Der Autor Christian Schneider, ein Sozialpsychologe aus Frankfurt am Main, ist ohne Zweifel ein Sympathisant Wagenknechts, doch seine pünktlich zur Buchmesse vorgelegte Biographie (hier bestellen) ist, so viel kann vorweggenommen werden, mehr als eine unkritische Eloge; sie beinhaltet ein eindrückliches und überaus lesenswertes Porträt einer vielschichtigen, umstrittenen und – gesundheitlich wie politisch – angeschlagenen Ausnahmefigur.
Eine Biographie über eine politische Persönlichkeit von fünfzig Lebensjahren zu schreiben, ist im Normalfall begründungspflichtig. Nicht im Falle Wagenknechts. Ihr Leben, ihr Wirken, ihre Erscheinung – »rätselhaft« für viele Menschen, wie Schneider mit Recht anmerkt. Dabei ist Wagenknecht keine Charismatikerin und doch charismatisch.
Quer über alle Lager hinweg hat sie sich über die Jahrzehnte Sympathien verdient, und selbst in rechtsorientierten Kreisen heißt es bisweilen, Wagenknecht sei »anders« als die bundesdeutsche Mehrheitslinke und daher respektabel. Quer über alle Lager hinweg hat sie sich jedoch auch einen ansehnlichen Stamm an fundamentalen Gegnern und gar Feinden aufgebaut; sie kommen primär aus dem eigenen linken Milieu.
Diesen Umstand – die linke Ikone Wagenknecht als meistgehaßte Person innerhalb der Linken – habe ich ausführlich in meinem kaplaken-Band Blick nach links nachgezeichnet. Wichtig ist an dieser Stelle folgender Part:
In ihrem neusten Buch Reichtum ohne Gier hat Wagenknecht soziale Programmpunkte mit konservativen Argumenten verwoben. Leitsätze wie »Demokratie lebt nur in Räumen, die für Menschen überschaubar sind«, die Maxime »Nicht Bindungslosigkeit, sondern Bindung macht frei, weil nur sie Halt gewährt« oder ihr Standpunkt »Wer Gastrecht mißbraucht, hat Gastrecht verwirkt« atmen den Geist einer realistischen Linken, wie es sie seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat. Realitätssinn ist in der heutigen Linken aber gefährlich: Es klafft eine ansehnliche Kluft zwischen den antideutschen Befindlichkeiten vieler Parteiaktivisten und der Wahrnehmung der deutschen Wähler, die Wagenknecht als authentische und aufrichtig um Bürger‑, nicht um Konzernwohl bemühte Linke akzeptieren. Nur deshalb ist Wagenknecht geduldet. Wie lange man das zum Wohle der Wahlergebnisse durchhält, wird sich zeigen.
Einige Monate später ist Wagenknecht innerhalb der Linkspartei weitgehend Geschichte. Ihr Projekt »Aufstehen« ist am Ende, aus der Spitze der Bundestagsfraktion zieht sie sich zurück, und die Kipping-Riexinger-Clique führt die Linke 2019 dorthin, wo sie ohne Wagenknechtsche Positionen verdientermaßen hingehört: in den Bereich um bundesweit 5 bis 8 Prozent, weil man Wagenknecht demontierte, weil der Nimbus der Ostpartei verloren ging.
Ist eine Beschäftigung mit Wagenknecht daher nur etwas für hartgesottene Anhänger, Politikwissenschaftler oder Historiker? Mitnichten. Zum einen ist der Prozeß des Politischen kontingent, ergebnisoffen, und es ist möglich, daß eine genesene Wagenknecht eines Tages zurück auf die wirkmächtige politische Bühne gelangt; dann ist es nützlich, die Person besser einschätzen und »lesen« zu können. Zum anderen werden anhand der Person Wagenknecht interessante Lehren aus der jüngeren deutschen Geschichte verständlicher und plastischer.
Wagenknechts Lebensweg, und das zeigt Schneider eindrücklich auf, ist ein stetes Ringen, Verschnaufpausen kennt sie – zum Leid ihrer Gesundheit – kaum. 1969 in Jena geboren, muß sie mit zweieinhalb Jahren den Weggang ihres persischen Vaters verkraften; Mutter und Großmutter (bei Geburt Sahras erst 39) versuchen, das entstandene Vakuum zu füllen. Das gelingt nicht immer, und sicherlich ist der Verlust der väterlichen Bezugsperson eine Konstante, die Wagenknechts Bewußtsein bis heute begleitet. Als Kind verkleidet sie sich »orientalisch«, schreibt unbeantwortete Briefe an ihn, versucht sich an persisch anmutender Handschrift.
Hinzu kommt, daß sie als fremd anmutendes Kind in der DDR durchaus auffällt; sie ist einfach »anders« und wird häufig angefeindet (»Chinesin!«) oder zumindest abschätzig beäugt. Dies führt unter anderem auch dazu, daß sich Wagenknecht bereits als Kind ein eigenes Reich der Bücher gestaltet; für Schneider sind die zahllosen Lektürestunden als Kind der »Zugang zu der unerschöpflichen Lustquelle ihres Lebens«. Man kann auch autistische Züge konstatieren, die damit verbunden sind, und in unterschiedlichsten Lebensphasen wird Wagenknecht die heilsame Flucht in das Buchstabenreich antreten, um sich vor realexistierenden Nöten zu schützen – die Lust an der Theorie und dem Gedruckten ist sicherlich von Kindesbeinen an implementiert.
Damit verbunden ist ein früh erschlossener Literaturkanon, der stark mit Goethe verknüpft ist – auch diese Liaison hält bis heute an. Schneider, der ein ganzheitliches Porträt vorzulegen gedenkt, verzichtet dann auch nicht auf eine Anekdote, nach der die adoleszente Sahra einen Jungen vor dem Tanz herausfordert: »Wenn du mir ein Gedicht von Goethe rezitieren kannst, dann ja.«
Uneinig ist sich die Forschung über Wagenknechts materielle Realität in den ersten Lebensjahren. Während manchmal geunkt wurde, sie habe die Nöte und Sorgen der normalen Leute Tag für Tag erlebt, wird eine frühere Schulfreundin zitiert, die – trotz großer Sympathie für Sahra – betont, daß Wagenknecht als junge Neu-Berlinerin und unter Obhut ihrer Großmutter, die als Konsum-Leiterin über privilegierten Zugang zu Lebensmitteln und Waren verfügte, die eigentliche Realität gar nicht kannte; sie habe sehr gut gelebt und damit eine andere Wahrnehmung von der DDR bekommen als jene Menschen, die in der »Provinz« – und das war in der DDR alles außerhalb von Ostberlin – aufwuchsen.
Wagenknecht konnte sich daher gewisse Luxusmomente einer Großstädterin leisten: beispielsweise mit 13 in der Punkerszene Eindrücke sammeln. Pubertäre Fluchtpunkte überwand sie jedoch alsbald, und hier spielte Goethe wieder eine Rolle – sie übernahm mit jungen Jahren bereits die Leitung der Berliner Ortsgruppe der Goethe-Gesellschaft. Neben Goethe sind es, nun allmählich erwachsen, Marx und Engels, die von Wagenknecht verschlungen werden; zum 18. Geburtstag erhält sie von ihrer Mutter die 42bändige Marx-Engels-Werkausgabe (MEW).
Die Vielleserin bastelt sich in diesen Jahren den sie prägenden Grundstock der Literatur. Neben Goethe, Marx und Engels stürzt sie sich auch auf Hölderlin, Schelling und Hegel. In ihr wächst der Gedanke heran: Das richtige Denken muß zur Tat leiten, die Bücher müssen lebendig sein; eine gewissermaßen sehr »deutsche« Synthese.
Zugleich wird aber auch deutlich, daß Wagenknechts Faible für das Theoretische und Buchstabenbasierte zu einer gewissen dogmatischen Orientierung an ewiggültigen Weisheiten und einer damit verbundenen Realitätsverleugnung führt. Während die DDR untergeht und das Gros ihrer Mitglieder das Mutterschiff der Regierungspartei SED verlassen, begehrt sie um Einlaß und wird in die Turbulenzen erleidende Partei aufgenommen – zweifelsohne das Ergebnis einer »Mischung von Trotz und Radikalität« (Schneider).
Schneiders Passagen über jene »Wendejahre« zählen zu den stärksten des Buches. Während Hunderttausende Ostdeutsche 1989/90 in den Westen reisen, konsumieren und sich an neuentdeckten Freiheiten berauschen, agitiert Wagenknecht innerhalb der neu benannten PDS auf dem linken Flügel gegen den nahenden Verrat an den Fibeln der Wahrheit, also den klassischen Werken des Marxismus-Leninismus. Ihr Buchstabenglaube verbietet es ihr zu diesem Zeitpunkt noch, sich verändernde Realitäten in ihre Analysen einzubeziehen – was ihren Biographen zur heute dominierenden Problematik ausführen läßt, wonach überall dort, wo »sakrosankte Gewissheit« herrsche, »der Bewegungsraum der Reflexion verloren« gehe.
Ihr Kampf gegen eine »reformistische« und »opportunistische« Wendung der SED-PDS ist so aussichtslos wie stilbildend. Ein Plädoyer Wagenknechts, das damals gegen die Führung ihrer Linkspartei gerichtet war, erhält heutzutage, unter fundamental veränderten Ausgangspunkten, eine neue Gültigkeit:
Der Ausweg aus einer Sackgasse läßt sich gemeinhin nicht dadurch finden, daß man den Lauf in die ausweglose Richtung mit beschleunigtem Tempo fortsetzt.
Doch die ehemalige SED als temporäre PDS und spätere Linkspartei wollte damals wie heute nicht auf Wagenknecht hören; Sturheit und Starrsinn zählen zur DNA der deutschen Linken. Auch aus diesem Grund wendet sich Wagenknecht an den Dichter und Schriftsteller Peter Hacks (1928–2003), um geistiges Manna zu beziehen oder zumindest um Antworten zur desolaten Lage zu erhalten. Hacks und Wagenknecht verbindet primär die gemeinsame Liebe zu Goethe, zur Weimarer Ästhetik und zur Doktrin des Sozialismus – man wird sich geistig rasch nahe stehen.
Nach einem Briefwechsel und persönlichen Treffen wird Hacks, so Schneider, zum »Mentor«, ja geradewegs zur »Lichtgestalt« und zum »Leitbild« Wagenknechts. Von Hacks übernimmt Wagenknecht bereits in ihrer doktrinären marxistischen Phase der 1990er Jahre die Einsicht, daß ein sozialistisches Modell unmöglich realisierbar ist, wenn die Produktionsmittel ausschließlich in staatlicher Hand konzentriert sind; die Praxis beweise, daß Kleinbetriebe in privater Hand effektiver und produktiver wirksam sind. Hacks bezeichnete diese für einen Kommunisten durchaus fortschrittlichen Position als »unreinen Sozialismus«, und beide, Hacks wie Wagenknecht, waren sich einig, daß dies keineswegs pejorativ zu verstehen sei, sondern die Funktionsfähigkeit sozialistischer Ökonomie erst ermögliche.
Aber Hacks und Wagenknecht suchten nach der »Konterrevolution« von 1989/90 (Hacks dixit) keinen Ausweg in den Schriften nichtmarxistischer Sozialisten – von Ota Šik bis Marcel Mauss –, sondern, ihrem habituellen und ideologischen Maß von einst entsprechend, in der Prä-Honecker-Zeit, als Walter Ulbricht sich an Reformen in Richtung eines »Neuen Ökonomischen Systems« versuchte; ein Systemkonzept, das allerdings an Sowjeteinsprüchen noch vor etwaigen Realisierungsversuchen scheiterte.
Frappierend ist an dieser Stelle, daß die damaligen Motive Hacks und Wagenknechts für eine Erneuerung des Sozialismus – Leistungsprinzip stärker berücksichtigen, der Intelligenz höheren Rang zuweisen, Fokussierung auf Zukunftsindustrien und neue (private) Eigentumsformen jenseits der real existierenden Mißwirtschaft, Dezentralisierung – heute wieder aktuell bei Wagenknecht zu finden sind. Freilich: Seit einigen Jahren vertritt sie ebenjene Positionen im Rahmen eines »kreativen Sozialismus« nicht mehr mit Verweis auf Ulbrichts gescheitertes Reformstreben Anfang der 1960er Jahre, sondern, als Ergebnis jahrelanger Denkprozesse, im Anschluß an soziale Züge ordoliberaler Instanzen wie Walter Eucken oder Alexander Rüstow. Und doch sind diese Kontinuitäten für den Leser interessant und regen zum eigenständigen Weiterlesen an.
Das enge geistige Verhältnis von Hacks und Wagenknecht darf indessen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Beziehung durchaus hierarchisch war. Wagenknecht bewunderte ihren Meister, aber dieser verhielt sich nicht ausnahmslos anerkennend, was der Biograph Schneider jedoch zu wenig einfließen läßt. In Hacks’ gesammelten politischen Texten, die als Marxistische Hinsichten von den Nachlaßverwaltern veröffentlicht wurden, äußerte sich dieser etwa im Jahr 2000 über ein Buch Wagenknechts (Kapital, Crash, Krise) und befand, daß er »Lenins Sklavensprache« dann doch noch »griffiger« finde als »Wagenknechts Sklavensprache«.
Ansonsten taucht Wagenknecht in den 600 Seiten Hacks nur an zwei weiteren entlegenen Stellen kurz auf. Einmal verteidigt er sie gegen ihr direktes Umfeld in Form ihres durchaus zwielichtigen Ehemanns Ralph Niemeyers und der Akteurin der PDS-immanenten Kommunistischen Plattform (KPF) Ellen Brombacher; ein weiteres Mal wird Wagenknecht am Rande einiger Überlegungen zum Verhältnis von Kapital und Arbeit namentlich genannt. Ansonsten schweigt sich Hacks in seinen politischen Texten zu ihr aus.
Aber auch wenn Schneider diese Beziehung in einem für Wagenknecht deutlich günstigeren Licht erscheinen läßt, so ist doch unstrittig, daß Hacks ihr Kontakt zum Hegelianer und DKP-Idol Hans Heinz Holz vermittelte. Der Bloch-Schüler ermöglichte ihr im niederländischen Groningen ihre Magisterarbeit abzuschließen, was im Deutschland nach 1990 für sie nicht möglich gewesen ist. Ohnehin fremdelte sie mit der um die neuen Bundesländer erweiterte BRD; in Frankfurt am Main oder Hamburg könnte sie nicht leben, schrieb sie noch 1995 – also einige Jahre bevor sie dann ausgerechnet im tiefsten Saarland eine neue Heimat fand.
Den Weg dorthin schildert Schneider kenntnisreich; die merkwürdig anmutende Ehe mit dem strafrechtlich in Erscheinung getretenen Ralph Niemeyer wird ebenso dem Leser verständlich gemacht wie ihre neue Liebe in Person der sozialdemokratischen Reizfigur Oskar Lafontaine, die 2011 offiziell wurde und innerhalb wie außerhalb der Linkspartei, die nach dem Zusammenschluß von gewerkschaftsdominierter WASG und Linkspartei.PDS entstand, für großes Interesse sorgte.
Hervorhebenswerter als diese Abschnitte sind, speziell für den von »rechts« kommenden Leser, die Auseinandersetzung mit Wagenknechts ideenpolitischem Werdegang. Man muß regelrecht von einer Diskurspiraterie von links sprechen, die sie in den letzten Jahren unternahm, um ihre sozialistischen Klassiker mit der modernen Volkswirtschaftslehre und gewissen Strömungen des Ordoliberalismus zu versöhnen. Eigeninitiative, Erfindergeist, Risikoübernahme, neue Eigentumsformen, Gemeinschaftsdenken, Schaffung von Bindungen und Vertrauensräumen, Schutz vor neofeudalen Entwicklungen des Finanzmarktkapitalismus – das sind einige der neuen Eckpfeiler der kreativen Sozialistin, die Stalin und Ulbricht seit 20 Jahren hinter sich gelassen hat.
Davon unbenommen bleibt, wie ich in Blick nach links versuchte klarzustellen, der blinde Fleck – auch Wagenknechts – das Volk. Sie spricht von sozialem und politischem Frieden, von Vertrauensräumen, von solidarischen Beziehungen der Bürger zueinander, von Heimatbezügen und entortetem Kapitalismus – aber wie will sie diese Felder wirkmächtig verknüpfen ohne ein positives Verhältnis zu tradierten Strukturen (Familie, Religion, Volk, Nation usf.) mitzubringen? Wirtschaftlich hat Wagenknecht also ihr Portfolio erweitert und auf kluge Art und Weise sozialistische mit ordoliberalen Standpunkten auf der Höhe der Zeit synthetisiert, aber just in bezug auf Volk und Staat hat diese Weiterentwicklung nicht stattgefunden. Ein solcher Weg müßte sie sonst zweifellos in die Sphären eines »Solidarischen Patriotismus« führen, was ein unvorstellbarer Bruch in ihrer Vita wäre.
In diesem Kontext muß gleichwohl Wagenknechts Promotion an der TU Chemnitz erwähnt werden. Ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften samt Doktorarbeit über The Limits of Choice. Saving Decisions and Basic Needs in Developed Countries resultierte ja explizit aus der von ihr erkannten Notwendigkeit heraus, geistig »voranzukommen« und neue Wege des (politischen und ökonomischen) Denkens zu erschließen.
Marxismus – das ist für die einstige »Neo-Stalinistin« Wagenknecht längst keine Handlungsanweisung oder eine absolute Wahrheit mehr, sondern lediglich ein »Analysemittel«, ja ein »Instrumentarium« für gesellschaftskritische Überlegungen. Wenn Wagenknechts Linkspartei-Genossin Sevim Dagdelen also recht hat, daß es mittlerweile keine andere Person gebe, die »dermaßen am argumentativen Wettstreit interessiert sei« wie Wagenknecht, dann stünde einer Einladung nach Schnellroda zu einem Vortrag samt ergebnisoffenem Streitgespräch nichts mehr im Wege. Alleine, so weit reicht die kolportierte Diskursorientierung dann wohl doch nicht, und der erwähnte blinde Fleck – er bleibt hartnäckig bestehen.
Dessen ungeachtet ist der Weg hervorhebenswert, den die Publizistin und Wissenschaftlerin Wagenknecht in der Politik seit nun 30 Jahren zurücklegt. Europäisches Parlament, Bundestag, Talkshows, Buchlesungen – es gibt viele Orte, die mit Wagenknechts Vita untrennbar verbunden sind, und Schneider stellt Verbindungslinien her, wo es nötig ist, und trennt einzelne Lebensabschnitte dort, wo es für das biographische Verständnis jener Intellektuellen, die so allgemeinverständlich und volksnah argumentiert, hilfreich erscheint.
Auch ihre Bücher – allen voran Freiheit statt Kapitalismus, Reichtum ohne Gier und Couragiert gegen den Strom – werden samt Entstehungsphase untersucht. Deutlich wird, daß die Denkerin Wagenknecht eben keine realpolitische »Rudelführerin« ist – und eben dies ist einer der entscheidenden Faktoren dafür, daß sie es in der Linkspartei seit 1990 nicht versteht, strukturelle bzw. organisatorische Mehrheiten für ihre Ideen zu schaffen.
Intrigen, Aggressivitäten und Ränkeschmiedereien überläßt sie seit jeher den Kippings, Riexingers und Konsorten. Es ist dies ein Umstand, der für Wagenknechts politisches Standing in der Linkspartei erwiesenermaßen schlecht ist, für die politische Rechte aber gar nicht hoch genug zu bewerten ist, weil somit ein wirkungsvoller Linkspopulismus in Deutschland – vergleichbar der Linksfront in Frankreich oder Podemos in Spanien – unmöglich wurde und die AfD entsprechende Felder insbesondere im Osten effektiv besetzen konnte.
Wird Wagenknecht nach dem gescheiterten Aufstehen ihrer Gesinnungsgenossen noch einmal in die große Politik und den Meinungsstreit der notorisch zerrütteten Linkspartei zurückkehren? Man darf skeptisch sein, wenn man im »Proust-Fragebogen« die Antwort auf die Frage liest, was sie sein möchte:
Eine Schriftstellerin, deren Bücher gesellschaftliche Debatten auslösen.
Bücher, man merkt es in jeder Zeile der Biographie, sind Wagenknechts Lebenselixier. Die Politik ist momentan ihr Beruf, aber nicht ihre Berufung; nur die stete Lektüre hat dafür gesorgt, daß sie unverwechselbar, aber nicht unveränderlich wurde. Den Leser bei dem Nachvollzug dieses Lebensprozesses mitzunehmen ist das Verdienst des Biographen Christian Schneider, die Spannung des Buches verdankt man jedoch einzig und allein der Porträtierten selbst. Man sollte es wirklich lesen.
+ Die Biographie Sahra Wagenknechts aus der Feder von Christian Schneider kann man hier bestellen.
+ Die Reihe Wagenknecht, die »soziale Frage« und wir begann Benedikt Kaiser anläßlich der Ankündigung des Projekts »Aufstehen« durch Wagenknecht und Bernd Stegemann im Juni 2018; es empfiehlt sich, die Beiträge chronologisch zu lesen: 1, 2, 3, 4, 5 und 6.
+ Den kaplaken-Band Blick nach links, in dem Kaiser linke Theoriebausteine, Zerwürfnisse, Strategien und Praxisversuche analysiert und aufspießt, kann man hier bestellen. Der Band beinhaltet zudem die einzige vorliegende neurechte Standortbestimmung im Verhältnis zu Sahra Wagenknecht.
+ Alle gegenwärtig lieferbaren Titel Wagenknechts zur eigenen kritischen Auseinandersetzung sind bei antaios.de verfügbar.
Franz Bettinger
Sehr schön, dass die Aversionen - die Sarah Wagenknecht, als ich die Frau vor zwei Jahren auf SiN positiv erwähnte - versickern. Diese Frau verdient unsere Aufmerksamkeit. Ja, sie hat ihre unpolierten Seiten, ihre Defizite - ich übrigens auch - aber diese sind möglicherweise der Taktik oder eines puren Überlebens-Instinktes geschuldet, also verzeihlich. Ihre Union mit dem gleichermaßen von mir verehrten Oskar Lafontaine, fand ich märchenhaft. Was für ein Schlag ins Gesiicht ihrer innerparteilichen Neider! Schade, dass die zwei nicht wirklich zu uns gehören. Ihre Reserviertheit mag Vorurteilen (vor Rechten) und Unkenntnis geschuldet sein, denn an Intellekt mangelt es dort nicht. Schade, schon aus optischen Gründen, sie nicht bei mir am Lagerfeuer sitzen zu haben.