen spielten die Rolle von selbstlosen Weltrettern, Staaten wurden zu ihren gefügigen Abnehmern und Geldkühen, während unzählige Bürger, mit deren Steuergeld die Ware bezahlt wurde, gegen ihren Willen zu “Stakeholdern” ernannt wurden, die mit den Produkten der Konzerne zwangsbeglückt werden mußten.
Und es ging dabei praktischerweise nicht nur um “Profit” (dieser wurde freilich in kosmischem Ausmaß gemacht), sondern auch um eine flächendeckende politische Gleichschaltung unter dem Banner der “Solidarität” und die Vorbereitung der digitalen Identität.
Weil also der Stakeholder-Kapitalismus in der Coronakrise eine segensreiche Wirkung entfaltet hat, dürfen “wir” auch nach ihrem Ende (wann auch immer das kommen mag) nicht zum “business as usual” (Wortspiel) zurückkehren, führte beispielsweise der libanesische Geschäftsführer des Immobilienunternehmens Majid Al Futtaim (Sitz in Dubai) im Januar 2021 für das WEF aus:
Ich bin überzeugt, daß wir einem globalen Problem mit einer globalen Antwort begegnen müssen, bei der die Unternehmen ihre Ressourcen zum Wohle der Allgemeinheit bündeln – stellen Sie sich das wie den Marshall-Plan für Unternehmen vor, nur um ein Vielfaches größer.
Uns alle verbindet unsere Menschlichkeit, unser Bedürfnis nach Rückhalt, Sicherheit und unsere Sehnsucht nach Positivität. Doch der Vormarsch des Stakeholder-Kapitalismus ist keine ausgemachte Sache; auch wenn das Jahr 2020 das Kaleidoskop erschüttert hat, könnten sich die alten Sichtweisen auf die Wirtschaft leicht wieder einschleichen.
Das beste Mittel, letzteres zu verhindern, wäre die Erzeugung neuer Krisen.
Obwohl nun das WEF ein internationaler “Club” ist und Nationen auf allen Kontinenten mit seinen “Young Leaders” und sonstigen Komplizen “penetriert” (so Schwab wörtlich), so liegt das Schwergewicht seiner Macht zweifellos auf westlichen Konzernen, westlichen Köpfen, westlichem Kapital und westlichen Ideen.
Rußland und China haben ebenfalls ihre Kapitalisten, ihre Großkonzerne und auch ihren eigenen wirtschaftlichen Globalismus und “Neokolonialismus” (etwa in Afrika), halten aber immer noch am Primat des Staates und der Nation über die Wirtschaft fest.
Demgegenüber haben sich die Kapitalisten des Westens zu entnationalisierten, “vaterlandslosen Gesellen” entwickelt, nach Samuel Huntingtons berühmtem Essay zu “toten Seelen”, die ein Bündnis mit dem moralistischen Transnationalismus der linken “Intelligentsia” eingegangen sind, woraus mittlerweile der “woke capitalism” erwachsen ist, der praktisch mit dem “Stakeholder-Kapitalismus” identisch ist.
Nun war es bislang natürlich so, daß auch Rußland einen festen Platz im WEF-Clubs innehatte und Jahr für Jahr zahlreiche Vertreter russischer Konzerne, Banken, NGOs usw. wie auch der Regierung am alljährlichen Davos-Treffen teilnahmen.
Im Oktober 2021 trat Rußland “in führender Rolle” dem “Centre for the Fourth Industrial Revolution” bei; im Januar des Jahres hatte Putin allerdings per Videoeinspielung vor dem Davos-Publikum eine bemerkenswerte Rede gehalten (seine erste seit 2009), in der die kritischen Töne deutlich hörbar waren (ausführliche Zitate auf Deutsch hier und hier).
Etliche Punkte seiner Rede entsprachen durchaus dem Davos-Programm. So forderte Putin, der den Chef des WEF mit seinem Vornamen “Klaus” ansprach, dazu auf, auch ärmeren Ländern Massenimpfungen gegen “das gefährliche Virus” zu ermöglichen oder den Klimawandel zu bekämpfen.
Davos Agenda 2021
Er warnte aber auch vor der monopolisierten, politischen Macht der Big-Tech-Konzerne (anspielend auf die Twittersperre von Donald Trump), die ebenfalls mit etlichen Referenten vertreten waren, sowie vor weltweiten innenpolitischen Spannungen durch das globalisierungsbedingte Anwachsen der Kluft zwischen Arm und Reich:
Ungelöste und wachsende sozioökonomische Probleme im Inneren könnten die Menschen dazu bringen, einen Sündenbock zu suchen, auf den sie ihre Irritation und Unzufriedenheit lenken können. Wir können dies bereits beobachten. Wir haben den Eindruck, daß die außenpolitische Propagandarhetorik zunimmt.
Es ist zu erwarten, daß auch die Aggressivität der praktischen Maßnahmen zunehmen wird, einschließlich des Drucks auf Länder, die mit der Rolle von gehorsamen, kontrollierten Satelliten nicht einverstanden sind, sowie des Einsatzes von Handelsbarrieren, unrechtmäßigen Sanktionen und Beschränkungen im Finanz‑, Technologie- und Cyberbereich.
Ein solches Spiel ohne Regeln erhöht das Risiko der einseitigen Anwendung militärischer Gewalt erheblich. Die Anwendung von Gewalt ohne begründeten Anlaß ist das, was diese Gefahr ausmacht. Dies vervielfacht die Wahrscheinlichkeit, daß neue Krisenherde auf unserem Planeten aufflammen. (…)
Die internationalen Institutionen werden schwächer, immer mehr regionale Konflikte treten auf, und das globale Sicherheitssystem verfällt. (…) Natürlich wäre ein “heißer” globaler Konflikt prinzipiell undenkbar. Das ist meine Hoffnung, denn dies würde das Ende der Menschheit bedeuten. Aber wie gesagt, die Situation könnte eine unerwartete und unkontrollierbare Wendung nehmen – es sei denn, wir tun etwas, um dies zu verhindern.
Es besteht die Möglichkeit, daß wir mit einem gewaltigen Zusammenbruch der globalen Entwicklung konfrontiert werden, der zu einem Krieg aller gegen alle führen wird. Damit werden Versuche einhergehen, Widersprüche durch die Ernennung innerer und äußerer Feinde zu bewältigen, sowie mit der Zerstörung nicht nur traditioneller Werte wie der Familie, die wir in Rußland hochhalten, sondern auch grundlegender Freiheiten wie dem Recht auf freie Wahl (free choice) und auf Privatsphäre.
Nun ist tatsächlich ein “heißer” Krieg ausgebrochen, der einstweilen lokal beschränkt bleibt, aber es ist Putin, der den Rubikon überschritten hat und in unseren Medien als der Urheber “einseitiger militärischer Gewalt ohne begründeten Anlaß” dasteht.
Es scheint eine rasante und drastische Entflechtung zwischen Rußland und dem Westen in Gang gekommen zu sein. Das WEF hat vehement Partei gegen Rußland ergriffen und Putins Mitarbeiter-Seite gelöscht. Westliche Firmen ziehen sich in einem “Massenexodus” aus Rußland zurück und stoßen eifrig in das Horn der anti-russischen Hysterie, wie sie es schon zuvor bei “Black Lives Matter” und den Corona-Impfungen getan haben.
Ein wechselseitiger Info-Krieg tobt: Rußland versucht gerade, die Tentakel von Big Tech abzublocken und wird womöglich bald sein eigenes Internet aktivieren, während in westlichen Netzwerken “russische Staatsproganda” zensiert und gesperrt wird, ähnlich wie weiland “Falschinformationen” über Coronaimpfungen oder die Manipulation der US-Präsidentschaftswahl 2020.
Momentan wirkt es allerdings, als ob der Schuß nach hinten losginge. Die Spritpreise steigen rasant, während weitere massive Energie- und Versorgungskrisen prophezeit werden, und schon wird aus der Not eine Tugend gemacht: Wenn es kein Erdgas gibt, dann ist halt “Frieren gegen Putin” aus Solidarität mit der Ukraine angesagt (Gauck), und ebenso wäre “weniger Fleisch essen ein Beitrag gegen Putin” (Özdemir).
Verzicht auf fossile Brennstoffe und Fleisch (natürlich nur für die hoi polloi), das klingt verdächtig nach dem “Nachhaltigkeits”- und “Klimaschutz”-Programm des WEF, und wie eine fast nahtlose Fortsetzung der Corona-Verzichtspolitik. Einerlei, ob die Sanktionen nun Rußland schaden oder nicht: Sie erzeugen im Westen frisches Material für den “Krisenkapitalismus”, der nun wieder allerlei “Lösungen” austüfteln und implementieren kann.
Der britische Kommentar Morgoth bemerkte:
Die gegen Rußland verhängten Sanktionen wirkten allmählich eher wie Sanktionen des Westens gegen sich selbst, da strukturelle Schwachstellen wie die Abhängigkeit von russischem Gas aufgedeckt wurden. Düstere Vorhersagen über künftige Engpässe bei Weizen und Düngemitteln und sogar der mögliche Absturz des Dollars lassen den Westen besonders verwundbar erscheinen.
Es gibt wieder einen Markt für Lösungen!
Plötzlich hat sich der Begriff “Nachhaltigkeit” aus seinem ursprünglichen Klimawandel-Kontext gelöst und ist in den Bereich der Geopolitik und sogar des Patriotismus vorgedrungen. Auch Sie können es den Iwans nun zeigen, indem Sie Ihren Motor gegen eine Batterie eintauschen. Wie Zero Hedge dargelegt hat, stört der Ukraine-Krieg das öffentlich-private Modell nicht nur nicht, er beschleunigt es sogar.
Es wirkt geradezu wie eine tektonische Verschiebung: China und Rußland, das nach Aussage Putins “die halbe Welt” gegen sich aufgebracht hat, rücken enger zusammen und bilden nun einen gigantischen Kontinentalblock.
Das vom Westen verschmähte russische Erdöl hat bereits indische Abnehmer zu Discountpreisen gefunden, bezahlt mit Rubel und Rupien. Ihre Energieversorgung mit Rubel bezahlen müssen nun auch alle Staaten, die auf einer “schwarzen Liste” gelandet sind, darunter auch Deutschland.
Die Eurasische Wirtschaftsunion arbeitet an einem vom US-Dollar unabhängigen internationalen Geld- und Finanzsystem, und Saudi-Arabien erwägt, chinesische Yuan für den Ölhandel zu akzeptieren. Währenddessen tingelt, o wundervolle Ironie, Deutschlands grüner Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz durch den Nahen Osten, um dort fieberhaft Deutschlands Ölversorgung sicherzustellen.
Rußland scheint sich gewaltsam aus dem westlichen System hinauskatapultieren zu wollen, und manche meinen, dies geschähe mit voller Absicht, da man im Kreml von einem baldigen Crash unseres Finanzsystems ausgeht. Das würde Putins äußerst riskante und ruchlose Rubikonüberschreitung erklären, denn dieser Mann ist eher als kaltblütiger Rechner denn als Hasardeur bekannt.
Man kann sich gut vorstellen, daß er Rußland nach Absicherung des ukrainischen Hinterhofs in den Modus einer nordkorea-artigen Abschottung überführen wird. Einmal mehr in der Geschichte wendet sich Rußlands Gesicht von Europa ab und Asien zu. Der eurasische Block, Dugins politischer Leitstern, könnte bald Wirklichkeit werden.
Währenddessen wird sich vermutlich im Westen der “Great Reset” intensivieren und ein Regime des permanenten Ausnahmezustands errichten. Ist der Ukraine-Krieg also ein “Booster” dafür?
Vielleicht wird langfristig ein Zustand entstehen, in dem à la 1984 die “multipolaren” Blöcke Ozeanien, Eurasien und Ostasien ihre gegenseitige Existenz durch einen ewigen Kriegszustand nach außen und die Totalüberwachung der Bürger nach innen aufrechterhalten.
Krieg ist Frieden, haben wir von George Orwell gelernt, und von Alexander Dugin, daß eine Ideologie stirbt, wenn sie keinen Feind mehr hat.
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Zur Nachlese:
Maiordomus
Ich brauche Dugin als Denker so wenig wie Fukuyama, den notorischen, kaum proseminarfähigen Nichtkenner phänomenologischer Geschichtsanalyse. Was bei Dugin "Nominalismus" und "Liberalismus" ist, ist bei Sellner und Co. der "Universalismus", ohne dass er und andere sich je ernsthaft mit dem abendländischen Naturrecht auseinandergesetzt hätten. Selber liess ich mich 1975 bei Prof. Lübbe über Bonald, de Maistre, Donoso Cortez, Burke, Baader, Schelling und die Hegelsche Rechte, z.B. Lange, mit ihrem Verhältnis zur Demokratie und zur sozialen Frage als Doktor prüfen, sowie natürlich zur Geschichte des Subsidiaritätsprinzips. Was die Russen betraf, standen Solowjew und Berdajew im Vordergrund. Für russische Ideologiegeschichte ist es natürlich nicht falsch, sich mit diesem Dugin, wie man sieht keineswegs unkritisch, zu befassen. Noch lehrreicher wäre indes die Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen zur Zeit der Heiligen Allianz. Für die modernen Sozialreligionen, incl. Marx, zumal den frühen Marx, bleibt indes Voegelin Standard.