Mit anderen Worten redet mal wieder die Filterblasenbesatzung mit sich selbst, und denkt, sie habe einen Fortschritt gemacht.
Dabei zeichnen sich zwei Lager ab: Da wäre zum einen das linksliberale Feuilleton, das momentan vor allem deswegen Purzelbäume schlägt, weil es in einer literarisch ansprechenden Verpackung ein für sein Selbstbild sehr bequemes Narrativ bestätigt bekommen hat, das linker Herkunft und im Grunde nicht so neu ist, wie es erscheint:
“Rechte” sind nichts weiter als “Provokateure”, die sich “zum Opfer stilisieren”, sobald sie aufgrund ihres “Arschlochverhaltens” eins auf die Mütze bekommen, haben wahnhafte Identitätsprobleme und diffuse neurotische Ängste, mit denen sie dem Rest der Welt grundlos auf den Zeiger gehen und sind außerdem Säcke voller heißer Luft, die ohne das Feindbild “Linke” nichts wären. Der immergrüne und praktische “Mimikry”-Vorwurf ist im Gegensatz zur üblichen Literatur über oder “gegen Rechts” stark reduziert, aber immer noch in der Behauptung präsent, die Rechten würden sich hinter Rhetorik und “Sprachspielen” verstecken.
Anders hat die dusselige linksradikale Partie reagiert, die den linksliberalen Feuilletonisten und auch Leo & Co bei aller Sympathie und inneren Verbundenheit ziemlich peinlich geworden ist, weil sie die Sache der Linken mit ihren Methoden permanent ins Unrecht setzt, und der Rechten unter manchen Umständen (wie etwa der Frankfurter Buchmesse) Publicity und Sympathie verschafft.
Wenn nun am Ende einer Links-Rechts-Konfrontation fast immer herauskommt, daß “sich die Linke genau so verhält, wie es dem Feindbild der Rechten entspricht”, dann bestätigt das weniger die “zentrale These von ‘Mit Rechten reden’ ” (Mangold), sondern vielmehr, daß die Rechten mit dem, was sie über die Linken sagen, einfach Recht haben.
Zu diesem Schluß kam auch Alexander Grau im Cicero in einem Artikel über einen Auftritt Marc Jongens im Hannah-Arendt-Center in New York. Auch hier gab es Protest dagegen, daß man einen “Rechten” eingeladen hatte, auf einer Mainstreamplattform zu sprechen; diesmal ging er allerdings nicht von der Antifa, sondern von akademischen Linken aus. Grau schreibt:
Über jeden einzelnen Punkt [der Rede Jongens] kann man nüchtern und sachlich diskutieren. Doch daran sind nicht alle interessiert. Also dauerte es nur ein paar Tage, und es erschien ein offener Brief, gerichtet an Roger Berkowitz, Leiter des Hannah Arendt Centers, und Leon Botstein, Präsident des Bart College.
Tenor des Briefes: Es sei ein Fehler gewesen, Jongen die Chance einzuräumen, Hannah Arendts Namen zu benutzen, um seine Ideologie zu legitimieren. Jongen habe Migrantenguppen verunglimpft, etwa durch die Aussage, es gäbe einen enormen Verlust an innerer Sicherheit in Deutschland und eine neue Form des Terrorismus.
Man braucht kein Fan von Marc Jongen zu sein, um einzusehen, dass die in dem Brief vorgebrachten Vorwürfe an der Sache vorbeigehen. Schlimmer noch. Sie bestätigen seine Analyse unfreiwillig: Als Spalter gelten jene, die auf die Spaltung der Gesellschaft aufmerksam machen, und als Angstmacher diejenigen, die den Ängsten der Menschen Ausdruck verleihen.
Das ist, nebenbei gesagt, eine “zentrale These” von “Mit Linken leben”. Wie auch dies hier:
Natürlich wäre es naiv zu glauben, dass es hier wirklich um das bessere Argument geht, um mögliche Deutungsmuster oder alternative Interpretationen. Tatsächlich geht es um Macht und Einfluss. Die akademische Linke wehrt sich gegen den Verlust ihrer Diskurshoheit, die sie de facto zumindest in den Geisteswissenschaften Europas und Nordamerikas hat. Dem drohenden Verfall dieser linken Diskurshegemonie versucht man mit Ächtung und Isolierung zu begegnen.
In dieser Hinsicht sind sich die mediale, die feuilletonistische, die akademische und die antifantische Linke einig: Man will diese Macht und diese Diskurs- und Deutungshoheit behalten. Allerdings haben nicht alle Fraktionen gleichermaßen kapiert, daß “Ächtung und Isolierung” (oder im Fall der Antifa: Gewaltanwendung und ‑androhung) als Waffen nicht mehr funktionieren, und die es kapiert haben, täuschen sich teils-teils über die Gründe hinweg: daß 1. wie gesagt, die Linke (und nicht nur die Antifa) sich mit ihren Methoden zur Rechtenbekämpfung ins Unrecht setzt, und daß 2. die Rechten unleugbar Recht haben, was bestimmte Prämissen, Folgen und Probleme linker (bzw. links-globalistischer) Politik angeht.
Die Empörung auf linksradikaler Seite über MRR bezieht sich also vor allem auf zwei Dinge: Die Manöverkritik, die die Autoren an der Linken üben, wie auch ihr Plädoyer, die Isolation der Rechten zu beenden und mit ihr echte Debatten zu führen, “eingehegt zu streiten”. Hier finden sich die stärksten Überschneidungen zu “Mit Linken leben”, bis in die Wortwahl hinein:
Dann könnten wir streiten, indem die einen die Existenz der Ungleichheit gegen die nivellierende Tendenz der Moral verteidigen, und die anderen das Recht auf Gleichheit gegen die Anmaßung der Stärke. Denn Menschen sind einander ja nie nur gleich oder ungleich. Sie sind immer beides. Und dann könnten sich beide auch endlich freimütig zu einem Gefühl bekennen, das sie insgeheim schon immer gehegt haben: der Freude an den besten Vertretern der anderen Seite.
Das Ergebnis ist, wie nicht anders zu erwarten, daß die Autoren von MRR nun selbst unter linken Beschuß geraten sind, unter anderem von deren quintessentiellem, autoparodistischem Trampeltier Jutta Ditfurth, die Leo & Co gar als “Neocons” (har) identifiziert hat (eine kleine Sammlung von Twitter-Fundstücken habe ich hier zusammengestellt; für besondere Heiterkeit empfehle ich diesen besonders engagierten Zwitscherer).
In der antifa-affinen Ditfurth konzentrieren sich auf burleske Weise sämtliche Laster der Linken: die atlantikbunkerfeste, niemals reflektierte und infrage gestellte Überzeugung, zu den absolut Guten zu gehören und gleichsam die ganze Menschheit zu verteidigen, mitsamt der Doppeldenkfähigkeit, Gewalt zu rechfertigen, wenn sie aus humanitären Gründen erfolgt, und dem daraus resultierenden Vernichtungswillen. Wer also verstehen will, wie es der Kommunismus zu einer Quote von über 100 Millionen Opfern gebracht hat, braucht nur Jutta Ditfurths Gehirn zu studieren, auch wenn wir es hier wohl eher mit der marx’schen Farce der wiederkehrenden Geschichte zu tun haben.
An ihr zeigt sich auch beispielhaft die Grundüberzeugung, die die radikale Linke, die nun auch MRR und seine Autoren attackiert, eint: daß sämtliche Rechten (und alle, die von ihr als solche markiert werden) auch weit jenseits des “nationalen Widerstands”, seien es nun “Wutbürger”, Einwanderungskritiker, Pegida-Spaziergänger, konservative Christen, CSU‑, FDP- oder AfD-Politiker und ‑wähler, Identitäre, “Neue Rechte” etc. “Nazis” seien, und zwar “Nazis”, wie sie sie sich ihren eigenen Feindbildbedürfnissen und inneren Horror-Shows gemäß vorstellen (die freilich zuweilen auch in der Wirklichkeit in Restexemplaren oder BRD-Buhmann-Parodien auftauchen).
Und wenn diese “Rechten” augenscheinlich weder wie “Nazis” argumentieren, noch wie solche auftreten oder sich wie solche verhalten, dann helfen sie sich kognitiv mit dem “Mimikry”-Dogma aus der Patsche, wonach die Rechten einfach nur “Kreide gefressen” hätten oder sonstwie gut getarnt seien (darauf beruht nebenbei auch ein großer Teil von an Böhmermanns “Witzen”). Damit haben sie ihre Glaubensvorstellungen hermetisch und zirkulär abgesichert.
Deshalb beruft sich die antifantische Linke auch auf das “Paradox der Toleranz” nach Karl Popper: “Keine Toleranz den Intoleranten” – eine Logik, die eine erhebliche Berechtigung hätte, würden “die Rechten” ihrem Zerrbild tatsächlich entsprechen, und die etwa Islamkritiker mit – weitaus größerem Recht!- als Argument gegen muslimische Einwanderung und muslimischen politischen Einfluß ins Feld führen. Und auf dieser Vorstellung basiert auch ihre Furcht, “Nazis” “eine Bühne zu geben”, wie auch die fixe Idee, daß “Rechte” in einem moralischen Sinne hors la loi stünden.
Zu den Organen, die “not amused” sind, zählen unter anderem die Jungle World oder das linksradikale, der Amadeu- Antonio-Stiftung nahestehende Hochintelligenzblättchen Belltower News, das fordert, “den Rechten keine demokratischen Räume zu überlassen”:
Wir halten demgegenüber an der Strategie fest, Akteur_innen der Rechten und der Neuen Rechten nicht ohne lautstarken Widerspruch öffentliche Räume zu überlassen, nicht mit ihnen öffentlich zu diskutieren und ihnen keine Gelegenheit zu geben, sich vor einem Publikum zu erklären.
Und auch sonst fortzufahren wie bisher, nämlich per Framing-Kontrolle die eigene Deutungshoheit eisern in der Hand zu behalten:
Was macht man also, wenn man in einer Talkshow, bei einer Podiumsdiskussion oder andernorts in eine Diskussion gezwungen wird? Sicherlich nicht mit den Ideologen der Rechten selbst reden. Man redet dann über sie und adressiert das öffentliche Publikum. Man versucht nicht sie zu konfrontieren, sondern über die Konsequenzen ihrer Ideologie zu sprechen. Man nimmt am Diskurs teil, um sie auszuschließen. Das ist womöglich noch schwieriger als mit ihnen zu reden.
Diese Art von Linken redet allerdings nie wirklich über Rechte, sondern primär über ihr verzerrtes Bild von den Rechten, ihre ideologische Interpretation der Rechten.
Dazu ein kleiner Exkurs über mein jüngstes “Reden mit Linken”.
Am letzten Tag der Frankfurter Buchmesse, stattete ich kurz vor meiner Abreise den schräg gegenüber von unserem Stand positionierten Genossen der Amadeu-Antonio-Stiftung einen Besuch ab, und sprach einen mageren, etwas freudlos dreinblickenden Typen an, dessen Name mir entfallen ist. Ich fragte ihn, was als Mitarbeiter der AAS seine Meinung über den gestrigen Vorfall sei: Antifanten hatten die Veranstaltung des Verlags Antaios niedergebrüllt und ‑gepfiffen, unseren Rednern hiermit das Wort abgewürgt und eine Beinahe-Saalschlacht provoziert.
Die AAS trete natürlich für Meinungsfreiheit ein, sagte er, und wir hätten ebenso das Recht hier zu sein, wie sie. Allerdings halte er Protest gegen eine “völkisch-nationale Ideologie” für gerechtfertigt. Ich fragte, ob er einen solchen Protest auch noch für gerechtfertigt hält, wenn er dazu führt, daß dem Andersdenkenden das Wort abgewürgt und ihm die Redemöglichkeit entzogen wird. Und wenn ja, wie läßt sich das mit einem Bekenntnis zur Meinungsfreiheit verbinden?
An diesem Punkt mischte sich ein Zeitgenosse in das Gespräch ein, den ich später als Robert Lüdecke identifizierte, der vor Beginn der Messe noch geprotzt hatte, er könne “gängige Klischees und Stammtischparolen” “gut entkräften”, der aber unter fadenscheinigen Ausreden den Schwanz einzog, als Ellen Kositza ihm anbot, diese herausragende Fähigkeit doch in einer öffentlichen Diskussion mit uns unter Beweis zu stellen.
Lüdecke verhielt sich ohne Eskalationsstufe aggressiv und untergriffig, fiel mir hektisch ins Wort, verzog das Gesicht in Hohnfalten, als ich sagte, daß die Form des “Protests”, die wir am Vorabend erlebt hatten, mit der Meinungsfreiheit nicht vereinbar sei. “Sie haben doch auch eine linke Veranstaltung gestört!”, sagte er. Welche denn? Ein paar Tage zuvor hatten zwei von Kubitscheks Kindern und ein junger Mann eine Veranstaltung zum Thema “Umgang mit Rechten” besucht und ein paar kritische Wortmeldungen und Flyer plaziert. Das wollte nun Lüdecke allen Ernstes auf eine Stufe mit den Brüllkonzerten von Samstag abend stellen. “Wo ziehen Sie denn die Grenze, welcher Protest nun erlaubt ist und welcher nicht?” – “Das kann ich Ihnen genau sagen: die Grenze zwischen legitimem und illegitimem Protest verläuft für mich dort, wo ich die Rede des anderen abwürge und verunmögliche. Das ist gestern geschehen. Ich will von Ihnen wissen, ob Sie das gutheißen.”
An diesem Punkt schaltete der in die Enge getriebene Lüdecke auf eine neue Strategie um: “Sie haben keine Argumente! Sagen Sie mir ein Argument!”, rief er, obwohl ich ihm gerade eben ein sehr präzises Argument dargelegt hatte, dabei jenes arrogant-selbstsichere Lächeln aufsetzend, das ein untrügliches Anzeichen für das Wirksamwerden des Dunning-Kruger-Effekts ist. Zusätzlich wurde er nun persönlich angriffig: “Sie sind einfach nur lächerlich! Sehen Sie nicht, wie lächerlich Sie sind? Sie sind ja völlig aufgeregt! Sie können keinen klaren Gedanken mehr fassen!” Sommerfeld und ich nennen diese Taktik “Gaslighting”, nach einem Psychospiel aus der Psychopathologie.
Als Krönung des Ganzen gab Belltower News wieder, was von meinen Worten in Lüdeckes Gehirn eingesickert war: Laut diesem Tweet soll ich behauptet haben, daß “Protest gg rechts sei illegal”. Er war also offenbar nicht einmal imstande, “illegal” von “illegitim” zu unterscheiden. Von Protest spezifisch “gg rechts” (oder links) hatte ich kein Wort gesagt, aber es ist äußerst bezeichnend, wie sich die empfangenden Gehirne das Gesagte übersetzt haben.
Und hier behauptet Kira Ayyadi, der ich wörtlich dasselbe wie zu Lüdecke sagte, ich hätte behauptet, “der Protest während der Lesungen sei durch die Stiftung geplant worden”. In Wahrheit hatte ich lediglich gesagt, daß allgemein bekannt sei, daß die AAS mit der Antifa und anderen linksextremen Gruppen eng verbandelt sei. Ich habe auch nicht gesagt, daß “sich die Gegendemonstrant_innen am Stand der Stiftung versammelt hätten, um dann gemeinsam zu der Lesung zu gehen”, sondern, daß ich nachher eine Handvoll von ihnen gesehen habe, wie sie sich am Stand der AAS sammelten, unter anderem die Dame im Ringelhemd, die hier neben Ayyadi steht, und die ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, offenbar wirklich an ihren eigenen Nazihirnfilm glaubte.
Um es noch verrückter zu machen: Als ich letzteres gegenüber Lüdecke und Ayyadi erwähnte, verneinten sie es vehement, als hätte ich etwas völlig Bizarres und Abwegiges von mir gegeben. Buchstäblich im selben Moment umzingelten mich vier Antifanten, die körperlich ziemlich nahe rückten, und versuchten, mit mir Inquisition zu spielen, indem sie mich stellvertretend für alle Rechten für den Faustschlag, den der pöbelnde APO-Opa Achim Bergmann von einem Unbekannten empfangen hatte, verantwortlich machen wollten. Mit dieser Tat rechtfertigten sie auch das Niederbrüllen unserer Veranstaltung: “Gewalt gegen die Gewalttätigen ist legitim!”
Der hysterische Artikel von Fräulein Ayyadi ist jedenfalls ein Paradebeispiel dafür, wie sehr es die Linken notwendig haben, sich zum Opfer umzulügen, um ihre Täterschaft zu rechtfertigen. Die Hetze wird dick aufgetragen: “Neu rechte Schläger Schergen” (sic) will sie zum Nachbarn gehabt haben, und behauptet:
Besonders bei diesem Gewaltpotential das sich am Antaios-Verlag versammelte, ist Alkohol ein gefährlicher Enthemmer, der die Sicherheitslage der Stiftungsmitarbeiter_innen und der Messebesucher_innen weiter gefährdete. Zumal viele Antaios-Fans an unseren Stand kamen und auf verschiedene Weisen pöbelten und versuchten die Mitarbeiter_innen einzuschüchtern.
Auch das ist mindestens eine Übertreibung, wenn nicht eine glatte Lüge, ein wehleidiges linkes Opfermärchen, das nichts mit der Realität zu tun hat. Während es beim Stand von Antaios gerammelt voll war, herrschte bei der AAS meistens tote Hose, und die Mitarbeiter saßen mit freudlosen und gelangweilten Gesichtern herum. Das Verhältnis war durchgehend eher das eines wechselseitigen Ignorierens. Von “Gewalt” oder “Einschüchterung” keine Spur, auf beiden Seiten nicht (dazu kam es erst bei den Vandalenakten in der Nacht). Auch zu uns kamen hin und wieder Gestalten, die “auf verschiedene Weisen pöbelten”; einmal knallte einer mit einem Urschrei einen Stapel Antaios-Prospekte auf den Boden. Aber das ist alles nicht der Rede wert, deswegen hat sich niemand von uns “zum Opfer stilisiert”.
Belltower News, Fleisch von diesem Fleisch, schreibt nun:
Die aktive Störung antidemokratischer Veranstaltungen ist keine Frage der Meinungsfreiheit, wie es Zeitungsartikel beispielsweise in der Welt oder im Freitag suggerieren. Die Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht der Bürger*innen, insbesondere gegen den Staat. Auf einer Buchmesse übernehmen die dortigen Demonstrant_innen nicht die staatspolitische Funktion, die Meinungsfreiheit zu garantieren. Sie üben gerade ihr Recht auf Meinungsfreiheit aus, wenn sie mit politischen Parolen ihre Meinung lautstark zum Ausdruck bringen. Die Gegenseite kann im Übrigen auf die gleiche Art verfahren.
Eine völlig verquere Logik, die schnurstracks in eine bürgerkriegsartige Eskalation führt (es ist der Sache der Meinungsfreiheit sicher sehr dienlich, wenn sich beide Gruppen niederschreien, und das freie Wort auf der Strecke bleibt) : Hier wird im Endeffekt behauptet, es gäbe ein Recht darauf, dem Andersdenkenden (der zum “Antidemokraten” ernannt wird, damit man ein gutes Gewissen gemäß dem “Paradox der Toleranz” hat) das öffentliche Wort abzuschneiden und abzuwürgen. Dann haben wir “Demokraten”, die auf die Grundrechte anderer pfeifen, man ist ja nicht selber der Staat, der sie garantiert (wenn er einschreitet, wird gejammert “Polizisten schützen die Faschisten”). Das so offen auszusprechen, haben sich Lüdecke und seine Mitarbeiter nicht getraut.
Wenn die Autoren nun sagen, “Die Gegenseite kann im Übrigen auf die gleiche Art verfahren”, meinen Sie damit, daß es völlig gerechtfertigt sei, wenn z.B. Identitäre eine Veranstaltung von Anetta Kahane oder eine Buchvorstellung von Liane Bednarz mit Pfeifkonzerten und Parolenchor stören würden, sodaß sie abgebrochen werden müßten? Ganz sicher nicht: Sie würden heulen und zähneklappern über diesen “faschistischen Terror” und sich leidenschaftlich in der Opfer-Anklägerrollen suhlen!
… einen Stand auf der Buchmesse zu betreiben oder ein Hausprojekt in Halle zu verwirklichen – das ist nichts, was wir unterlassen möchten oder wofür wir uns rechtfertigen wollen.
Diese Äußerungsformen hat der “Gegner” zu akzeptieren, punktum, ebenso, wie er 92 AfD-Abgeordnete im Bundestag zu akzeptieren hat – um sie dann und sofort mit den angemessenen politischen Mitteln zu bekämpfen.
Einem unerfreulichen Messestand begegnet man angemessen mit Lesungen, Ständen, meinethalben auch mit einer hochpeinlichen Demonstration – nicht aber mit Plünderung und Zerstörung.
Einem Hausprojekt begegnet man angemessen mit eigenen Hausprojekten (die weiß Gott großzügigst städtisch finanziert werden), mit Demonstrationen, Aufklärungsarbeit und einem in jeder Hinsicht interessanteren eigenen Angebot – nicht aber mit Zerstörung und mit Angriffen auf Leib und Leben.
Ich habe die Sätze aus Belltower News denen Kubitscheks gegenübergestellt, um zu verdeutlichen, daß es auch hier keine Symmetrie zwischen den feindlichen Lagern gibt, selbst wenn das manchem bei oberflächlicher Betrachtung so erscheinen mag. Vor allem aber bietet sich hier eine schnelle Flucht in eine verführerische zentristische Pose an, in der man sich vermeintlich über die “Extremisten von Links und Rechts” stellen kann.
Einer der Autoren von MRR, Daniel-Pascal Zorn (ihm fällt vermutlich nicht der Löwenanteil des Textes zu), wird gerade auf Facebook und Twitter scharf von Linken attackiert und selbst der Rechtslastigkeit verdächtigt. Gute Gelegenheit für ihn, sich in seiner Rolle als über den Lagern thronender Philosoph und “Argumentationslogiker” bestätigt zu sehen (Fahrt nahm seine Karriere allerdings erst auf, als er sich als großer Entlarver rechter oder “populistischer” Reden empfahl; trotzdem brauchen laut MRR die Rechten ihn mehr, als er sie).
Auf Facebook schrieb Zorn über Linke etwas, das ich sehr amüsant fand:
Selbstgerechtigkeit infolge identitätspolitisch überformten Moralismus. Sie halten sich für das Gewissen der Nation, können das aber nicht anders als mit diskursiver Gewalt und ständiger Unterbietung des eigenen Anspruchs vertreten.
Sieh an! Zorn redet nun haargenau wie ein Rechter, gemäß seiner eigenen Analyse:
Eines der meistverwendeten argumentativen Mittel der „Rechten“ besteht in der Behauptung von Heuchelei und doppelten Standards auf Seiten der „Linken“ und „Liberalen“. Dabei kommen, abgesehen vom stets involvierten Bestätigungsfehler der Moralismus-Unterstellung, verschiedene Strategien zum Einsatz, die diesem Vorwurf Evidenz verleihen sollen:
• statt einen doppelten Standard nachzuweisen, wird eine Haltung, Absicht oder Disposition unterstellt und dann aus der Differenz von eigener, das Operative betreffenden, Unterstellung und dem tatsächlichen inhaltlichen Aussagen oder Handeln Distinktionsgewinn und eben die „Abweichung“ gezogen, die als Nachweis für den doppelten Standard dienen soll.
Well, vielleicht haben diese “Rechten”, die er da so großartig analysiert, und als total unparteiischer und nicht-linker Autor für die Leser von “Deine SPD” “zu einer Feindbild-Position vereinheitlicht” hat (um es in seinen eigenen Worten zu sagen), nicht bloß irgendwem irgendetwas “unterstellt”, sondern ein typisches Verhalten der Linken beschrieben und kritisiert. Ich gratuliere ihm jedenfalls zu der späten Erkenntnis, wahrscheinlich muß man erst in der linken Mangel stecken, um manche Dinge zu kapieren.
Hier schrieb eine Dame eine Kritik an MRR, die ich geradezu rührend fand, und die so manche Erfahrung unserer Leser von links her spiegelt. Zorns “Logik für Demokraten” (in MLL zeigen wir auf, daß sie mit “Demokratie” nichts zu tun hat), sei ein
… Schlag ins Gesicht für jemanden wie mich, die versucht hat, mit rechten Bekannten zu reden - gar nicht mit Stiefelnazis oder mit Kadern, nur mit normalen Leuten, teilweise mit linkem Habitus, aber Querfront.
Darauf antwortete Zorn:
Ein Vorschlag für’s Gespräch, den Sie annehmen oder ablehnen können, war für Sie ein “Schlag ins Gesicht”?
“susanna” bestätigt hier vieles, was wir in MLL beschrieben haben: Daß die Einordnung nach “rechts” meistens eine Fremdzuschreibung ist, die entlang bestimmter inhaltlicher Bruchlinien appliziert wird. Analog identifizieren wir in MLL viele Linke, “die sich selbst für nicht für links” halten, oder die in mancher Hinsicht “rechter” sind, als sie selbst glauben (etwa im konkreten Lebensvollzug).
Sie fährt fort:
… und ich habe mir wirklich Mühe gegeben, schließlich waren es Menschen, mit denen ich befreundet war und an deren Freundschaft mir lag, so dass ich vorsichtig war, es vermied, zu sagen “du bist rechts”, versuchte, zu erklären, wo die Fehler lagen, aber am Ende stand ich doch vor der Entscheidung, ob ich mit Menschen befreundet sein wollte, die der “Ostküstenfinanz” die Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg zuschoben oder nicht. Und ich bin nicht die einzige, die solche Erfahrungen gemacht hat. Die einzigen, die solche Erfahrungen nicht machen, sind Menschen, denen es nichts ausmacht, sich solches Reden schweigend und widerspruchslos anzuhören, und das kann ich nicht.
Zorns “Analyse des Verhaltens der ‘Linken’ ” hält sie für “grob falsch” (ich nicht, aber ganz befriedigend ist sie auch nicht). Am wichtigsten, um “das Gedankengut der Rechten” zu analysieren, findet sie Schmöker wie “Angriff der Antidemokraten” von Samuel Salzborn oder “Die autoritäre Revolte” von Volker Weiß (also zwei so richtig dumme, dämonisierende Bücher, die zum Genre der stramm linken Aufhetzliteratur gehören):
Darauf Zorn:
Mit dieser Voraussetzung bleibt Gewalt die einzige Option. Was präzise das Freund-Feind-Schema der Rechten ist.
Beides ist irrig: Weder ist Gewalt (oder gar “Apokalypse”, wie Zorn anderswo meinte) bereits an diesem Punkt “die einzige Option”, noch ist das “präzise” das “Freund-Feind-Schema der Rechten”. Seine Message an “susanna” ist: “Du – bzw. die Linken, die so denken wie du – bist nicht anders als die Rechten auf der anderen Seite.”
Ich erspare mir an dieser Stelle eine Diskussion über den Unfug, der mit der Behauptung getrieben wird, die auch in Zorns Bemerkung zumindest mitschwingt, daß die Rechten (und nur die Rechten oder primär die Rechten) die Welt zwanghaft in “Freund-Feind”-Kategorien einteilen würden, oder daß sie diese “banalité supérieure” (Günter Maschke) überhaupt erst aus Bosheit erfunden hätten (ähnlich, wie manche Linke es heute von der Unterscheidung “Wir” und “die Anderen” behaupen).
Hier finden sich Tiefenschichten, die nur angedeutet werden können. Wenn Schmitt schreibt, “Ein endgültig pazifizierter Erdball, wäre eine Welt ohne die Unterscheidung von Freund und Feind und infolgedessen eine Welt ohne Politik”, dann ist es unschwer, hier einen Bezug zum links-globalistischen, “erlösungsliberalistischen” Projekt zu erkennen, das genau darauf abzielt, eine solche post-politische, pazifizierte Welt zu schaffen – und das jeden als Feind betrachten muß, der negiert, daß sich die Natur des Menschen änder und das Politische abgeschafft werden kann. (Die Frage, wie man Schmitts Freund-Feind auffaßt und bewertet, ist übrigens ein guter Lacmus-Test, der in der Regel auch über andere Fragen des “Ich-seh-was-was-du-nicht-siehst” Auskunft gibt.)
1: Eine Bedrohung wird behauptet. 2: Jede Vermittlung wird negiert. 3: Gewalt.
Es ist typisch für Zorn, daß er hier nur “Argumentationsverläufe” sieht. Man kann sich auch folgende konkrete Situation vorstellen: 1: Es besteht eine reale Bedrohung. Jemand konstatiert sie und fordert entsprechendes Handeln. 2: Jede Vermittlung scheitert, und zwar aus Gründen, die den Parteien zutiefst inhärent sind, und die auch nicht mehr durch guten Willen überwindbar sind. 3: Gewalt. Der Unterschied ist, daß man vom “behaupten” und “negieren” zum “feststellen” gelangt ist. Also, mit Schmitt gesagt, bei einem “wirklichen” Feind.
Indes, wie auch in MLL immer wieder betont und ausgeführt wird, besteht keine exakte Gleichheit zwischen den Lagern. Die Rechte will am öffentlichen Diskurs teilnehmen, die Linke verweigert es ihr. Nicht von ungefähr wird MRR von den Rechten eben wegen dieses Aspekts recht positiv aufgenommen, vom harten Kern der Linken aber bekämpft (die Rosaroten jubeln zwar, weil es gerade schick ist, aber laßt uns abwarten, ob sie auch danach handeln).
Die Rechte hat kein (nennenswertes) Pendant zur (teilweise staatsalimentierten) Antifa aufzuweisen (also organisierte Sturmtruppen, die systematisch Veranstaltungen blockieren und ihren Abbruch erzwingen, Gegendemonstrationen organisieren, Andersdenkende terrorisieren, sozial isolieren und denunzieren, die Bücher, Autos, Fensterscheiben etc beschädigen, Menschen physisch attackieren etc.)
Die Linke will die Meinungsfreiheit zu Ungunsten der Rechten eingeschränkt sehen, die Rechte will, daß ihr einfach garantiert wird, was diesbezüglich im Grundgesetz verankert ist. Die Linke kämpft gegen eine behauptete Bedrohung (das Naziphantom), die Rechte gegen reale Antifagewalt und Staatsrepression (und gegen die realen Bedrohungen, die durch die Flüchtlings- und Einwanderungspolitik entstehen).
Die Rechte hat einen wirklichen, die Linke einen absoluten Feind. Die Linke besitzt bis in die hellrosa Schattierungen der (vermeintlichen) Zentristen hinein die Diskurshoheit, die Rechte kämpft um diskursives Territorium. Die Linke vermint das Gelände, die Rechte räumt die Minen. Die Linke hält die Rechte für böse und unmoralisch, sie aber hält die Linke für dumm und kindisch.
Die Liste ist lang, aber eine Sache ist noch von besonderer Bedeutung. In MLL schreiben Sommerfeld und ich:
Wie kommt es, daß beide Lager sich spiegelbildlich dieselben Dinge vorwerfen? Oder genauer gesagt: Wie kommt es, daß die Linke uns ständig exakt dieselben Dinge vorwirft, die sie selbst praktiziert?
Das ist der frappierendste Punkt, und wir haben versucht, darauf eine Antwort zu geben.
Umdenker
Früher redete man über Rechte.
Jetzt redet man über das Reden mit Rechten.
Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, aber wir sind einen kleinen Schritt weiter.