Enthauptungen, durchgeführt in “Handarbeit”, gelten in unserer modernen Zivilisation als ganz besonders barbarische Tötungsakte. Das war freilich nicht immer so. Im Mittelalter konnte man es als Gnade und Vorrecht auffassen, als zum Tode Verurteilter “nur” enthauptet, und nicht etwa gerädert und gevierteilt zu werden. In der Neuzeit waren es die französischen Jakobiner, die mit der Guillotine eine technisch besonders effiiziente Hinrichtungsmethode erfanden, mit deren Hilfe man sozusagen am Fließband töten konnte, was durchaus eine Art “humaner” Fortschritt war.
Der Anblick eines vom Körper abgetrennten Kopfes erweckt tiefes Grauen. Der Kopf eines Menschen ist der Körperteil, der ihn selbst repräsentiert. Aufgespießte Köpfe und Schädelpyramiden dienten in der Geschichte zur Abschreckung aller, die es zu unterwerfen, zu vertreiben oder zu bestrafen galt.
Die Präsentation des Kopfes als Trophäe verkündet die absolute Verfügungsgewalt des Siegers, seine Macht, nicht nur das Leben, sondern auch die Ehre und menschliche Würde des Besiegten auszulöschen. Das Haupt des Königs von Frankreich, einst gesalbt mit dem Öl der heiligen Ampulle von Reims, nun ein blutendes Stück Fleisch, wird dem johlenden Pöbel vorgewiesen. Der Herrscher von Gottes Gnaden, hingerichtet wie ein Verbrecher, sein Leib geschlachtet wie ein Stück Vieh, ist nun in den Staub getreten, und mit ihm alles, was er symbolisiert.
Heute werden Enthauptungen vor allem mit der islamischen Welt in Verbindung gebracht, wo sie eine lange Tradition haben. Todesstrafe durch Enthauptung existiert heute noch in Katar, im Iran, in Jemen und Saudiarabien, wo immer noch mit dem Schwert geköpft wird. Die Schergen des Islamischen Staates enthaupteten ihre knieenden und in rituelle Gewänder gekleideten Gefangenen vor laufender Kamera, ebenfalls in deutlich erniedrigender Absicht. Auch Al-Qaida und die Taliban in Irak und Afghanistan pflegten mit Vorliebe dieses Praxis. Videos von islamistischen Enthauptungen kursierten schon Anfang der 2000er Jahre im Netz und waren zeitweise populärer als die Sex-Tapes von Paris Hilton.
Nun also wieder Frankreich: am 16. Oktober enthauptete ein 18jähriger Tschetschene den Lehrer Samuel Paty in der Pariser Vorstadt Conflans-Sainte-Honorine, am 29. Oktober schnitt ein 21jähriger Tunesier einer sechzigjährigen Frau in Notre Dame von Nizza die Kehle durch, wodurch ihr Kopf beinahe vom Rumpf abgetrennt wurde. Zusätzlich erstach er zwei weitere Menschen, die ihm zufällig vors Messer liefen. Eine “waschechte” Enthauptung fand bereits am 26. Juli 2016 in der Normandie statt, als islamistische Attentäter den 86jährigen Pfarrer Jacques Hamel mitten in der Heiligen Messe töteten, ein Akt, der auf französischem Boden ohne Beispiel ist.
Nun scheint der islamistische Terror in Frankreich wieder zurück zu sein, zumindest im Bewußtsein der Öffentlichkeit, das seit Monaten hauptsächlich vom “Coronavirus” besessen ist. In Wahrheit war er zu keinem Zeitpunkt verschwunden. Das letzte “große” Attentat hatte ebenfalls in Nizza stattgefunden, wo am 14. Juli 2016 ein Tunesier mit einem Lastwagen 86 Menschen tötete und 458 verletzte.
Allerdings hat es seither etliche “kleinere” Anschläge gegeben. Wikipedia listet nicht weniger als 18 Vorfälle seit 2017 auf: Attacken mit Messern, Macheten, Hämmern, Schußwaffen und Kraftfahrzeugen, in Paris, Strasbourg, Metz, Marseille, Lyon und anderen Städten und Vororten. Rund zwei Dutzend Menschen wurden getötet, viele weitere schwer verwundet. Nur drei Wochen vor der Ermordung von Samuel Paty, am 25. 9., wurden zwei Menschen vor dem ehemaligen Redaktionsgebäude von Charlie Hebdo niedergestochen. (Haben Sie davon etwas in den Medien vernommen? Ich nicht.)
“Multikulturalismus auf englische Art: Zuviel ist zuviel!”
Die Täter waren unter anderem Algerier, Marokkaner, Tschetschenen, Ägypter, Pakistanis, Sudanesen, weiße Konvertiten, einige in Frankreich geboren, einige “frische” Einwanderer, Asylanten, Ausländer. Der Attentäter von Nizza, Brahim Aoussaoui, war nur einen Monat vor der Tat in Lampedusa gelandet, womöglich mit dem deutschen Schlepperschiff “Alan Kurdi”. Über Italien war er nach Frankreich gelangt, nur einen Tag vor der Tat. Eines seiner drei Opfer, eine 44jährige dreifache Mutter, stammte aus Brasilien und war schwarz (aus der “Black Lives Matter”-Ecke kam bislang keine Klage über ihren Tod). Da der Schauplatz die Kirche Notre Dame von Nizza war, kann man annehmen, daß Aoussaoui gezielt Christen töten und das Heiligtum schänden wollte.
Das wirft nun die Frage auf, ob es sich hierbei, wie schon im Fall Samuel Paty, um eine weitere Vergeltung für das Zeigen der als blasphemisch empfundenen “Mohammed-Karikaturen” von Charlie Hebdo handelt. Als Antwort auf die Ermordung Patys wurden “islamkritische” Cartoons der Satirezeitschrift auf die Fassaden von Hotels in Montpellier und Toulose projiziert, flankiert von schwer bewaffneter Polizei. Darunter wohlgemerkt auch etliche, die das Christentum und Judentum auf die typisch vulgäre Weise attackieren; einer zeigte den Koran, die Bibel und die Thora als Klopapierrollen.
Die Botschaft dieser Inszenierung war also wohlgemerkt nicht nur, daß der Staat entschlossen ist, das Recht auf Beleidigung Mohammeds mit Waffengewalt zu verteidigen, sondern ein viel weiter reichendes und abstrakteres Konzept: den säkularen, laizistischen Staat, der Religionskritik im besonderen und Meinungsfreiheit im allgemeinen unter seinen Schutz stellt. Es war also eine Neuauflage der Propaganda-Offensive vom Februar 2015 in kleinerem Maßstab: Islamisten “hassen uns”, weil sie aus irgendeinem unerfindlichen Grund “unsere Freiheit”, die säkulare Gesellschaft, den Rechtsstaat usw. hassen.
Ich habe den Zirkus, der auf das Charlie-Hebdo-Attentat folgte, damals unter dem Titel “Ich bin nicht Charlie” ausführlich kommentiert: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Zwischenruf, Teil 4. Der aus diesen Beiträgen zusammengestellte gleichnamige Kaplakenband ist inzwischen vergriffen.
Zusammengefaßt ist mein nun wieder aktueller Punkt dieser: Die internationalen politischen Eliten, die sich den “Je suis Charlie”-Sticker an die Brust hefteten und in Paris unter Polizeischutz für ein Propagandabild Arm in Arm auf die Straße stellten, scheren sich nachweislich einen Dreck um “Meinungsfreiheit”, sondern treiben vielmehr die Zensur, Einschränkung, Marginalisierung und Kriminalisierung unliebsamer Meinungen und Personen vehement voran.
Die “Je suis Charlie”-Kampagne hatte nicht den Zweck, Mordtaten zu verurteilen oder die Meinungs- und Pressefreiheit an und für sich zu verteidigen. Sie zielte auch auf inhaltliche Zustimmung ab, erklärte implizit wie explizit die von Charlie Hebdo vertretenen linken “Werte” zu “unseren” Werten und die Zeitschrift zu einem Spitzenprodukt und kostbaren Gut der westlichen Zivilisation. In Wahrheit gehört Charlie zu der Heerschar der Wühlmäuse, die letztere von innen geschwächt und unterminiert haben, sodaß sie reif wurde für die islamische Infiltration.
Zudem ist gerade Frankreich ein Land, in dem es um die Meinungs‑, Rede- und Pressefreiheit alles andere als rosig bestellt ist. Ein Netz aus antirassistischen Wachhundorganisationen (LICRA, CRIF, MRAP) und Antidiskriminierungs- und Haßredegesetzen hat den freien Diskurs über heikle Themen wie Einwanderung, Islam, Rassenunterschiede oder Geschichtspolitik enorm erschwert, eingeschränkt und teilweise verunmöglicht (wie überall in der westlichen Welt).
Wer sich jenseits von im Grunde unverbindlichen Pipi-Kacka-Zoten kritisch, polemisch oder sonstwie unfreundlich über bestimmte Minderheiten äußert, der hat rasch eine Klage und eine saftige Geldstrafe wegen “Volksverhetzung” oder “Aufstachelung zum Rassenhaß” am Hals: prominente Beispiele sind Brigitte Bardot, Marine Le Pen, Eric Zemmour oder Renaud Camus, der sogar zu zwei Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt wurde. Der farbige Komiker Dieudonné M’bala M’bala ist mindestens so grenzwertig provokativ wie Charlie Hebdo, mit dem Unterschied, daß seine satirischen Lieblingszielscheiben nicht Muslime und Islam, sondern Juden, Zionisten und eine zivile Religion namens “Holocaust” sind. Dafür kassierte er ebenso Geld- und Haftstrafen wie sein Freund Alain Soral oder der Schriftsteller Hervé Ryssen.
Wohlgemerkt stelle ich hier nicht das Recht von Charlie Hebdo in Frage, linksextremen Dreck zu publizieren, und selbstverständlich darf sich keine Regierung von islamischen (und sonstigen) Erpressungen und Gewaltandrohungen einschüchtern und zur “Unterwerfung” à la Houellebecq nötigen lassen.
Aber die jüngsten Attentate nun – zum hundertausendsten Mal – so hinzustellen, als stünde hier der “freien Westen” gegen “fundamentalistische Extremisten”, ist nicht nur oberflächlich und kurzsichtig, sondern pure Heuchelei. Mag es auch hin und wieder vorkommen, daß jemand aufgrund des Vorzeigens einer Mohammed-Karikatur durch islamistische Intervention den Kopf verliert, die weitaus gefährlicheren Feinde der Rede- und Meinungsfreiheit in der westlichen Welt sind heute keine Messer- und Lastwagendschihadisten, sondern die herrschenden politisch-medialen Eliten, globalistische Organisationen und “Big Tech”, die Herren der sozialen Medien und der den richtigen Weg weisenden Algorithmen.
Charlie Hebdo genießt eine gewisse Narrenfreiheit, weil es aus der alten Neuen Linken von 1968 stammt, Teil des Establishments ist und bestimmte Linien nicht überschreitet. Seine vermeintliche gelegentliche politische Unkorrektheit ist ebenso ein systemstützender Schwindel wie jene der “Borat”-Filme von Sacha Baron Cohen (der im November 2019 Facebook zur noch emsigeren Zensur von “Haßpostings und Verschwörungstheorien” drängte).
Darauf sind auch viele islamkritische Rechte hereingefallen, die nachvollziehbare Genugtuung darob empfanden, daß die unverrückbar zu Deutschland gehörenden und entsprechend unantastbaren Muslime zumindest in Frankreich mit dem Segen des Staates als satirische Zielscheibe benutzt werden dürfen. Und man kann den Machern des Blattes zumindest eines zugestehen: daß sie im Gegensatz zu anderen einen hohen, ja den höchsten Preis bezahlt haben und auch nach dem Attentat von 2015 (meines Wissens) von ihrer Linie nicht abgewichen sind. Dazu gehört, trotz der Protektion durch die Regierung, ein Mut, den man anerkennen kann.
Charlies Schmähkritik ist jedoch jenseits des grellen Provokationsmoments nahezu völlig wertlos. Sie beschränkt sich in der Regel auf ein “Ziegenf***er”-Niveau à la Böhmermann, und entschärft und relativiert sich selbst durch einen generell antireligiösen oder antiklerikalen Kontext, der gleichsam als Alibi dient. Hier wird im Grunde ein uralte linke Nummer durchgezogen: Religion wird durch Blasphemie und Obszönität lächerlich gemacht, was im Falle des Christentums bedeutet, auf ein totes Schaf einzuprügeln. Auch das orthodoxe Judentum wird ab und zu in diesen Topf verrührt, nicht aber die säkulare Holocaust-Religion, die keine Blasphemie ungestraft läßt und durch strenge Tabus geschützt ist (wie lustig fänden manche Charlie-Fans wohl das “Tagebuch der Anne Frank” als Klopapier?).
Mit derselben fäkalen Subtilität wie Jesus und Mohammed hat Charlie auch Marine Le Pen und die französische Rechte karikiert. Das Blatt ist klarer Teil der pro-immigrationistischen, anti-rassistischen Front. Insofern hat Charlie im Februar 2015 tatsächlich geerntet, was es selbst mitgesät hat, denn wer den Islam kritisieren will, sollte von der Islamisierung und ihrer Hauptursache Masseneinwanderung nicht schweigen.
Hier liegt die eigentliche Wurzel des inzwischen wohl schier unlösbaren Problems. Macron will es lösen, indem er einmal mehr den starken Law-and-Order-Mann markiert, der nun endlich hart gegen den militanten Islamismus durchgreifen wird, was er in der Vergangenheit schon öfter angekündigt hat, ohne daß sich irgendetwas an dem permanenten gewaltträchtigen Grundrauschen in der französischen Gesellschaft geändert hätte.
Er gibt sich entschlossen, das französische Modell der republikanisch-laizistischen “Leitkultur” auch den widerspenstigeren Einwanderergruppen aufzuzwingen und einzutrichtern. Aber mit einem Schutz der französischen Kultur oder des französischen Volkes oder der französischen Identität hat das kaum mehr etwas zu tun. Der “Stammfranzose” ist ein Auslaufmodell, das komplett vom “Paßfranzosen” abgelöst werden soll.
Dummerweise ziehen es diese “Paß”- oder “Papierfranzosen” in der Mehrzahl vor, Algerier, Marokkaner, Tunesier, Mauretanier, Libanesen, Senegalesen, Kameruner, Malier, Kongolesen usw. zu bleiben, was ihre ethno-kulturelle (und mehrheitlich muslimische) Identität und Loyalität betrifft. Neben dem Islam eint sie häufig auch, daß sie nicht “weiß” sind und daß sie ein von der Kolonialgeschichte Frankreichs genährtes Ressentiment und Anspruchsdenken kultiviert haben.
Die Inszenierung mit den auf Hausfassaden projizierten Charlie-Cartoons unter Polizeischutz vermittelte, wie gesagt, genau diese “leitkulturelle” Botschaft: Ob ihr nun französische Staatsbürger oder auch nur Gäste in diesem Land seid – solange ihr hier lebt, müßt ihr diese Art von Kritik ertragen und respektieren, und wenn ihr dazu nicht imstande seid, werden wir notfalls die Staatsgewalt einsetzen; daß wir uns nach euren oder überhaupt nach religiösen Befindlichkeiten richten, könnt ihr hingegen nicht erwarten.
Da stellt sich mir eine einfache Frage: Was für einen Sinn hat es, zuerst Millionen Menschen aus einem fremden Kulturkreis einwandern zu lassen und nachher gezielt ihre Werte zu beleidigen, egal, was man selbst von diesen nun halten mag?
Der Groll, den der regierungsgestützte Kult um Charlie Hebdo erzeugt, beschränkt sich beileibe nicht bloß auf Extremfälle, die gelegentlich zum Messer oder zur Schußwaffe greifen. Er wird in den Nährboden einer tiefersitzenden kulturellen Differenz und Spannung eingespeist, die inzwischen demographisch fest verankert ist und den säkularen Staat zum Platzen bringt.
Macron hat dies angesprochen, indem er zwei Wochen vor der Ermordung Patys in einer Rede verkündete, Frankreich müsse mit einem “republikanischen Erwachen” und einem “republikanischen Patriotismus” den “islamischen Separatismus” bekämpfen, ebenso wie alle anderen Separatismen, die die Einheit der Nation gefährden.
Das ist nun ein weitaus umfassenderer Begriff als “islamischer Extremismus” oder “Islamismus”. Man ging bislang davon aus, daß eine islamische Bevölkerung an und für sich in das nationalstaatliche Modell integrierbar sei, daß nur die “Extremisten” und “Fundamentalisten” unter ihnen das Problem seien, wie bei jeder anderen weltanschaulichen, religiösen oder ethnokulturellen Gruppe auch. So spricht auch Innenminister Darmanin von einem “Krieg” gegen den “Islamismus”, und nennt ihn den “Faschismus des 21. Jahrhunderts”.
Das Problem ist, daß sich der Islamismus nicht so leicht vom Islam abtrennen läßt; es ist kein Zufall, daß ein Land mit einem sehr hohen muslimischen Bevölkerungsanteil eine sehr hohe Quote an dschihadistischen Gewalttaten hat, auch wenn die meisten Muslime keine Dschihadisten sind. Der “Islamismus” ist heute tief in sozialen Strukturen, Netzwerken und Institutionen verankert, die sich zu wahren Parallelwelten entwickelt haben. Diese davongeflogenen islamischen Kinder will Macron nun wieder unter die zentralistischen Fittiche der Republik holen:
Wir haben unseren Separatismus selbst geschaffen. Unsere Republik hat die Ghettoisierung zugelassen. Ballungsräume für Elend und Schwierigkeiten geschaffen.(…) Einige Vereine, die sportliche, kulturelle, künstlerische und andere Aktivitäten anbieten, die soziale Angebote machen, den Schwächsten unserer Gesellschaft helfen, mit Essensausgaben und anderen Hilfestellungen, nutzen ihre Strukturen, um Menschen zu indoktrinieren. Vereine sollen jedoch die Nation vereinen und dürfen sie nicht spalten.
Klassisch französisch gedacht, soll hier vor allem die staatliche Schulbildung nachhelfen, um den Laizismus zu stärken und z. B. wildwuchernde islamische Privatschulen einzudämmen:
Erst vergangene Woche haben wir wieder eine dieser Schulen entdeckt. Einfache Strukturen, Mauern, kleine Fenster. Kinder, die um 8 Uhr gebracht werden, begleitet von verschleierten Frauen mit Nikab. Fragt man die Kinder, was sie lernen, dann sagen sie, Gebete und ein paar Kurse. Das ist ihre schulische Bildung.
Nun ist es keineswegs so, daß ein französischer Politiker Lösungsvorschläge dieser Art zum ersten Mal vorbringt. Macron hält hier an einem Prinzip fest, das sich beharrlich als unzulänglich und undurchführbar erwiesen hat. Wer glaubt noch daran, daß man mit einer Mischung aus harten Vorgehen gegen militante Islamisten und einer patriotischen Bildungsoffensive aus Massen von muslimischen Nord- und Schwarzafrikanern brave, herzhaft republikanisch-laizistisch gesinnte Franzosen machen kann?
Alain de Benoist äußerte hierzu in einem aktuellen Interview:
Die Islamisten wollen sich gar nicht nicht territorial von Frankreich separieren. Sie wollen eine Gegengesellschaft nach ihren Überzeugungen und Sitten errichten und so weit wie möglich ausbauen. Vergessen wir nicht, daß in Frankreich der Staat säkular ist, nicht aber die Gesellschaft. Der Islamismus zielt auf die Zivilgesellschaft, um dort eine kulturelle Hegemonie zu errichten. Ihre Aufgabe wird durch den liberalen Staat erleichtert, der den Säkularismus zu einem Prinzip der Entpolitisierung gemacht hat, was dazu führt, daß sich die staatlichen Behörden gegenüber dem metapolitischen Einfluß [des Islams] machtlos fühlen. Lange Zeit glaubte man, Integration sei ausschließlich eine politische, wirtschaftliche und soziale Angelegenheit. Wir haben das zivilisatorische Paradigma vergessen. (…)
Wenn Macron von “Separatismus” innerhalb Frankreichs spricht, meint er in Wirklichkeit “Kommunitarismus” – “militante Gemeinschaftszugehörigkeiten”, wie Luc Ferry nicht weniger zweideutig sagte, als er noch Bildungsminister war. Da Macron aber auch “einen aufgeklärten Islam in unserem Land aufbauen” will (die Hoffnung stirbt zuletzt), achtet er darauf, den Islamismus nicht generell anzugreifen. Macron sagt, daß sein Projekt darauf abzielt, “die mit dem Terrorismus verbundene Unsicherheit mit der alltäglichen Unsicherheit in Verbindung zu bringen”. Doch womit ist diese “alltägliche Unsicherheit” verbunden? Der Staatschef hat nicht einmal das Wort “Einwanderung” über die Lippen gebracht, was zeigt, daß er nicht die Absicht hat, die Ursachen dessen, was er anprangert, an der Wurzel zu packen. Wenn er es täte, weiß er sehr wohl, daß er sofort auf das Veto der Verfassungsrichter und der Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stoßen würde.
(…)
Der Politologe Frédéric Saint Clair sagt zu Recht, daß “die Rolle der Republik nicht darin besteht, den guten vom schlechten Islam zu unterscheiden oder das Entstehen eines aufgeklärten Islams zu fördern. Diese Aufgabe müssen die Muslime selbst übernehmen, wenn sie es wünschen. Der Republik obliegt es, den politischen und kulturellen Rahmen der Nation definieren”. Es ist höchst zweifelhaft, ob dies durch die Förderung des Arabischunterrichts in Grundschulklassen, durch undifferenzierte Angriffe auf Privatschulen (einschließlich der katholischen) oder die Infragestellung familiärer Vorrechte im Bereich der Heimerziehung erreicht werden kann. Genauso verfehlt ist es, diejenigen anzugreifen, die meinen, es gäbe Gesetze, die “über denen der Republik stehen”: Für Christen, die das “Naturrecht” über das Zivilrecht stellen, wird Abtreibung nicht allein deshalb legitim, weil sie legal geworden ist.
Es könnte vielleicht funktionieren, wenn man (was praktisch undurchführbar wäre, ohne, daß es zu Aufständen käme) die Fiktion der Gleichheit aufgeben und Ungleiche ungleich behandeln würde, etwa katholisches Homeschooling zuließe, islamisches jedoch verbieten oder Moscheen schließen und die von Vandalismus bedrohten Kirchen unter besonderen Schutz stellen würde. Auch traditionelle katholische Milieus sind keine großen Freunde der Republik, aber sie sind Teil der französischen Nation, Geschichte und Kultur, und es ist nicht zu befürchten, daß sie antichristlichen Cartoonisten die Köpfe abschlagen oder royalistische Terrorgruppen gründen werden.
Der 1905 eingeführte Laizismus hat den Fall einer außereuropäischen Religion, die politisch und kulturell nicht integrierbar ist, einfach nicht vorgesehen. Islamisten in Frankreich haben bislang die französische Gesellschaft und Kultur in ihrer Gesamtheit attackiert: das linke Frankreich (Charlie Hebdo), das hedonistische Frankreich (Bataclan), das patriotische Frankreich (Nizza 2016, während der Feier des 14. Juli), das institutionelle Frankreich (zahlreiche Angriffe gegen die Polizei) und das religiöse Frankreich (Saint-Étienne-du-Rouvray 2016, Nizza 2020).
Der Fehler liegt im Bauplan des republikanischen Universalismus selbst: Er kann nur funktionieren, wenn er sich vernünftig beschränkt und durch eine ausreichend ethno-kulturelle Substanz gedeckt ist. Und nur dann kann der Staat auch einen einigermaßen stabilen politischen und kulturellen Rahmen definieren; die Nation muß in Form der eingeborenen Menschen, die sie konstituieren, fleischlich vorhanden sein. Der Staat kann die Nation nicht ersetzen, ebensowenig das vage Konzept der “Werte”.
2013 bemerkte Alain Finkielkraut, der sich als Sohn eines polnischen Juden selbst nicht als “Stammfranzose” betrachtet, in einem Interview:
In meiner progressistischen Periode war der Universalismus meine Heimat. Das Wort “Identität” kam mir nur in den Sinn, um die jüdische Komponente meines Wesens zu relativieren oder in Frage zu stellen. Ich bin brutal auf meine Identität zurückgestossen worden, durch diejenigen, die in zunehmender Zahl ihre Feindseligkeit gegenüber ihrem Gastland erklären. Ich entdeckte, daß die Form des Säkularismus, die ich für einen universellen Wert hielt, eine französische Singularität ist. Und so kommt die nationale Identität plötzlich zu mir zurück.
Im Grunde ließe sich das Islamproblem Frankreichs (und nicht nur Frankreichs) nur durch Remigration im großen Maßstab lösen, aber das ist aus etlichen Gründen ein Ding der Unmöglichkeit. Jeder Ansatz hierzu würde als Versuch einer ethnischen Säuberung aufgefaßt werden und auf noch größeren Widerstand als die republikanische Gleichschaltung von Vereinen und Privatschulen stoßen.
Laurenz
Die vergleichsweise große jüdische Gemeinde Frankreichs muß sich die Frage gefallen lassen, welchen Beitrag sie selbst zur Islamisierung beigetragen hat. Braucht man tatsächlich diesen schwelenden importierten Konflikt? Reicht Israel nicht aus? Muß man Verfolgung tatsächlich auf der Haut spüren? Welch ein kranker Masochismus!