Das Schlagwort “Nationalmasochismus” hatte Armin Mohler bereits in den sechziger Jahren in seinem Buch Was die Deutschen fürchten geprägt. Er bezeichnete damit eine eigenartige “tiefe Wollust” im “Verachten und Verneinen der eigenen Nation”, die man am treffendsten mit dem Namen “Nationalmasochismus” charakterisiere.
Der unüberhörbare Anklang in diesem Namen meint, daß in unserer verkehrten Welt das deutsche Sendungsbewußtsein zwar nicht mehr vom Nationalsozialismus, aber von etwas verräterisch Stilgleichem verkörpert wird. Etwa von jenen jungen Leuten, die ingrimmig zu beweisen versuchen, daß ihre eigene deutsche Nation eine Art von Auswurf sei und das eigentliche Menschsein anderen Völkern zukomme.
Mohler sah darin einen “negativen Messianismus” am Werk, eine Umkehrung jenes Messianismus, der im Nationalsozialismus zum Vorschein gekommen war: “Der Nationalmasochismus ist nur die Kehrseite dessen, was unter dem Etikett ›Nationalsozialismus‹ an die Oberfläche kam.” Es handele sich bei ihm letztlich um einen »verzweifelten Versuch«, aus dem eigenen Volk »auszutreten«, wie man ihn historisch vor allem von den Juden kennt (der “jüdische Selbsthaß”, von dem Theodor Lessing sprach, ist ebenfalls eine Form des “Nationalmasochismus”, mit einer ähnlichen Auserwähltheits-Verworfenheits-Dialektik im Hintergrund).
Dieser Kerngedanke Mohlers liegt auch der vorliegenden Aufsatzssammlung zugrunde – weitere Beiträger sind Caroline Sommerfeld, Tilman Nagel, Michael Mannheimer, Michael Klonovsky, Siegfried Gerlich und Andreas Unterberger – wobei die besagte Disposition inzwischen eine Lage geschaffen hat, die das Finis Germaniae in greifbare Nähe rücken läßt. Der Wunsch, “aus dem eigenen Volk auszutreten” hat sich inzwischen in die Politik der Volksauflösung und des Bevölkerungsaustausches umgemünzt.
Rolf Peter Sieferle sprach angesichts der deutschen Politik der vorbehaltslos offenen Grenzen im Namen eines blinden, verabsolutierten Humanitarismus von einem »Volk von Geisterfahrern«, das einer irrationalen »Politik des Verschwindens« verfallen sei:
Der mentale Hintergrund für diese merkwürdige Verirrung liegt wohl in der deutschen Vergangenheit und in den Versuchen, diese moralisch zu bewältigen. Die Deutschen erfahren sich seit 1945 als singuläres Tätervolk, und je intensiver die Versuche der Besserung waren, desto unerbittlicher wurden die Anklagen, von innen wie von außen. Wer möchte unter diesen Bedingungen ein Deutscher sein? Dazu ist schon eine gehörige Portion von Masochismus erforderlich.
Die Sehnsucht nach der Erlösung vom “schmutzigen Deutschsein” in einer völkerlosen “Menschheit” sah Sieferle “im gesamten politischen Spektrum” wirksam, vom “linksradikalen Kampfruf ›Deutschland verrecke‹ bis hin zu harmloseren Varianten, etwa der Ersetzung des Begriffs ›Volk‹ durch ›Bevölkerung‹ seitens der Bundeskanzlerin”. Nicht von ungefähr werden seit einiger Zeit Kritiker dieser Politik die NS-konnotierte Kampfvokabel “völkisch” angehängt, womit schon jeder gemeint ist, der der Ansicht ist, daß es überhaupt Völker mit einer spezifischen Identität gibt.
Schon an dieser Stelle sollte deutlich werden, daß der Begriff “Nationalmasochismus” in erster Linie als Metapher zu verstehen ist – wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun, das zwar psychologisch und wohl auch psychopathologisch sehr ergiebig ist, das sich allerdings nicht in Psychologie erschöpft und schon gar nicht mit ihr beizukommen ist. Wir haben es hier vielmehr mit einer “großen Erzählung” mit religiösen und mythologischen Zügen zu tun, deren sinnstiftende Wirkmacht letzten Endes gegen so gut wie jeden rationalen Einwand immun ist. Man könnte hier ein weiteres Mal Theodor Lessing bemühen, der von der Geschichte als “Sinngebung des Sinnlosen” sprach. Vergessen ist heute, daß bereits der Ausgang des ersten Weltkrieges in Deutschland so etwas wie einen “Nationalmasochismus” hervorgebracht hat, also radikale Selbstverwerfungen, die in der traumatischen Niederlage des Reiches einen quasi-theologischen Sinn und Möglichkeiten der Buße suchten.
Max Weber spottete im Januar 1919 in der Frankfurter Zeitung über die “Literaten, die das Bedürfnis ihrer durch die Furchtbarkeit des Krieges zerbrochenen oder der Anlage nach ekstatischen Seele im Durchwühlen des Gefühls einer ›Kriegsschuld‹ befriedigten”:
Wir haben in Deutschland zwei Monate hinter uns, deren vollendete Erbärmlichkeit im Verhalten nach außen alles überbietet, was die deutsche Geschichte aufzuweisen hat Eine solche Niederlage mußte ja die Folge einer ›Schuld‹ sein, – dann nur entsprach sie jener ›Weltordnung‹, welche alle solche schwachen, dem Antlitz der Wirklichkeit nicht gewachsenen Naturen allein ertragen (…) daß der kriegerische Erfolg schlechterdings nichts für oder gegen das Recht beweist, gilt es ein- für allemal, wie ungezählte Leichenfelder der Geschichte auch dem Blödesten beweisen können.
Das Thema des Bandes Nationalmasochismus ist an sich nichts Neues – in der Tat war es seit eh und je ein Dauerbrenner der konservativen Publizistik in Deutschland, vor allem unter dem aus der Mode gekommenen Titel der “Vergangenheitsbewältigung”, deren Kritik Armin Mohler drei heute noch lesenswerte Bücher widmete (Vergangenheitsbewältigung 1968/1981 sowie Der Nasenring). Die Kritik an der “Bewältigung”, an einseitig negativen, selbstschädigenden Geschichtsbildern oder politischen “Instrumentalisierungen” der Geschichte wurde von den Konservativen, gemäß ihrer Konstitution, vorwiegend auf der Ebene der historischen Fakten ausgefochten. Ein Weg war die Historisierung dieser Geschichtsbilder und “großen Erzählungen” (die ja auch aus einem bestimmten historischen Kontext heraus entstanden sind), wie es etwa Caspar Schrenck-Notzing in Charakterwäsche oder Hans-Joachim Arndt in Die Besiegten von 1945 getan haben.
Ein anderer, damit eng verknüpfter Weg, war das stetige Wiederaufrollen des Prozesses um die deutsche “Schuld”, “Geschichtsrevisionismus” im weitesten Sinne (ich benutze das Wort nicht in einem negativen Sinne; anmaßend und der Geschichtswissenschaft fremd ist vielmehr die Vorstellung, Geschichte könne ein- für allemal festgeschrieben werden.) Dazu gehört auch die Frage nach den bagatellisierten, vergessenen, marginalisierten Seiten des 2. Weltkriegs: Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung, alliierte Kriegsverbrechen. Letztere haben zumindest teilweise und in entschärfter Form ihren Weg in den Mainstream gefunden, während andere Themen wie die Kriegsschuldfrage oder die Präventivkriegsthese weiterhin in der Quarantäne bleiben.
Vor etwa zehn, fünfzehn Jahren war das in der nationalkonservativen Publizistik eine ziemlich bedeutende Frage; keine Woche verging, ohne daß die Junge Freiheit mindestens einen Artikel über ein historisches Thema jenseits der bundesrepublikanischen Beleuchtung brachte. Man las und diskutierte damals leidenschaftlich Bücher von Stefan Scheil, Gerd Schultze-Rhonhof, Jörg Friedrich, Konrad Löw, Wolfgang Venohr, Norman Finkelstein, Ernst Nolte, Rudolf Czernin, Johannes Rogalla von Bieberstein, Alexander Solschenizyn, Karlheinz Weißmann oder Alfred M. Zayas. Außerhalb unserer Milieus galten fast alle diese Autoren als “rechtsextrem” oder “umstritten”. Ich schrieb damals mein erstes Büchlein Besetztes Gelände, das nun wieder neu aufgelegt wurde.
In einem Artikel über Stefan Scheil schrieb ich 2011:
Die giftige Diffamierung von Wissenschaftlern wie Scheil, die vor keiner wahrheitswidrigen Verzerrung zurückschreckt, dient vor allem der Abwehr der Infragestellung eines über Generationen hinweg aufgebauten, deformierten “politischen Bewußtseins”, des “ideologischen Überbaus” der heutigen Bundesrepublik. Und der sieht vor, daß der Krieg gegen Deutschland in Form einer ständigen Anklage ohne Möglichkeit auf Gegenwehr und Gegenrede weitergeführt wird. Eine Art Nürnberg in Permanenz. Historiker wie Scheil sind es, die diesen Krieg endlich beenden wollen, Publizisten wie Kellerhof dagegen sind Kombattanten, die ihn ewig weitergeführt sehen wollen. Und das erste Opfer im Krieg ist, bekanntlich, die Wahrheit.
Diese Front scheint mir inzwischen vergleichsweise verwaist zu sein, heute dominieren eher Islamkritik, Genderismus, Flüchtlingspolitik, insgesamt das von Thilo Sarrazin inaugurierte “Deutschland schafft sich ab”-Genre. Das hat vielleicht auch damit zu tun, daß der zweite Weltkrieg ein weiteres Jahrzehnt in die Ferne gerückt ist, und die Zeitzeugen praktisch ausgestorben oder im biblischen Alter sind. Mir scheint allerdings auch auf der anderen Seite der Front, im Überbau der BRD, eine gewisse Ermüdung eingetreten zu sein. Die großen deutschen Unterwerfungsgesten und ‑rituale der Vergangenheit spielen in der Merkel-Regierung keine allzu große Rolle mehr, während sie deren Sinngehalt gleichzeitig eingefleischt und verinnerlicht hat. Wenn ich mir heute ein altes Protestvideo der “Konservativ-Subversiven Aktion” (einem Vorläufer der heutigen identitären Aktionen) aus dem Jahre 2009 ansehe, dann scheint es 100 Jahre zurückzuliegen, und der Vertrag von Versailles 200. Sogar das affektgeladene Theater um den “8. Mai am Heldenplatz”, das ich im Jahre 2012 beschrieb, liegt heute in merkwürdig weiter Ferne.
Späte Bewältigungsnachzügler wie der Prozeß gegen einen 96jährigen “Buchhalter von Auschwitz” wirken gespenstisch und erzwungen, als müsse man kramphaft nach noch verbliebenen “Tätern” suchen, um den medial ohnehin dauerpräsenten und überrepräsentierten Holocaust mit Aktualitäten zu versorgen. Das Personal für Sündenbockrituale dieser Art dürfte nun endgültig erschöpft sein. Gespenstisch wirken auch die immer noch gelegentlich stattfindenden Auftritte der numinosen Gegenparts zu den hundertjährigen “SS-Männern”, wie etwa der 90jährigen “Frau Gertrude”, die im österreichischen Wahlkampfrennen Hofer vs. Van der Bellen wirkungsvoll eingesetzt wurde. Ungeachtet der Qualität ihrer Werke haben die oben genannten Autoren insgesamt wenig Einfluß auf die “große Erzählung” gehabt, die den Staaten, die aus dem Dritten Reich hervorgegangen sind, bis heute ihren historischen Sinn und ihre moralische Orientiertung gibt (und die, nicht zu vergessen, international als Rechtfertigung globalistischer Migrations- und “Umvolkungs”-Politik dient).
Die Erzählung von der Ambivalenz von “Niederlage und Befreiung”, die vor allem von Richard von Weizsäcker in Spiel gebracht und kanonisiert wurde und in der Bundesrepublik wie auch in Österreich lange Zeit Gültigkeit hatte, wurde immer einseitiger auf eine reine Geschichte der “Befreiung” vom “Bösen” reduziert. Und die fanatische Energie, auch noch die letzten Reste einer mehrschichtigen Sicht auf diese Dinge zu tilgen, scheint immer noch nicht erschöpft.
Je weiter die tatsächliche Geschichte zurückliegt, umso mehr erstarrt sie zum ideologischen Konstrukt. Es versteht sich von selbst, daß auch die laufenden Rituale der österreichischen Bundesregierung zum 80. Jahrestag des “Anschlusses” von 1938 diesen ideologischen Charakter tragen. Die Formeln sind seit 1988, den Gedenkfeiern zum 50. Jahrestag, mit denen die “Vergangenheitsbewältigung” endgültig in Österreich angekommen war, im wesentlichen gleich geblieben, und sie haben allmählich einen anachronistischen Beigeschmack. Ausgerechnet die türkis-blaue “rechtspopulistische” Regierung scheint sich ganz besonders ins Zeug zu legen, den entsprechenden Gedenkkult nochmal fest zu verankern, als wäre er das Dringlichste, was Österreich heute braucht – und vielleicht, um sich ein Alibi und einen Persilschein zu verschaffen. Am Gedenktag des Anschlusses verkündete sie ihr Ansinnen, ein weiteres “Mahnmal” in der Wiener Innenstadt errichten zu wollen (Hrdlickas zum 50. Gedenktag des Anschlusses aufgebautes, damals reichlich umstrittenes “Mahnmal gegen Krieg und Faschismus” genügt wohl nicht.) Der Standard berichtete:
Die türkis-blaue Bundesregierung nützt das Gedenkjahr 2018 dazu, “ein bleibendes Zeichen des Erinnerns zu setzen. Das Gedenken an verstorbene Menschen nimmt hier einen besonderen Stellenwert ein. Obwohl gerade im Judentum ein Gedenkort für die Verstorbenen von großer Bedeutung ist, existiert jedoch bisher für die Nachfahren der in der Shoah ermordeten jüdischen Österreicherinnen und Österreicher kein Ort der individuellen, namentlichen Erinnerung an die Opfer”, heißt es in einem Ministerratsvortrag von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der diese Woche beschlossen werden soll. Gestalten soll das Mahnmal der 1930 in Wien geborene Kurt Yakov Tutter, ein kanadisch-österreichischer Künstler, der nach dem “Anschluss” aus der damaligen Ostmark fliehen konnte – seine Eltern wurden vom Nazi-Regime deportiert und ermordet.
Tutter hatte schon vor 20 Jahren beklagt, dass das inzwischen auf dem Judenplatz in der Wiener Innenstadt errichtete Mahnmal unzureichend sei, weil es nicht die Namen der rund 66.000 ermordeten österreichischen Juden nennt. Tutters Vorschlag sieht zwei Meter hohe Gedenkmauern aus poliertem Granit vor. Fünf Mauern mit einer Länge von je 65 Meter Länge könnten bei einer Schrifthöhe von zwei Zentimetern die Namen aller Opfer aufnehmen…
Strache, der schon auf dem Akademikerball artig das neue Glaubensbekenntnis vorbetete, zeigt sich ganz auf Linie:
Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) sieht im Gedenken “eine ständige Verpflichtung” und erklärte: “Die Errichtung einer Namensgedenkmauer soll zeigen, das wir die Opfer der Shoah in bleibender Erinnerung behalten. Niemals dürfen wir vergessen, was diesen Menschen angetan wurde.”
Wobei natürlich abzusehen ist, daß dann auch bestätig daran erinnert werden wird, wer hier wem etwas angetan hat, und welche Schlußfolgerungen und Direktiven man daraus abzuleiten hat (und welche nicht). Es versteht sich von selbst, daß ein solches Denkmal nur die Namen der jüdischen Opfer des Regimes enthalten soll (also der “Alpha-Opfer” par excellence), während die restlichen 32, 000 nicht-jüdischen Nebbiche, von denen in dieser offiziösen Broschüre die Rede ist (inklusive mehr als 1,200 hingerichteter Widerständler), offenbar nicht so doll erinnerungswürdig sind.
Für die Tendenz des Regierungsprogramms, exemplifiziert in der Redes des linksgrünen Präsidenten Alexander van der Bellen, genügt ein Blick in das Hauptmassenblatt Österreichs, die Kronen-Zeitung vom 12. bzw. 13. März. “1938” ist demnach die altbekannte Geschichte vom großen antidemokratischen Sündenfall der Nation (“Vor 80 Jahren war Österreich mehrheitlich begeistert! Bereitwillig öffnete man im März 1938 die Grenzen zu Nazi-Deutschland”), der sich jederzeit wiederholen könnte, wenn “wir” nicht andauernd auf der Hut liegen:
Alexander van der Bellen ruft bei 1938er-Gedenken dazu auf, “die Sinne zu schärfen”… Auch heute sind Demokratien anfällig für Populismus, Demagogie und Rassismus. Das würde nicht einfach verschwinden, sondern es existiere “im Kleinen und Großen” weiter. Auch 80 Jahre nach den Ereignissen von damals ist Aufmerksamkeit gefragt, Aufmerksamkeit dafür, “wie die niedrigsten Gefühle und Regungen von den Herzen der Menschen Besitz ergreifen.” (Kronen-Zeitung, 13. März 2018).
Van der Bellen ließ also keinen Zweifel daran, welche politischen Interessen und Interpretationsrahmen mit diesem Gedenken und diesem Narrativ zementiert werden sollen. Damit steht der ohnehin schon reichlich kastrierte Strache mit seiner Partei wie ein noch nicht hinreichend zurechtgebogener ideologischer Fremdkörper in der Regierung da, denn es ist unzweifelhaft, an welche Adresse der Vorwurf von “Populismus, Demagogie und Rassismus” gerichtet ist.
Entsprechend äußerte auch Oscar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, wichtiger noch als ein (weiteres) Denkmal in der Wiener Innenstadt wäre ihm, “ein Parlament ohne Antisemitismus und eine Regierung ohne deutschnationale Burschenschafter” (Kronen-Zeitung, 12. März 2018). Alle Bemühungen der FPÖ, als koscher zu erscheinen, scheinen bislang nichts gefruchtet zu haben.
Die “nationalmasochistische” Komponente des 1938er-Gedenkens wurde zusätzlich von dem Ösi-Fossil André Heller in einer “bewegenden Gedenkrede” betont. Die Kronen-Zeitung hob hervor, daß er “aus einer jüdischen Industriellenfamilie” stammt, vermutlich, um seinen wie üblich dick aufgetragenen Worten noch mehr Gewicht zu verleihen.
… heutzutage gibt es keine akzeptable Ausrede Rassismus und Fremdenhass in der Politik nicht entgegenzutreten oder am Arbeitsplatz, am Stammtisch, dem Fußballplatz, den sozialen Medien oder in geselligen Vereinen. Man riskiert dafür nicht Folter und Tod, ich gebe zu, möglicherweise riskiert man berufliche Nachteile, aber wir erhalten dafür ein bedeutend qualitätsvolleres Österreich. Vergessen wir nicht, dass am Anfang der nationalsozialistischen Herrschaft nicht Ausschwitz, sondern die Ausgrenzung von Menschen, die als störend, als schädlich betrachtet wurden, stand.
Das Stichwort “Ausgrenzung” verwies natürlich auf die moralische Verpflichtung, aufgrund der Verbrechen des Nationalsozialismus die Landesgrenzen für die Verdammten der Erde zu öffnen. Hier erweiterte Heller seine Klaviatur der Schuldgefühle um einige Nuancen, verband Fluch (NS-Vergangenheit) und Gnade (Wohlstandsparadies) des österreichischen “Geburtsorts” zu einer Erbsündentheologie samt ethischem Imperativ:
Herrschaften! Wir leben an einem der sichersten, reichsten und insgesamt privilegiertesten Plätze der Welt. Wir haben den Haupttreffer in der Geburtsort-Lotterie gewonnen. Nun müssen wir bereit sein, faire Preise zu bezahlen und permanent, etwas abzugeben und mit jenen zu teilen, die etwa von den katastrophalen Umständen in ihren Ländern zur Flucht gezwungen sind. Wir müssen dazu beitragen ihnen ein, zumindest einigermaßen, würdevolles Dasein in Frieden, mit gerechtem Einkommen, medizinischer Versorgung, sauberem Wasser und gesunder Nahrung in ihren Heimatregionen zu ermöglichen.
Ich kontere dies mit einem Zitat von Sieferle (aus Das Migrationsproblem, via Klonovsky):
Die letzten Menschen werden erstaunt sein, wie viele Alltagskonflikte plötzlich mit ungewohnter Gewalt ausgetragen werden (…) Eine Welle unfaßbarer blutiger Gewalt überspült die letzten Menschen, die von einer Vertreibung aus ihrem Rentnerparadies bedroht sind.
Hellers abschließender Appell ist ein Meisterstück der manipulativen Rhetorik:
Diejenigen unter Ihnen die, eventuell, dieser Analyse nicht zustimmen, bitte ich höflich, orientieren Sie sich noch einmal an den schonungslosen Fakten und gestatten Sie sich einen Lernprozess und eine Verwandlung. Tun Sie dies aus Liebe zu Ihren Kindern und Ihren Enkeln. Es ist in der Politik und im Leben überhaupt keine Schande, wenn man sich einmal irrt. Man sollte Irrtümern nur wider besseres Wissen nicht treu bleiben.
“Schonungslosen Fakten” würde Hellers quasi-religiöses Narrativ indes kaum standhalten. Vermutlich sind ihm auch die Herablassung und Arroganz seines Tonfalls kaum bewußt. Das Wahnhafte solcher Reden, gehalten hochoffiziös in der Hofburg, wird heute kaum mehr bemerkt. Ich kann historisch und generationsbedingt verstehen, warum man so denkt, und mir ist bewußt, wie hermetisch abgedichtet und unberührt von jeglichem Zweifel dieses Denken ist. Aus der fixen Idee, sich ständig in derselben historischen Zeitschleife zu befinden, und ja nicht denselben Irrtum nochmal zu begehen, werden neue, und im Endeffekt noch folgenreichere Irrtümer begangen.
Übrigens lief in Österreich pünktlich zum “Anschluß”-Gedenken der Spielfilm “Murer – Anatomie eines Prozesses” an, der gezielt darauf getrimmt ist, anhand eines NS-Kriegsverbrecherprozesses die Bösartigkeit der österreichischen Seele zu demonstrieren und ein negatives “Nationalnarrativ” zu bekräftigen, um es in den Worten des Regisseurs Christian Frosch auszudrücken. In einem Interview sagte Frosch:
„Österreich hat keine Seele und keinen Charakter. Österreich besteht aus Tätern, Zuschauern und Opfern“, zieht Regisseur Christian Frosch ein düsteres Resümee aus der Arbeit an seinem Spielfilm Murer – Anatomie eines Prozesses. (…) Er versteht Murer – Anatomie eines Prozesses dabei nicht als historisierenden, sondern als politischen Film, bei dem es darum ging, das brisante Material so authentisch wie möglich „zum Sprechen“ zu bringen.
Frosch hat also mit anderen Worten sein Material einer expliziten politischen Agenda unterworfen. Wieviel Aufrichtigkeit kann man hier erwarten?
Unter all dies wollen natürlich nur tumbe, fette, hirnlose, neanderthalartige Skinheadnazis, Burschenschafter, und Identitäre einen “Schlußstrich ziehen”, wie dieser Cartoon von Michael Pammesberger im Kurier suggeriert:
Caroline Sommerfeld
Die deutschnationale Idee braucht dringend ihre Aktualisierung in Form eines anklagend festgemauerten Deutschnationalmasochismus. Ohne ein eigenes "Denkmal der Schande" sind die Österreicher keine richtigen Deutschen ...