Mittlerweile hat dieser sich als drohnenhafter Käfermensch (Bugman) kerbtiergleich weltweit ausgebreitet – und ebenso das Problem an Tiefenschärfe gewonnen.
Da Tiervergleiche in den letzten paar Jahrzehnten ein wenig außer Mode gekommen – wenn auch immer noch lustig – sind, und wir mittlerweile wohl alle im 21. Jahrhundert angekommen sind, hat sich auch das Motiv des hier angesprochenen Menschentypus verfeinert.
Beim Verweis auf die Jetztzeit werden es sicher die meisten schon ahnen: Es geht mal wieder um so ein englischsprachiges Internetding. Wen derlei empört, der höre lieber hier auf zu lesen. Neueinsteiger seien zum Einstieg auf die Grundzüge der memetischen Kampfführung verwiesen, damit wir alle wissen, worum es hier geht.
Nun aber zur Sache: Aktueller Geniestreich und Cause célèbre ist das Mem des “NPC” – verbildlicht in einem kleinen grauen Kerl mit leer starrendem Blick und ausdruckslosen Gesichtszügen. Der NPC ist damit exaktes Gegenteil (und Gegenspieler) seiner zeichnerischen Vorlage, des “Wojak”, der für Nachdenklichkeit und Emotionalität steht.
Das Kürzel “NPC” steht in der Terminologie der digitalen wie analogen Spielebranche für Non-player character, also eine Spielfigur, die nicht der Kontrolle eines konkreten Spielers unterliegt. Die Fäden dieser Marionetten bedient der Computer (bzw. in klassischen Rollenspielrunden der Spielleiter), und ihre Interaktion mit dem autonomen Spieler folgt vordefinierten Mustern, etwa durch vorgefertigte Gesprächsverläufe und Handlungsparameter.
Die Entwicklung dieser Spielfiguren hin zum skandalträchtigen Mem, das gleich zu Beginn seiner schlagartigen Verbreitung in den sozialen Netzwerken eine prophylaktischen Gegenschlag von Twitter (samt der mit derartigen Aktionen inzwischen Hand in Hand gehenden “Wehret-den-Anfängen”-Berichterstattung bis hin zur New York Times) heraufbeschwor, läßt sich bis Juli 2016 zurückverfolgen. Im notorischen Aufmarschraum der memetischen Todesschwadronen, dem Imageboard 4chan, meldete sich einer der stets anonymen Nutzer zu Wort:
Ich habe die Theorie, daß es auf dem Planeten Erde nur eine begrenzte Menge an Seelen gibt, die immer wiedergeboren werden. Weil aber die menschliche Wachstumsrate so enorm ist, türmt sich das seelenlose wandelnde Fleisch um uns herum auf – als NPCs, als die absoluten Normalschwuchteln, die selbständig dem Gruppendenken und gesellschaftlichen Trends folgen, um möglichst überzeugend menschlich zu erscheinen.
Dahinter steht mitnichten bloße Kalauerei. Vielmehr sind die oft jugendlichen Digital-Krawallmacher, die sich in diesen Foren tummeln, durch die entsprechenden popkulturellen Einflüsse deutlich theoretischer geprägt, als sie vielleicht selbst wissen.
Bestes Beispiel dafür ist der Film Matrix als großer Stichwortgeber: Nicht nur stammt die spätestens seit 2016 weltweit fest etablierte Allegorie der wachrüttelnden Red pill aus diesem audiovisuellen Philosophiegulasch. Auch die ansonsten eher arkane Metapher von der »Wüste des Realen« (Jean Baudrillard in »Die Präzession der Simulakra«) hat sich vom Film aus bis in die berüchtigtsten Reden geschlichen.
Zumindest geht es dem Redner an der konkreten Stelle um den Film; da er allerdings ein kundiger Leser von Slavoj Žižek ist, wird er die Formulierung auch von dessen gleichnamigem Sammelband her kennen, der wiederum von Matrix herkommt.
Nun also das Mem von den NPCs: Im Grunde ist das das »Habe Mangel an Versöhnung« aller, die sich für ein Leben mit Linken endlich oder immer schon zu schade sind. Die keinen Diskussionsbedarf mehr mit solchen haben, die überhaupt nicht zugänglich für andere Meinungen sind und darauf stets nur mit den immergleichen jammervollen Phrasen reagieren, so als würden sie tatsächlich von simplen Verzweigungen gesteuert – was ein entsprechendes “Bullshit-Bingo” zu einem Spiel mit Gewinngarantie macht:
Auch die Sprachpfleger-Fraktion kann sich gleich wieder beruhigen – den memetischen Ausbreitungsverläufen entsprechend, haben die fleißigen Mitstreiter von “Rechtstwitter” natürlich längst eine Lokalisation vorgenommen!
Spätestens jetzt dürfte das Prinzip wohl klar sein. Mit derartigen Gestalten lohnt sich der ohnehin überschätzte “Diskurs” ebensowenig wie in Computerspielen mit den ursprünglichen NPCs, die bei jeder Interaktion dasselbe von sich geben. Wie aber haben die neckischen Figuren es nun geschafft, so schnell einen derartigen Zorn zu erregen, daß ihretwegen zahllose Twitterkonten in den digitalen Orkus verbannt wurden?
Hier laufen zwei geradezu dialektische Erregungsleitungen der persiflierten Linken und Liberalen zusammen, nämlich einerseits das zwanghafte Suchen nach rechten “Codes” (während sie gleichzeitig den Rechten “Verschwörungstheorien” vorwerfen) und andererseits das Beharren darauf, daß die eigenen Positionen ausgesprochen individuell, mutig und besonders seien, weshalb sich jede Verallgemeinerung von allein als “Entmenschlichung” demaskiere (während sie gleichzeitig alles aus ihrer Sicht Rechte – mal ernsthaft: Wer will schon mit Horst Seehofer zusammengeworfen werden?! – über einen Kamm scheren und verunglimpfen).
Die mit diesem Verhalten einhergehende Empörungsspirale reicht schon bis mindestens 2014 zurück, als im Zuge der sogenannten #GamerGate-Affäre das Mem des Social justice warrior (SJW), also des Bestmenschen angloamerikanischen Zuschnitts, so richtig an Fahrt aufnahm. Die damit gemeinten Inhaber oder Verteidiger eines Multiminderheitsbonus liefen Amok, weil sie derart sarkastisch kategorisiert wurden, was natürlich das Trolling nur noch verstärkte.
Dieser hämische Spaß hat das Mem mit Schwung bis in den Präsidentschaftswahlkampf 2016 hineingetragen, woran der durch #GamerGate bekanntgewordene Milo Yiannopoulos und sein Flügelmann Theodore “Vox Day” Beale einen nicht geringen Anteil hatten; das launig zu lesende SJWs Always Lie des letzteren stellt mit seinen taktischen Regeln für den Umgang mit SJWs übrigens eine wesentliche Vorlage für Mit Linken leben dar.
In der Etikettierung als NPC wittern die (Berufs-)Betroffenen nun abermals eine “Entmenschlichung”…
… und natürlich “Faschismus”, wie könnte es auch anders sein? Seit so ausgeklügelten “Codes” wie der OK-Geste, dem Trinken von Milch und gehäuft auftretenden Klammern wurde ja schon lange keine neue Dog whistle mehr aus dem Hut gezaubert.
Tatsächlich – und davon legen sie damit selbst beredt Zeugnis ab – geht es eben gerade darum, daß ihnen bescheinigt wird, sich wie willenlose Automaten aufzuführen, die unkritisch alles aufnehmen und wiederholen, womit sie gefüttert werden. (Für das ihnen fehlende objektive Urteilsvermögen hat sich die augenzwinkernde Formulierung Inner monologue etabliert.)
Die Reaktion der SJWs/NPCs darauf sorgt nun wieder für die gewohnte Eskalation: Die gängigste Reaktion auf das NPC-Mem neben dem Aufschrei bzgl. Dehumanization ist nämlich, die Benutzer des Mems in fast schon lächerlicher Uniformität schlicht den berüchtigten “russischen Bots” zuzurechnen, die ja bekanntlich erst kürzlich die US-Zwischenwahlen so zugunsten Trumps manipuliert haben sollen, daß nur der Senat betroffen war, das Repräsentantenhaus aber nicht – oder so ähnlich.
Nun mag natürlich weiterhin der Vorbehalt im Raum stehen, das alles sei eine reine Online-Veranstaltung ohne jeden Bezug zur erlebbaren Wirklichkeit. Nun, das ist selbstverständlich ein Trugschluß.
Zumal man es gerade als Homo bundesrepublicanensis besser wissen sollte: An erbarmungswürdige Gestalten wie Jan Böhmermann oder Oliver Welke mit ihren immergleichen dummen Witzchen und dem immergleichen Roboterlachen des hippen Publikums dazu (»Also die AfD…« *hahahahaha* »Nein, ernsthaft, BERND Höcke…« *HAHAHAHAHAHAHAHAHAHA!!!*) haben wir uns längst gewöhnt, selbst diejenigen, die aus gutem Grund kein Fernsehen konsumieren. Denn gerade diese einzig mit GEZ-Abgaben künstlich aufgeblasenen Hautsäcke sind es, die auch in allen anderen Formaten bloß des medialen Abglanzes wegen um ihre Meinung zu Thema xy gefragt werden.
So ist der Medienzirkus, aus dem sich die weltweite NPC-“Community” speist, tatsächlich ein in sich geschlossenes, selbsterhaltendes und ‑referentielles System, wie es schon seit spätestens 1967 absehbar war.
Um diesen “Ringelpiez mit Abschreiben” am Leben zu erhalten, braucht es überhaupt keinen Realitätsbezug mehr – ob es nun tagesaktuell darum geht, daß das Weiße Haus und nicht CNN ein inkriminiertes Video manipuliert habe, oder ob ausnahmslos alle deutschen Medien unisono von Martin Sonneborns wahnsinnig kreativem und witzigem Auftritt »als Stauffenberg verkleidet« bei der Höcke-Lesung auf der Frankfurter Buchmesse berichteten, während jedermann klar sehen kann, daß der etwas chaotische Uniformfundus mit Totenkopf auf der Mütze, Leibstandarte-Ärmelband und Kragenabzeichen eines Hauptsturmführers nicht ganz dazu passen will. Naja, Sie wissen schon, Satire und so.
Abschließend aber noch einmal zu unseren eigenen NPCs: Ein aktuelles, besonders drolliges Beispiel ist das empörte Quieken aus dem wohlfühllinken Feuilleton über die Münchener Buchhandlung Lehmkuhl: Margarete Stokowski, der Fährte des Geldes von der taz zu Spiegel Online gefolgt und dort Große Vorsitzende der Hauptverwaltung Pipikaka-Feminismus und ‑Antifaschismus, fühlt sich von bedrucktem Papier bedroht. Emanzipation führt heute eben durch selbstbewußten Opferstolz hindurch, und so wird die Auslage von Antaios-Büchern in einer Buchhandlung zu einer “Mikroaggression”. Stokowski also möchte ein Zeichen setzen, indem sie ihre Lesung dort absagt (die aber natürlich anderswo sehr wohl stattfinden soll, gibt ja schließlich Honorar!).
Dieses “couragierte” Verhalten löst natürlich die erwartbaren Reaktionen entlang der psychosozialen Algorithmen unserer Zeit und Gesellschaft aus. Ein schönes Beispiel liefert dieser gut ausgesteuerte Automat, dessen gesamtes digitales Auftreten man fast für ein Satireprojekt halten könnte:
“Wir sind ne linksliberale Buchhandlung. KLAR verkaufen wir Nazi-Bücher, denn man muss Nazis lesen, um sie zu verstehen. Wenn @marga_owski deshalb nicht bei uns lesen will, ist sie nicht debattenfähig.”
wow. meine Branche. #reaktionär #gierig #verlogen https://t.co/0y9Wy9kJTA
— Stefan Mesch (@smeschmesch) 5. November 2018
Doch Vorsicht: Die Migranten-Margarete – deren Gewäsch in Polen wohl ein weitaus weniger begeistertes Publikum finden würde… – schwingt sich hier mitnichten zur Strippenzieherin auf, sondern hat selbst ihren Platz unter den brav mitblökenden Schäfchen ihrer getreuen Anhänger. Denn natürlich wurde ihr laut der unvermeidlichen Stellungnahme zur Stellungnahme die böse Kunde vom frechen Fascho-Regal in der »linksliberalen (!)« Buchhandlung – ein, nein, zwei Goldene Bednarze! – nur zugetragen:
»Anfang Oktober erzählte mir jemand, dass es bei Lehmkuhl auch ein Regal mit Büchern von rechten und rechtsextremen Autor*innen und aus dem Antaios-Verlag gibt.« (Etwas bemüht um einen direkten Anwurf herumlaviert, ganz so weit reicht die wackere Antifa-“Handarbeit” also doch nicht…)
Stokowski triggert also nicht von sich aus zum Spaß oder aus Überzeugung, sondern wurde zuallererst einmal selbst getriggert und hat dann umgehend die für sie selbstverständliche Empörungskaskade entfesselt. Natürlich hat sie den erwarteten Presserummel bekommen, der ihre Lesetour nun überhaupt erst allgemein bekannt gemacht hat, aber wir sind ja mittlerweile schon so weit, daß Journalisten mit Absicht erstmal Stahlgetwitter provozieren, um sich hinterher in eigenen Artikeln darüber ausweinen zu können…
Insgesamt also ist das NPC-Mem ein aktueller Höhepunkt der Bewaffnung der Memetik, wenn wir es einmal so nennen wollen. Die Überreaktion von Twitter hat deutlich gezeigt, daß die Charakterisierung der hysterisch-histrionischen Medienlandschaft und ihrer ebenso geist- wie seelenlosen Konsumenten als programmierte Monolog-Drohnen ein Volltreffer ist. Nach meinem Kenntnisstand wurde noch gegen kein vergleichbares Mem derart tollwütig polemisiert und vorgegangen, nicht einmal im hitzigen US-Präsidentschaftswahlkampf.
Gerade deshalb kann und sollte der geneigte Leser es sich getrost zu eigen machen, denn schließlich ist es ein nobles (und das einzig sinnvolle) Ziel, den Gegner maximal zu reizen. Man darf gespannt sein, wie ausbaufähig das alles gerade hierzulande noch ist – vielleicht sogar außerhalb des Internets. Werden zur kommenden Karnevalszeit die ersten Bilder von grau kostümierten und angemalten Narren auftauchen, so wie in den USA zu Halloween? Falls ja, dann wären wir auf dem besten Wege dahin, in »Großwestdeutschland« (Henning Eichberg) erstmals so etwas wie subversiven Humor zustande zu bringen.
Und um in Richtung Fräulein Stokowski aus Spaß an der Freude noch ein bißchen nachzutreten, zum Abschluß ein hervorragend zum Thema passendes Video (witzigerweise unmittelbar vor Hochkochen der “Affäre Lehmkuhl” veröffentlicht), zu dessen Beginn die Dame der Fairneß halber ihrer Programmierung ihrem Meningenabsud freien Lauf lassen darf und das in der weiteren Folge allgemeinverständlich aufzeigt, daß so ein Inner monologue doch seine Vorteile haben kann: Film ab!
silberzunge
Auf 4chan ist so unglaublich bizarres Zeug zu finden, und war man auch einmal längere Zeit nicht dort, man kann sicher sein, dass beim nächsten Besuch wieder die gleichen Säue durch das digitale Dorf getrieben werden.
Mir macht das, nicht zuletzt auf /pol/, schon immer wieder Spaß, es ist trashig-kreativ und strikt gegen die aktuelle ideologische Ordnung.
Und wenn man den von NW verlinkten ursächlichen Kommentar betrachtet: man möchte den Urheber für sein gewähltes Bild und für den dazugehörenden Text einfach abbussln (no homo).