Die Nachricht von seinem Tod hat mich sehr betroffen gemacht. Suizid ist eine entsetzliche Art, aus dem Leben zu scheiden.
Ich habe Ley persönlich gekannt, ihn aber seit etwa drei Jahren aus den Augen verloren. In den Jahren 2015–17 traf ich mich oft mit dem in Konstanz geborenen, austrophilen Wahlwiener und seiner Frau Nora Pohl-Ley, die kurz vor seinem Freitod nach langer, schwerer Krankheit verstorben ist.
Einmal saßen wir bei einem gemütlichen Stadtheurigen in Wien beisammen. Mit den Gästen am Nebentisch ergab sich ein kurzer Small-Talk, und als Ley gefragt wurde, was denn sein Beruf sei, antwortete er mit einer Mischung aus Stolz und Selbstironie: “Ich bin ein Ketzer!”
Ein Buch haben Ley und ich zusammen verantwortet: Den Sammelband Nationalmasochismus, erschienen 2018, der außer unseren eigenen Beiträgen Texte von Caroline Sommerfeld, Siegfried Gerlich, Michael Klonovsky, Tilman Nagel, Andreas Unterberger und Michael Mannheimer enthielt. Dieses Symposion über den deutschen Selbsthaß und seine Ursachen und Folgen war Leys Idee gewesen.
Im Zentrum stand einer von Leys zentralen Gedanken: Daß der heutige “Nationalmasochismus” der Deutschen, also ihre lustvolle Selbstabschaffung und Selbsterniedrigung, eine Art psychopathologische Umkehrung der exzessiven nationalistischen Überhöhung vergangener Zeiten sei, eine These, die auf ähnliche Weise bereits Armin Mohler vertreten hatte. Nach diesem Muster deutete Ley in seinem Buch Hitlers Kinder (2018) auch die “Generation der Achtundsechziger”.
Wie bereits im zweiten Weltkrieg seien es nun erneut die Deutschen, die ihr eigenes Land und Europa in den Abgrund zögen, allerdings unter umgedrehten Vorzeichen:
Angela Merkel ist – nach Adolf Hitler – die größte Rechtsbrecherin der neueren deutschen Geschichte: Als mächtigste Politikerin Europas öffnete sie alle Tore für die Islamisierung des Kontinents und gefährdet dadurch den Bestand der europäischen Zivilisation. (“Die letzten Europäer”, 2017)
Diese “Selbstvernichtung” feiere sich “als zivilisatorische Erlösung“, und stelle dabei “die schlimmsten modernen Totalitarismen in den Schatten”, wie er in dem Essay „Der Sündenbock – zur Dialektik politischer Denunziation “ (enthalten in dem Sammelband Populismus – Das unerhörte Volk und seine Feinde) schrieb. Dieser scharfe, oft hyperbolische Tonfall war typisch für Ley.
Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, war es im Sommer 2020, als ich zuletzt mit ihm telefonierte. Damals äußerte er die Meinung, die “Pandemie”, die vor ein paar Monaten ausgerufen worden war, sei eine politische Inszenierung, die einen weiteren totalitären Schub zum Ziel habe.
Der erste E‑Mail-Kontakt zwischen ihm und mir fand im Juli 2015 statt, also inmitten der “Flüchtlingskrise”. Anlaß war das Erscheinen seines Buches Der Selbstmord des Abendlandes, das ich für das Oktoberheft der Sezession besprach. Im selben Heft (Nr. 68) war auch Ley selbst mit einem Beitrag vertreten.
Bereits im Juni dieses Jahres hatte er sich in der österreichischen Presse scharf positioniert:
Die Antwort auf den Zivilisationscrash kann deshalb nur in der Rückbesinnung auf die Grundlagen der europäischen Kulturen liegen: der nationalen, ethnischen, religiösen und kulturellen Vielfalt und der europäischen Werte des Humanismus und der Aufklärung. Die Zukunft mag sehr düster erscheinen: Europa steht vor der Wahl zwischen einer Reconquista – einer Rückeroberung seiner Zivilisation – und seinem Selbstmord.
Seine Absatzbewegung aus dem Mainstream hatte schon einige Jahre zuvor begonnen. In seinem Buch Die kommende Revolte (2012) schrieb er:
Immer weniger Menschen in Europa fühlen sich noch der Mehrheitsgesellschaft verpflichtet. Sie leben auf Dauer in Gegenkulturen. Mit einer solchen Entwicklung kann der Gesellschaftsvertrag zwischen den Generationen, den verschiedenen Schichten und Milieus keinen Bestand mehr haben. Solidarität wird zu einem Fremdwort. Die Folgen sind leicht vorhersehbar: steigende Kriminalität, urbaner Zerfall durch Entstehung von Slums, ethnisch-religiöse Auseinandersetzungen und Bandenkriege, politische Radikalisierung und damit das Ende des politischen und gesellschaftlichen Konsenses. Europa wird dem Verfall preisgegeben. […] Damit ist das ‚Projekt der Moderne‘ unweigerlich zum Scheitern verurteilt.
Leys Hauptsorge galt dabei der “Islamisierung” Europas, die er klar als Komponente eines demographischen Umsturzes, des “großen Austauschs” erkannte. Der Flüchtlingsstrom von 2015 erschien ihm als eine umgekehrte “Hidschra”, eine “islamische Kolonisierung” durch Einwanderung. In seinem Beitrag für die Sezession schrieb er:
In den meisten Gesellschaften Nord‑, Mittel- und Südeuropas findet das gigantische Projekt eines postmodernen Neo-Kolonialismus statt: ein unvorstellbarer Bevölkerungsaustausch. Durch Masseneinwanderung und dramatische demographische Veränderungen werden die indigenen Völker vielfach die bittere Erfahrung machen, die Minderheit im eigenen Land zu sein. (…)
Diese sicherlich größte Völkerwanderung in der Geschichte wird Europa grundlegend verändern: Von Migration zu sprechen ist absurd, da es sich in Wahrheit um eine ethnoreligiöse Invasion, also eine kontinentale Eroberung handelt. Insbesondere der Zerfall der islamischen Zivilisationen in Afrika und im Nahen Osten – verbunden mit einer immensen Zahl junger Menschen mit prekärer Zukunft in ihren Gesellschaften – führt dazu, daß der alte Kontinent mit meist männlichen Migranten überschwemmt wird.
Damit hatten wir eine solide gemeinsame Grundlage. Ich rechne Michael Ley hoch an, daß er als einer der ersten intellektuellen “Überläufer” aus dem Mainstream Kontakte zur Identitären Bewegung und ihrem Umfeld geknüpft hat, namentlich zu Martin Sellner und Alexander Markovics (der damals noch in diesem Rahmen aktiv war), und dies nie verleugnet oder sich “distanziert” hat, obwohl ihm diese “Nähe zu Rechtsextremen” natürlich immer wieder angekreidet wurde und zu seinem Verstoß aus den Salons des erlaubten Denkens beigetragen hat.
Freilich dachte und argumentierte er als eingefleischter Ordoliberaler vor allem “staatlich”. Der liberale, demokratische Rechtsstaat war für ihn der wesentliche Ordnungsrahmen, der Pluralismus und Freiheit garantiert (im Gegensatz zum totalitären Staat oder zur totalitären Gesellschaft).
Während Identitäre Europa vorrangig “ethno-kulturell” denken, sprach Ley eher von “zivilisatorischen” Grundlagen, die es zu bewahren galt. Was diesen zuwiderlief, interpretierte er als “zivilisatorische Regresssion”, Islam, Kommunismus, Nationalsozialismus ebenso wie den “Refugees Welcome”-Wahn des Sommers 2015.
Darum bemühte er sich mit besonderer Verve um die Argumentation, daß der Islam gemäß Koran und Sunna eine “totalitäre, politische Religion” sei, die “allen demokratischen Verfassungen” widerspräche, darum nicht von der Religionsfreiheit gedeckt sei und folglich verboten werden müsse – nicht ihre private Ausübung, aber ihr Status als Religionsgemeinschaft des öffentlichen Rechts. Und dies durchzusetzen wäre er auch mit voller, “illiberaler” Härte bereit gewesen, ganz im Sinn von Karl Poppers Prinzip der Intoleranz gegenüber den Intoleranten, auf das er sich explizit berief.
In seinem vorletzten Buch, Reconquista: Menschenrecht oder Islam (2020), schrieb er:
Meta-politisch muss der Islam als die größte Gefahr erkannt werden, die Europa jemals politisch, kulturell, religiös und gesellschaftlich bedroht hat. Diese Einschätzung muss zum Grundkonsens aller demokratisch gesinnten Europäer werden. Über alle Fragen zur Zukunft des Kontinents mögen die europäischen Bürger unterschiedliche Vorstellungen haben, nur in der “Islamfrage” kann es keinen Kompromiss geben.
Ich habe diese extreme und einseitige Einschätzung nie geteilt, und den Islam stets als “Sekundärinfektion” betrachtet. Ich betrachte als Hauptfeind ein System namens “der Westen”, das unserem eigenen Denken entwachsen ist, und als amerikanisch geführter Globalismus und (Post-)Liberalismus die europäischen Nationen von innen aushöhlt.
Nichtsdestotrotz gab es Zeiten, in denen mir die Ausbreitung des Islams in Europa ähnlich gefährlich erschien wie Ley. Um 2015–17, als durch die Flüchtlingskrise etliche Dinge in Bewegung kamen und neue Allianzen möglich wurden, schien eine Allianz aus rechten/identitären, liberalen und sogar einigen linken Islamkritikern, die die Aussicht auf ein islamisiertes Europa aus unterschiedlichen Gründen beunruhigend fanden, nicht nur plausibel, sondern auch greifbar.
Diese Hoffnung ist inzwischen wieder verschwunden wie eine Fata Morgana in der Wüste. Allerdings erleben wir gerade im Zuge des jüngsten Wiederaufflammens des israelisch-palästinensischen Konflikts eine Art Renaissance des “Counterdjihad”. Nun hört man aus dem Munde des Establishments Argumente und Parolen à la Michael Stürzenberger, mit Verspätung von mehr als einem Jahrzehnt. Große Hoffnungen, das dem auch Taten folgen werden, die im Interesse des deutschen Volkes sind, hege ich allerdings nicht.
Die demographische Frage hat Ley auch in seinem meiner Meinung nach interessantesten Buch behandelt, Die letzten Europäer (2017), über dessen Thesen ich in meinem Beitrag “Wenn Aeneas vor der Wahl steht” (2019) nachgedacht habe.
Für Ley war Westeuropa bereits verloren. “Sieh dir doch Frankreich an”, sagte er einmal abwinkend zu mir. “Wie soll es denn möglich sein, diese Millionen wieder zurückzuschicken, wo sie herkommen? Das kann doch nur in einem riesigen Blutbad enden!”
Wenn er noch irgendeine Hoffnung hatte, dann allenfalls, daß der weniger multikulturalisierte, mittlere und östliche Teil Europas (in etwa dem Raum der österreichisch-ungarischen Monarchie entsprechende) Kern einer “neuen europäischen Föderation” werden könnte, eine Art letztes Refugium oder letzte Bastion des alten Europa.
Aber auch dann stünde irgendwann ein Entscheidungskampf bevor, sollte sich das islamisierte Westeuropa zum “Dschihad” oder Osteuropa zur “Reconquista” nach spanischem Vorbild rüsten: “Der Krieg zwischen einem re-christianisierten Europa und einem islamisierten, multikulturellen Eurabia wird das europäische Armageddon sein.”
“Eurabia”, das war ein Begriff, den Ley von der zionistischen Schriftstellerin Bat Ye’Or (Gisèle Littmann) übernommen hatte (auch “Fjordman” Peder Jensen und die “Counterdjihad”-Szene im allgemeinen benutzte ihn gerne). Und nicht nur diesen (über den sich immerhin diskutieren läßt), sondern leider auch allerlei unhaltbare Vorstellungen, die meiner Ansicht nach seinen Blick auf die Wirklichkeit und manche politische Zusammenhänge trübten (und die generell einen großen Schaden in der “Islamkritik” angerichtet haben).
Es gab neben den vielen Überschneidungen auch etliche Meinungsverschiedenheiten zwischen uns. Ley hatte den größten Teil seiner Karriere als Antisemitismusforscher verbracht, und sich dabei auf eine Sichtweise versteift, die im Gefolge von Eric Voegelin den Nationalsozialismus vorrangig als “politische Religion” und den “Mord am europäischen Judentum” als ein pervers-sakrales “Menschenopfer” deutete. Den “Koran” dieser “Religion” hätten dabei weitgehend die delirierenden Schriften eines Lanz von Liebenfels geliefert, wie er mir einmal mündlich mitteilte.
Diese Interpretation des NS erschien mir zwar in Teilbereichen schlüssig, aber im Großen und Ganzen doch etwas zu schematisch und ahistorisch gedacht. Ich hielt mich diesbezüglich lieber an Ernst Nolte, auch, was dessen Darstellung des “Islamismus” als “dritte radikale Widerstandsbewegung” anging.
Der Islam war für Ley nicht nur eine “politische Religion” par excellence (und im Gegensatz zu den sakulären totalitären Ideologien auch eine “echte” Religion), sondern tatsächlich der “neue Nationalsozialismus”, der “letztliche Vollstrecker der nationalsozialistischen Heilsversprechung”, also der künftige Täter eines neuen Holocaust, und folgerichtig betrachtete er Muslime als die “neuen Nazis” (freilich nicht pauschal jeden einzelnen individuellen Muslim). Selbst jüdischer Herkunft, war er vom Ernst und der Tatsächlichkeit dieser Bedrohung zutiefst überzeugt. Ich denke, daß dies der Hauptgrund war, warum er dem Islam ein derart zentrales, apokalyptisches Gewicht beimaß.
Auf der richtigen Spur war er jedoch, die verkappt-religiösen “Heilsversprechen” hinter den politischen Paradigmen zu suchen, den herrschenden ebenso wie manchen oppositionellen. Eine weitere Frage wäre jedoch, ob man der Religion überhaupt entgehen kann, selbst, wenn man sich selbst in der Rolle des rein säkularen, liberal-demokratischen Aufklärers sieht. Irgendwo gibt es immer ein Hintertürchen, in das transzendete oder real-transzendente Vorstellungen und Wünsche hineinschlüpfen.
Trotz dieser weltanschaulichen Differenzen verdanke ich Michael Ley geistig und persönlich sehr viel. Mit diesen Zeilen aus Reconquista, die er auf sich selbst gemünzt hatte, kann ich eine Menge anfangen:
Der neue europäische Intellektuelle wird eine Mischung aus einem Dissidenten und einem Partisan sein, ein Aktivist und Provokateur gegen den neuen Totalitarismus. Dieser neue Typus wird nicht mehr die Annehmlichkeiten einer universitären Anstellung genießen, sondern seinen Lebensunterhalt “alternativ” generieren müssen. In mancherlei Hinsicht weist er eine Affinität zu den “Berufsrevolutionären” der Vergangenheit auf, er wird sich jedoch in einem Punkt fundamental von ihnen unterscheiden: Er verkündet keine Welterlösung.
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Ein weiterer Nachruf von Werner Reichel findet sich hier.
Der_Juergen
Die Nachricht von Michael Leys Freitod hat mich betroffen gemacht. Zunächst einmal ist jeder Mensch, der durch eigene Hand aus dem Leben scheidet, tief zu bedauern, sofern keine wirklich triftigen Gründe, z. B. die Drohung einer grässlichen Folter, vorliegen. Darüber hinaus war Ley sicherlich ein Autor, der sich um die Islamkritik (gemeint ist damit die Kritik an der islamischen Invasion Europas, nicht die des Islams selbst; bliebe dieser auf seine Herkunftsländer beschränkt, könnte man die kritische Analyse seiner geistigen Grundlagen den Orientalisten überlassen) verdient gemacht hat.
Leider unterlässt es Lichtmesz, darauf hinzuweisen, dass Ley ursprünglich "Antisemitismus-Forscher" war.
ML: Das habe ich erwähnt, bitte nachlesen: "Ley hatte den größten Teil seiner Karriere als Antisemitismusforscher verbracht, und sich dabei auf eine Sichtweise versteift..."
Ein solcher ist, wie ein "Rechtsextremismus-Experte", ein Schnäuzchen-Anmaler, ein Schreiber im Solde des Systems, dessen ideologischen Grundlagen er einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben versucht.