Hundert Jahre, hundert Romane – 1990 bis 2024

Der 3. und letzte Teil der Liste "Hundert Romane aus hundert Jahren" - zusammengestellt und kommentiert von Erik Lehnert, Ellen Kositza und Götz Kubitschek. Alle lieferbaren Bücher sind für Ihre Bestellung hier in einem Bücherschrank zusammengefaßt - geordnet aufsteigend nach Jahrgangsempfehlung.

1990 Ange­la Krauß: Der Diensthier bestel­len

Die Welt der DDR in der Land­schaft des Erz­ge­bir­ges am Anfang der fünf­zi­ger Jah­re, als die Zeit still­zu­ste­hen schien, aber mit dem ers­ten sowje­ti­schen Was­ser­stoff­bom­ben­ver­such auch die Unschuld gegen­über dem radio­ak­ti­ven Gestein in den Hän­gen des Gebir­ges ver­lo­ren­ging. Eine Toch­ter por­trä­tiert ein Vater­le­ben: “In mei­ner aus­ge­hen­den Kind­heit war er der voll­kom­me­ne Ent­wurf der Welt, die mich erwar­te­te.“ Mit unter 50 Sei­ten einer der welt­weit kür­zes­ten Roma­ne, aber so nach­drück­lich! (EK)

1991 Moni­ka Maron: Stil­le Zei­le sechs - hier bestel­len

1992 Hans Joa­chim Schäd­lich: Die Sache mit B.

Was für ein kras­ses Stück, und dabei lite­ra­risch auch noch beein­dru­ckend! Hans Joa­chim Schäd­lichs Bru­der Karl­heinz war von 1975 an unter dem Deck­na­men „IM Schä­fer“ inof­fi­zi­el­ler Mit­ar­bei­ter des Minis­te­ri­ums für Staats­si­cher­heit der DDR. In die­ser Funk­ti­on berich­te­te er über sei­nen regime­kri­ti­schen Bekann­ten­kreis und auch über sei­nen Bru­der Hans Joa­chim, gegen den von Sei­ten des MfS seit 1976 ein Ope­ra­ti­ver Vor­gang unter dem Namen „Schäd­ling“ lief. Schäd­lich erzählt lako­nisch, karg, emo­ti­ons­frei. (EK)

1993 Har­ry Thürk: Som­mer der toten Träu­mehier bestel­len

Thürk war ein DDR-Autor, bekannt für Tri­vi­al­li­te­ra­tur, abso­lu­te Treue zum SED-Staat und Doku­ro­ma­ne über den Fer­nen Osten. Auch der Som­mer der toten Träu­me erfüllt jedes Merk­mal der Tri­vi­al­li­te­ra­tur, hat aber ein The­ma, das in der Lite­ra­tur nur sel­ten und in der DDR gar nicht vor­kam: die Behand­lung der Deut­schen durch Rus­sen und Polen zwi­schen Kriegs­en­de und end­gül­ti­ger Ver­trei­bung. Thürk hat das in Schle­si­en selbst erlebt, was das Buch über den Durch­schnitt sei­nes Schaf­fens erhebt. (EL)

1994 Bri­git­te Kro­nau­er: Das Taschen­tuchhier bestel­len

West­deutsch­land, 1990, die “DDR” ist gaanz weit weg. Vol­ler bril­lan­ter Beob­ach­tun­gen – wer braucht da einen Plot? Kro­nau­er war eine der ganz gro­ßen, viel zu wenig beach­te­ten Schrift­stel­le­rin­nen. (EK)

1995 Chris­ti­an Kracht: Faser­landhier bestel­len

Natür­lich war „Faser­land“ DER Roman für die nicht­lin­ke Gene­ra­ti­on X! Exklu­siv für West­deut­sche. Ein jun­ger Mann, bar aller Geld­sor­gen, reist von Sylt über Ham­burg, Frankfurt/Main, Hei­del­berg und Mün­chen nach Zürich. Er kokst und kotzt, er hat diver­sen Sex und fühlt sich nicht gut dabei, weil er weiß, daß es eigent­lich Schrott ist…  Es war ein­fach der kul­tur­pes­si­mis­ti­sche Sound die­ser Nach­wen­de­jah­re. (EK)

1996 Peter Hand­ke: Eine win­ter­li­che Rei­se zu den Flüs­sen Donau, Save, Mora­wa, oder: Gerech­tig­keit für Ser­bi­enhier bestel­len

Auf Ser­bi­en haben die Deut­schen am Ende nur noch durch „vor­ge­stanz­te Guck­lö­cher“ geschaut, schreibt Hand­ke. Sein Ver­such, als einer der weni­gen eine ande­re Per­spek­ti­ve in die kla­re Ver­tei­lung von Gut und Böse im Jugo­sla­wi­en­krieg zu brin­gen, ist unbe­schreib­lich wich­tig: Gera­de wir Rech­ten wer­den unent­wegt durch Guck­lö­cher ange­starrt. Dabei sind wir viel mehr und ganz anders. (GK)

1997 Chris­toph Hein: Von allem Anfang anhier bestel­len

Jugend­er­in­ne­run­gen des Pfar­rer­sohns Chris­toph Hein, der hier als „Dani­el“ spricht. Plan einer Repu­blik­flucht, irr­wit­zi­ge Puber­täts­ge­dan­ken, auch Rück­bli­cke in die ver­lo­re­ne schle­si­sche Hei­mat. Ich kann kaum begrei­fen, war­um der jün­ge­re Hein so phan­tas­tisch gute Bücher schrieb (wie auch Der frem­de Freund, Dra­chen­blut, Frau Pau­la Trous­se­au, Wil­len­b­rock) und der nun älte­re so schlech­te. (EK)

1998 Mar­tin Wal­ser: Ein sprin­gen­der Brun­nenhier bestel­len

Ein auto­bio­gra­phisch gefärb­ter Roman, ein Meis­ter­werk dar­über, wie es war, als es natio­nal­so­zia­lis­tisch wur­de, auch am Boden­see, in Was­ser­burg, auf dem Lan­de. Die­ses Buch ist so sehr viel rei­fer und ehr­li­cher als jede „gehäu­te­te Zwie­bel“ in den Hän­den des hyper­mo­ra­li­schen, heim­li­chen SS-Manns Gün­ter Grass – und es ist ein sehr schwä­bi­sches Buch, also auch ein dickes Stück Hei­mat. (GK)

1999 Tho­mas Brussig: Am kür­ze­ren Ende der Son­nen­al­leehier bestel­len

2000 Egi­nald Schlatt­ner: Rote Hand­schu­he

2001 Sher­ko Fatah: Grenz­land

2002 Jörg Ber­nig: Nie­mands­zeithier bestel­len

An die­sen Roman über ein Dorf, das erst spät von tsche­chi­schen Ein­satz­grup­pen ent­deckt wird, den­ke ich unter ande­rem des­we­gen, weil ich ihn zunächst nicht zuen­de lesen konn­te – so schlimm ist der Ein­bruch der Zeit in die Nie­mands­zeit. Denn zuletzt wird doch hem­mungs­los ver­trie­ben. (GK)

2003 Wolf­gang Büscher: Berlin–Moskau. Eine Rei­se zu Fußhier bestel­len

In der Glut eines Ber­li­ner Som­mer­abends wan­dert Büscher los – näm­lich durch eine höchst beson­de­re Kul­tur­land­schaft: Wege ent­lang der Rou­ten der Napo­leo­ni­schen und der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Armeen gen Osten und der Roten Armee in der umge­kehr­ten Rich­tung nach Wes­ten. Im bit­ter­kal­ten Win­ter, eisig wie damals, erreicht er Mos­kau. Inhalt­lich packend, sprach­lich groß. (EK)

2004 Sophie Dan­nen­berg: Das blei­che Herz der Revolution

Eine Aus­ein­an­der­set­zung mit den 68ern aus der Sicht ihrer Kin­der: Der ers­te Roman über 68 aus die­sem Blick­win­kel. All die gro­ßen Pro­jek­te wie anti­au­to­ri­tä­re Erzie­hung, Eman­zi­pa­ti­on, freie Sexua­li­tät wer­den von Grund auf in Zwei­fel gezo­gen. Mir war beim (begeis­ter­ten!) Lesen völ­lig klar, daß hin­ter die­sem Pseud­onym ein Mann ste­cken müs­se. Die gan­ze Gemenge­la­ge und wie sie geschil­dert wird: Viel zu cool für eine Autorin. Aber nein. (EK)

2005 Micha­el Klo­novs­ky: Land der Wun­derhier bestel­len

Johan­nes, dem Hoch­geis­ti­gen in jeder Form sowie weib­li­chen Rei­zen kei­nes­wegs abge­neigt, lebt in der “von Alko­ho­li­kern, Spaß­vö­geln und Bon­zen bevöl­ker­ten Kloa­ke namens DDR.” Er kennt die Mühen der Arbeit in der Pro­duk­ti­on, ein Stu­di­um bleibt ihm ver­wehrt. Nach dem Novem­ber­wun­der 1989 wech­selt unser Prot­ago­nist – zufäl­lig ähn­li­chen Jahr­gangs wie Autor Klo­novs­ky – in das von “Gesin­nungs­hu­ren und End­ver­brau­chern bevöl­ker­te Casi­no namens Bun­des­re­pu­blik”. Da bleibt kein Auge tro­cken. (EK)

2006 Hans Ber­gel: Die Wie­der­kehr der Wöl­fe - hier bestellen

Band zwei der als Tri­lo­gie geplan­ten Fami­li­en-Saga aus Sie­ben­bür­gen. Einer der weni­gen Roma­ne, die den Geist einer kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­nä­ren, nicht aber natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ein­stel­lung the­ma­ti­sie­ren. Zugleich ein Doku­ment ver­lo­re­nen rumä­ni­en­deut­schen Lebens. (GK)

2007 Richard Wag­ner: Das rei­che Mädchen

Da hei­ra­tet eine einen Aus­län­der, einen ganz Frem­den, und es geht gründ­lich schief, also: es endet schlimm. Wag­ners Roman war eine Pro­vo­ka­ti­on, ein Ereig­nis, war das Schrei­ben über ein Tabu. Ich durf­te mit ihm einen aus­führ­li­chen Brief­wech­sel füh­ren, das war damals noch mög­lich. (GK)

2008 Uwe Tell­kamp: Der Turmhier bestel­len

Seit sei­ner Ver­öf­fent­li­chung steht er da, Der Turm Tell­kamps, der gro­ße Roman aus den DDR-Jah­ren vor der Wen­de, preis­ge­krönt, ver­filmt, gül­tig. Er ist ein­ge­färbt, mitt­ler­wei­le, denn der Autor äußer­te sich zum Tages­ge­sche­hen nicht so, wie man das von einem ver­meint­lich ins Feuil­le­ton Ein­ge­mein­de­ten erwar­tet. Aber dem Turm kann das nichts anha­ben. Er über­ragt, und man kommt an ihm nicht vor­bei. (GK)

2009 Iris Hanika: Das Eigent­li­che

2010 Theo­dor Buhl: Win­ne­tou August

Die Fami­lie Buhl floh Anfang 1945 aus Nie­der­schle­si­en nach Dres­den, über­stand dort im Febru­ar die Zer­stö­rung der Stadt, zog zurück und leb­te ein Jahr unter pol­ni­scher Mili­tär­herr­schaft, bis sie end­gül­tig ver­trie­ben wur­de. Buhl hat im wesent­li­chen nur die­sen einen Roman vor­ge­legt – ein Meis­ter­werk. Alles ist so lako­nisch beschrie­ben, wie das wohl nur ein Kind kann: noch ohne his­to­ri­sche Dimen­si­on und mit nai­vem Inter­es­se selbst dort, wo es grau­en­voll ist. (GK)

2011 Eugen Ruge: In Zei­ten des abneh­men­den Lichtshier bestel­len

Einer der wirk­lich gro­ßen Roma­ne, die den Kip­punkt aus der End­pha­se der DDR in die ers­te Nach­wen­de­zeit beschrei­ben. Zwei­er­lei an Ruges Zugriff ist bestechend: Er schil­der­te die ein­ge­üb­te Ord­nung einer Welt, die von ihrem Zusam­men­bruch nichts ahn­te – und das nach­ge­reich­te Bes­ser­wis­sen einer »Frei­heit«, die wie­der­um bloß aus anders gela­ger­ten Unfrei­hei­ten bestand. (EK)

2012 Mat­thi­as Wege­haupt: Schwar­zes Schilf

2013 Micha­el Köhl­mei­er: Die Aben­teu­er des Joel Spa­zie­rerhier bestel­len

Joel Spa­zie­rer ist ein aus­ge­dach­ter Name. Als Kind hieß er András Fülöp, spä­ter And­res Phil­ip, kurz­zei­tig Robert Rosen­ber­ger, dann Ernst-Thäl­mann Koch, kein Tipp­feh­ler: Thäl­mann ist der zwei­te Teil des Vor­na­mens. »Spa­zie­rer« wur­de zur Iden­ti­täts­ver­schleie­rung von einem ver­trau­ten lin­ken Pfar­rer für gut befun­den: »Es ist nicht schlecht, wenn die Leu­te mei­nen, es sei ein jüdi­scher Name. Dann fra­gen sie nicht. …Viel­leicht wäre es nicht schlecht, wenn du das Jüdi­sche mit einem jüdi­schen Vor­na­men betonst.« Was für ein hoch­ge­lehr­tes Lese­ver­gnü­gen! Hier ist die Rezen­si­on, die ich über den Roman für die Sezes­si­on schrieb. (EK)

2014 Lutz Sei­ler: Kru­sohier bestel­len

2015 Leif Randt: Pla­net Magnonhier bestel­len

Es gab in Ber­lin jun­ge Autoren, die sich in einem „Jun­gen Salon“ sam­mel­ten und zuletzt über Kon­zep­te wie „Ultraro­man­tik“ nach­dach­ten – alles ziem­lich läp­pisch. Das, was sie woll­ten, ist in Pla­net Magnon for­mu­liert: Die Leu­te dort sind Post-Prag­ma­ti­ker und ver­fol­gen Stra­te­gien einer »ambi­va­len­ten Per­sön­lich­keits­ent­wick­lung«: Die Grund­hal­tung ist empa­thisch und unter­kühlt zugleich, also: ein­füh­lend in den Zusam­men­hang, den es per­ma­nent zu ana­ly­sie­ren und zu opti­mie­ren gilt. Das Ziel: ein psy­chi­scher Zwi­schen­zu­stand, »der gemäß dem post­prag­ma­ti­schen Schwe­beide­al nie abschlie­ßend zu defi­nie­ren ist«. Mit die­sem Besteck läßt sich unse­re Zeit lesen. Man macht sich nach der Lek­tü­re weni­ger vor. (GK)

2016 Mar­tin Mose­bach: Moga­dorhier bestel­len

Die­ser Mose­bach – oder ein ande­rer? Zunächst stan­den drei sei­ner Roma­ne auf unse­rer Lis­te, ich habe die­sen durch­ge­setzt. Er beschreibt eine Sip­pe in Marok­ko, die matri­ar­chal geführt wird, in einem Durch­ein­an­der aus Fleiß, Geschick, Zuhäl­te­rei, Hamam, Stolz, Befrei­ung und Wei­ter­ga­be. Ein lebens­s­at­tes, plas­ti­sches Buch, hell­sich­ti­ge Unklar­heit, ver­baut wie die Stadt selbst. (GK)

2017 Jonas Lüscher: Krafthier bestel­len

Richard Kraft ist Rhe­to­rik­pro­fes­sor in Tübin­gen. Ein glän­zen­der Den­ker, dabei ein viri­ler Typ. Und kei­nes­falls ein strom­li­ni­en­för­mi­ger Kar­rie­rist! Bei­spiels­wei­se stand er als Stu­dent den ton­an­ge­ben­den Ideen der Lin­ken immer kri­tisch, gar spöt­tisch gegen­über, und zwar in einer Mischung aus Klug­heit, Über­zeu­gung, Trotz, Wider­spruchs­geist und Distink­ti­ons­wil­len. Jetzt will er sich aus­ge­rech­net in Kali­for­ni­en behaup­ten… Hier ist die Rezen­si­on, die ich über den Roman für die Sezes­si­on schrieb. (EK)

2018 Nor­bert Gst­rein: Die kom­men­den Jah­rehier bestel­len

Richard und sei­ne schö­ne Frau Nata­scha sind „in den Medi­en“, weil sie in ihrem hüb­schen Haus in Nord­west­meck­len­burg (mut­maß­lich) syri­sche Flücht­lin­ge unter­ge­bracht haben. Nata­scha stei­gert sich in eine pri­va­te Huma­ni­täts­ak­ti­on… Ein schö­nes Bei­spiel, wie man als Autor „hin­ter den Lini­en“ blei­ben kann. Und hier ist die Rezen­si­on, die ich über den Roman für die Sezes­si­on schrieb. (EK)

2019 Stef­fen Kopetz­ky: Pro­pa­gan­dahier bestel­len

Von Ernst Jün­ger stammt der Satz, man­che Bücher explo­dier­ten wie laut­lo­se Minen. Pro­pa­gan­da ist so ein Buch. Das geschichts­po­li­ti­sche Poten­ti­al ist gewal­tig. Es faßt die Aller­see­len­schlacht 1944, den Agent-Oran­ge-Ein­satz in Viet­nam, Kriegs­ver­bre­chen der Ame­ri­ka­ner im 2. Welt­krieg und den huma­ni­tä­ren Ein­satz des deut­schen Arz­tes Stütt­gen im Hürt­gen­wald unter dem Aspekt der Pro­pa­gan­da, also der Bericht­erstat­tung und ein­ge­färb­ten Erzäh­lung ins Auge: kei­ne Moral, berich­tet, ver­tuscht, ver­dreht wird, wie es nützt. Ein gro­ßes Lese­er­leb­nis! (GK)

2020 Mat­thi­as Poli­ty­cki: Das kann uns kei­ner neh­menhier bestel­len

Das ist ein­fach ein herz­er­fri­schen­der, inkor­rek­ter, mensch­li­cher Roman: Ein bay­ri­scher Lebens­künst­ler rüpelt sich den Kili­man­dscha­ro hin­auf und wie­der hin­un­ter und bleibt im Schlepp­tau eines deut­schen Gut­men­schen, der nicht begreift, daß man auf die­se Art Afri­ka nicht nur berei­sen, son­dern sehr ehr­lich viel tun kann, wenn man ein­an­der nicht asep­tisch begeg­net. Man möch­te nach der Lek­tü­re nach Tan­sa­nia und auf San­si­bar… (GK)

2021 John Hoe­wer: Euro­pa­Power­bru­talhier bestel­len

Wer bit­te hät­te gedacht, daß ein rech­ter Sze­ne-Roman nach 1945 je zu einem Ver­kaufs­schla­ger wer­den wür­de? Wir fol­gen hier einem namen­lo­sen Erzäh­ler auf der Suche nach dem Geist eines ande­ren Euro­pas. Eines Euro­pas, das nur dem offen steht, der bereit ist, mit den Leu­ten um die Häu­ser zu zie­hen, vor denen die »Tages­schau« immer gewarnt hat. Euro­pa­Power­bru­tal ist eine zeit­ge­nös­si­sche Fla­neurs- und Sze­nege­schich­te, ein Rei­se­ro­man, rauh, betrun­ken, scho­nungs­los, aber­wit­zig und mit gro­ßen Talent für Selbst­iro­nie! (EK)

2022 Rein­hard Kai­ser-Mühle­cker: Wil­de­rerhier bestel­len

In den Roma­nen des Schrift­stel­lers Rein­hard Kai­ser-Mühle­cker (*1982) geht es um ech­te, geer­de­te Exis­ten­zen, es geht um Exis­ten­ti­el­les. Kein Wun­der, daß der Autor wei­ter­hin sei­nen Erb­hof in Ober­ös­ter­reich bewirt­schaf­tet. Hier geht es um den jun­gen Jakob, einen miß­traui­schen Typen, grob­schläch­tig, aber kern­haft gut, wenn­gleich mit autis­ti­scher Akzen­tu­ie­rung. Er wür­de sei­nen Erb­hof gern in „alt­mo­di­scher Wei­se“ wei­ter­füh­ren. Aber so sind die Zei­ten nicht. Es gibt Tin­der, und es gibt die­ses ererb­te Gewalt­po­ten­ti­al. Ganz gran­di­os. Hier ist die Rezen­si­on, die ich über den Roman für die Sezes­si­on schrieb. (EK)

2023 Cle­mens J. Setz: Mon­de vor der Lan­dunghier bestel­len

Büch­nerpreis­trä­ger (2021) Cle­mens J. Setz zeich­net die Geschich­te des Hohl­welt­pro­phe­ten Peter Ben­der auf. Er unter­füt­tert die­se schier unglaub­li­che, wah­re und trau­ri­ge Bio­gra­phie hier und da mit ech­ten Doku­men­ten, Abbil­dun­gen von Brie­fen und Fotos. Was wirk­lich los war in Peters Ben­ders Kopf, ist frei­lich aus­ge­dacht – aller­dings in unge­heu­rer Kunst­fer­tig­keit. Ein Genie­streich! Hier ist die Rezen­si­on, die ich über den Roman für die Sezes­si­on schrieb. (EK)

2024 Sebas­ti­an Schwaer­zel: Schi­zo­id Manhier bestel­len

Die­ser Ich-Erzäh­ler nennt sich »Faschist«, obwohl oder weil er weiß, daß er eine Null ist. Der Welt- und Lebens­ekel unse­res Prot­ago­nis­ten drückt sich viel­fäl­tig aus. Das ist „Faser­land 2.0“, obwohl die­ser Ver­gleich offen­kun­dig nicht beab­sich­tigt ist. »In einem fit­ten Kör­per wohnt ein fit­ter Geist, lese ich in einem Insta­gram-Post«, sekun­diert unser Erzäh­ler. Es ist blan­ker Hohn. Hier ist die Rezen­si­on, die ich über den Roman für die Sezes­si­on schrieb. (EK)

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Kommentare (36)

RMH

26. November 2024 16:17

Wieder eine interessante Auswahl, wieder wird vermutlich das eine oder andere Werk, welches ich noch nicht gelesen habe (bspw. v. Bergel & Schlattner), den Weg in meinen Bücherschrank finden. Bemerkenswert ist, wie viele von den aufgelisteten Büchern sich noch mit Themen aus der Vergangenheit zuvor bis hin zum WK II beschäftigten. Meine Favoriten aus der Liste: "Faserland", L. Randts "Planet Magnon" (würde ich klar noch über "Faserland" ansetzen) &, für mich eigentlich komplett außer jeder Wertung, "Der Turm" von Tellkamp (der auch `22 Platz 1 verdient hätte). Was für ein Autor, was für ein Erzähler! Auch wenn ich persönlich das Buch gekürzt hätte (die Militärerzählung ist zu ausufernd, wobei es für mich, Wehrdienstleistender der BRD, doch interessant war, wie viele Parallelen es zum Wehrdienst in Mitteldeutschland gab). Auf dem klar letzten Platz (hätte es bei mir nie auf eine Liste geschafft): "Das bleiche Herz d. Rev.". Selten so ein schlechtes Buch gelesen, welches ich nur aufgrund der posit. Rez. der Sezession gekauft habe. Da gibt es aber bedeutend bessere Abrechnungen mit 68, bspw, wenn auch nicht deutsch, Houllebecqs "Elementarteilchen" - und eigentlich ist das 2024er "Schizoid Man" auch eine Abrechnung mit dem, was 68 erzeugte, wenn ich auch den Eindruck habe, die "rechte Szene" missversteht den Autor sehr gründlich.

dojon86

26. November 2024 18:09

@RMH Geschmäcker sind verschieden. Ich fand das Buch "Das Bleiche Herz der Revolution" auf einen Grabbeltisch meiner städtischen Bücherei, auf dem aussortierte Bücher zur unentgeltlichen Mitnahme bereitlagen. Mein Exemplar wies nur geringe Gebrauchsspuren auf, war also nicht wegen einer Beschädigung aus den Verkehr gezogen worden. Als Mitte der 50ger Geborener habe ich mein ganzes Leben im Schatten der 68ger verbracht. Anfangs mit Verehrung, später auch angesichts der persönlichen Folgen in meinem Bekanntenkreis mit steigender Ablehnung. Wahrscheinlich gefiel mir auch deshalb dieses Buch wenn ich auch nicht rundum begeistert war. Jens Tschebull, ein österreichischer konservativer Publizist in den 70ger und 80ger Jahren schrieb zu den 68gern  "Die Opfer der 68 befinden sich auf dem Friedhof, in Gefängnissen, in psychiatrischen Anstalten, in Drogenentziehungskliniken oder in Umschulungskursen des Arbeitsamtes". Der Inhalt des Buches von Frau Dannenberg unterstreicht diese Aussage Tschebulls.  Nach der Lektüre beschlich mich der Verdacht, dass dieser Titel nicht ohne Grund aussortiert worden war. Angesichts der politischen Ausrichtung der Leitung unserer Bücherei eine durchaus naheliegende Vermutung. 

H. M. Richter

26. November 2024 18:10

Da will ich es doch gerne so halten wie bei der Literaturauswahl für die Jahre zuvor und vorschlagen, daß aus dem geschätzten Feld der Kommentatoren vielleicht wieder jeweils drei weitere Vorschläge hinzukommen können. //
Gern opfere ich da auch schon jetzt ganz spontan zwei von drei Patronen:
Patrick Roth, Corpus Christi [1996],Clemens Meyer, Als wir träumten [2006].

Boreas

26. November 2024 18:27

Meine Ergänzungen:
1991 Russell McCloud „Die Schwarze Sonne von Tashi Lhunpo“1999 Helmut Krausser „Der große Bagarozy“2000 Alexander Osang „Die Nachrichten“2004 Thor Kunkel „Endstufe“2005 Uwe Tellkamp „Der Eisvogel“2007 Germar Grimsen „Hinter Büchern.Ein Großroman“2012 Mathias Gatza „Der Augentäuscher“2014 Bernhard Schlink „Die Frau auf der Treppe“
2016 Julie Zeh „Unterleuten“2018 Ditterich von Euler-Donnersperg „Durch das besetzte Europa“
 

Kositza: Juli Zeh war unter uns sowas von hart umkämpft. Bedaure sehr, daß sie fallen mußte.

Gracchus

26. November 2024 22:25

Das ist die Liste, von der ich am wenigsten kenne und zu der ich am wenigsten beitragen kann. "Monde vor der Landung" des mir sehr sympathischen Clemens Setz - gerade ist auf ZON eine Rezension zu Ivy Compton-Burnett zu lesen - habe ich mir sogleich gekauft; bin gespannt. 
Hätte man 1993 nicht Kaltenbrunners "Johannes sei sein Name" drausetzen können - bei großzügiger Auslegung der Gattung "Roman"?
Wie @H.M.Richter hätte ich Patrick Roths "Corpus Christi" auf j e d e n Fall genommen; oder sonst was von Roth. 
Wenn - @RMH - der Leif Randt noch besser sein soll als Krachts Faserland, bestelle ich mir das. Und den Schwaerzel  hast Du gelesen?

RMH

27. November 2024 09:19

@LeChasseur, mein Urteil zum Buch "das bleiche .." war evtl. zu hart, nur zum Buch eines Jahres, taugt es m.M.n. nicht, da mir die Message einfach zu dick aufgetragen wurde, es kam mir vor wie "und noch was oben drauf". Wirkte unnatürlich & konstruiert. Gab es 2004 nicht auch "Endstufe" von T. Kunkel? Gut, für ein "Buch des Jahres" langt das auch nicht. Schwer ...
@Gracchus, das Buch "Planet Magnon" gibt eine Stimmung wieder, die damals (und heute?) sehr gut gepasst hat (vor dem Ukraine Krieg & den Einschlägen in die wirtschaftliche Kernstruktur Deutschlands), so wie Faserland eben einfach das Buch für die Generation X ist, dann erfasst man die nachfolgenden eben damit gut. Den Ausführungen von GK kann ich nur zustimmen. Mich hat das Buch, welches ich ohne die Rezension der Sez. nie gelesen hätte, sehr beeindruckt & manches besser verstehen lassen. Schizoid Man fand ich jetzt nicht so gut, klar, es trifft mit manchen Ausführungen voll auf die 12, aber man sollte schon wissen, dass das ein sehr "heutiger" Autor ist & das Werk alles, bloß nicht "rechts" ist. Kann man gut lesen (wenn man Krankes abkann), aber Buch des Jahres?

RMH

27. November 2024 09:59

Noch einmal zu "Schizoid Man": Es ist eigentlich ein Abgesang, eine Verhöhnung & Verspottung von all denen, die Internetblasen-basiert meinen, sie seien die Vollckecker, die - natürlich im Gegensatz zu allen anderen - recht genau die Hohlheit & Leere & damit Albernheit, Sinnlosigkeit & Lächerlichkeit des modernen Lebens & seiner woken & politisch korrekten Kultur erfasst zu haben (daher auch die textlichen Wirkungstreffer gegen Wokeness & pc). Letztlich ist der "Held" aber ein Loser, der keine gesunde Beziehung zu einer (echten) Frau schafft, komplett versagt & - Achtung Spoiler - am Ende von Mutti rausgeboxt & umsorgt wird. Mit dieser durch & durch ätzenden Geschichte trifft der Autor auch sehr viele, die sich in der neurechten Szene versammeln, die Incels, die Hippster-Bärte tragenen, undercut-gescheitelten "Vollmänner" der Identitären etc. Das Buch ist ätzender Spott gegen all die, denen es eigentlich immer noch deutlich zu gut geht, & die dennoch meinen, gegen alles anätzen zu können, die Weisheit mit Löffeln gegessen zu haben, die vielen kleinen Narzissten & zukünftigen Kunden der Pharmaindustrie, die ihnen die Mittel verschafft, die verhindern, dass sie ihre erbärmliche, eigene Existenz nicht selber durch Suizid abräumen. Buch des Jahres? Noch dazu von rechts? Dem Hort des Wahren, Guten und Schönen? Ich denke, der Autor lacht sich gerade schlapp.

FraAimerich

27. November 2024 10:25

Albert Bauer: Hagen von Troneck (1995)
Christoph Peters: Ein Zimmer im Haus des Krieges (2008)
Benjamin Stein: Das Alphabet des Rabbi Löw (2014)
sowie als exilliterarischer Nachzügler/Sonderfall (deutsche Ausgabe erst 2005):
Hermann Borchardt: Die Verschwörung der Zimmerleute - Rechenschaftsbericht einer herrschenden Klasse

Andreas J

27. November 2024 10:28

Der Coup von Faserland ist für micha. dass sich der Autor darin gut erkennbar über die ständige Naziseherei der Deutschen lustig machtb. Kracht als Kenner der journalistischen Szene gewusst haben muss, dass seine diesbezügliche Ironie vom deutschen Feuilleton kollektiv ignoriert und umgedeutet wird, was auch geschah, fast ausnahmslos wurde lobend auf die kritische Aufarbeitung der Nazivergangenheit Deutschlands im Roman hingewiesen.
 

Ein gebuertiger Hesse

27. November 2024 11:21

Die "Waschzettel" zu den Büchern hier, mal wieder: "runner wie Öl". Danke, Leute.

dojon86

27. November 2024 11:28

@RMH Mit ihrer Bemerkung, Frau Danneberg hätte im "Bleichen Herz der Revolution" zu dick aufgetragen, bin ich durchaus auf ihrer Seite. Das Buch ist eine Kampfschrift, kein Zweifel.

Diogenes

27. November 2024 12:16

"(...), fast ausnahmslos wurde lobend auf die kritische Aufarbeitung der Nazivergangenheit Deutschlands im Roman hingewiesen." - Andreas J
 
Einseitige Aufarbeitung kann keine Grundlage dt. Staatspolitik sein (Fremdinjektion-"Ihr Deutschen seid die Bösen"). Sie führt in die Selbstaufgabe und das Fremdsein im eigenen Land. Die dt. Sicht auf die Dinge hat genauso und noch über allen anderen Perspektiven in Deutschland ihre Berechtigung und damit hinterfragende Kritik an den selbstverherrlichenden Absichten der Feinde des Großdeutschen Reiches zu üben ("World wide Domination", zu Deutsch: Weltherrschaft, das was die Feindpropaganda uns Deutschen vor, während und nach den Großen Kriegen unterstellen haben sie selbst in ihren Bemühungen ausgeführt - "Haltet den Dieb, schreit der Täter!"). 

Laurenz

27. November 2024 14:46

1992 Hans Joachim Schädlich: Die Sache mit B. ist wohl kein Roman, sondern, wenn ich das richtig verstanden habe, ein Tatsachenbericht. Ich hätte stattdessen auch nur was Dänisches anzubieten gehabt.

Boreas

27. November 2024 17:15

@RMH
"Gab es 2004 nicht auch "Endstufe" von T. Kunkel? Gut, für ein "Buch des Jahres" langt das auch nicht. Schwer ..."
Durchaus, ich hatte es in meiner Ergänzung aufgeführt, etwas schwer zu finden durch die Zeilenverschiebung. Ich finde schon, daß es sein Gewicht hat.

t.gygax

27. November 2024 17:16

Zwei Empfehlungen eines guten Erzählers aus der Schweiz.
Oskar Freysinger    Rote Asche 2021.
Oskar Freysinger    Bergfried 2017

H. M. Richter

27. November 2024 19:28

Es wächst zusammen, was empfohlen gehört …  //
@FraAmerich
Wie haben Sie das hinbekommen mit den Leerzeilen?! //
Welch eine Wohltat für die Augen …!

Montesquieu

27. November 2024 20:31

Vielen Dank für diese Trilogie!

FraAimerich

27. November 2024 22:04

@H. M. Richter - Versuchen Sie es in einem unbeobachteten Moment einfach mal mit doppeltem Zeilenwechsel. Aber Sie sehen ja - wird erbarmungslos getilgt...

Paavo

28. November 2024 00:50

Eine sehr schöne Auswahl haben Sie da zusammengetragen. Da ist doch das eine oder andere Buch dabei, welches ich mir zulegen werde. 
Folgende drei Romane würde ich noch ergänzen wollen:
Günter Grass, Die Blechtrommel, 1959. 
Paulus Buscher, Das Stigma. "Edelweiß-Pirat", 1988
Ulrich Schacht,  Notre Dame, 2017

anatol broder

28. November 2024 02:20

ich kenne die wand (1963) von marlene haushofer nicht. die kurzbeschreibung und der trailer zur verfilmung erinnern mich an die erzählung all flesh is grass (1965) von clifford simak. wegen der zeitlichen nähe vermute ich, dass simak das wand-motiv von haushofer übernahm.

t.gygax

28. November 2024 08:29

Nachtrag: Karin Struck Blaubarts Schatten 1991
Literarisch vielleicht nicht so gelungen, aber menschlich sehr bewegend und ehrlich.

Ein gebuertiger Hesse

28. November 2024 12:24

Auch von mir noch ne Nachtragsempehehlung: "Brief zum letzten Abschied" von Handke, 1972. Hammerkurzroman, man verliert ihn in sich selbst nimmermehr.  Der illuisioniert-gedichtete Dialog zwischen der Frau, die den Ich-Erzähler verlassen hat oder sie auch ihn, ist auch egal - wenn die beiden am Ende (nochmal zusammenkommend oder auch nicht) auf der imaginierten Veranda von John Ford zusammenkommen und sich dort nochmal "neu" wie auch "alt" in die Augen sehen (müssen), das isses.

H. M. Richter

28. November 2024 16:15

So soll auch mein dritter und letzter Vorschlag hier ein Nachtrag zu einer inzwischen großartigen Jahrhundertliste sein. //
Doch eine Name fehlte. Bis jetzt: //
Manès Sperber: Wie eine Träne im Ozean. [1961] //
Ein Jahrhundertroman.
_____________________________________________________
@FraAimerich
Danke! Wir wollen unsere alte Leerzeile wiederhaben! Der Kampf geht weiter!
 

Umlautkombinat

28. November 2024 18:50

> Wir wollen unsere alte Leerzeile wiederhaben!
 
Dann aber bitte gleich richtig repariert. Eine Leerzeile braucht eine Leerzeile des Schreibers, und nicht zwei.

Gracchus

28. November 2024 21:58

@Ein gebuertiger Hesse: der Titel heißt: "Der kurze Brief zum langen Abschied" - ansonsten völlig einverstanden; eins von Handkes besten. 
 

Gracchus

28. November 2024 22:09

Doch, doch: Wolfgang Hilbig wird schmerzlich vermisst. (Habe extra nachgeschaut:) Alte Abdeckerei: 1991.
Ebenso gehört Sebald drauf, mit Ringe des Saturn oder Die Ausgewanderten.

H. M. Richter

29. November 2024 11:09

Nun wird sich hier bald wohl der Vorhang schließen für eine durch profunde Ergänzungen erweiterte Liste deutscher Romane der letzten hundert Jahre.                                        
(Mögen die literaturwissenschaftlichen Auswerter nun darüber zu rätseln beginnen, wie schwierig bis unmöglich es doch ist, die literarischen Vorlieben einer SiN-Verfasser- und Leserschaft über einen Kamm zu scheren, um sie in eine ebenso bevorzugte wie von anderen verlangte Schublade stecken zu können, mögen sie nun nach Begründungen suchen, wieso es der eine auf diese Liste hat schaffen können und der andere nicht.) //
Möge nun auch fleißig und reichlich bestellt werden, dort wo der Bücherschank bereitsteht …//
Der Vorschlag bleibt, nächstes Jahr den Mut und die Lust zu haben für eine Offene Liste. Wo dann auch Platz wäre für Hilbigs Gedichte und zumindest Hacksens Liebesgedichte, für Fühmanns Essays wie Langes Novellen, für frühe Erzählungen Friedrichs Franz von Unruh und späte Stücke Heiner Müllers … Und so manches mehr.

Isarpreiss

29. November 2024 15:03

Vielen Dank für die interessante Liste.
Vorschlag für nächstes Jahr: Nicht-deutschsprachige Romane.

Diogenes

29. November 2024 19:05

"Vorschlag für nächstes Jahr: Nicht-deutschsprachige Romane." - Isarpreiss
 
Romane von ausländischen Autoren aus deutscher Sicht (ein Kubitschek würde "aus rechter" meinen, aber mir ist "deutsch" Bezeichnung auch in politischer Hinsicht genug) wäre eine Überleung wert* und der Betrachtungen auf den Geist hinter den Romanideen der Genres.
 
Vielleicht schreibe ich dann was zu "Lovecraft" oder "Lem".
 
*vielleicht eine eigene Liste getrennt von der Deutschen Literatur

FraAimerich

29. November 2024 20:58

@H. M. Richter  -  Heiliges, ja, Heiner Müller:
 
Manchmal wenn ich meine Privilegien genieße
Zum Beispiel im Flugzeug Whisky von Frankfurt nach (West)Berlin
Überfällt mich was die Idioten vom SPIEGEL meine wütende
Liebe zu meinem Land nennen
Wild wie die Umarmung einer totgeglaubten
Herzkönigin am Jüngsten Tag
 
Gruß ins Wochenende, Jenosse!

H. M. Richter

30. November 2024 07:35

@FraAimerich
Vielleicht haben Sie Müller ja vor allem zitiert, um mir zu zeigen, daß Sie den geheimen Pfad zur Leerzeile gefunden haben ... //
Ich schrieb ja von Müllers Stücken und Hacksens Liebesgedichten. Sonst hätten Sie von letzterem vielleicht dies hier zitiert. (Obwohl, formvollendest ist es ja ...):
Derweil der große Haufen sich, in überengenBehältern drangvoll duldend wie auf Viehtransporten,Aus Deutschlands nördlich milden Breiten oder LängenHinquält zu seinen grauenhaften Urlaubsorten,
Begeben Preußens dünkelhafte Kommunisten,Gewohnt, in völliger Absonderung zu glänzen,In Linnen leichtgewandet, duftenden Batisten,Nach ihren Dörfern sich und Sommerresidenzen.
Und sie verharren vor Parterren mit VerbenenUnd nippen edlen Wein in schattigen Remisen.Manchmal, nicht allzu oft, empfängt wohl dieser jenen,Beziehungsweise jener bewillkommnet diesen.
Dann nehmen sie den Tee aus köstlichen Geschirren,Plaudernd vom Klassenkampf, während ein Pfau, ein bunter,Gekrönter Mohrenvogel, mit metallnem FlirrenDurch Heckenwege schreitet und zum See hinunter.

H. M. Richter

30. November 2024 10:31

Sehr geehrte, liebe Frau Kositza,
eine mir wirklich wichtige Bitte: Wenn ich ein Gedicht in Strophenform zusende, dann bitte ich darum, daß dies dann auch wirklich so im Kommentarbereich erscheint. Und nicht als Buchstabensalat, bei dem nicht nur die Leerzeilen, sondern in  diesem Falle sogar Leerzeichen wie von Zauberhand verschwinden. //
Bedenken Sie doch bitte: SiN hat Vorbildfunktion für die gesamte Nation. Nicht zuletzt und gerade auch zur ästhetischen Erziehung, zumindest dort, wo die deutsche Zunge klingt ...

Kositza: Ich weiß leider nicht, worum es geht Es gibt mehrere Admins, an einem Buchstabensalat bin ich jedenfalls unschuldig.

FraAimerich

30. November 2024 12:20

@H. M. Richter  -  Durchaus nicht, ich liebe die "Herzkönigin" wirklich. Schätze auch Müllers "proletarischeren" Humor. Nicht zuletzt wollte ich auf dessen wunderbare Gespräche mit Alexander Kluge erinnern. Sie waren meist der Grund, wenn in meiner Studentenbude der Fernseher lief. Müller glänzte mit so vielen bitter-herrlichen Anekdoten. Über Althusser den "Handarbeiter" zum Beispiel, der seine Frau erwürgte, um die "quälenden Stimmen der Partei" aus seinem Kopf zu vertreiben...
 
Und das "Geheimnis" habe ich ja verraten (wollen). Doppelte Eingabetaste ergibt Absatz plus Leerzeile. 

Gracchus

30. November 2024 13:18

Wenn ich von der gesamten Liste nur ein Buch auswählen müsste, fiele die Wahl überraschend klar auf Kafkas Schloss. Es ist das Buch, das ich am häufigsten gelesen habe. Warum? 1. die einfache, klare Sprache; Kafka ist Sprache; Sätze voller Falltüren, voll überraschender Wendungen, die die ratio blockieren 2. weil uns Kafka eine ganz eigene unausdeutbare Welt vorstellt, man liest wieder wie als Kind, man braucht keine Bildung 3. die Nähe zum (Alp-)Traum 4. die Nähe zum biblischen Erzählen. 

Kurativ

30. November 2024 13:36

Von den gelesenen Büchern sind einige Werke immernoch inhaltlich präsent. Andere kennt man nur noch von Titel her. Für mich ist das ein wichtiges Maß.
Mein Vorschlag: Die anderen Listen unten "verlinken"

H. M. Richter

1. Dezember 2024 12:31

@FraAimerich
Ihre Müller-Verehrung war unschwer herauszulesen, aber Ihre Jenosse-Anrede traf mich vorm Kirchgang fast wie einst auf dem Kasernenhof beim albtraumhaften Wehrdienst und ich wußte nicht, ob ich mir ein Augenzwinkern nur einbildete … //
 
@Kositza
Danke für Ihre Antwort, aber es ging um ein Hacks-Gedicht im unmittelbar darüber stehenden Kommentar, das in Strophenform als Hacksens Tiger gesprungen ist, soll heißen abgeschickt wurde und bedauerlicherweise nur als typographischer Bettvorleger im veröffentlichten Kommentar zu lesen ist bzw. als Wort-Salat entziffert werden muß. //
 
Es bleibt die Vorfreude auf eine vielleicht im kommenden Jahr in Angriff genommene Offene Liste mit Erzählungen, Gedichten, Theaterstücken, Essays u.a.