Er war Herausgeber der Zeitschrift Criticón, einer internationalen Tribüne für die heterogene konservative Szene der 1970er und 1980er Jahre. Sie gilt als Vorläufer der Sezession.
Von Schrenck-Notzing hatte bei der Gründung 1970 an eine »Sammelstelle in der Sturzflut des Gedruckten« gedacht, die für jene Leser des eigenen Milieus Pressematerial sichten sollte, die selbst nicht oder nur unzureichend »quer« lesen könnten – etwa aus zeitlichen Gründen.
Dieses ursprüngliche Anliegen von Criticón, einen Anlaufpunkt zu bieten, bleibt jedoch bestehen. Daher hab ich es mir zu eigen gemacht. Der Titel ist nun plaziert, die Leser wissen, woran sie sind – und der Prägnanz halber wird aus der »Sammelstelle in der Sturzflut des Gedruckten« ab sofort die »Sammelstelle für Gedrucktes«.
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Was es für Deutschlands politische Landschaft im allgemeinen und für das rechtsalternative Lager im besonderen bedeutet, daß der sächsische Landesverband der AfD seine Kandidatenliste für die Bundestagswahl 2021 so aufgestellt hat, wie er sie aufgestellt hat, wurde von Götz Kubitschek dargelegt.
Zu ergänzen bleibt noch eine Anmerkung zur Personalie Herwig Schöffler. Der Leipziger Jurist hatte beim Parteitag für Aufsehen gesorgt, weil er den anwesenden 700 Mitglieder seiner eigenen Partei als »Feindzeuge« gegenüber trat.
Er verwendete Munition des politischen Gegners gegen die eigenen Reihen, raunte vor laufenden Kameras über »Nationalsozialisten« in der AfD und ging seine Kontrahenten um Jens Maier und Siegbert Droese an, daß sie mit entsprechenden Personen kooperieren würden.
Das sorgte für Verwunderung, Protestrufe, Ärger. Schöffler erhielt nur drei Stimmen bei der Wahl um Listenplatz drei. Gegenüber dem Newsletter der Freien Presse (Chemnitz) v. 10. Februar äußerte sich Schöffler nun süffisant:
Mir war völlig klar, dass es für mich überhaupt keine Chance gibt, ein Mandat zu erringen,
und doch habe sein Auftritt seinen Sinn erfüllt, denn er habe auf
extremistische Bestrebungen des gesamten Landesverbandes
hinweisen wollen.
Gegenüber der größten Tageszeitung Sachsens (Auflage täglich um die 200 000 Exemplare), die als SED-Bezirksblatt 1963 begann und der man heute mitunter nachsagt, sozialdemokratischen Tendenzen nicht abgeneigt zu sein, frohlockt Schöffler über
den netten Effekt einer schnelleren Einstufung
als eindeutig rechtsextremer Partei. Diese Maßnahme durch den Verfassungsschutz könnte folgen, wenn man die verantwortlichen AfD-Akteure entsprechend vorführt und zu Stellungnahmen nötigt.
Ziel sei es folglich gewesen, daß
dem Bundesvorstand gar keine andere Wahl mehr bleibt, als meine Forderung nach Landesverbandsauflösung umzusetzen.
Man erstaunt nur kurz ob einem derart unverhohlen artikulierten Vernichtungswillen gegenüber den eigenen Parteifreunden in einem AfD-gegnerischen Blatt, zumal es sich nicht um Parteifreunde handelt, die bei 5 oder 7 Prozent vor sich hin stagnieren, sondern um solche, die bundesweit seit jeher die besten Wahlergebnisse für die AfD eingefahren haben – und wohl auch in diesem Jahr einfahren werden.
Es besteht dabei ja kein Zweifel: Schöffler ist fast alleine im Landesverband und sein Ausschluß ob parteischädigenden Verhaltens nur eine Frage der Zeit. Entsprechende, theoretisch leicht zu überwindende Überspitzungen sollten indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß es in Sachsen und anderswo durchaus ernster zu nehmende Akteure gibt, die sich nach wie vor nicht mit dem Ausschluß von Andreas Kalbitz und Frank Pasemann, dem erzwungenen Nichtantritt von Jungpolitikern wie Patrick Pana oder der Entlassung von Mitarbeitern »mit Vorgeschichte« im patriotischen Vorfeld zufrieden geben.
Sprich: Schöfflers Geballer verpufft im Nichts – andere Detonationen können die Partei ungleich stärker erschüttern.
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Eskalierende Richtungskämpfe sind aber nicht nur Partei-immanent. Auch Stiftungen und Gesellschaften sind davor nicht gefeit: Man denke an die Konflikte der Hayekianer oder, ebenfalls ganz aktuell und einige Kilometer weiter im gemeinwohlorientierten Spektrum, an den altehrwürdigen Verein für Socialpolitik (VfS).
Diese 1873 gegründete Institution stellt bis heute die größte Ökonomenvereinigung im deutschen Sprachraum dar – und streitet nun über ihren Mitgründer Gustav Schmoller (1838–1917). »Auf Distanz zu Schmoller?« fragt dementsprechend die Frankfurter Allgemeine Zeitung (v. 9. Februar), um die Antwort prompt zu liefern: Ja, der Verein »ringt um sein Verhältnis« zum Hauptvertreter der älteren historischen Schule der Nationalökonomie.
Man ahnt es vielleicht:
Anlass für die Auseinandersetzung mit Schmollers Erbe sind Passagen in dessen Werk, die nach heutigen Maßstäben rassistisch und antisemitisch sind.
Des Rätsels Lösung liegt natürlich in der verräterischen Wendung »nach heutigen Maßstäben«. Was gilt heute nicht als tendenziell bedrohlich, seitdem die Maßstäbe systematisch nach links verrückt wurden und antifaschistische Ideologieproduzenten in den Geisteswissenschaften, Feuilletons und dergleichen Wortführer des Gesellschaftsumbaus wurden?
In Schmollers Dutzende Studien umfassenden Lebenswerk hat man nun wenige Stellen aus dem Jahr 1900 (!) gefunden, in denen er, unter Berufung auf Otto von Bismarck, über die potentielle Staatsführungskünste deutscher Juden sinnierte. Er lobte sie vor über 120 Jahren für ihre schriftstellerischen und politischen Künste, bezweifelte aber en passant, daß sie die nötigen »Härten« staatlicher Zwangsmaßnahmen begreifen könnten.
In der Tat eine merkwürdige Überlegung, die jedoch im brillanten Œuvre Schmollers allein auf weiter Flur steht. Gleichwohl könnte sie zeitgeistbedingt den Ausschlag dafür geben, daß die Gustav-Schmoller-Medaille (Preisträger 2014 Hans-Werner Sinn, Olaf W. Reimann, seither: niemand) direkt wieder eingestampft wird.
Für eine solche Maßnahme gäbe es im Verein jedoch einige Gegner,
verrät immerhin die FAZ, nicht ohne hinzuzufügen, daß sich der Vorstandsvorsitzende des Vereins für Socialpolitik, Georg Weizsäcker, zu dem Fall nicht äußern wollte.
Sollte es Leser geben, die erst durch die Pseudo-Skandalisierung auf Gustav Schmoller aufmerksam geworden sind, sei ihnen – in einer Ausnahme von Eigenwerbung – empfohlen, das Buch Solidarischer Patriotismus zu konsultieren. Schmoller taucht dort wiederholt an der Seite von Adolph Wagner oder Karl Rodbertus auf.
Die Ideen der Sozialkonservativen waren immerhin am Ende des 19. Jahrhunderts an Vorbereitung und Verwirklichung des bahnbrechenden Bismarckschen Sozialstaates beteiligt und stellten als solche dann Referenzpunkte für die sozialorientierten Kräfte innerhalb der Konservativen Revolution dar (vom »Tatkreis« Hans Zehrers über Wichard von Moellendorf bis zu Otto Strasser und Herbert Blank).
Deren »staatssozialistische Grundperspektive« – ungeachtet ideeller und weltanschaulicher Unterschiede der einzelnen Protagonisten – umriß der Historiker Friedrich Lenger mit folgendem Zitat des Schmoller-Schülers (und Nachfolgers im VfS) Werner Sombart:
Nicht das subjektive Befinden des Einzelnen entscheidet über Reform oder nicht Reform, sondern die Existenzbedingungen einer Kulturnation sind das Entscheidende.
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Die Quintessenz dieser Generallinie des gemeinschaftsorientierten Denkens war, in einem genuinen Sinne der damaligen Zeit, durchaus autoritär gedacht. Entsprechende Denkmuster könnten, zumal in sich hinschleppenden Krisenzeiten, eine epochenbedingte »Palingenese« feiern.
Mathias Brodkorbs Räsonnieren (vgl. die fünfte »Sammelstelle«) über »Demokratie und klare Führerschaft, Demokratie und effizientes Staatshandeln« bieten ein Argument im positiven Sinne hierfür.
Ein Fall schlechter Wendungen ins Autoritäre stellt hingegen ein Feuilleton-Aufmacher der Süddeutschen Zeitung (v. 9. Februar) dar. Thomas Brussig fordert: »Mehr Diktatur wagen«. Man darf annehmen, daß der Autor von Am kürzeren Ende der Sonnenallee mit dem Provokationseffekt kokettiert. Aber das allein erklärt nicht alles. Brussig meint das schon ernst, was er schreibt.
Zunächst geht es ihm um die Corona-Maßnahmen und die unterschiedliche Bewertung derselbigen. Für ihn steht fest:
Wie mit dem Coronavirus umzugehen ist, ist Behau der Wissenschaft und nur der Wissenschaft.
Bevor weiteres ausgeführt wird, kann als Einschub unmittelbar mit Alexander Kissler gekontert werden:
Wo es nur »die« Wissenschaft gibt, ist es keine Wissenschaft, sondern Dogma.
Alsdann geht es weiter mit dem meinungsstarken, aber faktenarmen Brussig, der feststellt, daß es »keine Spielräume« für die restriktive Lockdownpolitik gäbe:
Hier tobt ein Virus, mit dem sich weder verhandeln noch das sich überzeugen oder einschüchtern lässt. Wollen wir das Virus loswerden, sind wir gezwungen, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen. Dank der Wissenschaft wissen wir, welche Maßnahmen nötig sind, wir wissen sogar, welchen Preis wir zahlen müssen, wenn sie ausbleiben.
Werden Zweifel so apodiktisch beiseite geräumt, kritische Stimmen (auch: aus »der« Wissenschaft) ignoriert und Widerspruch als potentiell lebensbedrohlich delegitimiert, bleibt tatsächlich nur Brussigs Zwischenfazit:
»Mehr Diktatur wagen!« wäre das Gebot der Stunde.
Und dann kommt Brussig doch noch auf Maßnahmenkritiker zu sprechen, natürlich wiederum unversöhnlich argumentierend, indem er sie als »Leugner« diffamiert statt als »Kritiker« adressiert:
Dass ausgerechnet die Corona-Leugner eine »Corona-Diktatur« heraufziehen sehen, sollte erst recht Grund sein, sie zu wollen. Die Leugner,
setzt Brussig seinen kleinen Feldzug herrisch fort,
sind außerstande, die Gefahr durch das Virus einzuschätzen.
Aber Thomas Brussig kann dies? Oder nur die Wissenschaft (deren Zwischentöne und Diskussionen Brussig ausblendet)?
Zumindest gibt er vor, daß »das Nötige« dem Virus den Garaus machen würde.
Die Rezepte sind bekannt.
Allein, Brussig nennt sie nicht. Oder geht das Virus eo ipso in die Knie, wenn es die Ausrufung der Diktatur vernommen hat? Jedenfalls rät der Autor der Demokratie, daß sie
ihre Rituale und Umständlichkeiten
– will meinen: so Gedöns wie die Grundlagen einer parlamentarischen Demokratie, die er hier abtragen will? –
nicht so wichtig nehmen
sollte,
ihrer Legitimität zuliebe.
Bei so viel Volks- und Demokratieferne geht ein bedenkenswerter Diskussionsansatz Brussigs vollkommen unter: Denn er berührt ja final die Brodkorbsche Problematik, wenn er die Frage aufwirft, welche Staats- und Regierungsformen aus welchen Gründen wie mit welchen Widersprüchen der Gegenwart umzugehen gedenken. Aber wer so losschlägt wie Thomas Brussig, darf sich nicht wundern, wenn sein Gastbeitrag auf ebendieses substanzloses Gepolter reduziert wird.
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Apropos Diktatur. Lothar Fritze, dessen neue Publikation Kulturkampf in dieser Woche in der linken Tageszeitung nd (ehemals: neues deutschland) scharf angegangen wurde, warnt bekanntlich davor, daß der moralische Universalismus der Allianz aus Mitte und politischer Linken freiheitliche demokratische Pfeiler abträgt. Damit aber geraten wir in prätotalitäre Zustände, die ich als Tyrannei des Antifaschismus fassen würde.
Ein Bestandteil dieser Tyrannei-im-Werden ist seit vielen Jahren das Prozedere sogenannter Outings (sprich: öffentliche Anprangerung und Denunziation durch i. d. R. mediale Hilfsmittel) von Andersdenkenden. Wer rechts der linken Mitte steht und dies öffentlich kund tut (als Politiker, als Publizist, als Pegida-Gänger, als Basisaktivist usw.) gerät ins Visier – und kommt auf Listen der linken Szene.
Doch das könnte bald erschwert werden. In der Süddeutschen Zeitung (v. 9. Februar) wird getitelt:
Bis zu drei Jahre Haft für »Feindeslisten«
Die Ironie an der Geschichte: Vorgeblich richtet sich der Gesetzesentwurf aus dem Justizministerium »gegen rechts«. Zirkulierende Feindeslisten wären bisher nicht ausreichend in den bestehenden Vorschriften erfaßt; fortan soll diese Lücke geschlossen werden.
Robert Rossmann faßt zusammen:
Wer personenbezogene Daten einer anderen Person in einer Weise verbreitet, »die geeignet ist, diese Person oder eine ihr nahestehende Person der Gefahr eines gegen sie gerichteten Verbrechens oder einer sonstigen rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert auszusetzen«, soll künftig mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden können. Für den Fall, dass es sich um nicht allgemein zugängliche Daten handelt, ist sogar eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vorgesehen.
Ein solcher Vorgang entspricht wohl einer Schrumpfform der Dialektik unter bundesdeutschen Verhältnissen: Denn der »Kampf gegen rechts« wendet sich zwangsläufig, sofern man das neue Gesetz konsequent durchzusetzen in der Lage ist, gegen den antifaschistischen Sumpf. Rechts der Mitte gibt es – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – nunmal keine vergleichbar systematisch vorgehenden Strukturen.
Mit dem Schließen dieser Gesetzeslücke würden beispielsweise auf Outings und dergleichen spezialisierte Antifa-Blätter sowie entsprechende »Recherchegruppen« fortan bereits qua Existenz gesetzeswidrige Handlungen begehen.
Gewiß: Unter derzeitigen Machtverhältnissen wird daraus einstweilen nichts folgen. Aber Geschichte bleibt kontingent, Politik ebenso ergebnisoffen – abgelegt zur Wiedervorlage.
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Während dieser Passus erst noch volle Wirkmacht entfalten muß, ist das »Lichtmesz-Sommerfeld-Gesetz« seit Jahr und Tag gültig. Ein weiteres Beispiel für Linke und Mittige, die just solche Dinge auf ihre Gegner projizieren, für die sie selbst emblematisch stehen, ist das aktuelle Nawalny-Prozedere.
Beispielhaft kann das Leib- und Magenblatt des liberalen Restbürgertums des deutschsprachigen Raumes gelten, die Neue Zürcher Zeitung (NZZ). Wird sie bisweilen dafür gelobt, die neue »Westpresse« darzustellen, offenbart das wiederum einen Doppelcharakter, den man in »positive« und »negative« Lesart aufspalten könnte:
Erstens findet man dort tatsächlich vernunftorientierte Berichterstattung und informative Analysen, die in der bundesdeutschen Tagespresse ausgeblendet oder aber ideologisch einseitig aufbereitet werden: Ob kriminalitätsbezogene Fakten, Verfall des Bildungswesen, und, verstärkt in den letzten Monaten, die Kritik des reüssierenden Cancel Culture-Komplexes der postmodernen Linken.
Zweitens verweist der Terminus »Westpresse« aber eben auch auf den Westen als (geistigen) Standort des eigenen Denkens. Das macht sich in der außenpolitischen Abteilung der NZZ Tag für Tag bemerkbar. Offener Transatlantismus und die bisweilen moralpolitisch daherkommende Parteinahme wider Nationalstaaten, die der liberalen Weltordnung gegenüber skeptisch operieren – meist sind dies souveränistische Akteure wie China oder Syrien, immer häufiger Ungarn und Polen –, finden sich ebenso wie gefälliges Rußland-Bashing.
Zwei volle Seiten am 10. Februar verschreiben sich diesem Vorhaben. Zsuzsa Breiers Text mit dem sperrigen Titel »Auch 1989 ahnte niemand, wie schnell sich Russland verändern kann« (dagegen war die alte »Sammelstelle in der Sturzflut des Gedruckten« doch konzise?) kann man getrost im Ordner »Politisch-utopische Rabulistik« abheften, weil der Vergleich zwischen Putins Rußland und Ceausescus Rumänien zunächst verstörend deplaziert, dann peinlich wirkt.
Ob Putins »Regime« durch Nawalnys Brillanz wirklich »in Bedrängnis« geraten ist und seinem zweiten »1989« entgegengeht – der Geschichtsprozeß wird es zeigen. Aber dafür muß man keinen kurzen Lehrgang bei Zsuzsa Breier belegen.
Andreas Umland widmet sich derweil dem »Phänomen Nawalny« und schreibt ihm eine potentiell gestalterische Rolle der russischen Politik zu, die selbst Anhänger des schillernden (vorsichtiger: ambivalenten) Politaktivisten frappieren dürfte.
Der Research Fellow am Swedish Institute of International Affairs in Stockholm erkundet nichts anderes als die Frage:
Würde ein Präsident Nawalny die Krim zurückgeben?
Daß Umland Nawalnys Kleingruppen als »Bewegung« skizziert, mag eine tendenziell sympathisierende Übertreibung sein; daß er ebenjene Szene als »potenziell tödliches Virus für Putins Regime« verklärt, entspricht dem (wieder) gängigen Treiben, Begriffe aus der Biologie zu politisieren.
Daß er aber als Jenaer Forscher über den völkerrechtlichen Status der Krim sinniert, was schlechterdings den Bewohnern dieser russisch-ukrainischen Halbinsel überlassen werden sollte, wird nur noch dadurch übertroffen, daß der werte Research Fellow – wie viele Kollegen seines Faches – übersieht, daß seine folgende forsche Kritik am russischen System geradewegs auf westliche Systeme zurückfallen würde, nähme man sie ernst.
Denn Umland schreibt einer einzigen Gruppe – den Nawalny-Anhängern, einer in Rußland zahlenmäßig sehr kleinen Minderheit – zu,
in der Parteienlandschaft, in den Massenmedien und im politischen Leben Russlands einen substanziellen Pluralismus wiederzubeleben.
Umland schwärmt:
Die Bedeutung einer solchen Transformation in der Beziehung zwischen Elite und Volk kann kaum überschätzt werden.
Und dann wird es besonders interessant für Gesellschaftskritiker in der BRD:
Würden etwa die nationalen Fernsehsender wieder zu Plattformen für wirklichen Journalismus und politische Debatte werden, dürften viele Schlüsselepisoden von Putins Biografie und Herrschaft kritisch unter die Lupe genommen werden – von seinem kometenhaften Aufstieg in den späten neunziger Jahren bis hin zu seinen aussenpolitischen Eskapaden in den letzten Dezennien.
Tauschte man die ein oder andere Vokabel aus, erhielte man folgende Projektion:
Würden etwa die nationalen Fernsehsender wieder zu Plattformen für wirklichen Journalismus und politische Debatte werden, dürften viele Schlüsselepisoden von Merkels Herrschaft kritisch unter die Lupe genommen werden – von ihren potentiell verheerenden Folgen der übereilten Energiewende 2011 ff. bis hin zu ihren Eskapaden im Zuge der Massenmigration in den letzten sechs Jahren.
Aber gewiß: Das wäre dann zu viel der kritischen »Westpresse« (in der positiven Lesart unter »Erstens«, siehe oben), das wäre zu viel der Ehre für die – auch von der NZZ befehdeten – nonkonformen Kräfte in Deutschland, die, wir erinnern uns an Umland, doch
in der Parteienlandschaft, in den Massenmedien und im politischen Leben Russlands einen substanziellen Pluralismus wiederzubeleben
versuchen, oder?
Aber gut, in Zeiten eines hegemonial gewordenen linksliberalen Elends, in denen just ein wirkmächtiger Ideologie- und Neusprechproduzent gebeten wird, ein Vorwort zur Neuauflage des Orwellschen Klassikers 1984 zu schreiben (mehr hier), darf man diese Auftragsarbeit zwar unter den Begriff neuer »Normalität« subsumieren, während originäre Oppositionelle vergeblich darauf warten, daß Andreas Umland und Konsorten die Wiederbelebung eines »substanziellen Pluralismus« in der geschlossenen Medien- und Politikwelt Deutschlands einfordern werden.
Das ist natürlich in Ordnung so:
Uns aus dem Elend zu erlösen können wir nur selber tun.
RMH
Nur der Vollständigkeit halber:
Man liest hier manches über harte und z.T. auch lächerliche innerparteiliche Auseinandersetzungen bei der AfD und dann sieht man sich bspw an, was die AfD Bundestagsfraktion nachwievor leistet. Gestern jedenfalls hat die AfD im Bundestag mit den Reden von Weidel und Curio erneut das geliefert, was man von einer AfD erwarten kann und darf.
Zu diesen Reden möchte ich im Nachgang applaudieren, so kritisiert man die Corona Politik seriös - und nicht anders.