Es ist zu vermuten, daß der prominenteste Vordenker des Eurasismus das eigentliche Ziel des Attentats war. Eine Filmaufnahme zeigt ihn am Tatort vor den brennenden Trümmern seines Wagens, an dessen Steuer seine Tochter saß, die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, während ihm Grauen und Entsetzen ins Gesicht geschrieben stehen.
Der russische Inlandsgeheimdienst FSB, so man ihm Glauben schenken mag, hat inzwischen eine mutmaßliche Täterin identifiziert: Eine Ukrainerin namens Natalia Vovk, geboren 1979, die sich nach der Tat über die Region Pskow nach Estland abgesetzt haben soll. Getarnt als Flüchtling aus der Volksrepublik Donezk, war sie am 23. Juli nach Moskau gekommen, hatte eine Wohnung im selben Wohnhaus wie Darja Dugina bezogen und diese offenbar wochenlang beschattet.
Sie hatte die ganze Zeit ihre zwölfjährige Tochter mit sich, vermutlich zum Zwecke der Tarnung. Am Tag der Tat war sie auf dem Festival “Tradizija” (“Tradition”) anwesend, an dem auch Dugina teilnahm, und hat dort den Sprengsatz gelegt. Womöglich war sie auch Mitglied des Azow-Regiments und/oder der Nationalgarde. Der FSB vermutet außerdem, daß sie im Auftrag von ukrainischen Geheimdiensten unterwegs war. Dies wird natürlich von der ukrainischen Regierung bestritten.
Unterdessen hat der pro-ukrainische russische “Oppostionspolitiker” und Ex-Duma-Abgeordnete Ilja Ponomarjow, der im Exil lebt, in einem Stream geradezu damit geprahlt, zu den Strippenziehern des Attentats zu gehören (freilich ohne ein direktes Bekenntnis abzulegen).
Demnach wäre Dugina, die unter dem Namen “Platonowa” als Journalistin tätig war, die primäre oder zumindest eine ebenbürtige Zielscheibe gewesen: Ihr Vater sei “das Gehirn” gewesen, sie die ausführende “Hand”, weshalb es “eine Menge Wut” auf sie gegeben habe. Es sei wohl Gottes Wille, daß Dugin überlebt hat, aber die Strafe sei für ihn jetzt noch viel schlimmer als der eigene Tod.
Vermutlich handelt es sich hierbei um eine reine Propagandanummer. Ponomarjow präsentierte in demselben Stream eine Gruppe namens “Nationale Republikanische Armee” , die sich bereits jetzt innerhalb Rußlands partisanenartig formiert haben soll, mit dem Ziel, Putin gewaltsam zu stürzen. Er sprach davon, ein am Mossad und der IRA orientiertes Terrornetzwerk mit Unterstützung aus dem Westen aufzubauen, das “Vergeltung” an pro-putinistischen Oligarchen und anderen Unterstützern des Kremls verüben soll. Die Welt bezeichnet diesen wahrscheinlich fiktiven Verein als “nationale Widerstandsgruppe”.
Das “Framing” des Attentats in den deutschen (und sonstigen westlichen) Leitmedien ist bezeichnend, besonders, wenn man es mit den Krokodilstränen vergleicht, die anläßlich des Giftanschlags auf Alexander Nawalny flossen. Dugina und ihr Vater werden im Staatsfunk ständig mit Attributen wie “rechtsnationalistisch”, “rechtsradikal”, “rechtsextremistisch”, “nationalistisch” etc. in Verbindung gebracht (in anglophonen Medien “far right” und ähnliches). In den sozialen Medien, wo es hemmungsloser zugeht, gelten sie gar als “Nazis” oder “Faschisten” – schäumender Haß von Leuten, die in ihrem Leben wohl keine einzige Zeile von Dugin gelesen haben.
Die Dugins werden außerdem als “glühende” oder “vehemente” Unterstützer “des russischen Angriffskriegs”, wenn nicht gar als dessen “Architekten” oder “Vordenker” präsentiert. Dabei werden auch immer wieder die handelsüblichen Mythen und Klischees über Dugin als “Putins Gehirn” oder “Einflüsterer” aufgewärmt.
Mit diesen Etiketten soll natürlich suggeriert werden, daß es hier eine “Böse”, eine blutrünstige “Putin-Propagandistin” erwischt hat, die es im Grunde nicht anders verdient hat. Entsprechend getriggert und konditioniert reagiert auch das Publikum in den Kommentarspalten, z. B. unter diesem Artikel der Zeit:
Mit ähnlichen Sentiments darf jeder rechnen, dem im Westen dieselben Etiketten aufgepappt werden. Der britische Kommentator Morgoth bemerkte:
Die westlichen Medien bezeichnen Dugin nicht als ”Eurasianisten” oder ”Nationalbolschewisten”, sondern als “rechtsextrem”. Und wenn man bei Google nach “Alexander Dugin beeinflusst von…” sucht, stößt man auf Namen wie Evola, Schmitt, Guénon, Spengler und Nietzsche, zusammen mit einer Reihe russischer und jüdischer Marxisten.
Ihr seht gewiß die Gefahr, die hierin liegt. Wenn das Regime anfängt, wahllos ausländische Denker zu ermorden, deren Ansichten sich bis zu einem gewissen Grad mit unseren überschneiden, dann werden wir zuallermindest als noch größerer innerer Feind angesehen werden, als wir es derzeit ohnehin schon sind.
Ihr könnt natürlich beteuern, daß ihr Dugins Ideen verabscheut, aber die Entscheidung, in welche Schublade ihr gepackt werdet, wird vom Regime und nicht von euch getroffen.
Während nun bei den “Guten” (siehe etwa Nawalny oder auch “Butscha”) das gewünschte Narrativ von Tag Eins der Berichterstattung unumstößlich feststeht und nicht mehr in Frage gestellt werden darf, zeigen sich die Medien im Fall Dugina nicht nur überaus skeptisch, sondern schwelgen ungeniert in “Verschwörungstheorien” über eine mögliche “False flag”-Operation, etwa des FSB selbst, womöglich mit dem Ziel, die von Putin postum mit einem “Tapferkeitsorden” ausgezeichnete Journalistin zur “Märtyrerin” aufzubauen.
Die absurdeste Theorie dieser Art, die mir bislang unterkam, ist die Unterstellung, Dugin selber hätte seine Tochter bewußt zu diesem Zweck opfern lassen, wofür manche auch einen seiner esoterischen Texte über das christliche Mysterium des “göttlichen Kindes als Erlösungsopfer” ins Feld führen.
Andere wiederum vermuten putinkritische Gruppen innerhalb Rußlands hinter dem Anschlag oder fragen sich, ob der messianische Philosoph Putin und dem Kreml lästig geworden ist. Spekulationen, die etwa David P. Goldman (alias “Spengler”) in der Asia Times zurückwies: Dugins radikale, apokalyptische Reichsphilosophie decke sich nicht mit Putins eher pragmatischer Politik, die von Dugin wiederholt scharf kritisiert wurde. Deshalb ergäbe es keinen Sinn, Putin über Dugin anzugreifen. Sollte aber Dugin Putin tatsächlich ein Dorn im Auge gewesen sein, dann wäre das Attentat diskret von Profis durchgeführt worden und auch gelungen.
Wenn nun wirklich ukrainische Geheimdienste und/oder ukrainische Nationalisten hinter dem Anschlag stecken, bleibt die Frage offen, warum gerade Dugin, ein Philosoph und kein Politiker, als Opfer auserkoren wurde. Seinem “Image” zum Trotz (das er vor allem im Westen hat, wo er zum Buhmann und Rasputin aufgeblasen wurde), ist sein tatsächlicher Einfluß auf die russische Außenpolitik äußerst gering. Sein Bekanntheitsgrad und der seiner Tochter beschränkt sich zudem auf einschlägig interessierte Kreise. Die Zeiten, in denen Dugin des öfteren in Talkshows eingeladen wurde, sind schon lange vorbei.
Es mag sein, daß er für manche aufgrund seiner oft provokanten Ansagen und Kampfansagen die Rolle einer besonders innig gehaßten Symbolfigur einnimmt. Es mag auch sein, daß er ein relativ leichtes Ziel bot, da er im Gegensatz zu anderen Akteuren des russisch-ukrainischen Krieges keinen staatlichen Personenschutz genoß (auch diese Tatsache spricht gegen seine angebliche Bedeutung für Putin).
Ich jedenfalls halte es für unwahrscheinlich, daß Duginas Tod für die russische Regierung bedeutend genug ist, um sie zu weiteren Eskalationen zu provozieren, wie etwa der prorussische geopolitische Kommentator Pepe Escobar vermutet (hofft?) – oder wie sie auch Dugin selbst beschwört, wenn er in seiner Stellungnahme zum Tod seiner Tochter schreibt:
Wie Sie alle wissen, wurde meine Tochter Daria Dugina vor meinen Augen am 20. August durch einen Terroranschlag des ukrainischen Naziregimes brutal ermordet, als sie auf dem Rückweg vom Festival ‘Tradition” in der Nähe von Moskau war. Sie war ein schönes, orthodoxes Mädchen, eine Patriotin, eine Kriegsberichterstatterin, Expertin für zentrale Fernsehkanäle und Philosophin. Ihre Reden und Berichte waren immer tiefgründig, informiert und zurückhaltend. Nie rief sie zu Gewalt oder Krieg auf. Sie war ein aufsteigender Stern.
Die Feinde Russlands töteten sie heimtückisch. Aber wir, unser Volk, werden nicht einmal unter diesen unerträglichen Schlägen zerbrechen. Sie wollen unseren Willen mit blutigem Terror gegen die Besten und Schwächsten unter uns brechen. Aber es wird ihnen nicht gelingen. Unsere Herzen sind nicht auf bloße Rache oder Vergeltung begierig. Das wäre zu kleinlich, das wäre nicht russisch. Wir wollen nur unseren Sieg. Meine Tochter hat ihr junges Leben auf den Altar gelegt. Also, seid siegreich! Wir wollten sie zu einem klugen Mädchen und zur Heldin erziehen. Möge sie auch jetzt die Söhne unseres Vaterlandes zum Heldentum inspirieren!
Was Darja Dugina selbst angeht, so war sie zweifellos eine hochintelligente, hochgebildete junge Frau, die sich vollständig der Doktrin ihres Vaters verschrieben hatte.
Auf der Netzseite geopolitica.ru findet sich ein ausführliches, lesenswertes Interview vom Mai 2022, geführt von Robert Steuckers, in deutscher Übersetzung. Zum Abschluß ihre Kernaussagen über den Ukraine-Krieg, die im wesentlichen der Sichtweise des russischen Mainstreams entsprechen:
Die Situation in der Ukraine kann als ein Zusammenprall der globalistischen und eurasischen Zivilisationen betrachtet werden. Nach der “großen geopolitischen Katastrophe” (wie der russische Präsident den Zusammenbruch der UdSSR nannte) wurden die Gebiete des einstmals geeinten Landes zu “Grenzen” (Zwischenzonen) – Räume, auf die die Nachbarn verstärkt achteten, da die NATO und vor allem die USA daran interessiert waren, die Situation an den Grenzen Russlands zu destabilisieren. In den 1990er Jahren wurde eine kohärente Arbeit mit den Führungskräften der neuen Regierungen der neuen Staaten begonnen – die Ukraine ist hier keine Ausnahme.
Die Ereignisse in der Ukraine im Jahr 2014, der Maidan, der sowohl von Nuland als auch vom berühmten Bernard-Henri Levy, einem Soldaten der Ultraglobalisierung, so leidenschaftlich unterstützt wurde, waren ein Wendepunkt, der in der Tat die Tür für die Errichtung eines direkten globalistischen Diktats über die Ukraine öffnete. Darüber hinaus schlossen sich die liberalen und nationalistischen Elemente, die vor 2014 mehr oder weniger neutral waren, einer vereinten Front mit einer globalistischen und pro-amerikanischen Agenda an. Acht Jahre lang wurde in der Ukraine die Russophobie durch verschiedene Programme gezüchtet und die Geschichte umgeschrieben, bis hin zum physischen Massaker an den Russen: dieselben acht schrecklichen Jahre für den Donbass mit täglichen Bombardements. (…)
Die einstimmige Unterstützung des Westens für die Ukraine im Jahr 2022, die Lieferung von Waffen in einem undenkbaren Ausmaß – all das sieht nach einer Agonie aus. Der Todeskampf eines globalistischen Regimes, das beginnt, gegenüber der Multipolarität an Boden zu verlieren. Für mich ist der größte Schmerz, dass Europa dem Einfluss der globalistischen Propaganda erlegen ist und statt neutral zu bleiben, die Partei des Krieges ergriffen hat.
Weitere Links:
Alexander Dugin – Der postmoderne Antimoderne (Juli 2014, Teil eins und zwei).
Dugins “Das Große Erwachen gegen den Great Reset” (März 2022, Teil eins, zwei, drei, vier, fünf)
Katehon.com auf Deutsch
Geopolitica auf Deutsch
Nachruf auf Darja Dugina von Alexander Markovics
Kommentar von Thomas Röper (“Anti-Spiegel”)
“Von Soros und Kiew unterstützte Gruppe steht hinter dem Tod von Darja Dugina”