Nationalmasochismus und “Anschluß”

Mein zusammen mit Michael Ley herausgegebener Sammelband Nationalmasochismus ist nun bereits in der 2. Auflage lieferbar.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Das Schlag­wort “Natio­nal­ma­so­chis­mus” hat­te Armin Moh­ler bereits in den sech­zi­ger Jah­ren in sei­nem Buch Was die Deut­schen fürch­ten geprägt. Er bezeich­ne­te damit eine eigen­ar­ti­ge “tie­fe Wol­lust” im “Ver­ach­ten und Ver­nei­nen der eige­nen Nati­on”, die man am tref­fends­ten mit dem Namen “Natio­nal­ma­so­chis­mus” charakterisiere.

Der unüber­hör­ba­re Anklang in die­sem Namen meint, daß in unse­rer ver­kehr­ten Welt das deut­sche Sen­dungs­be­wußt­sein zwar nicht mehr vom Natio­nal­so­zia­lis­mus, aber von etwas ver­rä­te­risch Stil­glei­chem ver­kör­pert wird. Etwa von jenen jun­gen Leu­ten, die ingrim­mig zu bewei­sen ver­su­chen, daß ihre eige­ne deut­sche Nati­on eine Art von Aus­wurf sei und das eigent­li­che Mensch­sein ande­ren Völ­kern zukomme.

Moh­ler sah dar­in einen “nega­ti­ven Mes­sia­nis­mus” am Werk, eine Umkeh­rung jenes Mes­sia­nis­mus, der im Natio­nal­so­zia­lis­mus zum Vor­schein gekom­men war: “Der Natio­nal­ma­so­chis­mus ist nur die Kehr­sei­te des­sen, was unter dem Eti­kett ›Natio­nal­so­zia­lis­mus‹ an die Ober­flä­che kam.” Es han­de­le sich bei ihm letzt­lich um einen »ver­zwei­fel­ten Ver­such«, aus dem eige­nen Volk »aus­zu­tre­ten«, wie man ihn his­to­risch vor allem von den Juden kennt (der “jüdi­sche Selbst­haß”, von dem Theo­dor Les­sing sprach, ist eben­falls eine Form des “Natio­nal­ma­so­chis­mus”, mit einer ähn­li­chen Aus­er­wählt­heits-Ver­wor­fen­heits-Dia­lek­tik im Hintergrund).

Die­ser Kern­ge­dan­ke Moh­lers liegt auch der vor­lie­gen­den Auf­satzs­samm­lung zugrun­de – wei­te­re Bei­trä­ger sind Caro­li­ne Som­mer­feld, Til­man Nagel, Micha­el Mann­hei­mer, Micha­el Klo­novs­ky, Sieg­fried Ger­lich und Andre­as Unter­ber­ger – wobei die besag­te Dis­po­si­ti­on inzwi­schen eine Lage geschaf­fen hat, die das Finis Ger­ma­niae in greif­ba­re Nähe rücken läßt. Der Wunsch, “aus dem eige­nen Volk aus­zu­tre­ten” hat sich inzwi­schen in die Poli­tik der Volks­auf­lö­sung und des Bevöl­ke­rungs­aus­tau­sches umgemünzt.

Rolf Peter Sie­fer­le sprach ange­sichts der deut­schen Poli­tik der vor­be­halts­los offe­nen Gren­zen im Namen eines blin­den, ver­ab­so­lu­tier­ten Huma­ni­ta­ris­mus von einem »Volk von Geis­ter­fah­rern«, das einer irra­tio­na­len »Poli­tik des Ver­schwin­dens« ver­fal­len sei:

Der men­ta­le Hin­ter­grund für die­se merk­wür­di­ge Ver­ir­rung liegt wohl in der deut­schen Ver­gan­gen­heit und in den Ver­su­chen, die­se mora­lisch zu bewäl­ti­gen. Die Deut­schen erfah­ren sich seit 1945 als sin­gu­lä­res Täter­volk, und je inten­si­ver die Ver­su­che der Bes­se­rung waren, des­to uner­bitt­li­cher wur­den die Ankla­gen, von innen wie von außen. Wer möch­te unter die­sen Bedin­gun­gen ein Deut­scher sein? Dazu ist schon eine gehö­ri­ge Por­ti­on von Maso­chis­mus erforderlich.

Die Sehn­sucht nach der Erlö­sung vom “schmut­zi­gen Deutsch­sein” in einer völ­ker­lo­sen “Mensch­heit” sah Sie­fer­le “im gesam­ten poli­ti­schen Spek­trum” wirk­sam, vom “links­ra­di­ka­len Kampf­ruf ›Deutsch­land ver­re­cke‹ bis hin zu harm­lo­se­ren Vari­an­ten, etwa der Erset­zung des Begriffs ›Volk‹ durch ›Bevöl­ke­rung‹ sei­tens der Bun­des­kanz­le­rin”. Nicht von unge­fähr wer­den seit eini­ger Zeit Kri­ti­ker die­ser Poli­tik die NS-kon­no­tier­te Kampf­vo­ka­bel “völ­kisch” ange­hängt, womit schon jeder gemeint ist, der der Ansicht ist, daß es über­haupt Völ­ker mit einer spe­zi­fi­schen Iden­ti­tät gibt.

Schon an die­ser Stel­le soll­te deut­lich wer­den, daß der Begriff “Natio­nal­ma­so­chis­mus” in ers­ter Linie als Meta­pher zu ver­ste­hen ist – wir haben es hier mit einem Phä­no­men zu tun, das zwar psy­cho­lo­gisch und wohl auch psy­cho­pa­tho­lo­gisch sehr ergie­big ist, das sich aller­dings nicht in Psy­cho­lo­gie erschöpft und schon gar nicht mit ihr bei­zu­kom­men ist. Wir haben es hier viel­mehr mit einer “gro­ßen Erzäh­lung” mit reli­giö­sen und mytho­lo­gi­schen Zügen zu tun, deren sinn­stif­ten­de Wirk­macht letz­ten Endes gegen so gut wie jeden ratio­na­len Ein­wand immun ist. Man könn­te hier ein wei­te­res Mal Theo­dor Les­sing bemü­hen, der von der Geschich­te als “Sinn­ge­bung des Sinn­lo­sen” sprach. Ver­ges­sen ist heu­te, daß bereits der Aus­gang des ers­ten Welt­krie­ges in Deutsch­land so etwas wie einen “Natio­nal­ma­so­chis­mus” her­vor­ge­bracht hat, also radi­ka­le Selbst­ver­wer­fun­gen, die in der trau­ma­ti­schen Nie­der­la­ge des Rei­ches einen qua­si-theo­lo­gi­schen Sinn und Mög­lich­kei­ten der Buße suchten.

Max Weber spot­te­te im Janu­ar 1919 in der Frank­fur­ter Zei­tung über die “Lite­ra­ten, die das Bedürf­nis ihrer durch die Furcht­bar­keit des Krie­ges zer­bro­che­nen oder der Anla­ge nach eksta­ti­schen See­le im Durch­wüh­len des Gefühls einer ›Kriegs­schuld‹ befriedigten”:

Wir haben in Deutsch­land zwei Mona­te hin­ter uns, deren voll­ende­te Erbärm­lich­keit im Ver­hal­ten nach außen alles über­bie­tet, was die deut­sche Geschich­te auf­zu­wei­sen hat Eine sol­che Nie­der­la­ge muß­te ja die Fol­ge einer ›Schuld‹ sein, – dann nur ent­sprach sie jener ›Welt­ord­nung‹, wel­che alle sol­che schwa­chen, dem Ant­litz der Wirk­lich­keit nicht gewach­se­nen Natu­ren allein ertra­gen (…) daß der krie­ge­ri­sche Erfolg schlech­ter­dings nichts für oder gegen das Recht beweist, gilt es ein- für alle­mal, wie unge­zähl­te Lei­chen­fel­der der Geschich­te auch dem Blö­des­ten bewei­sen können.

Das The­ma des Ban­des Natio­nal­ma­so­chis­mus ist an sich nichts Neu­es – in der Tat war es seit eh und je ein Dau­er­bren­ner der kon­ser­va­ti­ven Publi­zis­tik in Deutsch­land, vor allem unter dem aus der Mode gekom­me­nen Titel der “Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung”, deren Kri­tik Armin Moh­ler drei heu­te noch lesens­wer­te Bücher wid­me­te (Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung 1968/1981 sowie Der Nasen­ring). Die Kri­tik an der “Bewäl­ti­gung”, an ein­sei­tig nega­ti­ven, selbst­schä­di­gen­den Geschichts­bil­dern oder poli­ti­schen “Instru­men­ta­li­sie­run­gen” der Geschich­te wur­de von den Kon­ser­va­ti­ven, gemäß ihrer Kon­sti­tu­ti­on, vor­wie­gend auf der Ebe­ne der his­to­ri­schen Fak­ten aus­ge­foch­ten. Ein Weg war die His­to­ri­sie­rung die­ser Geschichts­bil­der und “gro­ßen Erzäh­lun­gen” (die ja auch aus einem bestimm­ten his­to­ri­schen Kon­text her­aus ent­stan­den sind), wie es etwa Cas­par Schrenck-Not­zing in Cha­rak­ter­wä­sche oder Hans-Joa­chim Arndt in Die Besieg­ten von 1945 getan haben.

Ein ande­rer, damit eng ver­knüpf­ter Weg, war das ste­ti­ge Wie­der­auf­rol­len des Pro­zes­ses um die deut­sche “Schuld”, “Geschichts­re­vi­sio­nis­mus” im wei­tes­ten Sin­ne (ich benut­ze das Wort nicht in einem nega­ti­ven Sin­ne; anma­ßend und der Geschichts­wis­sen­schaft fremd ist viel­mehr die Vor­stel­lung, Geschich­te kön­ne ein- für alle­mal fest­ge­schrie­ben wer­den.) Dazu gehört auch die Fra­ge nach den baga­tel­li­sier­ten, ver­ges­se­nen, mar­gi­na­li­sier­ten Sei­ten des 2. Welt­kriegs: Bom­ben­krieg, Flucht und Ver­trei­bung, alli­ier­te Kriegs­ver­bre­chen. Letz­te­re haben zumin­dest teil­wei­se und in ent­schärf­ter Form ihren Weg in den  Main­stream gefun­den, wäh­rend ande­re The­men wie die Kriegs­schuld­fra­ge oder die Prä­ven­tiv­kriegs­the­se wei­ter­hin in der Qua­ran­tä­ne bleiben.

Vor etwa zehn, fünf­zehn Jah­ren war das in der natio­nal­kon­ser­va­ti­ven Publi­zis­tik eine ziem­lich bedeu­ten­de Fra­ge; kei­ne Woche ver­ging, ohne daß die Jun­ge Frei­heit min­des­tens einen Arti­kel über ein his­to­ri­sches The­ma jen­seits der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Beleuch­tung brach­te. Man las und dis­ku­tier­te damals lei­den­schaft­lich Bücher von Ste­fan Scheil, Gerd Schult­ze-Rhon­hof, Jörg Fried­rich, Kon­rad Löw, Wolf­gang Ven­ohr, Nor­man Fin­kel­stein, Ernst Nol­te, Rudolf Czern­in, Johan­nes Rogal­la von Bie­ber­stein, Alex­an­der Sol­sche­ni­zyn, Karl­heinz Weiß­mann oder Alfred M. Zayas. Außer­halb unse­rer Milieus gal­ten fast alle die­se Autoren als “rechts­extrem” oder “umstrit­ten”. Ich schrieb damals mein ers­tes Büch­lein Besetz­tes Gelän­de, das nun wie­der neu auf­ge­legt wurde.

In einem Arti­kel über Ste­fan Scheil schrieb ich 2011:

Die gif­ti­ge Dif­fa­mie­rung von Wis­sen­schaft­lern wie Scheil, die vor kei­ner wahr­heits­wid­ri­gen Ver­zer­rung zurück­schreckt, dient vor allem der Abwehr der Infra­ge­stel­lung eines über Gene­ra­tio­nen hin­weg auf­ge­bau­ten, defor­mier­ten “poli­ti­schen Bewußt­seins”, des “ideo­lo­gi­schen Über­baus” der heu­ti­gen Bun­des­re­pu­blik. Und der sieht vor, daß der Krieg gegen Deutsch­land in Form einer stän­di­gen Ankla­ge ohne Mög­lich­keit auf Gegen­wehr und Gegen­re­de wei­ter­ge­führt wird. Eine Art Nürn­berg in Per­ma­nenz. His­to­ri­ker wie Scheil sind es, die die­sen Krieg end­lich been­den wol­len, Publi­zis­ten wie Kel­ler­hof dage­gen sind Kom­bat­tan­ten, die ihn ewig wei­ter­ge­führt sehen wol­len. Und das ers­te Opfer im Krieg ist, bekannt­lich, die Wahrheit.

Die­se Front scheint mir inzwi­schen ver­gleichs­wei­se ver­waist zu sein, heu­te domi­nie­ren eher Islam­kri­tik, Gen­de­ris­mus, Flücht­lings­po­li­tik, ins­ge­samt das von Thi­lo Sar­ra­zin inau­gu­rier­te “Deutsch­land schafft sich ab”-Genre. Das hat viel­leicht auch damit zu tun, daß der zwei­te Welt­krieg ein wei­te­res Jahr­zehnt in die Fer­ne gerückt ist, und die Zeit­zeu­gen prak­tisch aus­ge­stor­ben oder im bibli­schen Alter sind. Mir scheint aller­dings auch auf der ande­ren Sei­te der Front, im Über­bau der BRD, eine gewis­se Ermü­dung ein­ge­tre­ten zu sein. Die gro­ßen deut­schen Unter­wer­fungs­ges­ten und ‑ritua­le der Ver­gan­gen­heit spie­len in der Mer­kel-Regie­rung kei­ne all­zu gro­ße Rol­le mehr, wäh­rend sie deren Sinn­ge­halt gleich­zei­tig ein­ge­fleischt und ver­in­ner­licht hat. Wenn ich mir heu­te ein altes Pro­test­vi­deo der “Kon­ser­va­tiv-Sub­ver­si­ven Akti­on” (einem Vor­läu­fer der heu­ti­gen iden­ti­tä­ren Aktio­nen) aus dem Jah­re 2009 anse­he, dann scheint es 100 Jah­re zurück­zu­lie­gen, und der Ver­trag von Ver­sailles 200. Sogar das affekt­ge­la­de­ne Thea­ter um den “8. Mai am Hel­den­platz”, das ich im Jah­re 2012 beschrieb, liegt heu­te in merk­wür­dig wei­ter Ferne.

Spä­te Bewäl­ti­gungs­nach­züg­ler wie der Pro­zeß gegen einen 96jährigen “Buch­hal­ter von Ausch­witz” wir­ken gespens­tisch und erzwun­gen, als müs­se man kram­p­haft nach noch ver­blie­be­nen “Tätern” suchen, um den medi­al ohne­hin dau­er­prä­sen­ten und über­re­prä­sen­tier­ten Holo­caust mit Aktua­li­tä­ten zu ver­sor­gen. Das Per­so­nal für Sün­den­bock­ri­tua­le die­ser Art dürf­te nun end­gül­tig erschöpft sein. Gespens­tisch wir­ken auch die immer noch gele­gent­lich statt­fin­den­den Auf­trit­te der numi­no­sen Gegen­parts zu den hun­dert­jäh­ri­gen “SS-Män­nern”, wie etwa der 90jährigen “Frau Ger­tru­de”, die im öster­rei­chi­schen Wahl­kampf­ren­nen Hofer vs. Van der Bel­len wir­kungs­voll ein­ge­setzt wur­de. Unge­ach­tet der Qua­li­tät ihrer Wer­ke haben die oben genann­ten Autoren ins­ge­samt wenig Ein­fluß auf die “gro­ße Erzäh­lung” gehabt, die den Staa­ten, die aus dem Drit­ten Reich her­vor­ge­gan­gen sind, bis heu­te ihren his­to­ri­schen Sinn und ihre mora­li­sche Ori­en­tier­tung gibt (und die, nicht zu ver­ges­sen, inter­na­tio­nal als Recht­fer­ti­gung glo­ba­lis­ti­scher Migra­ti­ons- und “Umvolkungs”-Politik dient).

Die Erzäh­lung von der Ambi­va­lenz von “Nie­der­la­ge und Befrei­ung”, die vor allem von Richard von Weiz­sä­cker  in Spiel gebracht und kano­ni­siert wur­de und in der Bun­des­re­pu­blik wie auch in Öster­reich lan­ge Zeit Gül­tig­keit hat­te, wur­de immer ein­sei­ti­ger auf eine rei­ne Geschich­te der “Befrei­ung” vom “Bösen” redu­ziert. Und die fana­ti­sche Ener­gie, auch noch die letz­ten Res­te einer mehr­schich­ti­gen Sicht auf die­se Din­ge zu til­gen, scheint immer noch nicht erschöpft.

Je wei­ter die tat­säch­li­che Geschich­te zurück­liegt, umso mehr erstarrt sie zum ideo­lo­gi­schen Kon­strukt. Es ver­steht sich von selbst, daß auch die lau­fen­den Ritua­le der öster­rei­chi­schen Bun­des­re­gie­rung zum 80. Jah­res­tag des “Anschlus­ses” von 1938 die­sen ideo­lo­gi­schen Cha­rak­ter tra­gen. Die For­meln sind seit 1988, den Gedenk­fei­ern zum 50. Jah­res­tag, mit denen die “Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung” end­gül­tig in Öster­reich ange­kom­men war, im wesent­li­chen gleich geblie­ben, und sie haben all­mäh­lich einen ana­chro­nis­ti­schen Bei­geschmack. Aus­ge­rech­net die tür­kis-blaue “rechts­po­pu­lis­ti­sche” Regie­rung scheint sich ganz beson­ders ins Zeug zu legen, den ent­spre­chen­den Gedenk­kult noch­mal fest zu ver­an­kern, als wäre er das Dring­lichs­te, was Öster­reich heu­te braucht – und viel­leicht, um sich ein Ali­bi und einen Per­sil­schein zu ver­schaf­fen. Am Gedenk­tag des Anschlus­ses ver­kün­de­te sie ihr Ansin­nen, ein wei­te­res “Mahn­mal” in der Wie­ner Innen­stadt errich­ten zu wol­len (Hrdlick­as zum 50. Gedenk­tag des Anschlus­ses auf­ge­bau­tes, damals reich­lich umstrit­te­nes “Mahn­mal gegen Krieg und Faschis­mus” genügt wohl nicht.) Der Stan­dard berichtete:

Die tür­kis-blaue Bun­des­re­gie­rung nützt das Gedenk­jahr 2018 dazu, “ein blei­ben­des Zei­chen des Erin­nerns zu set­zen. Das Geden­ken an ver­stor­be­ne Men­schen nimmt hier einen beson­de­ren Stel­len­wert ein. Obwohl gera­de im Juden­tum ein Gedenk­ort für die Ver­stor­be­nen von gro­ßer Bedeu­tung ist, exis­tiert jedoch bis­her für die Nach­fah­ren der in der Sho­ah ermor­de­ten jüdi­schen Öster­rei­che­rin­nen und Öster­rei­cher kein Ort der indi­vi­du­el­len, nament­li­chen Erin­ne­rung an die Opfer”, heißt es in einem Minis­ter­rats­vor­trag von Bun­des­kanz­ler Sebas­ti­an Kurz (ÖVP), der die­se Woche beschlos­sen wer­den soll. Gestal­ten soll das Mahn­mal der 1930 in Wien gebo­re­ne Kurt Yakov Tut­ter, ein kana­disch-öster­rei­chi­scher Künst­ler, der nach dem “Anschluss” aus der dama­li­gen Ost­mark flie­hen konn­te – sei­ne Eltern wur­den vom Nazi-Regime depor­tiert und ermordet.

Tut­ter hat­te schon vor 20 Jah­ren beklagt, dass das inzwi­schen auf dem Juden­platz in der Wie­ner Innen­stadt errich­te­te Mahn­mal unzu­rei­chend sei, weil es nicht die Namen der rund 66.000 ermor­de­ten öster­rei­chi­schen Juden nennt. Tut­ters Vor­schlag sieht zwei Meter hohe Gedenk­mau­ern aus polier­tem Gra­nit vor. Fünf Mau­ern mit einer Län­ge von je 65 Meter Län­ge könn­ten bei einer Schrift­hö­he von zwei Zen­ti­me­tern die Namen aller Opfer aufnehmen…

Stra­che, der schon auf dem Aka­de­mi­ker­ball artig das neue Glau­bens­be­kennt­nis vor­be­te­te, zeigt sich ganz auf Linie:

Vize­kanz­ler Heinz-Chris­ti­an Stra­che (FPÖ) sieht im Geden­ken “eine stän­di­ge Ver­pflich­tung” und erklär­te: “Die Errich­tung einer Namens­ge­denk­mau­er soll zei­gen, das wir die Opfer der Sho­ah in blei­ben­der Erin­ne­rung behal­ten. Nie­mals dür­fen wir ver­ges­sen, was die­sen Men­schen ange­tan wurde.”

Wobei natür­lich abzu­se­hen ist, daß dann auch bestä­tig dar­an erin­nert wer­den wird, wer hier wem etwas ange­tan hat, und wel­che Schluß­fol­ge­run­gen und Direk­ti­ven man dar­aus abzu­lei­ten hat (und wel­che nicht). Es ver­steht sich von selbst, daß ein sol­ches Denk­mal nur die Namen der jüdi­schen Opfer des Regimes ent­hal­ten soll (also der “Alpha-Opfer” par excel­lence), wäh­rend die rest­li­chen 32, 000 nicht-jüdi­schen Neb­bi­che, von denen in die­ser offi­ziö­sen Bro­schü­re die Rede ist (inklu­si­ve mehr als 1,200 hin­ge­rich­te­ter Wider­ständ­ler), offen­bar nicht so doll erin­ne­rungs­wür­dig sind.

Für die Ten­denz des  Regie­rungs­pro­gramms, exem­pli­fi­ziert in der Redes des links­grü­nen Prä­si­den­ten Alex­an­der van der Bel­len, genügt ein Blick in das Haupt­mas­sen­blatt Öster­reichs, die Kro­nen-Zei­tung vom 12. bzw. 13. März. “1938” ist dem­nach die alt­be­kann­te Geschich­te vom gro­ßen anti­de­mo­kra­ti­schen Sün­den­fall der Nati­on (“Vor 80 Jah­ren war Öster­reich mehr­heit­lich begeis­tert! Bereit­wil­lig öff­ne­te man im März 1938 die Gren­zen zu Nazi-Deutsch­land”), der sich jeder­zeit wie­der­ho­len könn­te, wenn “wir” nicht andau­ernd auf der Hut liegen:

Alex­an­der van der Bel­len ruft bei 1938er-Geden­ken dazu auf, “die Sin­ne zu schär­fen”… Auch heu­te sind Demo­kra­tien anfäl­lig für Popu­lis­mus, Dem­ago­gie und Ras­sis­mus. Das wür­de nicht ein­fach ver­schwin­den, son­dern es exis­tie­re “im Klei­nen und Gro­ßen” wei­ter. Auch 80 Jah­re nach den Ereig­nis­sen von damals ist Auf­merk­sam­keit gefragt, Auf­merk­sam­keit dafür, “wie die nied­rigs­ten Gefüh­le und Regun­gen von den Her­zen der Men­schen Besitz ergrei­fen.” (Kro­nen-Zei­tung, 13. März 2018).

Van der Bel­len ließ also kei­nen Zwei­fel dar­an, wel­che poli­ti­schen Inter­es­sen und Inter­pre­ta­ti­ons­rah­men mit die­sem Geden­ken und die­sem Nar­ra­tiv zemen­tiert wer­den sol­len. Damit steht der ohne­hin schon reich­lich kas­trier­te Stra­che mit sei­ner Par­tei wie ein noch nicht hin­rei­chend zurecht­ge­bo­ge­ner ideo­lo­gi­scher Fremd­kör­per in der Regie­rung da, denn es ist unzwei­fel­haft, an wel­che Adres­se der Vor­wurf von “Popu­lis­mus, Dem­ago­gie und Ras­sis­mus” gerich­tet ist.

Ent­spre­chend äußer­te auch Oscar Deutsch, der Prä­si­dent der Israe­li­ti­schen Kul­tus­ge­mein­de, wich­ti­ger noch als ein (wei­te­res) Denk­mal in der Wie­ner Innen­stadt wäre ihm, “ein Par­la­ment ohne Anti­se­mi­tis­mus und eine Regie­rung ohne deutsch­na­tio­na­le Bur­schen­schaf­ter” (Kro­nen-Zei­tung, 12. März 2018). Alle Bemü­hun­gen der FPÖ, als koscher zu erschei­nen, schei­nen bis­lang nichts gefruch­tet zu haben.

Die “natio­nal­ma­so­chis­ti­sche” Kom­po­nen­te des 1938er-Geden­kens wur­de zusätz­lich von dem Ösi-Fos­sil André Hel­ler in einer “bewe­gen­den Gedenk­re­de” betont. Die Kro­nen-Zei­tung hob her­vor, daß er “aus einer jüdi­schen Indus­tri­el­len­fa­mi­lie” stammt, ver­mut­lich, um sei­nen wie üblich dick auf­ge­tra­ge­nen Wor­ten noch mehr Gewicht zu verleihen.

… heut­zu­ta­ge gibt es kei­ne akzep­ta­ble Aus­re­de Ras­sis­mus und Frem­den­hass in der Poli­tik nicht ent­ge­gen­zu­tre­ten oder am Arbeits­platz, am Stamm­tisch, dem Fuß­ball­platz, den sozia­len Medi­en oder in gesel­li­gen Ver­ei­nen. Man ris­kiert dafür nicht Fol­ter und Tod, ich gebe zu, mög­li­cher­wei­se ris­kiert man beruf­li­che Nach­tei­le, aber wir erhal­ten dafür ein bedeu­tend qua­li­täts­vol­le­res Öster­reich. Ver­ges­sen wir nicht, dass am Anfang der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Herr­schaft nicht Aus­schwitz, son­dern die Aus­gren­zung von Men­schen, die als stö­rend, als schäd­lich betrach­tet wur­den, stand.

Das Stich­wort “Aus­gren­zung” ver­wies natür­lich auf die mora­li­sche Ver­pflich­tung, auf­grund der Ver­bre­chen des Natio­nal­so­zia­lis­mus die Lan­des­gren­zen für die Ver­damm­ten der Erde zu öff­nen. Hier erwei­ter­te Hel­ler sei­ne Kla­via­tur der Schuld­ge­füh­le um eini­ge Nuan­cen, ver­band Fluch (NS-Ver­gan­gen­heit) und Gna­de (Wohl­stands­pa­ra­dies) des öster­rei­chi­schen “Geburts­orts” zu einer Erb­sün­den­theo­lo­gie samt ethi­schem Imperativ:

Herr­schaf­ten! Wir leben an einem der sichers­ten, reichs­ten und ins­ge­samt pri­vi­le­gier­tes­ten Plät­ze der Welt. Wir haben den Haupt­tref­fer in der Geburts­ort-Lot­te­rie gewon­nen. Nun müs­sen wir bereit sein, fai­re Prei­se zu bezah­len und per­ma­nent, etwas abzu­ge­ben und mit jenen zu tei­len, die etwa von den kata­stro­pha­len Umstän­den in ihren Län­dern zur Flucht gezwun­gen sind. Wir müs­sen dazu bei­tra­gen ihnen ein, zumin­dest eini­ger­ma­ßen, wür­de­vol­les Dasein in Frie­den, mit gerech­tem Ein­kom­men, medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung, sau­be­rem Was­ser und gesun­der Nah­rung in ihren Hei­mat­re­gio­nen zu ermöglichen.

Ich kon­te­re dies mit einem Zitat von Sie­fer­le (aus Das Migra­ti­ons­pro­blem, via Klonovsky):

Die letz­ten Men­schen wer­den erstaunt sein, wie vie­le All­tags­kon­flik­te plötz­lich mit unge­wohn­ter Gewalt aus­ge­tra­gen wer­den (…) Eine Wel­le unfaß­ba­rer blu­ti­ger Gewalt über­spült die letz­ten Men­schen, die von einer Ver­trei­bung aus ihrem Rent­ner­pa­ra­dies bedroht sind.

Hel­lers abschlie­ßen­der Appell ist ein Meis­ter­stück der mani­pu­la­ti­ven Rhetorik:

Die­je­ni­gen unter Ihnen die, even­tu­ell, die­ser Ana­ly­se nicht zustim­men, bit­te ich höf­lich, ori­en­tie­ren Sie sich noch ein­mal an den scho­nungs­lo­sen Fak­ten und gestat­ten Sie sich einen Lern­pro­zess und eine Ver­wand­lung. Tun Sie dies aus Lie­be zu Ihren Kin­dern und Ihren Enkeln. Es ist in der Poli­tik und im Leben über­haupt kei­ne Schan­de, wenn man sich ein­mal irrt. Man soll­te Irr­tü­mern nur wider bes­se­res Wis­sen nicht treu bleiben.

“Scho­nungs­lo­sen Fak­ten” wür­de Hel­lers qua­si-reli­giö­ses Nar­ra­tiv indes kaum stand­hal­ten. Ver­mut­lich sind ihm auch die Her­ab­las­sung und Arro­ganz sei­nes Ton­falls kaum bewußt. Das Wahn­haf­te sol­cher Reden, gehal­ten hoch­of­fi­zi­ös in der Hof­burg, wird heu­te kaum mehr bemerkt. Ich kann his­to­risch und gene­ra­ti­ons­be­dingt ver­ste­hen, war­um man so denkt, und mir ist bewußt, wie her­me­tisch abge­dich­tet und unbe­rührt von jeg­li­chem Zwei­fel die­ses Den­ken ist. Aus der fixen Idee, sich stän­dig in der­sel­ben his­to­ri­schen Zeit­schlei­fe zu befin­den, und ja nicht den­sel­ben Irr­tum noch­mal zu bege­hen, wer­den neue, und im End­ef­fekt noch fol­gen­rei­che­re Irr­tü­mer begangen.

Übri­gens lief in Öster­reich pünkt­lich zum “Anschluß”-Gedenken der Spiel­film “Murer – Ana­to­mie eines Pro­zes­ses” an, der gezielt dar­auf getrimmt ist, anhand eines NS-Kriegs­ver­bre­cher­pro­zes­ses die Bös­ar­tig­keit der öster­rei­chi­schen See­le zu demons­trie­ren und ein nega­ti­ves “Natio­nal­nar­ra­tiv” zu bekräf­ti­gen, um es in den Wor­ten des Regis­seurs Chris­ti­an Frosch aus­zu­drü­cken. In einem Inter­view sag­te Frosch:

„Öster­reich hat kei­ne See­le und kei­nen Cha­rak­ter. Öster­reich besteht aus Tätern, Zuschau­ern und Opfern“, zieht Regis­seur Chris­ti­an Frosch ein düs­te­res Resü­mee aus der Arbeit an sei­nem Spiel­film Murer – Ana­to­mie eines Pro­zes­ses. (…) Er ver­steht Murer – Ana­to­mie eines Pro­zes­ses dabei nicht als his­to­ri­sie­ren­den, son­dern als poli­ti­schen Film, bei dem es dar­um ging, das bri­san­te Mate­ri­al so authen­tisch wie mög­lich „zum Spre­chen“ zu bringen.

Frosch hat also mit ande­ren Wor­ten sein Mate­ri­al einer expli­zi­ten poli­ti­schen Agen­da unter­wor­fen. Wie­viel Auf­rich­tig­keit kann man hier erwarten?

Unter all dies wol­len natür­lich nur tum­be, fet­te, hirn­lo­se, nean­dert­hal­ar­ti­ge Skin­head­na­zis, Bur­schen­schaf­ter, und Iden­ti­tä­re einen “Schluß­strich zie­hen”, wie die­ser Car­toon von Micha­el Pam­mes­ber­ger im Kurier sug­ge­riert:

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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Kommentare (26)

Caroline Sommerfeld

27. März 2018 09:52

Die deutschnationale Idee braucht dringend ihre Aktualisierung in Form eines anklagend festgemauerten Deutschnationalmasochismus. Ohne ein eigenes "Denkmal der Schande" sind die Österreicher keine richtigen Deutschen ...

Gustav Grambauer

27. März 2018 09:56

Eine vertiefende Literaturempfehlung, wenn auch nicht von Antaios:

https://www.denkschule-hamburg.de/code/buch_umstuelpung.htm

Auf dieser Grundlage findet man allerorten die Umstülpungen als Erscheinungen. Es liegt nebenbei gesagt im Wesen der Apokalypse, daß einmal das Unterste nach oben gestülpt wird und dort das Hohe verdrängt. Hebbel hat dazu gesagt:

"Es ist möglich, daß der Deutsche doch einmal von der Weltbühne verschwindet, denn er hat alle Eigenschaften, sich den Himmel zu erwerben, aber keine einzige, sich auf Erden zu behaupten und alle Nationen hassen ihn, wie die Bösen den Guten. Wenn es ihnen aber wirklich einmal gelingt, ihn zu verdrängen, wird ein Zustand entstehen, in dem sie ihn wieder mit den Nägeln aus dem Grabe kratzen mögten." - Tagebücher / Rilke-Ausgabe, 4. Januar 1860

Das durch diese Verdrängung entstehende Vakuum wird ja pointiert gefüllt: wer sonst als der umgestülpte Deutsche ist Heiko Maas? War dessen Wergegang als Saarländer, katholischer Meßdiener, Triathlet und Sozialdemokrat ins Justiz- und dann ins Außenministerium nicht vom Weltenhumor begleitet, gerade auch wenn man Physiognomie, Habitus und LAP (Lebensabschnittspartnerin, Schauspielerin > 10 Zentimeter) anschaut, und ist es nicht in diesem Weltenhumor angelegt, daß er noch Bundeskanzler oder Bundespräsident wird? (Wobei ja der Bundeskanzler, ergo der "Bundesbüroleiter", was ist eine Kanzlei anderes als ein Büro, auch wieder nur die Umstülpung des Kaisers ist - bzw. die Macht der Kanzlei die Umstülpung der Macht des Kaiserlichen Palastes ist).

Freuen wir uns erstmal auf köstliche realsatirische Berichte von den Begegnungen zwischen Lawrow und Maas, zwischen Löwen-Alpha-Exemplar und Zwergitaliener in freier Wildbahn!

- G. G.

Andreas Walter

27. März 2018 12:21

Wow, was für ein fulminantes Crescendo. Von Seite zu Seite steigert sich der Artikel zu einem wahrhaft beindruckenden Feuerwerk der Majestätsenthüllung. Nur schade, dass auch 90% der Deutschen gar nicht verstehen, worum es in dem Artikel überhaupt geht.

"Vergessen wir nicht, dass am Anfang der nationalsozialistischen Herrschaft nicht Ausschwitz, sondern die Ausgrenzung von Menschen, die als störend, als schädlich betrachtet wurden, stand."

Wie könnten wir. Wer wenn nicht wir haben uns intensiv auch mit diesem Thema beschäftigt. Ich weiß über Auschwitz mehr als selbst die meisten Juden, über Sobibor sogar mehr als der britischer Historiker Martin Gilbert.

Das die Kleine Zeitung Österreich übrigens nicht einmal weiß, wie man Auschwitz überhaupt richtig schreibt betrachte ich auch als bezeichnend.

Wir sollten darum den "Süßwarengroßindustriellensohn" Heller unbedingt auch mal zu einem Bundesparteitag der AfD einladen. Dort könnten seine Worte womöglich ein wenig Trost spenden, angesichts der massiven Anfeindungen, die sich diese Menschen beinahe täglich gefallen lassen müssen. Oder auf einer europäischen Versammlung der IB.

Doch der Heller nimmt dafür bestimmt eine Menge Geld, für seine gesalbten Worte. So einen Schmonzes können wir uns darum nicht leisten.

https://www.youtube.com/watch?v=0WPzFnZkZmI

("WIERD AL YANKOVIC - Money For Nothing/Beverly Hillbillies", auf YouTube TV)

0002

27. März 2018 15:47

„Aus der fixen Idee, sich ständig in derselben historischen Zeitschleife zu befinden, und ja nicht denselben Irrtum nochmal zu begehen, werden neue, und im Endeffekt noch folgenreichere Irrtümer begangen.“

Den Mechanismus auf den Punkt gebracht.

Der Gehenkte

27. März 2018 16:48

Man darf freilich die Dialektik hinter der Gedenkkultur nicht übersehen: mit jedem Denkmal - insbesondere wenn es pompös ist und durch Individualisierung die psychische Auffassungsgabe des Rezipienten übersteigt - wird der Prozeß der Ermüdung, des Überdrusses und der Ignoranz verstärkt. Nichts hat in diesem Sinne stärker gewirkt als das Stelenfeld; damit war das Ende des Sagbaren erreicht, von hier aus gibt es kein Weiter mehr, denn ein Mehr/Meer wäre Nonsens.

In diesem Sinne sollte man der Entwicklung gelassen affirmativ zusehen.

Der_Juergen

27. März 2018 18:57

Lichtmesz lehnt sich, mit seiner üblichen sprachlichen Brillanz, ziemlich weit aus dem Fenster.

Auf eine Unsauberkeit sei allerdings doch hingewiesen. Wenn er schreibt, die Auseinandersetzung mit alliierten Verbrechen an Deutschen werde heute ansatzweise auch in den Mainstream-Medien geführt, "während Themen wie die Kriegsschuldfrage oder die Präventivkriegsthese weiterhin in der Quarantäne bleiben", so gilt es darauf hinzuweisen, dass diese Themen zwar in der Systempresse nicht erörtert werden dürfen und Historiker, die dies doch tun, von besoldeten Schmierfinken, von denen einer der allerwiderlichsten in der "Welt" schreibt, mit Schmutz beworfen werden, es in diesen Fragen aber keine staatlichen Verbote gibt.


M.L.: Na, z.B. "Der Brand" von Jörg Friedrich war 2002 ein vieldiskutierter Bestseller, und es gab in den Jahren nach "Der Untergang" etliche Dokumentar- und Spielfilme, die etwa die Themen Dresden, Flucht & Vertreibung, Vergewaltigung durch Rote Armee etc. behandelten, wenn ich auch in arg weichgespülter Form. "Ansatzweise" ist zumindest ein bißchen etwas in den Mainstream eingesickert.

Ich erinnere daran, dass z. B. die vom Verlag "Pour le Merite" erschienenen Sammelbände "Überfall auf Europa" und "Die rote Walze", in denen vor allem russische Geschichtsforscher (der hervorragendste ist der Militärhistoriker Michael Meltjuchow) massenweise gewichtige Argumente zugunsten der Präventivkriegsthese anführen, ebenso frei verkauft werden können wie die Bücher von Joachim Hoffmann oder Stefan Scheil.

Noch zum leidigen Thema Strache/Kurz: Die Unterwerfungsrituale dieser beiden Herren - von denen Strache der noch würdelosere ist - rufen Brechreiz hervor. Selbstverständlich erfolgen sie, wie Lichtmesz festhält, weil die österreichische "Rechte" sich "einen Persilschein verschaffen" will. Bisher ohne sonderlichen Erfolg übrigens.

Andreas Walter

27. März 2018 19:26

Wobei ich die interessantesten Entdeckungen oft ganz nebenbei, fast wie durch Zufall mache. So wie gerade eben auch wieder. Steht alles im Wikipedia-Artikel über "Beverly Hills, California":

Unter "20th century"

"Beverly Hills was one of many all-white planned communities started in the Los Angeles area around this time.[17] Restrictive covenants prohibited non-whites from owning or renting property unless they were employed as servants by white residents.[12]:57 It was also forbidden to sell or rent property to Jews in Beverly Hills.[18]"

Dieser Abschnitt bezieht sich auf die Zeit um etwa 1907 bis ... - bis wann steht leider nicht in dem Artikel.

Doch weiter unten, unter "2010"

The largest religious community are Persian Jews, who make up 26% of the population of Beverly Hills.[54] The Iranian Jewish community in Beverly Hills, numbering over 8,000, is the second largest Iranian Jewish community in the United States, after Great Neck, New York.[55][56]

1/4 der Bevölkerung von Beverly Hills sind also persische Juden? (Iran, Irak, was noch?) So wie Sassoon. Grosse Lust auf Integration scheinen die wohl auch nicht zu haben, auch nicht in den VSA. Sind wohl auch lieber unter sich.

Der Artikel liefert aber noch eine Menge weitere interessante Details, die ich hier aber gar nicht alle aufzählen will und kann.

Eine beeindruckende Geschichte, von "Juden unerwünscht" selbst in den Vereinigten Staaten von Amerika, dem Land der fast unbegrenzten Möglichkeiten, bis hin zur Mehrheit in einer der wohlhabendsten und auch deshalb weltbekannten Stadt.

https://www.youtube.com/watch?v=SKABPEK1dhc

("Los Angeles: Beverly Hills (Deutsch)", auf YouTube)

Der Gehenkte

27. März 2018 20:20

Es gibt ja noch ein weiteres Paradox: Durch die Entheroisierung der Geschichte, die einen historischen Helden nach dem anderen vom Sockel stößt, wird der nachkommenden Jugend ein intuitiver Abwehrreflex gegen alle Denkmäler und Statuen eingeimpft, der sich letztlich auch gegen "nationalmasochistische" Piedestale richten muß. Wie gesagt, die liberale Geschichts- und Gedenkpolitik frißt sich selber auf.

0002

27. März 2018 21:36

„Grosse Lust auf Integration scheinen die wohl auch nicht zu haben, auch nicht in den VSA. Sind wohl auch lieber unter sich.”

Zusammen mit den anderen 3/4

links ist wo der daumen rechts ist

28. März 2018 07:04

Zu ebener Erde und erster Stock 1

Ein bißchen muß ich bei derartigen Diskussionen an die berühmte, von Grace Kelly überlieferte Hitchcock-Anekdote denken. „Hitch“, berüchtigt für seine manchmal anzüglichen Witze, wollte gerade einen derselben zum besten geben, als ihn Grace Kelly unterbrach: „Ach Hitch, darüber habe ich doch schon in meiner Klosterschulzeit gelacht.“

Vieles von dem, was M.L. hier beredt beschreibt, ist z.t. schon bzw. wieder historisiert und damit ent-moralisiert oder fand einen nachhaltigen Eingang in das Mainstream-Bewußtsein.
Der Rest verdeutlicht gerade die brüchige, i.e. behelfsmäßige Struktur von Narrativen.

Beispiele?

1977 erschien der Sachbuch-Bestseller von Sebastian Haffner „Anmerkungen zu Hitler“ mit Ausführungen, die heute manchen als „rechtsextrem“ erscheinen mögen.
1979 wurde im öffentlichen TV die US-amerikanische Serie „Holocaust“ gezeigt, fünf Jahre später die Folgen von Edgar Reitz’ „Heimat“ (usprünglich „Made in Germany“), beides „Straßenfeger“ und Narrative, die, da eben filmisch mainstreamtauglich, einander nicht widersprachen. Von deutscher Seite gab es davor noch als filmtechnische Antwort auf Hollywood den Blockbuster „Das Boot“.
Reitz’ „Heimat“-Trilogie endet übrigens mit dem gemeinsamen Weinen von Mutter und Tochter in einem eigens für den Film gebauten „Günderrode“-Haus mit Blick auf den Rhein. Loreley ums Eck; deutscher geht’s nimmer.

Die Zeit der Moralisierungen begann nachhaltig erst mit Weizsäckers Rede am 8. Mai 1985 (familiendynamisch sicher nicht uninteressant), zeitgleich sprach aber auch ein gewisser Rudolf Augstein in einem Spiegel-Editorial davon, dass man Churchill, Stalin und Roosevelt mindestens ebenso als Kriegsverbrecher bezeichnen müsse.
Es folgten der sog. „Historikerstreit“ 1987 und Jenningers Rede 1988; eigentlich die letzten Rückzugsgefechte der alten BRD.
Nach der Wiedervereinigung galt es, um dem Rest der Welt die „Angst vor den Deutschen“ zu nehmen (die Regierung Thatcher zerbrach darüber, Mitterand rang Kohl die spätere Abschaffung der DM ab), einen opferorientierten Gründungsmythos zu installieren. Kohl wollte ursprünglich mit der Gedenkstätte der „Neuen Wache“ an Adenauers „Heimkehrer-Mahnmal“ anknüpfen, es kam zu den bekannten langwierigen Diskussionen - mit dem Abschluß des Holocaust-Mahnmals.
Daß aber dieses Narrativ bereits in der Diskussionsphase brüchig wurde, verdeutlichte nichts so sehr wie Martin Walsers zehn Jahre nach Jenninger gehaltene Paulskirchen-Rede.

Und in den letzten 20 Jahren kam diese Auseinandersetzung nicht mehr zur Ruhe, wie sich relativ materialreich auch von liberaler Seite in Aleida Assmanns Buch „Das Unbehagen an der Erinnerungskultur“ nachlesen lässt.

Was wäre nun gewonnen, ein ohnehin brüchiges Narrativ durch ein anderes zu ersetzen, das sich zudem auch wieder nicht positiv begründen ließe, da man ja GEGEN Nationalmasochismus auftritt?
Warum nicht diese unterschiedlichen Stränge und Unvereinbarkeiten (nicht nur innerhalb von Familien) betonen, wie z.B. in den verqueren Texten von Alexander Kluge seit seiner „Schlachtbeschreibung“, den Gesprächen Kluge/Heiner Müller, den Arbeiten von W.G. Sebald, der immerhin die Luftkriegsdebatte angestossen hatte oder – jüngeren Datums – Enzensbergers „Hammerstein“. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Oder anders formuliert: die Lektüre von Hannsferdinand Döbler und Ruth Klüger muß kein Widerspruch sein.

M.L.: Das ist auch mein Ansatz in "Besetztes Gelände", die "Stereoskopie" nach Jünger, oder die Polyphonie der Erzählungen.

Nebenbei:
Helden- oder Nationalepen wie das Nibelungenlied eignen sich schon gar nicht für positive Helden- oder Treuebestimmungen oder was auch immer, denn legt man – wie das Franz Borkenau auf kongeniale Weise gezeigt hat – die historischen Tiefenschichten frei, dann landen wir wieder, ganz nach Hitchcock, bei zu vertuschenden, peinlichen „family plots“.
Daß Hitchcock witzigerweise in seiner Zeit in Berlin bei Dreharbeiten in den Babelsberger Studios zum Entsetzen aller Anwesenden die monumentalen Baum-Requisiten aus Fritz Langs „Nibelungen“ absägte, nur als Anekdote am Rande.

Und abschließend:
Hand aufs Herz, ist das gegenwärtige Deutschland wirklich eine Nation, die in Sack und Asche geht? Eigenartig nur, daß z.B. jahrzehntelang links und rechts treu vereint mächtig stolz vom „Exportweltmeister Deutschland“ sprachen. Vom Medaillenspiegel bei den Olympischen Spielen oder den Teilnahmen an Fußballweltmeisterschaften spreche ich gar nicht.

M.L.: "Sack und Asche" nicht mehr, aber das nationalmasochistische "Syndrom" wirkt weiterhin, verinnerlicht und kaum mehr reflektiert.

Vielleicht fand aber auch der frankophile Armin Mohler in dem erwähnten schönen alten Ullstein-Bändchen mit dem ansprechenden Cover (mein Exemplar habe ich derzeit einem befreundeten Schriftsteller überlassen) eine Antwort, indem er auf den prototypischen Franzosen verwies: im Erdgeschoß Universalist und Anhänger der Französischen Revolution, im ersten Stock Chauvinist oder Gaullist.
Möglicherweise hatte Max Scheler in seiner berüchtigten Schrift „Der Genius des Krieges und der Deutsche Krieg“ Ähnliches im Sinn, wenn er von der Überlegenheit des deutschen Kosmopolitismus (!) sprach.
Oder weniger hochtrabend: Gerhard Henschel erzählt in seiner Kempowski-Biographie, daß der gute Walter sich nächtens einmal unvermutet ans Klavier setzte und die Bundeshymne - um die zwei Strophen ergänzt – zu intonieren begann. Henschel zeigte sich „entsetzt“, worauf Kempowski meinte: „Ach, lassen Sie mir doch meine nationalen Anwandlungen!“

Immer noch S.J.

28. März 2018 08:37

Aus gegebenem Anlass sei, wenn auch vergeblich, auf eine Anekdote aus der Feder des in Wien geborenen Publizisten Gerd-Klaus Kaltenbrunner verwiesen. Ein Kaiser im alten China habe auf die Frage, wie er sein Reich befrieden wollen, geantwortet, er werde vor allem die Bedeutung der Wörter wiederherstellen. Davon sind wir weit entfernt. Wer in der Gegenwartspolitik etwas werden will, ist gehalten, jede Möglichkeit zu nutzen, das Hier und Jetzt mit der NS-Vergangenheit zu verbinden. Es ist zulässig, vage Assoziationen zu wecken, eine formlose Bedrohung zu verspüren oder primitive Unterstellungen in die Welt zu setzen. Notgedrungen entstehen so die „Wortkonfusionen“, die Gerd-Klaus Kaltenbrunner als Unfrieden stiftendes Politikum ausmachte. Schließlich platzt jedem irgendwann der Kragen, der einigermaßen wert auf die richtige Verwendung von Worten legt und der darauf beharrt, richtig verstanden werden zu wollen. Dass kein vernünftiger Mensch – erst recht kein konservativ denkender – sich die NS-Zeit herbeisehnt, wiederholt man umsonst. Vermutlich ist es schlimmer als 1998, als Martin Walser in seiner Dankesrede bekannte, er schalte im Fernsehen weg, wenn ihm überall unsere Vergangenheit zu zweifellos „ehrenwerten Zwecken“ präsentiert werde. Ein Beispiel: Unser neuer Außenminister hat gerade bei seinem Antrittsbesuch in Israel verlauten lassen, er sei „wegen Auschwitz“ in die Politik gegangen (Netanjahu nahm es lobend zur Kenntnis). Es ist doch selbstverständlich, gegen das Monströse von Auschwitz zu sein. Wozu sagt der 1966 geborene neue Außenminister das?

Der_Juergen

28. März 2018 08:53

@Martin Lichtmesz

Sie haben mich falsch verstanden. Ich habe ja ausdrücklich festgehalten, dass Verbrechen an Deutschen auch in den Mainstreammedien manchmal erörtert werden; dabei dachte ich an das von Ihnen genannte Buch "Der Brand". In den Mainstreammedien nicht diskutiert werden, wie ich festhielt, die Frage nach der Kriegsschuld sowie die Präventivkriegsfrage. Aber gesetzlich verboten ist weder die Bestreitung der deutschen Allein- oder Hauptschuld am Zweiten Weltkrieg noch die Bestreitung der These von heimtückischen Überfall auf die UdSSR.

M.L: Ganz komme ich immer noch nicht mit. Als ich schrieb, Kriegsschuld und Präventivkriegsfrage seien "in der Quarantäne", meinte ich nicht, daß Publikationen dazu verboten seien, sondern, daß sie isoliert blieben, im Mainstream nicht diskutiert werden (außer, daß sie als "rechtsextreme" Thesen verworfen werden).

Republikfluechtling

28. März 2018 11:36

Andreas Walter spricht mir aus der Seele, auch wenn ich aufgrund selbst gemachter Erfahrungen auf 95% erhöhen würde. Wen die armselige, kriecherische Hutgrüsserei eines HC Strache überrascht, der erwartet wohl auch in der AfD oder gar den letzten “konservativen” Mohikanern in einer der C-Parteien die Rettung des Abendlandes. Diese haben bereits gegenüber den wahlweise aggressiv-kämpferisch auftretenden oder allmählich und so leise wie ohne Gegenwehr vertretbar durch die Institutionen marschierenden 68ern versagt und mangels eigenem Willen, eine rote Linie zu ziehen und zu verteidigen, Zentimeter um Zentimeter preisgegeben. Die alten weissen Männer in Schland vertrauen entweder nach wie vor auf den guten Willen derer von “oben” und glauben den Leidmedien oder haben resigniert. Erst wenn ihnen persönlich jemand die Wurst vom Brot nimmt, sind sie unter Umständen bereit ihren eigenen Garten zu verteidigen, falls nicht auch dies aus Trägheit oder falsch verstandener christlicher Nächstenliebe unterbleibt. Ein gemeinsamer Kampf für höhere Ziele (welche auch, nachdem Familie spiessig und Volk pfui sind) ist bei einem solchen “mindset” nicht zu erwarten. Die Halben (sie hole derselbige), welche mittels willigem oder auch widerwilligem Apportieren der Stöckchen - gleichgültig ob auf dem Gebiet der “Erinnerungskultur”, der Anpassung an politisch korrekte Sprachregelungen oder anderswo - glauben, mitspielen zu dürfen, haben schon verloren. Für jeden Gegner verachtenswert, werden sie höchstens Mittel zum Zweck, um einen Keil in die Reihen der Schmuddelkinder zu treiben und dem Anbiederer winkt kein Platz am Tisch der Mächtigen, sondern allenfalls deren Essensreste, wie es einem Angehörigen einer Köterrasse geziemt.

bb

28. März 2018 13:22

Wer Auschwitz instrumentalisiert, hätte damals mitgemordet. Da bin ich mir mittlerweile ziemlich sicher. Schade, daß die heuchlerische Erinnerungskultur eine wirkliche Aufarbeitung und Völkerverständigung für die Betroffenen, wenn nicht unmöglich gemacht, so doch sehr erschwert hat.

heinrichbrueck

28. März 2018 14:32

Die BRD ist eine antideutsche Republik. Jeder kann diskutieren, bis er schwarz wird!

Nach 1945 wurde ein anderes System installiert. Der 'homo americanus' schuf die fleischgewordene brd. Kulturvolk - Geldhaufen. Bildung - Political correctness. Naturvorgaben - Konstruktion. Ehe - Ehe für alle. Gott - Menschenrechtsphilosoph. Arbeit - Job. Liebe - Lebensabschnittspartner. Seele - Gender Studies. Heimat - Wirtschaftsstandort. Vaterland - EU. Regierung - Verwaltungseinheit der Weltregierung. Mensch - Geldsklave. Etc. Alles wurde einer Vergeldlichung unterworfen. Anstatt ein Kulturvolk zu repräsentieren, darf gegen Betrug und Verrat gekämpft werden.

Volk der Dichter und Denker - Demokratie - Autogenozid oder Mord? Mord! Und mit der NS-Zeit, in Auschwitz simplifiziert, soll von der NWO-Zeit abgelenkt werden. Weil diese die schlimmsten Verbrechen auf dem Kasten hat, dagegen der NS nur ein Baustein im Puzzle der Weltgeschichte darstellt. Ohne demokratische Uneinigkeit keine verlogene Vergangenheitsbewältigung! Aus der Perspektive einer Weltregierung... Wer regiert das Geld?

Wahrheitssucher

28. März 2018 14:54

@links ist wo der daumen rechts ist

Sie schreiben, daß das angesprochene Narrativ brüchig sei und wir demgemäß nicht mehr "in Sack und Asche" gingen.
Nun hat jeder seine eigene Wahrnehmung, aber mir scheint, daß Sie das Ganze weitaus zu "optimistisch/ positiv" sehen und daß das genaue Gegenteil zutreffend ist. Alles wird in diesem Zusammenhang im medialen Bereich, in der veröffentlichten Meinung wie auch im Straßenbild (Mahnmale, Gedenk- und Stolpersteine etc. ) eher immer noch "schlimmer". Beweise dafür sind so zahlreich, daß sie an dieser Stelle zu nennen nicht besonders klug und ratsam erscheint und zudem zuviel Platz, Zeit und Aufmerksamkeit der Leserschaft kosten würde.
Zweischneidige Exporterfolge der Wirtschaft und einige Sporterfolge sind da überhaupt kein Widerspruch, mögen eher eine kleine Ventilfuntion haben.
Was die Köpfe der Menschen betrifft, da mögen Sie vielleicht recht haben (es wäre zu hoffen), aber in die können wir nicht schauen.
Nach meinem Eindruck besteht da aber auch wenig Anlaß zur Hoffnung...

Scholasticulus Paracelsi

28. März 2018 19:27

Lichtmesz: "Schon an dieser Stelle sollte deutlich werden, daß der Begriff "Nationalmasochismus" in erster Linie als Metapher zu verstehen ist - wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun, das zwar psychologisch und wohl auch psychopathologisch sehr ergiebig ist, das sich allerdings nicht in Psychologie erschöpft und schon gar nicht mit ihr beizukommen ist. Wir haben es hier vielmehr mit einer "großen Erzählung" mit religiösen und mythologischen Zügen zu tun..."
Doch, all diese Gefühle des Unwertseins finden in den Seelen statt und können - müssen vielleicht sogar - auch psychologisch bearbeitet werden. Dazu gib Gabriele Baring in ihrem Buch "Die Deutschen und ihre verletzte Identität" viele erhellende Hinweise. Die gedankliche Klärung löst die Bindung an den Nationalmasochismus noch nicht ausreichend, das seelische, emotionale Verstricktsein sitzt tief und äußert sich nicht nur nationalmasochistisch, sondern auch anti-nationaslasochistisch.

RMH

29. März 2018 08:30

Noch nicht einmal den Nationalmasochismus haben wir deutsche exklusiv, auch wenn er bei uns vermutlich mit am stärksten ausgeprägt ist (wie es sich für eine Nation mit "excellence" ja auch gehört).

Die Menschen weißer Hautfarbe scheinen unter einem Selbstverleugnungs- und Schuldmasochismus weltweit zu leben bzw. diesen zu zelebrieren (vgl. auch die damals hier bei SiN geführte Debatte über "Wakanda"). Das berühmte Feindbild, Mann, weiß, am besten noch über 45, findet man überall, wo einstmals genau dieser Typus tonangebend war - also faktisch weltweit.

Da das Osterwochenende begonnen hat als kleine Anregung zum Nachdenken:

Das Ideal des sich für die Menschheit durch die Menschheit kreuzigen lassenden Gottessohnes, welches ja gerade vom alten, weißen Europa fortentwickelt und entscheidend geprägt wurde, scheint mir auch ein kleiner, tragender Baustein des Nationalmasochismus zu sein ---- man macht sich "klein" (sehr gut zu erkennen in dem widerlichen Gepreiße der "kleinen Leuten" durch die katholischen Herzu-Jeus-Sozialisten) man vergeht, man gibt alles von sich, man löscht sich aus, damit die armen, unterdrückten Menschen von uns "erlöst" werden, fast wie beim Opfergang von Jesus Christus.

Das das Christentum lebensfeindliche Züge haben kann, ist ein alter Hut und wurde von Nietzsche (und auch vielen anderen großen Denkern) wiederholt dargelegt.

Gustav Grambauer

29. März 2018 13:19

RMH

Für mich liegt der Knackpunkt darin, daß das Christentum zunächst im Römischen Imperium und dann weit darüber hinaus aus Machtkalkül zur Staatsreligion gemacht geworden ist. Man lasse diese Rotzfrechheit einmal auf sich wirken. Dies ist ein Paradoxon (vgl. Joh. 18 / 36), welches mit all den sich zwingend-ergebenden und über 2.000 Jahre angestauten massenpsychologischen Verwerfungen, zu denen auch die hier in Rede stehende Sado-Maso-Konsequenz und die, wie Sie sagen, "lebensfeindlichen Züge" gehören, nach einem Sprengsatz zur Aufsprengung schreit, und nichts als die Aufsprengung dieses Paradoxons geschieht jetzt.

Große Farce ---> große Kompensationsnot ---> große Lügen ---> große Verwirrung (die von Ihnen angesprochenen Herz-Jesu-Sozialisten usw.) ---> große Verwerfungen ---> umso größerer Knall.

Klar wird es wieder Christenverfolgungen wie zu Zeiten der Katakomben geben, wobei aber jeder Christ die Wahl haben wird, diese Art von Fegefeuer im Innen oder im Außen zu erleben.

Man kann dies auch aus dem Blickwinkel des Imperiums sehen: es hatte das Christentum äußerlich vereinnahmen können, aber dennoch und gerade dadurch war es dessen Stachel geblieben. Es will sich schon sehr lange dieses Stachels entledigen, und dies versucht es, indem es das öffentliche Bild von diesem Stachel allmählich so pervertiert, daß sich möglichst viele davon angewidert abwenden, so daß diese Stachel möglichst kraftlos und die Auseinandersetzung damit möglichst unattraktiv und nicht mehr erfolgversprechend wird. Am Ende wird es sich des kleinen Häufleins der übriggebliebenen echten Christen entledigen wollen.

(Aber weder das Imperium noch die Masse werden den Stachel jemals loswerden ...)

All dies wiederum geht einher, wenn Sie Nietzsche anführen, unabhängig davon oder verbunden damit, mit der sowieso anstehenden Umwerthung aller Werthe, den das Pseudo-Christentum ist zwar die größte, aber nicht die einzige Farce der heutigen Zivilisation.

Man könnte sich noch wie bei Henne und Ei darüber streiten, ob die Kompensationsnot des Imperiums oder die Bequemlichkeit der Masse für die Perversion des Christentums ausschlaggebend sind, beides geht auch einher.

Perspektivisch hat es sicher nicht geschadet, daß das Christentum sozusagen als "Stachel" unter die Masse gebracht wurde.

Freue mich, daß Sie mir auch die Gelegenheit zu einer kleinen Osterbetrachtung geboten haben. Frohe Ostern allen!

- G. G.

links ist wo der daumen rechts ist

29. März 2018 20:42

@Wahrheitssucher

Ich sehe die Problemlage nicht ganz so ausweglos bzw. das Zerwürfnis eher produktiv.

Es gibt einerseits eine Gedenkkultur, die sich je erfolgreicher desto inhaltsleerer abspielt bzw. abspult.
Bezeichnend dafür sind Mahnmale und Rituale, vormals auch sog. „Kranzabwurfstellen“.

Daneben gibt es aber eine Erinnerungspolitik, die genau den o.a. Punkt thematisiert und alle, wirklich alle Endspiel-Debatten produktiv unterläuft, also ein Beton gewordenes Monument der Schuld ebenso wie jede Schlußstrich-Frömmigkeit.
Wer sich dabei in Ihrem Erinnerungspantheon tummelt, bleibt Ihnen allein überlassen.

In den Kulturwissenschaften sind diese beiden Pole durch das Verhältnis Monument (Verfestigung) und Lebenswelt (Verflüssigung) gekennzeichnet bzw. durch den Gegensatz kalte und heiße Kulturen.

Zwei Beispiele:

Ad Monument:
Allein die Geschichte des Holocaust-Mahnmals zeigt doch den „geltungsverbürgenden“ Primat der Erinnerungspolitik und den etwas selbstgefälligen Lehrlauf der Gedenkkultur.
Zum Ablauf: Erstmals 1988 in die Debatte geworfen, also noch in der Dekade des Moralisierens, in der Ära Kohl ab 1990 zuerst abgelehnt, dann nach einem „Interessensausgleich“ akzeptiert, 1999 unter rot-grün beschlossen. Im selben Jahr begann aber auch die Debatte um das „Zentrum gegen Vertreibungen“.
Details am Rande:
Neben Erika Steinbach war der vor Sarrazin bekannteste SPD-Dissident; Peter Glotz, der prominenteste Fürsprecher.
Ein Gegner von Steinbach, Micha Brumlik, hatte naturgemäß seine Vorbehalte, wollte aber die Thematik mit dem Palästinenser-Konflikt verknüpft sehen. Interessant, nicht?
Zugespitzt wurde die Gesamtsituation dadurch, dass rot-grün – wie vielleicht bekannt – Deutschland zum Einwanderungsland erklärte und das Ius sanguinis tlw. durch das Ius soli ersetzte; Nebeneffekt: die „abstammungsmäßige“ Schuld lässt sich in the long run argumentativ natürlich nicht mehr aufrechterhalten. War das der gewünschte Effekt?
Weiter: Nachdem der negative Gründungsmythos des wiedervereinigten Deutschland auch für das vereinte Europa gelten sollte, wurde spätestens mit dem Auftauen der osteuropäischen Erinnerungsarsenale die Frage virulent: Wie hältst du es mit dem Stalinismus?
Vorläufiger Zwischenstand ist diese Formel:
1. Die Erinnerung an die Verbrechen des Stalinismus darf die Erinnerung an den Holocaust nicht relativieren.
2. Die Erinnerung an den Holocaust darf die Erinnerung an die Verbrechen des Stalinismus nicht trivialisieren.
open end?

Ad Schlußstrich:
Als Rudolf Burger vor geraumer Zeit eine Schlußstrich-Debatte anstieß, war ich so dreist, seine Wortwahl genauer unter die Lupe zu nehmen und ihn damit ein bisschen zu drangsalieren. Konkret ging es um die Formulierung: Irgendwann einmal wird Auschwitz so weit entfernt sein wie die Punischen Kriege. Nonaned, wie der Wiener sagt. Interessant nur, dass „Karthago“ eben nicht so weit entfernt ist, sondern z.B. in der Goebbels-Propaganda ab Herbst 1944 eine bedeutende Rolle spielte oder Berlin nach Kriegsende mit Karthago verglichen wurde oder…
Im selben Text Burgers findet sich auch der alte Schmäh mit der sogenannten Kriegserklärung Hitlers an das „Weltjudentum“, weshalb alles Folgende Kriegshandlungen gewesen seien. Erfinder dieser Abwegigkeit war Burgers Landsmann Peter R. Hofstätter, der das Anfang der 60er prominent publizierte. Zufälligerweise befindet sich ein Teil des Hofstätter-Nachlasses in meinem Besitz, darunter auch seine Briefe aus dieser Zeit an seinen Vater, in denen es ausführlich um diese Angelegenheit geht. Als ich Henryk Broder in dieser Sache kontaktierte (er hatte in den 80ern zum „Fall Hofstätter“ publizert) hieß es nach zwei Monaten: Ich überleg’s mir. Gut, zwischenzeitlich hat er eh andere Interessensschwerpunkte.
Pantha rei.

Es geht mir nun nicht darum, dass ich es besser wüsste, sondern darum, dass es eben auf beiden Seiten des Vergangenheitsdiskurses keine Schlusspunkte geben kann

Und abschließend:
Es tut mir leid, aber die Vereinseitigung in Richtung „Nationalmasochismus“ kann bzw. will ich nicht nachvollziehen.
Ich halte es lieber mit einem bestimmten (deutschen) Hang zur Tragik.
Als Teil der Erinnerungspolitik finden sich daher in meinem Pantheon – neben vielen anderen – die Überlegungen Thomas Manns zu „Bruder Hitler“, Sebastian Haffners Aufsätze für den „Observer“ während der Kriegszeit, Hillgrubers „Zweierlei Untergang“ oder Syberbergs Filme und Bücher.
Oder – kürzer – die Frage, warum ich die Königsberger Jüdin Hannah Arendt für die bedeutendste deutsche Denkerin des 20. Jahrhunderts halte.

Wahrheitssucher

30. März 2018 20:03

@ links ist wo der daumen rechts ist

Dank für Ihre ausführliche und bemühte Antwort.
Obwohl ich es mir wirklich anders gewünscht hätte und ich danach gesucht habe, kann ich in Ihren Zeilen keine Widerlegung dessen erkennen, was so treffend mit dem Begriff "Nationalmasochismus" ausgedrückt ist.
Seine Wirkungsmächtigkeit erscheint mir ungebrochen, immer stärker werdend mit dem immer größer werdenden zeitlichen Abstand zu jener Zeit.
Sie zu brechen erforderte eine Neuschreibung der jüngeren deutschen Geschichte, die zu großen Teilen bereits erfolgt und hier bereits angesprochen worden ist, jedoch keine notwendige (= die Not wendende) Verbreitung erfährt.
Zu andern Teilen droht der Konflikt mit der Strafgesetzbarkeit.
Dennoch allen Frohe Ostern!

Patriotin

31. März 2018 14:52

@Der_Juergen

Staatliche Verbote gibt es indirekt – die nennen sich z. B. “Volksverhetzung”. Und das ist beinahe nach Gutdünken auslegbar.

Ein Volk kann demzufolge offenbar auch von der (zutreffenden) eigenen Geschichte "verhetzt" werden, nämlich indem er erfährt, was er besser gar nicht zu wissen brauchte... die Gefahr, dass er sich aus der ihm zugewiesenen Büßerrolle emanzipiert, wird offenbar als hoch eingeschätzt.

@Gustav Grambauer:

Vollzieht sich die Umstülpung von allein? Ich denke, es bedarf eines Anstoßers – oder mehrerer - und hinter diesen stehen Interessen. Ist dann dieser Anstoß wirksam erfolgt und entspricht er der Mode (dem politischen Trend), entwickelt er Sogkraft. Mir ist bis heute nicht anders (als dass ganz andere Interessen dahinter stehen) begreiflich, dass von Entscheidungsträgern in Dtl. trotz aller Warnungen aus versch. Richtungen (demnach wider besseren Wissens) toleriert wird, dass der Islam sich in Dtl. ungehindert entfalten kann, dass es verantwortet werden konnte und weiterhin wird, dass mit der Migrationsflut zahlreiche Terroristen und Mörder importiert werden, und dass unter diesen Umständen Merkel ein weiteres Mal Kanzlerin wurde. Wie glaubwürdig ist es, erst das Kind mit dem Bade auszuschütten, um es anschließend aus dieser Misere retten zu wollen? Haben wir keine anderen Probleme?
Wieviel Dummheit und Duldsamkeit gehört (leider) zum Deutschen, dass er das alles mit sich geschehen lässt? Und wieviel Unterwürfigkeit und Berechnung (eigener Vorteil)?
Leute wie Maas sind nicht anderes als kleine Untertanen. Den Untertan gab es nicht erst bei Heinrich Mann, das ist nichts Neues. Ich glaube aber nicht, dass Maas sich selbst als umgestülpt sieht – im Gegenteil – sein Selbstgefühl wird ähnlich sein wie das einst von Goeppels oder Hitler. Er hat eine gewisse Macht und nimmt diese wahr. Dass diesmal das eigene Volk geopfert wird, ist nur ein kleiner Unterschied (das gab’s auch schon bei Stalin und Mao).
Allerdings - und da gebe ich Ihnen völlig Recht: Es ist wohl so, dass ein drastischer Richtungswechsel, eine Umkehr zum Positiven, nicht aus der Wohlfühl- und Komfortzone (die den Deutschen klugerweise gelassen wird) heraus passieren wird, der Leidensdruck muss und wird noch größer werden, ehe etwas passiert, ehe sich die Umstülpung vom saugenden schwarze Loch wieder in strahlende, Leben spendende Energie zurückvollzieht.

links ist wo der daumen rechts ist

31. März 2018 16:23

@Wahrheitssucher

Ich schließe mich den Osterwünschen an.

Gerne antworte ich beizeiten ausführlicher, ins Tabernakel bin ich ja noch gar nicht vorgedrungen.
Die nächsten Tage bin ich voraussichtlich ohne Internet (auch diese abgeschiedenen Orte gibt es noch).

Als kleine Osterbotschaft einen Text von Klonovsky, Eintrag vom 28. März, beginnend mit:
Still! Hören Sie das Knirschen der Scharniere?
https://www.michael-klonovsky.de/acta-diurna

Und damit es spannend bleibt auch noch einen "Cliffhanger":
Lichtmesz sprach im Artikel von den Quarantäne-Themen, dazu s.o. demnächst mehr, aber auf einen Autor möchte ich in dem Zusammenhang hinweisen und auch auf den - leider kaum bekannten - Autor dieses Nachrufs:
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/archiv/170754_Ernst-Topitsch-ist-tot.html

heinrichbrueck

1. April 2018 16:27

@ Patriotin
"Wieviel Dummheit und Duldsamkeit gehört (leider) zum Deutschen, dass er das alles mit sich geschehen lässt?"
Was soll er denn tun?
Untertan: https://www.wilhelm-der-zweite.de/essays/deruntertan.php
"Leidensdruck" ist auch so eine falsche Vokabel. Also in der Ecke kauern, leiden, dann passiert etwas?
Eigentlich sollten Patrioten ihr Volk lieben...

Gustav Grambauer

3. April 2018 05:55

Netanjahu: 1,84 cm
Maas: 1,57 cm

Aber er wird auf "Augenhöhe" geplatformt:

https://www.bild.de/politik/ausland/headlines/maas-iran-abkommen-55268566.bild.html

Hier muß Abbas vortreten, um auf dem Bild protokollgemäß kleiner als Netanjahu zu erscheinen, er ist also in Wahrheit größer als 1,84:

https://il.boell.org/en/2018/03/12/netanjahu-und-abbas-auf-ungewolltem-kollisionskurs

Aber hier ist Maas größer als Abbas:

https://www.deutschland.de/de/news/maas-zu-antrittsbesuch-in-israel

Ohne Kommentar.

- G. G.

Gustav Grambauer

3. April 2018 06:17

Nachtrag:

Bei 14:57:

https://www.youtube.com/watch?v=8_3f2PMZn9w

- G. G.