Nun folgt ein kleiner Einblick in die Post-Messe-Berichterstattung, wobei all jene außen vor bleiben, die lediglich Philip Steins Wikipedia-Eintragungen oder ähnliches in sämtlichen Variationen voneinander abschrieben.
Das heißt: Öffentlich-Rechtliche bleiben nicht nur außen vor, weil sich diese »Sammelstelle« als Kolumne ohnehin Gedrucktem widmet, nicht Radio- oder TV-Berichten, sondern auch, weil ihre Auseinandersetzung – erwartungsgemäß – politisch vorgeprägt ist.
Den alle Konfliktparteien einbeziehenden Aufschlag macht demgegenüber die Neue Zürcher Zeitung (v. 27.10.2021).
Claudia Mäder leistet etwas, was bei dem Gros ihrer Kollegen unvorstellbar scheint: Sie geht in medias res, schaut sich an, wer die Geächteten in Frankfurt waren und was sie tatsächlich in ihrem verlegerischen Tun vorzuweisen haben:
Für den November ist ein Buch angekündigt, das laut Verlagswerbung unser Jahrzehnt prägen könnte. «Gegen den Liberalismus» heisst das Werk, und es verspricht, den «Kult des freien Individuums» sowie «die Vergötzung des Marktes» zu sezieren. Aus welcher Ecke der Titel kommt, könnte man aufgrund dieser Inhaltsangabe vielleicht nicht sofort sagen, aber sobald man seine Herkunft kennt, ist die Sache klar: Das Buch erscheint im Verlag Jungeuropa, der in Deutschland die Ideen der Neuen Rechten verbreitet.
Der Titel, hier bereits verfügbar, ist der Auftakt zu Mäders Frankfurt-Berichterstattung. Jungeuropa, aber auch der Standpartner, die ökologische Zeitschrift Die Kehre, eckten bekanntermaßen an:
Der Verlag war dort mit einem Stand präsent und ist seither in ganz Deutschland bekannt. Denn rund um seinen Messeauftritt hat sich ein Streit entzündet, der zuletzt gar dazu führte, dass die Zeremonie zur Verleihung des Friedenspreises von einer aktivistischen Intervention gestört wurde.
Nun war die »aktivistische Intervention« eine linksgrüne Show, aber wenn man es, wertneutraler wie die NZZ häufig ist, so nennen will, sei es der Journalistin nachgesehen. Die Beschreibung der woken Farce rund um die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an die simbabwische Autorin Tsitsi Dangarembga ist entlarvend genug:
Als der Frankfurter Oberbürgermeister den Anlass eröffnete, begab sich die grüne Lokalpolitikerin Mirrianne Mahn aus dem Publikum ans Rednerpult und ergriff das Wort. Es sei paradox, sagte sie, dass hier einer schwarzen Frau der Friedenspreis verliehen werde, aber schwarze Frauen auf der Buchmesse «nicht willkommen» gewesen seien. Nicht willkommen, «weil sie sich nicht sicher» fühlten.
Das ist eine inhaltlich gewagte, um nicht zu sagen realitätswidrige Aussage, vor allem wenn man bedenkt, wie geschäftsfördernd massenmedial sich die schwarzen Autorinnen allerorten äußern konnten und ihnen ausnahmslos jeder »Kulturschaffende«, der sich zu Wort meldete, kritik- und vorbehaltlos den Rücken stärkte.
Mäder nun wagt vorsichtige Kritik an dem Komplex der woken Kultur-Bubble. Zwar habe Jasmina Kuhnke (Quattromilf; der Auslöser der weltweiten Empörung über den Jungeuropa-Kehre-Stand) tatsächlich in der Vergangenheit rassistische Äußerungen über sich ergehen lassen müssen, aber
wieso sich eine schwarze Person an der Frankfurter Buchmesse nun besonders fürchten müsste, ist schwer zu verstehen.
In der Tat waren es dann nicht »rechte« Akteure, die »linke« oder »schwarze« Messebesucher drangsalierten oder abfotografierten, sondern antifaschistische Stalker, die eben das tun, was sie auszeichnet: Vor dem Stand abhängen, die Aussteller und Besucher über Stunden hinweg immer wieder aus jeder Perspektive fotografieren, eine vermeintliche oder tatsächliche Bedrohungskulisse aufbauen. Geschenkt.
Mäders Appell gegen Ende ihres Artikels atmet den Geist einer tatsächlich freiheitlichen Denkweise, was einmal mehr eher schweizerisch als bundesdeutsch wirken dürfte:
Bleibt zu hoffen, dass die Messe auch unter dem verstärkten Druck der Aktivisten nicht abweicht von diesen Grundsätzen. Bücher sind Spiegel der Gesellschaft: Wie im Leben begegnet man in ihnen gelegentlich Dingen, die einem zutiefst missfallen. Vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen gehört Störendes jedoch nur dann, wenn es eine Grenze überschreitet – eine Grenze, die in einem Rechtsstaat die Gesetze ziehen und nicht einzelne Individuen.
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Da man immer beide Seiten hören soll, folgt nun ein Blick in die Tageszeitung junge Welt (v. 27.10.2021).
Das traditionsmarxistische Organ, dessen Auflage mittlerweile unter 20 000 liegt, was gleichwohl immer noch respektabel scheint für ein Nischenblättchen, das selbst dem Mainstream der Linkspartei zu links ist, hat seit dem Tod der unbequemen Edelfeder Werner Pirker vor einigen Jahren an Attraktivität verloren – für Freund wie Feind.
Fabian Linder faßt zunächst zusammen, was mittlerweile jeder wissen dürfte: Jasmina Kuhnke fühlte sich durch Jungeuropa bedroht, sagte ihren Messeauftritt ab, nicht ohne »eine generelle Kritik« daran zu üben, »Nazis Raum zu bieten«.
Dann verläßt Linder ein wenig der Blick fürs Konkrete. 2017 sei
der Verleger Joachim Bergmann vom linken Trikont-Verlag vor dem Stand der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit niedergeschlagen worden,
was von anderen Augenzeugen freilich auch gänzlich anders geschildert worden ist: Bergmann habe JF-Besucher in gut antifaschistischer Manier mit kritischen Bemerkungen belegt, sei aufgefordert worden, dies zu unterlassen, kam dem wohl nicht nach, es kam zu einem kurzen, soften Handgemenge, wobei Bergmann dann wie weiland Andy Möller zu Boden ging. Daß es auch diese Wahrnehmung jenseits der Bergmann-Version gab, verrät die jW natürlich nicht.
Regelrecht bizarr wird es dann, wenn Linder der »österreichischen Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl« Glauben schenkt: Die Jungeuropa-Publikation
»Sozialismus und Nation« versuche sich »an einer Verbindung von Nation und (völkischem) Sozialismus«,
wobei zu fragen wäre, ob die Politikwissenschaftlerin überhaupt etwas mit dem Namen Hermann Heller, dem Autor besagten Bandes, anfangen kann. Es spräche nicht zwingend für die Wiener Politologie, würde man dort just Heller als »völkischen« Denker einordnen. (Alle notwendigen Infos zu dem Buch, das mit einem Vorwort von Thor v. Waldstein erschien, kann man hier einsehen.)
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Wie man sich gegen Jungeuropa und Kehre positioniert, ohne zugleich den woken Irrsinn zu reproduzieren, zeigte die Axel-Springer-Tageszeitung Die Welt (v. 21.10.2021) bereits während der Messe.
Zwar werden die Autoren Jungeuropas durch Mara Delius abschätzig beurteilt, der herausragende und in Frankreich jährlich Zehntausende Ausgaben absetzende Philosoph Michel Onfray gar als »zunehmend ins Paranoide driftend« beschrieben:
Dennoch kann der Verlag in Frankfurt ausstellen wie Hunderte anderer auch; die Messe ist kein politisch motiviertes Veranstaltungszentrum mit Safe-Space-Zonen, sondern eine kartellrechtlich bestimmte Handelsmesse, die zur Gleichbehandlung aller Verlage verpflichtet ist, theoretisch bis zu dem Punkt, an dem jemand erfolgreich eine Strafanzeige wegen des Inhalts eines verlegten Buches stellt,
was selbstredend nicht der Fall war oder ist.
Delius widmet sich dann dem Kuhnke/Quattromilf-Verlag:
Rowohlt kennt als jahrzehntelanger Teilnehmer der Messe die Statuten, wer ausstellen darf und wer nicht. Wurde der Verlag also nur überrumpelt durch Kuhnkes Aktivismus in eigener Sache und versucht, die Wogen zum Wohle der Autorin zu glätten? Oder surft er eher bequem auf der woken Welle mit, die gerade auf Twitter hinter seiner Autorin aufbrandet, ohne zu ahnen, wie sehr damit die Buchmesse beschädigt wird? Fest steht jedenfalls, dass der Verlag darüber informiert gewesen sein dürfte, welches Sicherheitskonzept für den Auftritt der eigenen Autorin geplant war – er hätte vorab entsprechend reagieren können.
Dann finden sich die Akteure Jonas Schick und Philip Stein plötzlich auf einer Argumentationsebene mit den großen globalen Reizfiguren wieder:
Denn natürlich hat die Messe nicht zum ersten Mal jemanden zum Auftritt auf eine ihrer Bühnen geladen, der eines besonderen Schutzes bedarf. Hat nicht auch Salman Rushdie die Messe besucht, noch in Hochzeiten der Fatwa-Bedrohung, oder Autoren, die gegen die Mafia anschrieben, Chinesen, Iraner und Russen, die verfolgt wurden? Sicherheitskonzepte werden in der Regel Monate im Vorfeld mit allen Beteiligten abgestimmt, gegenüber WELT sagen die Veranstalter, das Thema Sicherheit habe “oberste Priorität”, an allen Messetagen seien Einsatzkräfte zivil und in Uniform unterwegs,
was man aus eigenen Eindrücken bestätigen kann, wenngleich die sichtbare Polizei- und Security-Präsenz im Vergleich zu vergangenen Leipziger Messen gleich Null gewesen ist.
Unabhängig davon, so Mara Delius, sei es
Jasmina Kuhnkes gutes Recht, als Opfer von Rassismus ihren Auftritt abzusagen, genauso, wie es ihr freisteht, offen anzuklagen, dass sie bedroht wird. Aber gerade eine Autorin sollte doch die hermeneutische Genauigkeit und das Gespür für chronologische Abläufe besitzen, rhetorisch aus einem neurechten Verlagsstand als solchem nicht einen Nazi-Aufmarsch zu machen und daraus dann eine Legitimation für einen Boykott zu begründen; zu suggerieren, die Buchmesse bereite geradezu bereitwillig Rassisten eine breite Bühne, ist schlicht unredlich.
Die Unredlichkeit mündet in die
Tragik der letzten Tage: Indem Kuhnke die Buchmesse boykottiert, macht sie sich selbst als Autorin unsichtbar und ist nur noch als Aktivistin sichtbar,
wobei es ihren Verkäufen als Autorin dennoch auf eine massive Art und Weise genutzt haben dürfte.
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Beim Cicero versucht man sich derweil im Dialog mit Beobachtern der Szenerie. Antje Hildebrandt interviewt den Schriftsteller Per Leo, mit dem der Komplex »Schnellroda« verschiedene Erfahrungen machen durfte (hier Lichtmesz, hier Kositza, oder zuletzt Lehnert hier).
Leo übt sich zunächst in Äquidistanz zur Kuhnke-Blase und zur Neuen Rechten. Er finde,
dass beide auf Kosten der gesamten Buchbranche von dem Skandal profitiert haben.
Lustig wird es kurz, wenn Leo Kuhnkes PR-Gag jenseits des wirtschaftlichen Interesses ansiedelt:
Ich würde trotzdem nicht so weit gehen, ihr ein Kalkül zu unterstellen – zumindest kein ökonomisches.
Was denn sonst?
Jedenfalls weiß auch Leo, daß auf der Frankfurter Buchmesse keine Gefahr für das Leben Kuhnkes bestanden habe:
Ich glaube, das kann man guten Gewissens verneinen.
Hildebrandt fragt, ob die Sorge demnach vorgeschoben gewesen sei. Leo zurückhaltend:
Es steht mir nicht zu, das zu beurteilen. Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder war die Sorge nur vorgeschoben, um die Aufmerksamkeit für ihr Anliegen zu erhöhen. Oder sie hat sich subjektiv tatsächlich bedroht gefühlt. Vielleicht ging beides auch Hand in Hand,
wobei der Boykottaufruf zu kritisieren sei:
Sie hat damit eine ganze Branche in ein moralisches Dilemma verstrickt. Auch Kolleginnen und Kollegen, die dann vor der Wahl stehen: Entweder ich schließe mich deinem Boykott an oder ich setze mich dem Vorwurf aus, zum Komplizen von Rechtsextremen zu werden. Ich finde diese Zwickmühle inakzeptabel,
immerhin.
Wie war das aber dann damals, 2017, als Antifaschisten immer wieder den Antaios-Stand und seine Autoren und Gäste angingen, die sich das irgendwann nicht mehr bieten lassen wollten?
Leo:
Dass es zu Tumulten kam, lag daran, dass sich zwei Gruppen eine gewalttätige Auseinandersetzung geliefert haben. Es war nicht so, dass die eine Gruppe spontan auf die andere zugegangen wäre,
sondern die Linken und Linksradikalen haben pausenlos versucht, Antaios und Co. zu attackieren, erst verbal, dann körperlich, was Leo, der bei der Messe vor Ort war, eigentlich wissen müßte.
Vorsichtig mahnt er an:
Antifaschismus ist Handarbeit: Das ist ein gängiger Slogan. Das heißt aber nicht, dass die aufeinander eingeprügelt haben. Aber es kam eben zu tumultartigen Szenen, in deren Mitte ein Polizeikordon zwischen zwei extrem polarisierten Gruppen gezogen wurde. Es kam zu Rangeleien. Es wurde auch mal jemand auf den Boden gestoßen. So was kommt vor, wenn Menschengruppen aggressiv aufeinander losgehen. Es gab keine schwerer Verletzten,
nein, es gab auf der Messe gar keine Verletzten. Die gab es erst 2018, als eine »Sportgruppe« der Frankfurter Antifa Kubitschek, Kositza und Anhang vor einer Pizzeria überfielen, was freilich selten Erwähnung findet; man will ja keine Opfernarrative bedienen.
Spannend wird es dann, als Leo gefragt wird, wie das eigentlich mit Buch Mit Linken leben als polemische Replik auf Leos Mit Rechten reden gewesen sei.
Hildebrandt fragt:
Hat es Sie geärgert, dass Sie den beiden noch die Steilvorlage geliefert haben?
Und Leo antwortet:
Ach, das haben wir damals sportlich genommen. Es war eben Teil einer Piraten-Taktik, die bei Antaios viel stärker ausgeprägt ist als beim Jungeuropa-Verlag. Sie haben es geschafft, im Windschatten unseres Verlages Klett-Cotta mitzusegeln. Es ist ihnen gelungen, dass unsere Bücher von den Medien im Doppel wahrgenommen wurden. Gefreut hat es mich nicht, aber das war dann eben so.
Meine Abschlußfrage wäre hier: Wer ist eigentlich in wessen Windschatten gesegelt? Benötigt jemand anderes Antaios, Jungeuropa und Co. als Lebenselixier und Beschäftigungsmaßnahme – oder benötigen wir, als nonkonforme Verlagsnische, allen Ernstes Kuhnke, Leo und Co., um Themen für unsere tägliche Arbeit zu finden?
Es ist anzunehmen, daß die naheliegende rationale Antwort einen Teil der NZZ‑, Welt‑, jW- und Cicero-Leser gleichermaßen nicht schmecken dürfte.
Laurenz
Habe nachgeschaut. "Schiltbürger", heute Schildbürger, gibt es seit 1598. Um
@Allnichts
auf einer anderen Ebene zu widersprechen, es hat sich seitdem nicht wirklich was geändert, wenn man diesen Artikel lächelnd genießt.