Daraus ergaben sich eine lebhafte Diskussion und eine Replik von Johannes K. Poensgen. Leben wir derzeit in einer Demokratie, die der böse Grüne nach seinem NWO-China-Gusto umzudrehen sich anschickt? Müssen wir unsererseits „die Demokratie retten“? Sind wir als rechte „Populisten“ die wahren Demokraten? Oder sind wir die „Feinde der Demokratie“, als die uns Linke immer hinstellen? Kann es die “Republik als Erzieher” (Poensgen) geben?
Habecks Verschleierungstaktik gehört noch einmal genauer untersucht. Andernfalls bekommen wir die zentrale Problematik nicht in den Blick, aufgrund derer die oben gestellten Fragen überhaupt entstehen. Ein Schaubild könnte so aussehen:
I Formaldemokratie
Zuschauerdemokratie
II Programmdemokratie
Demokratie I ist nämlich nicht der politische status quo, ebensowenig etwa der zurücksehnenswürdige status quo ante der BRD-Achtzigerjahre, der freiesten aller freien Vereinigten Staaten oder der Schweiz, sondern das formale Prinzip, ich nenne es fortan: Formaldemokratie. Wir haben trotz „freiheitlich demokratischer Grundordnung“ nie in einer Demokratie gelebt, wie sie Aristoteles in seiner klassischen Unterscheidung der Herrschaftsformen beschrieben hat. Habecks “inhaltliche” Befüllung ist eines von vielen denkbaren politischen Programmen. Programmdemokratie ist definierbar als Nutzung des formalen Demokratiebegriffs für inhaltliche politische Programme.
Habecks Verschleierung besteht darin, innerhalb einer im folgenden zu erklärenden “Zuschauerdemokratie” eine in die Zukunft verlagerte Programmdemokratie anzubahnen, und dabei so zu tun, als ginge es ihm um die Form der Demokratie schlechthin.
Die real existierende Demokratie ist nämlich seit jeher nur als spectator democracy, als „Zuschauerdemokratie“ im Sinne Walter Lippmanns zu haben. Deshalb habe ich im Schaubild diese dazwischen geschoben. Bei Lippmann und anderen Vordenkern der “kontrollierten Demokratie” werden wir fündig. Manches ist dem geneigten Leser davon ohnehin vertraut, mancher anderer Leser wird es empört von sich weisen. Auf dem Spiel stehen nämlich die partizipativen Handlungsmöglichkeiten der freien Bürger.
Edward Bernays, der Erfinder der public relations (PR) schrieb 1928 in seinem Klassiker Propaganda:
Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften. Organisationen, die im Verborgenen arbeiten, lenken die gesellschaftlichen Abläufe. Sie sind die eigentlichen Regierungen in unserem Land. Wir werden von Personen regiert, deren Namen wir noch nie gehört haben. Sie beeinflussen unsere Meinungen, unseren Geschmack, unsere Gedanken. Doch das ist nicht überraschend, dieser Zustand ist nur eine logische Folge der Struktur unserer Demokratie: Wenn viele Menschen möglichst reibungslos in einer Gesellschaft zusammenleben sollen, sind Steuerungsprozesse dieser Art unumgänglich.
Bernays notierte diesen Befund ohne Zynismus, aber auch ohne Illusionen, als schlichte Tatsachenbeschreibung. Demokratie funktioniert so und nicht anders.
Walter Lippmann hat unabhängig von Bernays’ Überlegungen 1922 in Public Opinion (2018 auf Deutsch als Die öffentliche Meinung neu ediert von Walter Ötsch, dem NLP-Guru, den Lichtmesz und ich uns in Mit Linken leben vorgeknöpft hatten, jedoch nach wie vor erbärmlich übersetzt, eine Besprechung des Lippmannschen Werkes findet sich in der Sezession No. 89 ) die Funktionsweise der modernen Demokratie analysiert:
Es gibt in jeder Demokratie eine Expertenkaste, jene notwendigen Spezialisten, an die wesentliche Elemente der Partizipation delegiert werden (Politikberater, Sozialwissenschaftler, Medienexperten, Statistiker, Prognostiker, Gutachter, Werbefachleute, beschäftigt in „Assoziationen“ im Sinne Carl Schmitts, Firmen und NGOs). Lippmann drückt das (man beachte die Übersetzung) so aus:
Allmählich haben daher die stärker erleuchteten Köpfe Fachleute berufen, die geschult waren oder sich selbst geschult hatten, damit sie Teile dieser Großen Gesellschaft denen, die sie lenken, greifbar machten.
Soll heißen: nur durch Fachleute vermittelt versteht das Volk überhaupt irgend etwas davon, woran es zu „partizipieren“ eingeladen ist. Lippmann konstatiert, daß eine intakte Demokratie stets aus zwei Klassen bestehe: Die sehr kleine Klasse der „Spezialisten“ wird aktiv mit den Angelegenheiten des Allgemeinwohls betraut. Diese Männer analysieren die Lage der Nation und treffen Entscheidungen auf politischer, wirtschaftlicher und ideologischer Ebene.
Ihr gegenüber stehe die Klasse der den Spezialisten überlassenen „Handlungsobjekte“, nach Lippmann die „verwirrte Herde“, vor deren Getrampel und Gelärm die Spezialisten geschützt werden müssten. In einer funktionierenden Demokratie hat die Masse der Menschen („die Herde“) laut Lippmann lediglich die Befugnis, die Spezialisten zu wählen und den Rest der Zeit mit „Grasen“ zu verbringen. Lippman forderte, daß nur die spezialisierte Klasse für die „Herausbildung einer gesunden öffentlichen Meinung“ Sorge tragen dürfe, weil die Öffentlichkeit lediglich aus „unwissenden und zudringlichen Außenseitern“ bestehe.
Lippmann liefert genau wie Bernays nicht etwa die Beschreibung einer Verfallsform des Politischen. Demokratie ist per se Scheindemokratie, Manipulation ihr natürliches Verfahren. Er bewunderte „den Vorteil“ zentraler politischer Beeinflussung der Massen nach dem Vorbild des Politbüros der Sowjetunion. Die Öffentlichkeit könne mit ihrer Hilfe für politische Ziele gewonnen werden, die sie im Grunde ablehne.
Diese Manipulation der Massen sei notwendig, da „das Interesse des Gemeinwesens sich der öffentlichen Meinung völlig entzieht“ und nur von sogenannten verantwortlichen Männern getragen werden dürfe. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges wurde Lippmann für die US Army in London stationiert und verfaßte dort Flugblätter, die hinter den feindlichen Linien abgeworfen wurden. In dieser Zeit ernannte ihn der US-Kriegsminister zum Generalsekretär einer geheimen Studiengruppe, die den kommenden Friedensvertrag vorbereiten sollte – und damit letztlich die Weltnachkriegsordnung. Die Studiengruppe war organisatorisch und personell ein direkter Vorläufer des 1921 gegründeten Council on Foreign Relations, wo bis heute und mit großem Erfolg die Sichtweise eines maßgeblichen Teils der US-Geld- und Konzernelite in amerikanische Außenpolitik übersetzt wird. In diesem Gremium entstand US-Präsident Woodrow Wilsons berühmter 14-Punkte-Plan, laut Lippmann der Versuch, ein „gemeinsames Bewußtsein in der ganzen Welt anzubahnen“.
Wenn nun Walter Lippmann sowohl die Mechanismen der Zuschauerdemokratie offenlegt, als auch offensichtliches Interesse hatte, diese in die Hand zu nehmen im Sinne einer umerzieherischen Programmdemokratie, stellt sich die Frage, ob nach dieser Diagnose die Demokratie überhaupt noch zu „retten“ ist.
Der amerikanische Linguist und Sozialphilosoph Noam Chomsky springt in die Bresche und schlägt in Media Control (2002) auf Lippmann fußend zwei Demokratiemodelle vor: eines, in dem die Öffentlichkeit aktiv partizipiert, und eines, in dem sie manipuliert und kontrolliert wird. Chomsky zufolge ist Propaganda für eine Demokratie, was der Knüppel für einen totalitären Staat ist. In den USA spielten die Medien die Rolle eines Vehikels der Propaganda: Zum Beispiel sei es des bereits erwähnten Präsidenten Woodrow Wilsons Creel Commission gelungen, innerhalb von sechs Monaten eine friedfertige Bevölkerung zu einer kriegslüsternen umzubilden, das nämliche habe Bush Senior im ersten Irakkrieg zu verantworten.
Der tatsächliche Job der PR-Industrie der USA sei es, so Noam Chomsky, die öffentliche Meinung zu manipulieren, statt ihrem eigentlichen Job nachzukommen, die Öffentlichkeit zu informieren. In der unmittelbaren Gegenwart könnte man beispielsweise den österreichischen “Ibiza”-Staatsstreich so interpretieren: durch Lancieren von “Kompromat” gelingt ein regime change, der von der Bevölkerung für den Inbegriff einer vernünftigen Demokratie gehalten wird.
Ist nun Chomskys „partizipatorische Demokratie“ die eigentliche Demokratie, die man als Kritikfolie an die manipulierte Demokratie anlegen kann? Ich fürchte, mitnichten. Er entwirft ein Bild von „Demokratie“, das in Wirklichkeit identisch mit einer linken Programmdemokratie ist, einer „offenen Gesellschaft“ der „ westlichen Werte“, und verspricht uns, daß die lippmannsche Zuschauerdemokratie eine Depravationserscheinung ist, die das Volk selber überwinden könnte:
The issue is … whether we want to live in a free society or whether we want to live under what amounts to a form of self-imposed totalitarianism … That’s the choice that you have to face. The answer to those questions is very much in the hands of people like you and me. (Media Control, S. 65)
Chomskys Versprechen hat es in sich und könnte der Schlüssel für unser Problem sein. Habeck ist hier bloß der gelehrige Schüler.
Sein ganzer „libertär-sozialistischer“ (Chomsky über Chomsky) Freiheitskampf (immerhin hat er sich seinerzeit sogar für die Meinungsfreiheit eines Faurisson eingesetzt) baut auf Manipulation der Öffentlichkeit auf und impliziert eine Zuschauerdemokratie. Ohne diese ist nämlich – un coup de maître! – Programmdemokratie prinzipiell nicht zu haben.
Die Staatsform Demokratie wird in diesem Spiel immer als Bild hingehalten, das gerade noch durch den mündigen Bürger gerettet werden kann: It’s up to you! Sie ist damit fixer Bestandteil der Programmdemokratie, die aus der formalen „prozeduralen Republik“ ein inhaltliches Programm macht, das stets noch zu realisieren ist. Vorzugeben, daß ein bestimmter Zustand ja erst in der Zukunft erreicht sein soll (egal, ob es sich um eine Utopie oder eine Dystopie handelt), verschleiert dem Umstand, daß dieser Zustand möglicherweise bereits in der Gegenwart vorliegt.
Ob Chomsky ein Manipulateur oder ein „Retter“ ist, wissen wir nicht. Er dürfte ein gatekeeper sein, von dem man sagen kann „Schaut her, selbst Chomsky sagt ja ….“, denn da er das Bild der Staatsform Demokratie hochhält, kann er so einiges preisgeben, wofür jeder andere einen Aluhut verliehen bekäme. Um 2010 herum kursierte ein seltsames Manipulations-Manual in französischer Sprache im Netz, das auf ihn als Autor zurückgehen soll.
Unter dem Titel 10 Strategien, die Gesellschaft zu manipulieren, – einer mangelhaften Übersetzung, was nicht heißen soll, daß schlechte Übersetzungen im Themenbereich Manipulation etwa System hätten – findet, wer ein gewiefter Manipulateur werden will, eine ziemlich genaue Bauanleitung zu einigem, von dem wir annehmen können, daß es bereits verwirklicht ist. Der Verweis auf fiktive, gar „satirische“ Anleitung zur Errichtung eines zukünftigen manipulativen Regimes ist hervorragend brauchbar als Schleier für längst Ablaufendes. Wer also eine Programmdemokratie steuern oder zu dieser hinsteuern will, der befleißige sich folgender Mittel (zusammenfassende behelfsmäßige Übersetzung C.S.):
- Ablenkung – von großen Problemen durch Nebenschauplätze und „Haltet-den-Dieb“-Manöver ablenken
- Probleme schaffen, deren Lösung man dann selber anbietet
- Stückelung der durchzusetzenden Maßnahmen in Scheibchen, die jede für sich geschluckt wird
- „Opfer bringen für das höhere Ziel“ schweißt die Geopferten zusammen und macht sie gefügig
- Infantilisierung der Sprache vernebelt Zusammenhänge und gibt griffige Formeln fürs Volk aus
- Emotionalisierung der Politik biegt diese aufs Subjektiv-Persönliche zurück
- Unbildung durch systematische Nivellierung des Bildungssystems geht einher mit
- Verblödung: man befeuere das Volk, seine eigene Primitivisierung, Barbarisierung und Proletarisierung „geil“ zu finden
- Schuldkult – wer den Leuten einreden kann, an irgendetwas schuld zu sein, macht sie erpreßbar
- Gläserne Menschen: über den Einzelnen mehr zu wissen als er selber weiß, und ihm dies subtil zu verstehen zu geben
Dieses Manual geht auf eine Schrift zurück, deren Ursprung im Dunkeln liegt. Jedenfalls soll sie in Form eines Anweisungshefts des britischen Militärgeheimdienstes 1986 gefunden und weitergegeben worden sein und wird seitdem unter dem Namen Silent Weapons als Handreichung für social engineering gehandelt.
Im Gespräch faßte Stephan Siber die Lage so zusammen:
Die Zuschauerdemokratie ist jene verschleierte Zwangsherrschaft, die sich ihre Legitimation dadurch erschleicht, daß sie das Prinzip der Formaldemokratie als rhetorischen Köder jener Programmdemokratie mißbraucht, deren propagandistischer Effizienz sie ihre Macht verdankt.
Wer mir bis hierhin gefolgt ist, dürfte genervt bis verzweifelt sein. Die Genervten wußten das alles schon oder haben eine Schublade in ihrem inneren Karteikasten unter „V“ bereits geöffnet und wieder zugeknallt. Die Verzweifelten überlegen sich, was unter diesen Bedingungen denn noch von ihrem politischen Handeln übrigbleibt. Was wird aus unserem Populismus?
Wir können uns überlegen, ob wir die Mittel in die Hand nehmen wollen, die uns offen dargereicht wurden von Bernays, Lippmann, Chomsky und Konsorten. Ob wir auf demokratische Art und Weise nichts anderes erreichen wollen als eine Programmdemokratie mit eigenen „rechtspopulistischen“ Inhalten herbeiführen, und dazu metapolitisch einen Zacken zulegen sollten.
Jeder Rechtspopulist lügt sich in die habecksche Tasche, wenn er versichert, endlich die Formaldemokratie wiederherzustellen. Auch die patriotischen Kräfte agieren im Raum der Zuschauerdemokratie. Die AfD beispielsweise kommt innerhalb dieses Rahmens nicht darum herum, das Spiel „Wir retten die Demokratie“ mitzuspielen und die Zuschauerdemokratie mithilfe des argumentativen Vehikels „Formaldemokratie“ in eine Programmdemokratie mit ihren jeweiligen Inhalten überführen zu wollen. Da sind „wir“ um keinen Deut besser als die übrigen Parteien. Poensgens mit Jünger entworfene Formel von der “ ‘feste(n) und bestimmte(n) Lebenseinheit’, die der Repräsentation in einer führenden Schicht bedarf” ist realpolitisch stets korrumpiert: die “führende Schicht” ist eben keine integre Elite, sondern besteht aus Manipulationsspezialisten.
Für den Einzelnen schaut die Lage anders aus. Der Einzelne kann wachsam sein. Er kann unverdreht sein, désinvolté. Er kann Jüngers Waldgang antreten. Er kann eingedenk sein.
„Eingedenk sein“ ist ein wunderbares deutsches Wort: an etwas stets denken zu können, ohne von diesem Gedanken beherrscht zu sein oder düpiert zu werden, den Gedanken griffbereit zu haben. Ich kann eingedenk der Tatsache der spectator democracy, der unüberwindbaren Manipulation der öffentlichen Meinung, dennoch politisch aktiv im herkömmlichen Sinne sein. Ich muß es nur w i s s e n , daß es sich so verhält, und mir keine Illusionen dergestalt machen, wirklich selber mitzuregieren oder gar auf demokratischem Wege die Demokratie retten zu müssen. Beim Waldgänger kommt es auf den Grad des Bewußtseins an, nicht auf das richtige Kreuz auf dem Wahlzettel, auch wenn er der einzige sein sollte, der dieses Kreuz setzt. Die französische Philosophin Simone Weil bemerkte:
Die einzige Art, in der erzwungenen Unterwerfung seine Würde zu bewahren: den Gewalthaber als Sache anzusehen. Jeder Mensch ist ein Sklave der Notwendigkeit, aber der bewußte Sklave ist der weitaus Überlegenere. (Simone Weil, Schwerkraft und Gnade, 1947)
Langsam sein, nicht vom dromokratischen Wirbel angetrieben sein, kann nur der Einzelne. Nur er kann auf einer bestimmten Ebene der katechōn sein, der Aufhalter. Jüngers „Waldgänger“ exerziert ein „geistiges Exerzitium“ vor: in die Katastrophe blicken, auch in die Art und Weise, wie man in sie verwickelt werden könnte. „Wenn sich in den Einzelnen die Furcht vermindert, nimmt die Wahrscheinlichkeit der Katastrophe ab“. Das ist kein magisches Denken, sondern die schlichte Tatsache, daß man nicht verwickelt wird, wenn man von den Verwicklungen weiß.
Gibt es eine rechte Vorstellung von Demokratie, die als nichtmanipulativ gedacht werden kann? Das Volk hat eine tiefverwurzelte Vorstellung von Selbstbestimmung, Selbstregierung, Freiheit, da stimme ich Poensgen vollkommen zu. Kant würde sagen, es verfügt über eine „regulative Idee“, ähnlich etwa der Vorstellung des Reiches Gottes, um daran irdische Mißstände zu messen. Bisheriger Befund: Zuschauerdemokratie, Programmdemokratie. Wenn die Programmdemokratie Opium für das Volk ist, muß es auch eine Arznei für das Volk geben, ein Antidot. Doch dieses läßt sich nicht einflößen, nicht verordnen, und schon gar nicht scheibchenweise verfüttern. Es steht zu befürchten, daß es – gemessen an Habecks Geschwindigkeitsdusel allzumal – sehr langsam wachsen muß, so daß über zunehmendes Bewußtsein der Einzelnen Selbstheilungskräfte entstehen können. Dafür gibt es kein Programm. Auch kein Erziehungsprogramm.
AlexSedlmayr
Es braucht nicht Erziehung, eher Konter-Erziehung. Sehen wir - nur als Beispiel für einen ganzen Komplex an Sachen - die Idee einer entgrenzten Freiheit in vielen Lebensbereichen als ein Problem an - und ich bin wahrlich keiner der mit der Idee liberaler Lebensverwirklichung bricht, das wäre ein lebensautoritärer Rückfall - dann beruht diese doch auf der Vorstellung, dass das absolute Streben nach Freiheit die Seligmachende Parole ist. Jedes Quäntchen an Unfreiheit, nicht ein Quäntchen sondern schon der Inbegriff von Tyrannei als solcher. Der absolute Wert, zum Übermaß, jeder kleine Mangel zur untolerierbaren Katastrophe.
Wir leben nicht in einer organischen Entwicklung des Ganzen. Die Wertewelten befanden sich diesbezüglich immer im Schwanken und sind es auch nach wie vor abhängig der sozialen Schichtung, aber es gibt einen Trend der Entgrenzung, der natürlich einer Erziehung und Propaganda folgt, die nicht etwa Zurückhaltung, Maßhalten und ähnliches predigt, sondern Zielerreichung, Selbstverwirklichung und Befriedigung, jetzt, sofort und ohne Einschränkung egal welcher Art.
Das Feld der Freien Willens- und Persönlichkeitsbildung wird - ganz richtig - nicht durch Erziehung oder Umerziehung bestellt, im Gegenteil. Deshalb muss die "Erziehung", die "Propaganda" nicht mit Um- sondern mit Konter-Erziehung in Schach gehalten werden. Die Hegemonie muss in einem Sturm der Alternative und des Widerspruchs ihre Kräfte zumindest z.T. erschöpfen, damit in diesen Erschöpfungszonen Räume freien Denkens entstehen können.