Den Grund habe ich in meinem ersten Kaplakenband Besetztes Gelände genannt, eine Abhandlung über die Darstellung des zweiten Weltkriegs im Film, die nun auch schon wieder zehn Jahre alt (und vergriffen) ist. Es geht im Grunde um nichts anderes als die Binsenweisheit, daß der Sieger die Geschichte zu seinen Gunsten schreibt, und es häufig nicht lange dauert, bis die Besiegten und Unterworfenen sich mit seinen Augen sehen – im Film gilt dies sogar buchstäblich.
Ich zitierte in diesem Buch den französischen Filmregisseur Jacques Rivette, der 1961 schrieb: „Einen Film zu machen bedeutet, bestimmte Dinge aus einem bestimmten Blickwinkel heraus zu zeigen. (…) Es kann keine absolute Inszenierung geben, wie es auch keine Inszenierung im Absoluten geben kann.” Ich kommentierte dies so:
Es gibt aber auch keine Filmbetrachtung im Absoluten, stets hat sie ihren subjektiven und filternden Resonanzraum um sich herum. Ein Film über die Vergangenheit ist immer auch ein Film über die Gegenwart, als Spiegel und Projektionsfläche des „Zeitgeistes“. Darin ähneln sich historische und Science-Fiction-Filme. Der Anspruch des Films als Medium der „Erinnerung“ im Sinne des „So ist es gewesen!“ ist trügerisch, gerade weil er mit physischen Evidenzen vor der Linse der Kamera arbeitet. Aber schon allein durch den Standort und den Bildausschnitt, den der Kameramann wählt, wird eine Aussage über das Abgebildete getroffen.
Schon für den nichtfiktionalen Film gilt, daß das Maschinenauge einer Kamera nur eingeschränkt „objektiv“ sein kann. Auch „dokumentarisch“ gewonnenes Material bedarf einer Deutung und Einordnung durch Kommentar und Montage. Seit den Anfängen der Fotographie wissen wir, daß auch ein Foto lügen oder eine Meinung haben kann. Diese Erkenntnis zählt in einem mediengesättigten Zeitalter zu den Binsenweisheiten.
Das alles gilt natürlich erst recht für die Geschichte der Kriege und Revolutionen des 20. Jahrhunderts, in denen die neuen Medien Film, Foto, Rundfunk und Fernsehen massiv zum Einsatz kamen (die Druckerpresse hatte schon einige Jahrhunderte Propagandadienst auf dem Buckel), um unsere Wahrnehmungen und Urteile der Geschehnisse zu formen und unsere Emotionen zu steigern und zu steuern. Das beginnt bereits im Spanisch-Amerikanischen Krieg (1898) und endet nicht mit den NATO-Einsätzen gegen Serbien (1999).
Dabei versteht sich von selbst, daß Kriegspropaganda, egal welcher Seite, durch extreme Zuspitzungen geprägt ist, was die Darstellung des Feindes angeht, während die eigenen Gräueltaten vertuscht, verkleinert oder gerechtfertigt werden. Für Differenzierungen ist mitten im Kampf auf Leben und Tod keine Zeit, und häufig dauert es auch danach sehr lange, bis die “heiße” Phase abkühlt und differenziertere Darstellungen auftauchen (das wird dann gerne als “Geschichtsrevisionismus” verunglimpft, obwohl permanente Revision zum Handwerk des Historikers gehört).
Ich könnte mich nun endlos über dieses Thema auslassen (nachzulesen in Besetztes Gelände), und ich habe es auf diesem Blog seit über einem Jahrzehnt kontinuierlich getan, beispielsweise hier, hier, hier, hier, hier und hier. Die Filme, die seit Kriegsende über den zweiten Weltkrieg produziert wurden, haben stets einen politischen und zeitbedingten Hintergrund, und es macht einen perspektivischen Unterschied, ob sie, sagen wir 1945, 1955, 1965, 1985 oder 2015 produziert wurden, ob in der BRD oder der DDR, ob in Hollywood oder von Mosfilm, ob in einem Ost- oder Westblockland, ob in einem Land, das von Deutschland okkupiert oder sein Verbündeter war.
Es gibt Kapitel, Aspekte und Ereignisse des Krieges und seiner Vor- und Nachgeschichte, die entweder gar nicht oder selten oder stark geklittert im Film dargestellt wurden: darunter fallen Flucht und Vertreibung, sämtliche alliierten Kriegsverbrechen, kommunistisch-sowjetische Verbrechen, die Massaker der politischen “Säuberungen” von 1944/45 (etwa in Frankreich und Italien), aber auch die Mitschuld der Siegermächte an Ausbruch und Eskalation des Krieges oder auch nur die ungefilterte Darstellung der Perspektive und Motivationslage der Achsenmächte und ihrer Verbündeten und Freiwilligen.
Alle diese Dinge sind auch deshalb kaum im kollektiven Bewußtsein der Öffentlichkeit präsent, weil sie im Gegensatz zu anderen Themen viel seltener Gegenstand von Spielfilmen, Dokumentationen und Serien waren, und wenn, dann oft in gezähmter Form.
Dabei ergeben sich je nach Land unterschiedliche Konstellationen und Perspektiven: Es dauerte Jahrzehnte, bis der polnische Film die Wahrheit über Katýn und die sowjetische Okkupation Polens zeigen konnte, oder baltische Länder Filme wie 1944 produzieren konnten, in dem estnische Waffen-SS-Freiwillige differenziert und mit nachvollziehbaren Motiven dargestellt werden.
Es ist aber selbst in Ländern wie Rumänien, in denen der Kommunismus nach dem Krieg besonders brutal gewütet hat, schwierig, die antikommunistische Seite sympathisch darzustellen: der Film Portrait of the Fighter as a Young Man (2010) über Ion Gavrilă Ogoranu, der über ein Jahrzehnt lang einen Guerilla-Kleinkrieg gegen die Securitate anführte, bekam international heftigen Gegenwind, weil Ogoranu Mitglied einer Jugendorganisation der “Eisernen Garde” gewesen war.
Dabei einigt die Nationalgeschichte unzähliger Länder von Osten bis Westen, von Norden bis Süden die gemeinsame Erfahrung der deutschen Okkupation und ihrer Befreiung davon (hier ist das Wort auch angebracht): Russland, Polen, Ukraine, Tschechien, Slowakei, Dänemark, Norwegen, Frankreich, Belgien, Niederlande, Jugoslawien, Griechenland. In seiner Novelle “Deutsches Requiem” schrieb Jorge Luis Borges: “Unter dem Ansturm weitläufiger Kontinente starb das Dritte Reich. Es hatte die Hand gegen alle aufgehoben, und die Hände aller griffen nach ihm.” Es gibt also einen internationalen Konsens, Deutschland als den eigentlichen Schurken des Krieges zu sehen, und das hat nachvollziehbare Gründe.
Inwiefern diese militärische Expansion nach allen Seiten der Dynamik des Kriegsverlaufs geschuldet war, steht auf einem anderen (Historiker-)Blatt – so kann es keinen Zweifel daran geben, daß “Operation Barbarossa” ein Präventivschlag war, der einem bevorstehenden Angriff Stalins zuvorkam. Der deutsch-sowjetische Krieg wurde auf beiden Seiten mit beispielloser Grausamkeit geführt, aber die Sympathien der Welt und der Geschichtenerzähler werden immer auf der Seite des Verteidigers sein, weshalb die Gräuel der Roten Armee auf deutschem Boden auch heute noch von vielen als nicht unverdiente Vergeltung gesehen und gemäß einer Hierarchie der Opfer auf der Skala des Entsetzlichen heruntergestuft werden.
Im Jahr 2020, 75 Jahre nach Kriegsende, ist das öffentliche Bild, das vom Zweiten Weltkrieg und der Zeit der NS-Herrschaft (wie auch der Weimarer Republik) platter, greller und gespenstischer als je zuvor. Alexander Gauland kann hierzu im Grunde dasselbe sagen, wie Richard von Weizsäcker in seiner berühmten Gedenkrede aus dem Jahr 1985, schon bloße Ambivalenzen gelten als unerträglich, rechtsradikal, proto-nazistisch. Allerdings waren die Deutschen nie gut im Ertragen von Ambivalenzen, und Thorsten Hinz bemerkte zurecht:
Je länger das Dritte Reich zurückliegt, desto manischer nimmt es die deutsche Geschichte in Beschlag. Die Simplifizierung der historischen Gemengelage entspricht den Bedürfnissen einer nivellierten Gesellschaft, die sich jede kognitive Dissonanz ersparen will. Die wäre unvermeidlich, wenn sie die Redlichkeit ihrer Besieger von 1945, die sie unter dem Eindruck der Umerziehung auch als moralische Vormächte anerkannt hat, selbst ansatzweise in Zweifel ziehen müßte. (…)
Zwei verlorene Weltkriege, die Verwüstungen, Verluste und moralischen Hypotheken, die Teilung in zwei Staaten, die in verfeindete Machtblöcke eingespannt und dabei erneut zu Frontstaaten wurden, sind eben mehr, als ein Volk ertragen kann. Aus innerer Not befreit die Bundesrepublik sich von Deutschland.
Einer bequemen und zum Infantilen neigenden Zeit ist der Begriff der Tragödie abhanden gekommen, und so wird auch die Vergangenheit zu einer Projektionsfläche von schwarz-weißen Filmen, von Affekten, Komplexen und ideologischen Rechtfertigungen aller Art. Es wird dazu aufgerufen, am 8. Mai die “Befreiung” zu feiern, und das Leiden und die Opfer unserer Väter und Mütter, Großväter und Großmütter, inzwischen schon Urgroßväter und Urgroßmütter, zu bagatellisieren, zu verdrängen, zu leugnen, ihre Generation pauschal als “Nazis” zu ächten, und diese wiederum als Comicdämonen aus einem Hollywood-Film darzustellen. Das muß jedem fühlenden und denkenden Menschen, der die Geschichte tatsächlich nicht vergessen hat, als überaus niederträchtig erscheinen.
Kommen wir nun aber zu der Frage zurück, wie das Kriegsende im Film gezeichnet wurde. Eine zentrale These von Besetztes Gelände ist, daß den Deutschen im Laufe der Zeit zunehmend die Eigenperspektive verlorenging, und sie schon aus politisch-historischen Gründen außerstande waren, das eigene Trauma konfrontieren, ohne die deutende Brille der Siegermächte aufzusetzen (und dies nicht zu tun, bedeutet keineswegs zwangsläufig, sich stattdessen eine nationalsozialistische Brille aufzusetzen).
Gewiß entstanden auch unter diesen Rahmenbedingungen Filme und Belletristik von Rang und Wert, die imstande waren, ein gutes Stück Wirklichkeit zu bewältigen, zu bewahren, zu deuten und erfaßbar zu machen. Aber man muß diese Filme und Bücher immer wieder nach Lücken, nach Übermalungen, nach Kompensationen, nach Nicht-Gesagtem, zwischen den Zeilen oder den Bildern Stehendem, nach ihrem historischem Kontext abklopfen und befragen.
Besonders aufschlußreich ist es etwa, die Buchvorlage Eine Frau in Berlin (1959) mit der Filmversion von Max Färberböck zu vergleichen, wie ich es 2008 in dieser Besprechung für die Junge Freiheit getan habe. Hier geht es nicht bloß um filmdramaturgische “Übersetzungen” in ein anderes Medium, sondern um gezielte, “geschichtspädagogische” Retuschen. Laut einer Pressemitteilung plante Färberböck zunächst sogar, die Geschichte aus der Sicht eines russischen Soldaten zu erzählen – deutlicher kann man die neurotische Schwellenangst der Deutschen vor der eigenen Perspektive kaum illustrieren. Aber auch die Perspektive der “Anonyma” Marta Hiller wurde nur teilweise übernommen, stattdessen wird ein Blick angeboten, wie man ihre und die Berichte anderer Frauen über die russischen Massenvergewaltigungen heute wahrnehmen und einordnen kann, ohne allzu sehr am Gesamtnarrativ zu rütteln.
Den wohl bekanntesten Kriegsende-Film, Der Untergang (2004), lasse ich außen vor, da hier das Schicksal Hitlers und der Führerbunkerinsassen im Mittelpunkt steht, und weniger der Zivilbevölkerung. Er zeichnet sich durch einen erhöhten Realismus aus, was von Teilen der Kritik auch irritiert aufgenommen wurde. Hitler erschien manchen zu “menschlich”, zu real, und weniger als der eindimensionale Dämon unzähliger anderer Filme. Wim Wenders klagte, es handle sich um einen Film ohne (ausreichend antifaschistische) “Haltung”, eine häufige Reaktion, wenn ein Film über Weltkrieg und Nationalsozialismus den üblichen Deutungsrahmen strapaziert. Im Untergang fehlte manchen der Haltegriff der erzieherischen “message”, und sie wurde dem Film erst im Nachspann durch ein paar Selbstanklagen der realen Traudl Junge aufgepappt.
Ich empfinde ihn trotz eindrucksvoller Szenen und schauspielerischer Leistungen insgesamt als etwas hohl, er ist ähnlich wie sein Nachfolger aus dem Hause Eichinger, Der Baader-Meinhof-Komplex (2008), eine technisch perfekte und detailierte Geisterbahnfahrt in die deutsche Geschichte ohne großen Tiefgang. Da ziehe ich persönlich Der letzte Akt (1955) von G. W. Pabst mit Oskar Werner und Albin Skoda (als Hitler) vor, der zwar weitaus stärker auf eine Botschaft (gegen Krieg, Militarismus und Faschismus) getrimmt ist als der Eichinger-Film, sich aber durch seine historisch “nahe” Atmosphäre auszeichnet, vor allem, was den Habitus der Soldaten und Militärs angeht.
Zum Jahrestag der deutschen Kapitulation möchte ich jedoch einen anderen, weniger bekannten, aber hochinteressanten Film genauer betrachten und analysieren: Die DEFA-Produktion Ich war neunzehn aus dem Jahre 1968 unter der Regie von Konrad Wolf, hier empfohlen von der Bundeszentrale für politische Bildung. Mehr davon im zweiten Teil dieses Beitrags.
Andreas Walter
Kann man so sehen, muss man aber nicht.
Ohne die "Nazis" wäre (auch) ganz Deutschland schon 1920 zu einer Art DDR geworden, und damit auch zu einem Teil der “glorreichen Sowjetunion“ und seinen Massenmördern.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-als-stalin-die-menschen-zu-kannibalen-machte-a-458006.html
https://youtu.be/YdGMgqCejLE
Es waren daher nicht die Deutschen allein, die damals gegen den Marxismus gekämpft haben, sondern noch Millionen andere Europäer und auch Nichteuropäer auf der ganzen Welt.
Die komplette Geschichtsschreibung des letzten Jahrhunderts ist deshalb völliger Schwachsinn, eine mediale Konstruktion, die mit der Wirklichkeit nur wenig gemeinsam hat.
Haha, da geht man am Anfang erstmal durch die Hölle, wenn sich einem durch Eigenrecherche nach und nach die Augen öffnen. Zumindest die ersten 2, 3 Jahre. Meine Familie dachte nämlich wohl auch, es wäre besser mich zu beschützen, hat mir darum nichts über diese Dinge erzählt. Heute verstehe ich gut, warum sie so gehandelt haben.